7. Die Fächer in Grundschule und Mittelstufe nach Auflösung der Integration

Die Versuche, einen integrierten sozialwissenschaftlichen Unterricht zu schaffen, sind in Frankreich zunächst gescheitert. Allerdings ist die Diskussion an den betroffenen Fächern nicht spurlos vorbeigegangen. Geschichte und Geographie orientieren sich an sozialwissenschaftlichen Konzeptionen, wie sie beispielsweise die Nouvelle Histoire sowie die Sozial- und Wirt[/S. 90:]schaftsgeographie bieten. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Geologie nicht Teil des schulischen Geographieunterrichts, sondern Teil des naturwissenschaftlichen Unterrichts. In der "Staatsbürgerlichen Erziehung" gibt es den Kernansatz der "Menschenrechtserziehung" als Antwort auf ein gesellschaftliches Problem. Daneben steht aber unvermittelt die alte Institutionenkunde. Eine spezielle Lehrerausbildung für das Fach "Staatsbürgerliche Erziehung" wurde auch bei der Reform der Ausbildung nicht eingeführt. Das Fach wird weiterhin von Geschichts- und Geographielehren unterrichtet. Für die Grundschule und die Mittelstufe setzen die neuen Unterrichtspläne stärkere pädagogische und didaktische Akzente. Der Erwerb von Methoden- und Handlungskompetenz wird als Lernziel ausdrücklich hervorgehoben. Zur Durchführung fächerübergreifender Studien und Projekte wird ein Stundenkontingent zur Verfügung gestellt. Der folgende Überblick zeigt den Entwicklungsstand zu Beginn der 90er Jahre auf.

Grundschule

Die "activités d'éveil" (vgl. Kapitel 4) wurden in vier Lernbereiche aufgelöst: Naturwissenschaften und Technologie (sciences et technologie) mit zwei bzw. drei Wochenstunden, Geschichte und Erdkunde (histoire et géographie) mit einer bzw. zwei Wochenstunden, staatsbürgerliche Erziehung (éducation civique) mit durchgängig einer Wochenstunde sowie künstlerische Erziehung (éducation artistique) mit ebenfalls einer Wochenstunde.

Der Geschichtsunterricht geht in der 1. Klasse (cours préparatoire) von der Umgebung des Kindes aus. Ein erster Geschichtsfries erfaßt persönliche und kollektive Daten der Schüler. In der 2. und 3. Klasse (cours élémentaire 1 und 2) werden, ausgehend von der heutigen französischen Gesellschaft, kennzeichnende Epochen der französischen Geschichte mit Staaten, Ereignissen, Personen und sozialen Gruppen erarbeitet. In der 4. und 5. Klasse (cours moyen 1 und 2) folgt in chronologischer Systematik die Nationalgeschichte Frankreichs von der Vorgeschichte bis ins 20. Jahrhundert.

Der Geographieunterricht beginnt in der 1. Klasse mit der räumlichen und landschaftlichen Umgebung des Kindes. In der 2. und 3. Klasse wird die nähere Umgebung in Beziehung und Vergleich zu anderen Lebensräumen gesetzt. Frankreich in seinem Zusammenhang mit Europa und der Welt ist mit vorrangig sozialen und ökonomischen Inhalten Gegenstand des Unterrichts in der 4. und 5. Klasse. Historische und geographische Themen sind in drei bis vier Studieneinheiten (sujets d'études) pro Schuljahr miteinander verknüpft zu behandeln. Hierfür stehen maximal 24 Wochenstunden (ein Drittel der gesamten Unterrichtsstunden) zur Verfügung (Ecole élémentaire 1990, S. 25 ff.).

Die staatsbürgerliche Erziehung soll sich auf wenige wichtige Bereiche beschränken: verantwortliches Sozialverhalten, politische und administrati[/S. 91:]ve Institutionen sowie die Rolle Frankreichs in der Welt. Als affektive Lernziele werden Ehrlichkeit, Mut, Ablehnung des Rassismus und die Liebe zur Republik genannt. In der 1. Klasse lernen die Schüler grundlegende Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die staatlichen Symbole der Republik. Im Unterricht der 2. und 3. Klasse sollen die Regeln des Gemeinschaftslebens klarer erfaßt und begründet werden. Themen sind die Begriffe Person, Eigentum, Vaterland, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Wahlen, Staatsgebiet, Staatspräsident, Minister, Abgeordnete, Gemeinde, Bürgermeister sowie die Schule. Parallel zum Geschichts- und Geographieunterricht steht in der 4. und 5. Klasse Frankreich mit seinen Institutionen und die sie begründenden Ideen im Mittelpunkt: Erklärung der Menschenrechte von 1789 und 1948, bürgerliche Freiheiten und Rechte, Verfassung, Gesetzgebung, Verwaltung, öffentliche Dienste, Armee, Frieden, Europa, Nation und internationale Beziehungen (Ecole élémentaire 1990, 5. 29 ff.).

Mittelstufe (collège)

In der Mittelstufe gibt es im sozialwissenschaftlichen Bereich drei Fächer:

1. Geschichte, 2. Geographie und Einführung in die Wirtschaft (initiation économique), 3. staatsbürgerliche Erziehung und Menschenrechtserziehung (éducation aux droits de l'homme). Für Geschichte, Geographie und Wirtschaft stehen zusammen zweieinhalb Wochenstunden, für staatsbürgerliche Erziehung eine Wochenstunde zur Verfügung.

Der Geschichtsunterricht folgt der chronologischen Systematik. In der 6. und 7. Klasse (sixième und cinquième) soll der Begriff "civilisation" den Unterricht und seine Beziehungen zu den Nachbarfächern strukturieren. Die Themen reichen von der Vorgeschichte bis zur Reformation. In der 8. Klasse (quatrième) sind das 17., 18. und 19. Jahrhundert (bis 1914) zu behandeln. Die Abschlußklasse der Mittelstufe, die 9. Klasse (troisième), ist dem 20. Jahrhundert, von 1914 bis zur Gegenwart, gewidmet. Die Unterrichtspläne warnen für die 9. Klasse vor einer Überbetonung der Fakten. Es sollten nur wenige Schlüsseldaten gelernt werden (Histoire, Géographie 1992, 5. 15 ff.).

Im Geographieunterricht der 6. Klasse (sixième) stehen Klimazone und Verteilung der Menschen auf der Erdoberfläche im Mittelpunkt. In der 7. Klasse (cinquième) sind die Begriffe Unterentwicklung und Entwicklung mit Beispielen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu vermitteln. Europa in seiner "Einheit und Verschiedenheit" sowie seinem Einfluß in der Welt ist das Leitthema der 8. Klasse (quatrième). Neben einzelnen Staaten ist hier auch die Europäische Gemeinschaft zu behandeln. Der Geographieunterricht am collège schließt in der 9. Klasse (troisième) mit Frankreich, den USA und der UdSSR ab. Es sind die Begriffe Mittelmächte und Großmächte zu erarbeiten. [/S. 92:]

Der Unterrichtsbereich "Einführung in die Wirtschaft" (Initiation économique) ist dem Geographieunterricht zugeordnet. Er beginnt in der 6. Klasse mit den Wirtschaftssubjekten und dem Wirtschaftskreislauf in der Gemeinde, setzt sich in der 7. Klasse mit den Themen Geld und Welthandel fort, widmet sich in der 8. Klasse inneren Problemen eines Unternehmens sowie der Arbeitswelt und schließt in der 9. Klasse mit den Aspekten und Problemen der regionalen Wirtschaft ab (Histoire, Géographie 1992, S. 63 ff.).

Für die Staatsbürgerliche Erziehung (éducation civique) in der Mittelstufe (collège) werden als Lernziele angegeben, daß sie "bei dem Schüler den Sinn für das Allgemeininteresse, die Achtung des Gesetzes, die Liebe zur Republik entwickeln" soll. In diesem Zusammenhang soll der Schüler über Rechte und Pflichten des Staatsbürgers aufgeklärt werden. In der 6. Klasse (sixième) sind die Themen Schule, Erziehung, Schulverwaltung, Leben in der Schule, soziale Beziehungen und das demokratische Leben in der Gemeinde zu behandeln. Die beiden umfassenden Themenkreise in der 7. Klasse (cinquième) sind das "Département und die Region" sowie die "Unterschiede und Achtung der Menschen". Der Unterricht in der 8. Klasse (quatrième) setzt die am Ende der 7. Klasse begonnene Menschenrechtserziehung mit den Bereichen "Eroberung der bürgerlichen Freiheiten" und "Ausübung der bürgerlichen Freiheiten im heutigen Frankreich" fort. Parallel zum Geographieunterricht endet der Unterricht der 8. Klasse mit den Institutionen und dem Werden der Europäischen Gemeinschaft. In der 9. Klasse (troisième) sind das politische Leben Frankreichs und seiner Institutionen, die Institutionen der USA und der UdSSR sowie die internationalen Beziehungen, die Verletzung der Menschenrechte, der Terrorismus, die Unterschiedlichkeit der Kulturen und die internationale Solidarität zu erarbeiten. Der Unterricht soll zusammenfassend mit den "Werten der Demokratie" enden. Ein auch für Deutschland angesichts seiner jüngsten Entwicklung interessanter Ansatz zu einem integrierten Unterricht ist die in die staatsbürgerliche Erziehung eingebundene "Menschenrechtserziehung, auf die im folgenden Kapitel besonders eingegangen wird (Éducation civique 1990).

Der Zustand der "staatsbürgerlichen Erziehung" in der Mittelstufe wird in einem Rundschreiben des Erziehungs-Ministeriums vom 14.11.1991 an die Schulaufsicht und die Schulen erkennbar, in dem das Ministerium anmahnt, daß die Prüfungsthemen am Ende der Schulzeit "nicht so ausschließlich über institutionelle Aspekte handeln sollten, wie dies im Prüfungszeitraum 1990 der Fall war" (Histoire, Géographie 1992, 5. 120).

Auf eine nähere Darstellung des Unterrichts in den drei Klassen der Oberstufe (lycée) sei hier verzichtet. Geschichte und Geographie werden entsprechend der klassischen Fachsystematik unterrichtet. Die Staatsbürger[/S. 93:]kunde (instruction civique) wird zwar in der Überschrift der Unterrichtspläne aufgeführt, sie findet aber nur implizit in der Behandlung historischer und geographischer Themen statt (Histoire, Géographie 1991, S. 13).