1. Übergänge in Ausbildung, Studium und Beruf

 

Bundesministerium für Bildung und Forschung: Berufsorientierung heute.

 

1. Gesellschaft und Arbeitswelt im Wandel

Die Bildungspolitik und insbesondere die Berufsbildungspolitik sieht sich mit einer Reihe von tief greifenden Veränderungen konfrontiert: In den Industrieländern vollzieht sich ein fundamentaler Strukturwandel von der nationalen Industriegesellschaft zur globalen wissensintensiven Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Der Anteil der eigentlichen Produktionstätigkeiten an der Beschäftigung geht zurück, der Anteil wissensbasierter primärer und insbesondere sekundärer Dienstleistungen wächst. Mit der Informations- und Kommunikationstechnologie dringen moderne Wissenschaft und Technik in alle Lebensbereiche und Arbeitsprozesse vor. Damit verändern sich nicht nur die einzelnen Sektoren der nationalen Volkswirtschaften und internationalen Produktions- und Austauschbeziehungen. Dies hat vor allem Auswirkungen auf Beschäftigungsstrukturen, Arbeitsformen und die zukünftig erforderlichen Qualifikationen der Fachkräfte. Parallel dazu werden die internationalen Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen intensiver und weiten sich mit Auswirkungen auf eine zunehmende Zahl von Arbeitsplätzen aus.

Als Ergebnis wird der Anteil höher qualifizierter Tätigkeiten an der Beschäftigung deutlich zunehmen, während der Anteil einfacher Tätigkeiten sinkt. Nach der IAB/Prognos-Tätigkeitsprojektion von 1999 wird sich der Bedarf an Beschäftigten ohne Ausbildungsabschluss bis zum Jahre 2010 von etwa 20 auf dann 10 Prozent verringern (vgl. Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung 1999). Dieser Wandel verstärkt vor allem für Jugendliche ohne Schulabschluss und Berufsausbildung die Probleme bei der Integration ins Beschäftigungssystem. Damit einher geht auf allen Tätigkeitsebenen und an nahezu allen Arbeitsplätzen ein rascher organisatorischer und steter technischer Wandel. Neue und sich kontinuierlich verändernde Anforderungen an die fachlichen und allgemeinen Kompetenzen sind die Folge.

Seit den siebziger Jahren gibt es in der Bundesrepublik zusätzlich einen Trend von einem standardisierten System lebenslanger Ganztagsarbeit im Betrieb hin zu einem System pluralisierter, flexibler, dezentraler Beschäftigung (vgl. Beck 1986). Festzustellen ist also eine doppelte Verlagerung von Erwerbstätigkeiten: vom industriellen Bereich in den Dienstleistungsbereich, von der Vollzeiterwerbstätigkeit zu den anderen Erwerbsformen wie geringfügige Beschäftigung, Werkvertrags- und Leiharbeit bis hin zur Selbstständigkeit. Doch trotz des Rückgangs der Erwerbsquote im Normalarbeitsverhältnis und Zunahme anderer Erwerbsarbeitsformen mit höheren sozialen Risiken bis hin zur sozialen Ausschließung bleibt die berufsförmig organisierte Vollzeiterwerbstätigkeit auch im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft die bedeutendste Form der Arbeit.

Zugleich vollzieht sich ein - in seinen Konsequenzen für Qualifizierung und Beschäftigung noch nicht hinreichend wahrgenommener - grundlegender demografischer Wandel. Niedrige Geburtenraten führen nicht nur zu sinkenden Bevölkerungszahlen, sondern vor allem auch zu einer anderen Alterszusammensetzung der Bevölkerung und somit der Menschen im erwerbsfähigen Alter. Der Anteil der Älteren wächst, der der Jüngeren und in der Folge der mittleren Generation sinkt. Diese beiden bedeutsamen Entwicklungen sind eine große Herausforderung für das gesamte gesellschaftliche System.

Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und der parallel verlaufende demografische Wandel müssen nach den bisher vorliegenden Prognosen durch eine verstärkte Aktivierung und Ausschöpfung des - bisher nur unzureichend genutzten - inländischen Qualifikationspotenzials kompensiert werden. Für die wirtschaftliche, soziale und politische Zukunft Deutschlands ist es in hohem Maße mitentscheidend, ob und wie der Übergang der Jugendlichen von der Schule in die Arbeits- und Berufswelt gelingt, um alle vorhandenen Erwerbs- und Qualifikationspotenziale zu entwickeln und auszuschöpfen.

Zurzeit steigt mehr als jeder fünfte Jugendliche im Süden und im Westen und jeder vierte Jugendliche im Norden und im Osten vorzeitig aus seinem Ausbildungsvertrag aus (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2002). Etwa 1,3 Millionen Menschen im Alter von 20-29 Jahren haben nach Ergebnissen des Mikrozensus 2000 weder einen Berufsabschluss noch befinden sie sich in einer Ausbildung. Auch wenn beinahe die Hälfte der "Aussteiger" nur "Umsteiger" sind, die ihre Ausbildung in einem anderen Betrieb oder Beruf fortsetzen, zeigt die hohe Zahl der Ausbildungsabbrecher und der Ausbildungslosen Handlungsbedarf auf.

Primäres Ziel muss es sein, allen Jugendlichen die Chance zu eröffnen, mit einer arbeitsmarktverwertbaren Berufsausbildung den Start in das Berufsleben zu beginnen. Die Umsetzung eines solchen Ziels erfordert ein auswahlfähiges und differenziertes Angebot an Arbeitsplätzen in Berufen, die gute Beschäftigungsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnen und zugleich dem unterschiedlichen Leistungsvermögen und den Interessen der Jugendlichen gerecht werden. Die Bundesregierung versucht durch verschiedene Maßnahmen, wie dem Programm "Kompetenzen fördern - Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf", dem "Jugendsofortprogramm" oder dem "Job-AQTIV-Gesetz" (1), ihren Beitrag zur Erreichung dieses Zieles zu leisten. Schon heute ist die Ausbildungsplatzbilanz in starkem Maße durch die Ausweitung der öffentlich finanzierten Ausbildung geprägt. So haben durch das "Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit" 165.000 Jugendliche wieder den Einstieg in Ausbildung und Beruf gefunden (vgl. Bundesanstalt für Arbeit 2000). Langfristig wird es von zentraler Bedeutung sein, dass die Bereitstellung eines ausreichenden und auswahlfähigen Ausbildungsplatzangebots durch die Wirtschaft auch zukünftig erreicht beziehungsweise gesichert wird.

 

2. Berufsorientierung: mehr als einmalige Berufswahlfähigkeit

Unter "Berufswahlfähigkeit" konnte man bis weit in die siebziger Jahre hinein noch die Fähigkeit verstehen, sich unter genauer Kenntnis seiner Wünsche und Fertigkeiten wie auch des zumeist regionalen betrieblichen Ausbildungsplatzangebots für einen "Lebensberuf" entscheiden zu können. Dieses Bild vom Beruf entspricht heute kaum mehr der Realität und wird morgen erst recht überholt sein. Berufsorientierung erfordert heute mehr als das traditionelle Verständnis von "Berufswahlfähigkeit". Die Berufs-, Tätigkeits- und Qualifikationsstruktur wird weiter tief greifenden Veränderungsprozessen ausgesetzt sein. Die daraus entstehenden immer neuen technologischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen legen nahe, sich schon möglichst früh auf ein "lebensbegleitendes Lernen" (2) einzustellen. Das bedeutet nicht zuletzt, "das Lernen zu lernen" als Schlüsselqualifikation mit in den Mittelpunkt von Bildungsprozessen zu rücken.

Die Notwendigkeit lebensbegleitenden Lernens wird die Bedeutung der Berufswahl für den Einzelnen kaum mindern. Neben der Bündelung von Arbeitsanforderungen zu marktfähigen Qualifikationen erfüllt der Beruf eine wichtige psychosoziale Funktion. Die Berufsvor- und -ausbildung leistet einen wesentlichen Beitrag für die Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft. Über den Beruf werden nicht nur marktfähige Qualifikationen gebündelt, Wertorientierungen und Haltungen vermittelt, gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung erreicht, über den Beruf und die Berufswahl werden "Lebenspläne" entwickelt.

Es gilt also nicht vom Beruf generell Abschied zu nehmen, vielmehr ist eine Veränderung zu konstatieren. Was sich verändert, ist die Bedeutung der einmal in der Ausbildung gelernten Fachqualifikation wie auch die soziale Sicherheit, den Ausbildungsberuf ein ganzes Leben lang, womöglich noch in einem einzigen Betrieb, ausüben zu können. Gleichwohl müssen weiterhin die veränderten und sich rascher wandelnden Qualifikationsanforderungen des Beschäftigungssystems mit den Bildungs-, Arbeits- und Lebensansprüchen der Menschen, insbesondere der Jugendlichen, abgestimmt werden.

Für die Jugendlichen ist das Berufswahlproblem komplexer geworden, seit es den "Lebensberuf" nicht mehr gibt, gleichwohl aber spätestens am Ende der Sekundarstufe I eine entscheidende Weichenstellung für die künftige Bildungs- und Berufsbiografie vorgenommen werden muss. Besonders schwierig gestaltet sich der Übergang vor allem für diejenigen Jugendlichen, die weder schulisch formal qualifiziert sind, noch über neue und zusätzlich geforderte Kompetenzen verfügen. Eine Verstärkung der Bemühungen um eine bessere Berufsorientierung kann dazu beitragen, dass die Jugendlichen eine bewusstere und informiertere Entscheidung treffen und mit einer klareren Perspektive dazu motiviert werden, ihre Schul- und Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen.

Aus der Jugendforschung wie auch aus Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (siehe hierzu z.B. Fobe/ Minx 1996 und Schober/Gaworek 1996) ist bekannt, dass für Jugendliche Ausbildung und Beruf nach wie vor eine sehr hohe Priorität haben. Zugleich ist bekannt, dass sich die Berufsbiografie zunehmend von gesellschaftlichen Festlegungen löst und "mehr in die Entscheidung und Verantwortung des einzelnen gelegt wird. Sie wird zunehmend Teil einer individuellen, ganzheitlichen, aber auch riskanten Lebensplanung" (vgl. Rebman/ Tenfelde/ Uhe 1998). Berufswahl ist ein länger andauernder Prozess, der schon mit der Entscheidung für eine bestimmte Schullaufbahn beginnt und als eine "gestufte Abfolge von Bildungs-, Ausbildungs-, Weiterqualifizierungs-, Berufs- und Arbeitsplatzentscheidungen" (vgl. Schober/ Tessaring 1993) zu verstehen ist. Zunehmend werden dabei nicht nur auf den ersten Stufen "Optionswahlen" getroffen, sondern man versucht auf jeder Stufe, Optionen für mehrere berufliche Alternativen zu erlangen.

Entsprechend bedeutet die Befähigung zur beruflichen Orientierung heute, sich für eine "erste Stufe in seiner Berufsbiografie" entscheiden zu können und sich darüber hinaus auf eine permanente Erweiterung und Vertiefung seiner einmal erworbenen fachlichen und überfachlichen Kompetenzen, auf ein lebensbegleitendes Lernen, einzustellen und dafür nachhaltig motiviert und befähigt zu sein.

 

3. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in gemeinsamer Verantwortung

Die Jugendlichen zu befähigen, ihre Lebensplanung selbst zu gestalten und sich dazu die Möglichkeiten der Berufswahl wie die notwendige Entscheidungsfindung bewusst zu machen, ist von zentraler Bedeutung. Schon früh vor Eintritt der Jugendlichen in das Ausbildungs- und Beschäftigungssystem - also bereits in der Schule - sollte die selbstständige Auseinandersetzung mit Fragen der Berufsorientierung und damit im Zusammenhang stehend mit Themen der Wirtschafts- und Arbeitswelt beginnen. Bildung und Qualifikation stehen dabei, wie das Forum Bildung (3) festgestellt hat, traditionell in einem Spannungsverhältnis zueinander. Tatsächlich lassen sich die drei Zieldimensionen Persönlichkeitsentwicklung, Teilhabe an der Gesellschaft und Beschäftigungsfähigkeit kaum voneinander trennen. Jedoch sind sie heute immer weniger als Gegenpole zu sehen, sondern als sich gegenseitig bedingende Grundlagen für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft. Ihr Zusammenhang ist zumal in Projekten zur Berufsorientierung unübersehbar.

Zunehmend wird jedoch deutlich, dass sich mit der Gestaltung des Strukturwandels in Arbeit und Beruf neue Aufgaben im Bereich der Berufsorientierung stellen, die von den Lehrkräften an den allgemein bildenden Schulen allein nicht gelöst werden können. Die Vermittlung einer zeitgemäßen Berufsorientierung, zu der das Entwerfen eines eigenen Zukunftskonzepts ebenso gehört wie das Wissen um die betrieblichen Flexibilitätserfordernisse, macht eine stärkere Kooperation zwischen Schule, Elternhaus, Betrieben, Arbeitsverwaltung und Wissenschaft erforderlich. Hierzu sind bei Wahrung und Akzeptanz aller Unterschiede in den Zielsetzungen der verschiedenen Akteure innovative Impulse und gemeinsames Handeln gefragt.

Aktuellen Nachdruck erfährt die Konzentration auf die Stärkung der bildungs- und berufsbiografischen Gestaltungskompetenz durch die in der PISA-Studie hervorgehobene Fähigkeit zu "selbst reguliertem Lernen", bei dem im Unterschied zur Fachkompetenz "die insgesamt notwendigen und/ oder verfügbaren kognitiven, motivationalen und sozialen Voraussetzungen für erfolgreiches Handeln und Leisten zusammenwirken" (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001). Dies bedeutet aber auch für die Jugendlichen eine steigende Eigenverantwortung für die Gestaltung der eigenen Arbeits- und Berufsbiografie. Gefordert sind deshalb neue Curricula sowie Lehr- und Lernmethoden, die besonders auf die Förderung von Selbstständigkeit, Team- und Kommunikationsfähigkeit Wert legen. Bildungspolitik kann dies fördern, in dem sie einen solchen Prozess initiiert und moderiert, die Bedingungen für eine stärkere Verankerung der Berufsorientierung im Schulcurriculum und in der Lehrerausbildung schafft und Schulen die Freiräume zur Verfügung stellt, externes Fachpersonal und externe Lernorte in das Unterrichtsgeschehen einzubinden.

Die quantitativen und qualitativen Problemen und Herausforderungen, denen sich die Jugendlichen aufgrund des beschleunigten Strukturwandels in Arbeit und Beruf beim Übergang von der Schule in Ausbildung und Studium heute gegenüber sehen, erfordern eine gesellschaftliche Antwort. Der Bund hat sich im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit im Nationalen Beschäftigungspolitischen Aktionsplan 2002 dazu verpflichtet, die "Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit", die "Qualifizierung für den neuen Arbeitsmarkt im Kontext des lebenslangen Lernens", die "Stärkung der digitalen Kompetenz" sowie die "Förderung der Entwicklung selbstständiger Erwerbstätigkeit" zu forcieren. Die Umsetzung dieser Ziele benötigt neue und koordinierte Anstrengungen im Bereich der beruflichen wie der vorberuflichen Bildung von Bund, Ländern und Sozialpartnern.

 

4. Qualifizierungsoffensive zur Bewältigung der berufsbildungspolitischen Herausforderungen

Die tief greifenden Veränderungen in der Erwerbsarbeit und im Beruf haben im Bereich der beruflichen und im Bereich der vorberuflichen Bildung recht unterschiedliche Wirkungen und Aktivitäten ausgelöst. Schon seit längerem finden in der Berufsbildung beschleunigt Aktualisierungen der Ausbildungsordnungen statt. Es werden neue Ausbildungsberufe - zumal im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie - geschaffen. Verschiedene Vorschläge zur Reformierung des Berufsbildungssystems in Richtung auf mehr berufliche Flexibilität der Individuen und eine Neuschneidung des Verhältnisses beruflicher Grund- und Zusatzqualifikationen sind in Arbeit. Dagegen ist die wachsende Bedeutung auch einer möglichst frühzeitigen Berufsorientierung in den allgemein bildenden Schulen zwar erkannt, es fehlt hingegen bislang an vergleichbar abgestimmten Konzepten und bildungspolitischen Initiativen, um beim Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft auch hier Schritt halten zu können.

Die Bundesregierung hat seit 1998 den Dialog mit den für Bildung Verantwortlichen intensiviert. Um den Reformprozess in zentralen wirtschafts-, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitisch bedeutsamen Bereichen voranzubringen, hat die Bundesregierung im November 1998 das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit eingerichtet. In diesem Bündnis haben Vertreter der Bundesregierung, der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften in der Spitzenrunde sowie den verschiedenen themenorientierten Arbeitsgruppen Vorschläge für mehr Beschäftigung und Qualifizierung sowie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erörtert und entsprechende (4) Beschlüsse gefasst, die Schritt für Schritt umgesetzt werden.

Die Notwendigkeit, weitreichende Reformen durchzuführen, betrifft dabei alle Teile des Bildungssystems. In dem von der Bundesregierung zusammen mit den Ländern für einen befristeten Zeitraum eingerichteten Forum Bildung wurden insbesondere bildungsbereichsübergreifende Querschnittsthemen wie "Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen" erörtert sowie Reformstrategien zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems entwickelt. Die von Bund und Ländern am 4. Dezember 2001 präsentierten zwölf Empfehlungen des Forums konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf zwei Bereiche - die grundlegende Verbesserung der Bildungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie die Gestaltung von Rahmenbedingungen, die lebenslanges Lernen ermöglichen.

Darüber hinaus ist es auch eine der wesentlichen Aufgaben der allgemein bildenden Schulen insbesondere in der Sekundarstufe I, die für die Aufnahme einer dualen Berufsausbildung erforderliche Ausbildungsreife der Schüler und Schülerinnen sicherzustellen. In den Ländern wurden hierzu in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen (5) ergriffen, die darauf zielen, den Unterricht in den Kernfächern zu stärken sowie die Hinführung zu Wirtschaft und Arbeitswelt zu verbessern. Die Möglichkeit zur vertieften Berufswahlorientierung nach dem Sozialgesetzbuch III wurde durch das "Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente" (Job-AQTIV-Gesetz) deutlich verbessert. Ab dem Jahr 2002 können Arbeitsämter und Länder in der unterrichtsfreien Zeit Berufsorientierungsmaßnahmen von bis zu vier Wochen Dauer anbieten, wenn sich die Länder mindestens zur Hälfte an der Finanzierung beteiligen. Ergänzend zu diesen Angeboten der Bundesanstalt für Arbeit werden die Aktivitäten der Länder zur Verbesserung der Berufswahlorientierung und -entscheidung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit der Förderung innovativer Projekte zur schulischen Berufsorientierung in dem seit 1999 laufenden Programm "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" (SWA) unterstützt.

Ziel des SWA-Programms ist es, die Jugendlichen ihren Erfahrungen entsprechend und praxisnah auf die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt vorzubereiten sowie in selbstständiger Auseinandersetzung an berufsorientiertes ökonomisches Denken und Handeln heranzuführen. Über die von den Ländern bereits ergriffenen Maßnahmen hinaus werden innovative Konzepte erprobt, die Schülern und Schülerinnen schulartspezifisch und unter Berücksichtigung des Alters, Entwicklungsstandes und geschlechtsspezifischer Unterschiede den Zugang in die Arbeits- und Berufswelt erleichtern. Gefördert werden unter anderem innovative Projekte, die

  • Selbststeuerung und Dokumentation des Berufsorientierungsprozesses fördern (Berufswahlpass)
  • den Einsatz neuer Medien und moderner Computertechnologie für arbeitsweltbezogenes und selbst gesteuertes Lernen in der Schule vorsehen,
  • Informationsdefizite über neue Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten bei Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern, Eltern und Betrieben abbauen helfen,
  • Kooperationen von Schulen, Betrieben und Forschungseinrichtungen auf- und ausbauen, mit dem Ziel, Jugendlichen bereits während der Schulzeit mehr Einblicke in Berufe zu geben und Betriebe für die Ausbildung zu motivieren sowie Projekte, die
  • geeignet sind, die Qualifikation von Ausbildungs- und Lehrkräften zu verbessern.

Durch systematische und kontinuierliche, pädagogisch begleitete Einblicke in das Arbeits- und Wirtschaftsleben können geschlechtsspezifische Orientierungen hinterfragt, die Berufs- und Studienorientierung der Jugendlichen verbessert, Berufswahlentscheidungen erleichtert und damit effektivere Übergänge geschaffen werden. Die Auseinandersetzung mit Themen aus der Arbeitswelt soll Selbstständigkeit beim Wissenserwerb und kritischen Umgang mit Wissen fördern, um so den sich wandelnden Anforderungen besser entsprechen zu können. In den geförderten Projekten geht es zusätzlich um die Bündelung der Aktivitäten und Kräfte, die in der Region, in den verschiedenen Verbänden und Trägerorganisationen im Bereich vorberuflicher Bildung tätig sind. Mit diesem Ansatz schließt das SWA-Programm inhaltlich an andere durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Bildungsprogramme wie "Lernende Regionen" oder "Lebenslanges Lernen" an.

Das Rahmenkonzept für dieses neuartige, auf nachhaltige Veränderungen durch Bundesförderung setzende Programm konnte in kurzer Zeit mit den Ländern abgestimmt werden. Auf Grund eines BLK-Beschlusses wurde ein Lenkungsausschuss eingerichtet, der die mit der Steuerung des Programms zu klärenden Fragen berät. Im Herbst 1999 wurde das Programm gestartet. Seit 2001 wird es mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds kofinanziert. Im Rahmen des SWA-Programms sind bis heute in allen Bundesländern sowie bei den Sozialpartnern 36 Projekte gefördert (Stand April 2003). Bislang sind in den SWA-Projekten etwa 32 000 Schülerinnen und Schüler in 530 Schulen - es handelt sich hierbei um alle Schulformen, von der Hauptschule über die Realschule zum Gymnasium, von der Förderschule zu Schulen für Lernbehinderte - und 2 400 Unternehmen beteiligt.

Mit vier Leitideen lässt sich das Programm "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" überschreiben. Sie könnten allesamt mit "Schule macht Ernst" charakterisiert werden, weil sie zwar bereits bisher vereinzelt in der Schullandschaft Berücksichtigung fanden, aber sich noch nicht systematisch und dauerhaft durchsetzen konnten:

  1. Schule macht Ernst mit der Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern als "handelnden Subjekten", indem hier die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer und andere Akteure zunehmend in die Rolle von Moderatorinnen und Moderatoren schlüpfen. Sie sind durch Anwendung neuer Lehr- und Lernmethoden bei ersten betrieblichen Arbeitserfahrungen sowie bei der Entwicklung eines eigenen Zukunftskonzepts von Arbeit und Beruf unterstützend tätig.
  2. Schule macht Ernst mit dem Erlernen von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung als den heute vielleicht wichtigsten Schlüsselkompetenzen im Arbeitsleben. Diese Schlüsselkompetenzen müssen nicht nur in Ausbildung und Beruf, sondern können und müssen bereits in der allgemein bildenden Schule angeeignet werden (vgl. Feldhoff/ Jacke/ Simoleit 1995). Ansätze hierzu finden sich in einer Reihe von Projekten des Programms "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben". In der Organisation aufgabenbezogener Betriebspraktika, über die Arbeit an realen betrieblichen Problemstellungen bis hin zur Existenzgründung wird in vielen Projekten das Arbeitshandeln in einen strategischen Zusammenhang mit der betrieblichen Wertschöpfung gestellt. Sie wird - unabhängig von ihrer Form, sei es als Werkstück, Werbeidee oder Software - als Beitrag zur betrieblichen Leistung erkannt und anerkannt.
  3. Schule macht Ernst mit der "Berufswahl als Prozess", indem sie den Übergang an der "ersten Schwelle" zum Arbeitsmarkt nicht "punktualisiert" sondern "flexibilisiert", indem sie beispielsweise die bisherige Stundentafel auflöst, individuelle Orientierung und Lernplanung ermöglicht und die einzelnen Schritte in die Ausbildung mit einem Berufswahlpass dokumentiert bzw. zertifiziert. Die Flexibilisierung der Übergangsphase erhöht insbesondere die Chancen für die so genannten Benachteiligten, deren Integration in das Erwerbsleben sich ohnehin nur als sozialpädagogisch und unterrichtsfachlich begleiteter Prozess vorstellen lässt.
  4. Schule macht Ernst mit der Kooperation aller an der Berufsorientierung Beteiligten und Verantwortlichen, indem sie sich mit Betrieben, Verbänden, Arbeitsverwaltung und anderen Akteuren in regionalen Netzwerken zusammenschließt und dadurch, im Zuge der systematischen personellen und organisatorischen Abstimmung, Kompetenzen bündelt und außerschulische Lernerfahrungen ermöglicht.

Mit dieser Ausrichtung greift das Programm bereits frühzeitig schulpädagogische Leitlinien auf, die später von dem Forum Bildung in seinen zwölf Empfehlungen für Reformen im deutschen Bildungswesen (vgl. Arbeitsstab Forum Bildung 2001) als bildungspolitischer Konsens zwischen Bund, Ländern und Sozialpartnern entwickelt wurden.

Im Programm "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" wird sichtbar, dass hier eine länder- und institutionenübergreifende Aufgabe erwachsen und anerkannt ist, zu der in gemeinsamer Anstrengung von Schulen, Betrieben, Kammern, Gewerkschaften, Hochschulen und Kultusministerien Antworten gesucht werden sollen. Das Engagement des Bundes kann insofern als eine Initialzündung für eine schulform- und länderübergreifende Suche und Förderung nach neuen Wegen des Übergangs von der Schule ins Arbeits- und Berufsleben angesehen werden, die von unterschiedlichen Institutionen (Schulen, Hochschulen, Lehrerfortbildungseinrichtungen) ihren Ausgangspunkt nehmen und sich auf verschiedene "Gegenstände" wie beispielsweise stärkere Einbeziehung betrieblicher Experten, Kooperation Schule - Wirtschaft - Hochschule oder neuer Unterrichtsmaterialien mit multimedialer Nutzung beziehen kann.

 

5. Ausblick

Mit unterschiedlichen Nuancen weisen alle Akteure in der Bildungspolitik darauf hin, dass es Jugendlichen an Wissen über die Arbeits- und Berufswelt mangelt. Statt das komplexe Problembündel auf dem Feld der Berufsvorbereitung nüchtern zu betrachten, wird zuweilen gerne der "Schwarze Peter" einseitig den Jugendlichen zugeschoben, denen pauschal fehlende Ausbildungsfähigkeit unterstellt wird. Diese einseitige Schuldzuweisung wird freilich weder den heutigen Problemen der Jugendlichen bei der Suche nach ihrem Platz im Erwerbsleben gerecht noch löst sie das Problem. Die Hartz-Kommission hat nicht zuletzt deshalb in ihren Empfehlungen zum Abbau der Arbeitslosigkeit auch die Bedeutung der allgemein bildenden Schulen für die berufliche Zukunft der Jugendlichen hervorgehoben und die Lehrkräfte für eine gelingende Berufsorientierung ausdrücklich mit in die Verantwortung genommen (vgl. Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" 2002).

In diesem Zusammenhang gibt es mittlerweile ein ganzes Bündel von Vorschlägen, wie man den beschriebenen Mängeln begegnen könnte. Im Kern muss es bei der Vorbereitung der Jugendlichen auf ihr nachschulisches Leben darum gehen, gesellschaftlich als notwendig empfundene Inhalte in das bestehende Unterrichtsgeschehen einzubeziehen und die Lehrpläne mit Bezügen zum Alltag der Jugendlichen zu verknüpfen. Dabei soll nicht nur mehr Berufs- und damit Lebensbezug in den Klassenraum Einzug halten, sondern auch die Klassen samt ihrer Lehrkräfte selbst betrieblichen Alltag vor Ort im Rahmen von Kooperationen kennen lernen.

Zur Herstellung einer solchen Art von Ausbildungsfähigkeit - die wir heute unter dem Begriff Berufsorientierung subsumieren - gehört das Entwerfen eines eigenen Zukunftskonzepts ebenso wie das Wissen um die betrieblichen Flexibilitätserfordernisse, gehört das Erwerben von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen ebenso wie die Entwicklung von Motivation und Fähigkeit zu einem lebensbegleitenden Lernen. Für die Vermittlung eines solchen anspruchsvollen Konzepts scheint eine engere partnerschaftliche Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft/ Arbeitsleben unumgänglich. Dabei könnten vor großen Reformschritten zunächst innovative Impulse hilfreich sein, wie sie mit dem Programm "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" intendiert und gefördert werden.

Zu einer zeitgemäßen Berufsorientierung gehört es auch, die Eigenverantwortung der Jugendlichen zu stärken. Aber den Jugendlichen muss bei diesem Lernprozess geholfen werden. Es ist keine Lösung, das Individuum in einer Zeit der Globalisierung und des Strukturwandels allein zu lassen. Erforderlich ist eine Strategie, die Eigenverantwortung in eine neue Form der Unterstützung seitens der Politik, aber auch seitens der Wirtschaft und der für die Arbeitswelt Verantwortlichen einbettet. Mit dem SWA-Programm wird versucht, zur Selbstständigkeit anzuregen und Jugendliche bei der Übernahme von mehr Eigenverantwortung zu unterstützen. Dabei zeigt sich, wie wichtig es ist, Kooperationen der Schule und Hochschule insbesondere mit den Sozialpartnern herzustellen.

Trotz unterschiedlicher Ziele und Interessenlagen ist eine erhöhte Bereitschaft zur Erprobung neuer Formen der Kooperation erfreulicherweise festzustellen. Es ist bei allen Beteiligten am Arbeitsgeschehen der Wille zu spüren, voneinander zu lernen und Antworten auf die Frage zu suchen, was konkret getan werden kann, um den Jugendlichen einen möglichst guten Berufsstart zu ermöglichen. Viele Beispiele hierfür finden sich in den Berichten über die einzelnen SWA-Projekte der Länder und der Sozialpartner.

Die vielfältigen Veränderungen in Wirtschaft und Technik, Arbeitswelt und Gesellschaft mit neuen Anforderungen an das Bildungs- und Berufsbildungssystem erfordern einen permanenten Modernisierungsprozess, ohne dabei vorschnell Bewährtes aufzugeben. Hier sind alle Beteiligten - Bund, Länder und Sozialpartner - gefordert, in einem konstruktiven Dialog bei der Bewältigung der Herausforderungen im Interesse der Jugendlichen wie der Unternehmen und Betriebe zusammenzuarbeiten.

 

Anmerkungen

1) Job-AQTIV-Gesetz vom 10.12.2001, BGBl. 2001 I S. 3443; AQTIV steht dabei für Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren, Vermitteln. Detaillierte Informationen über das JOB-AQTIV-Gesetz sind auf der Internet-Seite des www.bma.de unter dem Abschnitt "Arbeit" bzw. "Arbeitsrecht" abrufbar.

2) Der Begriff "lebensbegleitendes Lernen" wurde vor allem von der Enquete-Kommission "Zukünftige Bildungspolitik - Bildung 2000" geprägt und ihren Empfehlungen zugrunde gelegt. Vgl. Deutscher Bundestag (Hrsg.)(1990), insbesondere S. 160-218 Abschnitt Weiterbildung.

3) Das Forum Bildung wurde mit dem Abschlusskongress am 9./10. Januar 2002 zunächst beendet. Bund und Länder haben sich dabei auf ein Follow-up verständigt, in dem bis Ende 2004 über die Umsetzung der Empfehlungen berichtet werden soll.

4) Die Beschlüsse sowie zahlreiche Informationen und Materialien der verschiedenen Arbeitsgruppen können auf der Internet-Seite www.bundesregierung.de unter Schwerpunkte/Bündnis für Arbeit abgerufen werden.

5) vgl. hierzu die vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegte Dokumentation der Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungsreife sowie Berufswahlentscheidung, Bonn im Juni 2001.

 

Literatur

Arbeitsstab Forum Bildung (Hrsg.) (2001): Empfehlungen des Forum Bildung, Bonn

Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt

Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.) (2000): direkt - Fördern und Qualifizieren (BA: direkt), Heft 10/2000, Nürnberg, S. 12

Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2002): Berufsbildungsbericht 2002. Kap. 2.2.4. Bonn

Deutscher Bundestag (Hrsg.) (1990): Zukünftige Bildungspolitik - Bildung 2000. Schlussbericht der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages, Bonn 1990, S. 160-218

Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.) (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen, S. 271

Feldhoff, Jürgen/ Jacke, Norbert/ Simoleit, Jürgen (1995): Schlüsselqualifikationen für neue Anforderungen in Betrieb und Gesellschaft. Reformen im Spannungsfeld von allgemeinbildender Schule und beruflicher Praxis. Düsseldorf

Fobe, Karin/ Minx, Bärbel (1996): Berufswahlprozesse im persönlichen Lebenszusammenhang. Jugendliche in Ost und West an der Schwelle von der schulischen in die berufliche Ausbildung. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 196, Nürnberg

Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (Hrsg.) (1999): IAB-Kurzberichte 9/1999 und 10/1999. Nürnberg

Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" (2002): Vorschläge der Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit, Berlin, S. 315

Rebmann, Karin/ Tenfelde, Walter/ Uhe, Ernst (1998): Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Eine Einführung in Strukturbegriffe. Wiesbaden, S. 64

Schober, Karen/ Gaworek, Maria (Hrsg.) (1996): Berufswahl: Sozialisations- und Selektionsprozesse an der ersten Schwelle. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 202, Nürnberg

Schober, Karen/ Tessaring, Manfred (1993): Eine unendliche Geschichte - Vom Wandel im Bildungs- und Berufswahlverhalten Jugendlicher. In: IAB (Hrsg.): Materialien aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg. Heft 3/1993, S. 3

 

Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland: Auszug aus Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz: Dokumentation zur Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen (Sekundarbereich I und II).

 

1. Länderübergreifende Gesamtdarstellung zur Berufsorientierung an Schulen des Sekundarbereichs I (außer Gymnasien)

 

1.1 Erlasse Verwaltungsvorschriften u. ä. im Hinblick auf Berufsorientierung

Die Zahl der Verwaltungsvorschriften, Bekanntmachungen u. ä. zur Berufsorientierung, die die "Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung" bzw. die daraus hervorgegangenen Übereinkommen der Länder mit Landesarbeitsämtern ergänzen, sind von Land zu Land sehr unterschiedlich. Manchen Ländern erscheint ihre länderspezifische Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung als ausreichend, andere regeln Teilbereiche wie die Durchführung von Betriebserkundungen, Betriebspraktika usw.

Dabei ist zu beachten, dass die Abgrenzung der Inhalte von "Berufsorientierung" unterschiedlich erfolgt. Manche Länder grenzen Berufsorientierung in den Lehrplänen stärker ab, vermitteln aber innerhalb der Berufsorientierung z. B. auch Kenntnisse über das Jugendarbeitsschutzgesetz und die Sozialversicherungen. Andere betonen, dass jeder Unterricht in Fächern wie "Arbeitslehre" oder "Arbeit-Wirtschaft-Technik" Beiträge zur Berufsorientierung leistet; diese Länder geben dann auch etwa Rahmenpläne für Arbeitslehre als Rechtsgrundlage im Hinblick auf Berufsorientierung an (Beispiel: Hessen).

 

1.2 Berufsorientierung in den Fächern und Lernbereichen der Stundentafeln

Berufsorientierung ist für die hier anzusprechenden Schulformen - also alle Schulformen, die Klassenstufen 5 bis 10 umfassen (ohne das Gymnasium) - zum festen Bestandteil von Unterricht geworden, in der Hauptschule in höherem Maße als in der Realschule. Der Schwerpunkt liegt meistens in den beiden letzten Klassenstufen der jeweiligen Schulform. Angebahnt wird die Berufsorientierung aber vielfach schon in früheren Klassenstufen bzw. in der Grundschule.
In einem Teil der Länder bzw. der Schularten ist die Berufsorientierung in bestimmten Fächern und Lernbereichen (Arbeitslehre, Arbeit-Wirtschaft-Technik, Politische Bildung, Sozialkunde, Gesellschaftslehre, Gemeinschaftskunde u. ä.) durch bestimmte Einheiten und Inhalte im Hinblick auf Dauer und ungefähren Zeitpunkt genauer festgelegt; in einem anderen Teil ist er verbindlich, der zeitliche Umfang und die zeitliche Festlegung aber bleibt der Konzeption der einzelnen Schule für die Berufswahlvorbereitung überlassen. Im Hinblick auf die lehrplanmäßigen Konzeptionen ist kein Unterschied zwischen den alten und den neuen Bundesländern erkennbar.

In mehreren Ländern und Schulformen verteilt sich der Kernbereich der Berufsorientierung auf den Pflichtunterricht und den Wahlpflichtunterricht. Oft wird er ergänzt durch sporadische Beiträge anderer Fächer und Lernbereiche (Religionslehre, Deutsch, naturwissenschaftliche Fächer, Bildende Kunst u. ä.), durch Möglichkeiten im Wahlbereich der Schülerinnen und Schüler (AG-Bereich, Projekttage usw.) sowie durch außerunterrichtliche Veranstaltungen.

Nur in Einzelfällen wird Berufsorientierung auch noch als Unterrichtsgrundsatz, also als ein für alle Fächer verbindlicher, fächerübergreifender Themenschwerpunkt, genannt.

 

1.3 Übergeordnete Zielsetzungen und wesentliche Inhalte des Unterrichts

Als globales Ziel der Berufsorientierung werden Berufswahlkompetenz, Berufswahlfähigkeit und Berufswahlreife der Jugendlichen genannt. Mit diesem Ziel werden Schlüsselqualifikationen, also grundlegende Einsichten, Einstellungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt, die den Jugendlichen die Gestaltung ihres individuellen Lebens und die Teilnahme am politischen Handeln der Gesellschaft besser ermöglicht.

Im Übrigen können übergeordnete Zielsetzungen und wesentliche Inhalte des Unterrichts nicht betrachtet werden, ohne dass sie im Zusammenhang mit der Aufgabe der Schule im Gesamtprozess der Berufswahlvorbereitung gesehen werden. Diese leitet sich aus dem verfassungsgemäßen Erziehungsauftrag der Schule her und wird näher bestimmt durch die Rahmenvereinbarung der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) vom 5.02.1971 und dem darauf aufbauenden Übereinkommen zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und der KMK über die Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung. Danach soll die Schule grundlegende Kenntnisse über die Wirtschafts- und Arbeitswelt vermitteln, während die Berufsberatung "auf die individuellen Erwägungen zur Berufswahl und auf die Berufsentscheidung" vorbereitet und insbesondere über den Arbeitsmarkt, über Anforderungen und Aufstiegsmöglichkeiten Orientierung vermittelt.

In Modellschulen und bei Schulversuchen sollten aber auch "neue Formen der Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung erprobt werden". Solche Erprobungen und die Weiterentwicklung der Schulfächer, in denen Kenntnisse über die Wirtschafts- und Arbeitswelt vermittelt werden, haben in der Zwischenzeit dazu geführt, dass durch länderspezifische Regelungen und Absprachen genauere inhaltliche und organisatorische Abstimmungen zwischen Schule und Berufsberatung erfolgten. Diese Absprachen schaffen auch Gestaltungsräume für die einzelne Schule und eröffnen Möglichkeiten, eigene Schulprofile (weiter) zu entwickeln.

Inhaltliche Abstimmungen erfolgten so, dass die Zielstellungen der Länder und Schularten in etwa den Anforderungen des Gegenstandsbereichs Beruf im "Material zum Lernfeld Arbeitslehre im Sekundarbereich I" entsprechen, das 1987 von den Kultusministern den Ländern zur Verfügung gestellt wurde. Nach diesen Anforderungen sollen die Jugendlichen mit Hilfe der schulischen Berufsorientierung

  • Überblick gewinnen über schulische Bildungsgänge und berufliche Ausbildungsmöglichkeiten in der Region;
  • Einflüsse von Familie, Umwelt und Schule auf die Berufswahl von Mädchen und Jungen erkennen und für die eigene Entscheidung nutzen;
  • individuelle Fähigkeiten und berufliche Erwartungen einschätzen lernen und mit Anforderungen beruflicher Tätigkeiten vergleichen;
  • eine Berufswegplanung entwerfen und dabei sowohl individuelle Voraussetzungen als auch Arbeitsmarktverhältnisse berücksichtigen und die Dienste der Berufsberatung nutzen;
  • Chancen und Gefahren beruflicher Flexibilität und räumlicher Mobilität erkennen;
  • Beschäftigungschancen und -probleme im Hinblick auf soziale, technische und ökonomische Bedingungen erkennen und sich mit ihren individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen auseinander setzen;
  • wichtige Bestimmungen aus dem Jugendarbeitsschutz und einige weitere Bestimmungen aus dem Arbeitsrecht kennen.

Was sich an diesen Zielstellungen schon erkennen lässt, spiegelt sich auch in den einzelnen Länderberichten wider: Es wird jeweils ein pragmatischer Ansatz praktiziert, der die wesentlichen theoretischen Ansätze zur Berufswahl zu verbinden versucht: den entscheidungs-, den entwicklungs-, den allokations- und den interaktionstheoretischen Ansatz. Dazu gehört auch

  • die Behandlung berufsbezogener Themen in den einzelnen Fächern,
  • die Verstärkung fächerübergreifenden Unterrichts über die Zusammenhänge in der Arbeitswelt,
  • der Erwerb von Schlüsselqualifikationen im Hinblick auf die Anforderungen der Berufswelt,
  • die Vernetzung des Lernens in der Schule mit Lernorten in Handwerk, Handel, Industrie und Dienstleistung sowie
  • die Vorbereitung, Durchführung, Betreuung und Auswertung von Berufs- und Betriebspraktika.

Deutlich wird auch, dass in dem für die Berufsorientierung typischen Spannungsverhältnis zwischen einer engen Ankopplung an das Beschäftigungssystem und einer völligen Abkopplung vom Beschäftigungssystem das Interesse der Jugendlichen in angemessener Weise wahrgenommen wird.

In einzelnen übergreifenden Zielstellungen wird schon auf diesem Abstraktionsniveau deutlich, dass insbesondere in neueren Lehrplänen immer mehr in Erscheinung tretende Probleme der Berufsorientierung gebührend Berücksichtigung finden:

  • die strukturellen Veränderungen der Arbeitswelt,
  • der Wandel im Verhältnis von Erwerbstätigkeit, Haus- und Familienarbeit und Freizeit,
  • die besonderen Berufswahlprobleme von Mädchen und Frauen auf dem Arbeitsmarkt,
  • die Schwierigkeiten für einen Teil der Jugendlichen, einen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz zu bekommen und die in Verbindung damit drohende Identitätskrise und
  • die speziellen Probleme von ausländischen Jugendlichen und Aussiedlern.

In den Zielstellungen werden zum Teil auch schon methodische Elemente sichtbar, die für die Berufsorientierung in dem betreffenden Land bzw. in der betreffenden Schulart für besonders wichtig gehalten werden. Dabei werden immer wieder die handlungsorientierte Methode und das Prinzip des Exemplarischen betont.

 

1.4 Praxis der Einbeziehung der Berufsberatung

Die Praxis der Einbeziehung der Berufsberatung zeigt im Wesentlichen ein überraschend einheitliches Bild für die verschiedenen Länder und die verschiedenen Schulformen.

1.4.1 Formen der Einbeziehung bzw. Zusammenarbeit

In allen Ländern und in allen Schulformen ist der Berufsberater mit zwei Schulbesprechungen in der vorletzten Klasse der betreffenden Schulform beteiligt. Dabei wird auch über die Einzelberatungen sowie über die anderen möglichen Hilfeleistungen der Berufsberatung bei der Berufswahlvorbereitung informiert (psychologische Eignungsuntersuchungen, finanzielle Fördermöglichkeiten usw.). In Verbindung mit den Schulbesprechungen, aber auch unabhängig davon, findet eine Einführung der Schülerinnen und Schüler in die Nutzung des Berufsinformationszentrums bzw. des mobilen Berufsinformationszentrums (BIZ-mobil) statt.

Wo die Verhältnisse dies nahe legen, sind auch z. B. Sprechstunden an Schulen von Berufsberaterinnen und Berufsberatern, berufskundliche Vortragsreihen, Ausstellungen und Filmvorführungen, Seminare der Berufsberatung, Gruppengespräche für Jugendliche mit ähnlichen Interessen und Fragen, Veranstaltungen für die Erziehungsberechtigten, Vermittlung individueller Betriebskontakte u. ä. vorgesehen.

1.4.2 Ziele und Inhalte von Schulbesprechungen der Berufsberatung

Für die wesentlichen Ziele und Inhalte der Schulbesprechungen hat sich bundesweit ein Konsens herausgebildet. Zum Kern der Inhalte gehören

  • das regionale betriebliche und schulische Ausbildungsangebot,
  • alternative Berufswegplanung,
  • Hilfen und Helfer bei der Berufswahl sowie
  • wichtige Termine und Ereignisse der Berufswahl.

Tendenziell werden in den neuen Ländern noch eher darüber hinausgehende Themen vom Berufsberater übernommen.

1.4.3 Verwendung von Medien der Berufsberatung in den Lehrplänen bzw. Unterrichtseinheiten

Die Medien, die über die BIZ und BIZ-mobil hinaus von der Bundesanstalt für Arbeit für die Berufsorientierung zur Verfügung gestellt werden, werden bundesweit in einem hohen Maße genutzt. Bei den Printmedien gilt dies insbesondere für "Beruf aktuell" und für die Regionalschriften der Landesarbeitsämter, aber auch für das neue Mehrmedienpaket "Mach's richtig" (mit interaktiver CD-ROM) und die Informationszeitung "Was werden".

Von der Möglichkeit, über die in "Beruf aktuell" enthaltenen Bestellkarten gezielt "Blätter zur Berufskunde" zu bestellen, wird offenbar in angemessener Weise Gebrauch gemacht. Darüber hinaus werden in einigen Bundesländern berufskundliche Kurzfilme nicht nur beim BIZ-Besuch, sondern auch unmittelbar in den Berufswahlunterricht in der Schule einbezogen.

In einigen Ländern weisen neuere Lehrpläne ausdrücklich auf Medien der Bundesanstalt für Arbeit bzw. des Landesarbeitsamtes hin.

1.4.4 Einbeziehung der Berufsinformationszentren (BIZ)

Die Berufsinformationszentren (BIZ) und die mobilen Berufsinformationszentren (BIZ-mobil) leisten offensichtlich für die Information der Jugendlichen über Berufe einen ganz wesentlichen Beitrag. Sie werden in allen Bundesländern und für Schülerinnen und Schüler aller Schulformen in Anspruch genommen. Im Rahmen der Berufsorientierung werden die Schüler zumindest in die Nutzung des BIZ bzw. BIZ-mobil eingeführt. In mehreren Ländern finden die Schulbesprechungen vorwiegend im BIZ statt. Fast überall werden im BIZ darüber hinaus Gruppenbesprechungen und Seminare für interessierte Schülerinnen und Schüler angeboten. Die Berufsinformationszentren sind so zur wichtigen Möglichkeit geworden, sich individuell während des Prozesses der Erstberufswahl zu informieren.

 

1.5 Betriebserkundungen und Betriebspraktika

Betriebserkundungen und Betriebspraktika sind mehr oder weniger in allen Ländern Bestandteil der Berufsorientierung.

Für Betriebserkundungen, die kürzer und leichter zu organisieren sind, bestehen naturgemäß in geringerem Umfang Festlegungen. Durchgesetzt hat sich offensichtlich das Konzept der Aspekterkundungen, die endgültig die "Betriebsbesichtigungen" abgelöst haben. Allerdings ist in vielen Ländern der berufsorientierende Aspekt nur einer unter mehreren möglichen. In einer Reihe von Ländern sind Betriebs- bzw. Arbeitsplatzerkundungen unter berufskundlichem Aspekt in klarer Konzeption als Vorphasen des Betriebspraktikums festgelegt.

Auch Betriebspraktika werden nicht überall nur, aber überall auch unter dem berufsorientierenden Aspekt durchgeführt. Schon der juristischen und versicherungsrechtlichen Grundlagen wegen bestehen in vielen Ländern zum Betriebspraktikum ausführliche Richtlinien.

In manchen Ländern sind Betriebspraktika für bestimmte Schularten, meistens für die Hauptschule bzw. Gesamtschule, verbindlich. In vielen Ländern werden sie sehr empfohlen, sind aber der unterschiedlichen örtlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten wegen nicht verpflichtend. Meist wird die Möglichkeit zu einem Betriebspraktikum in der vorletzten Klassenstufe gegeben, oft wird auch die Möglichkeit zu einem weiteren Praktikum in der Abschlussklasse eingeräumt.

Die mehr oder weniger verbindlich festgelegte Dauer eines Betriebspraktikums, bei dem meist auch kommunale Einrichtungen und Verwaltungen einbezogen sind, schwankt zwischen einer Woche und drei Wochen. Zum Teil ist die maximale Gesamtzahl der Arbeitstage festgelegt, wobei die zeitliche Verteilung auf zwei Praktika den Schulen überlassen bleibt.

Das Problembewusstsein im Hinblick auf eine sinnvolle Durchführung von Schülerbetriebspraktika scheint unterschiedlich ausgeprägt zu sein. In einer ganzen Reihe von Ländern bestehen aber für die Schülerbetriebspraktika besondere Handreichungen oder sind gerade in Erarbeitung.

In den neuen Ländern beeinträchtigt offensichtlich die Wirtschaftslage die Durchführung von Schülerbetriebspraktika erheblich. Aber auch in einem alten Bundesland (Bremen) wird festgestellt, dass die Bereitschaft der Betriebe zur Durchführung von Schülerbetriebspraktika abnimmt.

In einem Bundesland (Hessen) wurden mit Schülerinnen und Schülern aus Schulen mit bilingualem Zug und aus Europaschulen Pilotprojekte für Betriebspraktika im Ausland durchgeführt.

 

1.6 Besondere Maßnahmen, Modellversuche, außerunterrichtliche Aktivitäten; Einbeziehung der Informationstechnischen Grundbildung, Europaorientierung

Besondere Maßnahmen, Modellversuche, außerunterrichtliche Aktivitäten:

In den verschiedenen Ländern gibt es viele unterschiedliche besondere Ansätze zur Unterstützung und Weiterentwicklung der Berufsorientierung. Hierzu gehören z. B. besondere Formen der Zusammenarbeit zwischen allgemein bildenden Schulen und beruflichen Schulen, Werkstattunterricht in Werkstätten Dritter, Partnerschaften Schulen/ Unternehmen (z. B. durch Vermittlung der Studienkreise bzw. Landesarbeitsgemeinschaften Schule/ Wirtschaft), "Markt der Berufe" bzw. "Lehrstellenbörsen" in Zusammenarbeit mit Kammern, Verbänden und Betrieben, Tage der offenen Tür an beruflichen Schulen, Betrieben und überbetrieblichen Einrichtungen. Viele Veranstaltungen, Projekte und Modellversuche befassen sich mit den geschlechtsspezifischen Berufswahlproblemen. Dabei werden etwa "frauenuntypische" (gewerblich-technische) Berufe bzw. "andere Berufe für Mädchen" in besonderer Weise präsentiert. Bestimmte Projekte nehmen sich in breiterer Form der beruflichen Orientierung und Eingliederung von Mädchen an, z. B. auch das 1995 in Schleswig-Holstein begonnene BLK-Modellvorhaben "Aufbau eines regionalen Netzwerks von Schulen und außerschulischen Bildungs- und Berufseinrichtungen zur Förderung der Motivation und des Interesses von Mädchen für die Naturwissenschaft, Technik und Berufsorientierung".

Dieser Problematik widmen sich insbesondere auch neue Bundesländer. In Brandenburg geht es um den BLK-Modellversuch mit dem Titel "Berufsorientierung für Mädchen und Jungen - ein Modellversuch zur Erprobung, Weiterentwicklung und Umsetzung einer arbeitsorientierten und geschlechterbewussten Bildung", aus dem Unterrichtsmaterialien für den Berufswahlunterricht in der Sekundarstufe I gewonnen werden sollen.

Thüringen führte von 1993 bis 1996 einen BLK-Modellversuch "Förderung naturwissenschaftlich-technischer Bildung für Mädchen in der Regelschule und die Auswirkungen auf die Entscheidung für technische Berufe in Thüringen" durch. In Sachsen werden im Rahmen eines BLK-Modellversuches "Berufsorientierender Unterricht an Mittelschulen unter Einschluss von Betriebspraktika unter Berücksichtigung der Förderung von Berufstätigkeiten für Mädchen" seit September 1993 an sechs ausgewählten Mittelschulen Konzepte für Berufswahlunterricht gesucht, die den verschiedenen Profilbereichen der Mittelschule entsprechen.

Informationstechnische Grundbildung

In allen Ländern wird der Informationstechnischen Grundbildung (ITG) große Aufmerksamkeit geschenkt; sie ist überall zum festen Bestandteil von Unterricht geworden. Offensichtlich bestehen noch gewisse Unterschiede zwischen Ländern bzw. Schularten im Hinblick auf die Ausstattung mit Hardware und Software. In ihren Zielstellungen greift die Informationstechnische Grundbildung weit über Berufsorientierung hinaus, bietet aber auch für diese wichtige Orientierungshilfen.

Europaorientierung

Aussagen zur allgemeinen Europaorientierung lassen vermuten, dass in Einheiten zur Berufsorientierung auch Informationen über Möglichkeiten beruflicher Ausbildung und Erwerbstätigkeiten in anderen Ländern Europas, insbesondere in der EU vorgesehen sind.

In einer Reihe von Ländern bestehen spezielle Möglichkeiten zur Durchführung von Schülerbetriebspraktika im meist grenznahen Ausland, zum Teil in Kooperation mit ausländischen Schulen im Tandem-Modell (z. B. in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg). Es bestehen zur Durchführung von Betriebspraktika im Ausland auch bereits spezielle Handreichungen (Hamburg).

In Baden-Württemberg bestehen Vereinbarungen über die Zusammenarbeit der Berufsberatungsdienste in Deutschland und Frankreich über den Austausch berufskundlicher Schriften (Vereinbarung vom 4.07.1991) und die Durchführung gegenseitiger Sprechtage der Berufsberatungsdienste im jeweiligen Nachbarland (Vereinbarung vom 19.05.1993). Weitere Kooperationen gibt es im Rahmen der Programme der EU und mit der Schweiz.

 

1.7 Lehreraus- und -fortbildung

Lehrerausbildung:

In der ersten und in der zweiten Phase der Lehrerausbildung sind Inhalte der Berufsorientierung fester Bestandteil des Studiums jener Fächer, die nach den Lehrplänen der einzelnen Länder bzw. der einzelnen Schularten berufsorientierende Elemente enthalten. Für Studierende dieser Fächer ist in der Regel auch ein Betriebspraktikum vorgesehen. Häufig ist auch die Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung ausdrücklich thematisiert.

Die Lehrerausbildung in den neuen Bundesländern ist noch in der Entwicklung. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Berufsorientierung der Schüler als wichtiger Inhalt in der Ausbildung der Lehrer gesehen wird.

Lehrerfortbildung:

Berufsorientierung ist in allen Ländern für Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen der Sekundarstufe I (ausgenommen Gymnasien) inhaltlicher Bestandteil der zentralen, regionalen und schulinternen Lehrerfortbildung. Dabei ist in vielen Fällen die Berufsberatung als Kooperationspartner einbezogen. Veranstaltungen zum Thema "Berufsorientierung" finden der Praxisbezogenheit wegen häufig auch in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern statt: Verbänden der Wirtschaft, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. Die Bildungswerke der Wirtschaft und die Arbeitskreise Schule/ Wirtschaft treten - in organisatorischer und inhaltlicher Abstimmung mit der Schulverwaltung - häufig auch als freie Träger entsprechender Lehrerfortbildungsveranstaltungen auf. Für die aktuellen Informationen und die Kontakte mit Betrieben sind teilweise an entsprechenden Instituten auch Beratungsstellen eingerichtet.

Im Zusammenhang mit der Berufsorientierung wird in der Lehrerfortbildung eine ausgeprägte Praxisbezogenheit angestrebt. Darum werden in den meisten Bundesländern neben Betriebserkundungen auch Betriebspraktika für Lehrerinnen und Lehrer angeboten.

In den neuen Bundesländern verlangt die in den Lehrplänen vorgesehene Berufsorientierung von den Lehrerinnen und Lehrern Fähigkeiten, die auch bei ehemaligen Lehrkräften mit dem DDR-Abschluss für Polytechnik nicht gegeben sind. Auch deshalb werden Veranstaltungen zur Berufsorientierung als eine besondere Aufgabe der Lehrerfortbildung gesehen. In fast allen neuen Bundesländern wurden auch Handreichungen zur Berufsorientierung erarbeitet, die die Lehrerfortbildung unterstützen.

 

1.8 Hinweise zur weiteren Entwicklung

Bei den Tendenzen zur weiteren Entwicklung der Berufsorientierung besteht naturgemäß ein wesentlicher Unterschied zwischen den alten und den neuen Ländern.

Die Ministerien in den alten Ländern weisen auf unterschiedliche Entwicklungstendenzen hin, die meist mit verschiedenen übergreifenden Schwerpunkten in der jeweiligen Bildungspolitik zusammenhängen. So wird auf die Weiterentwicklung der Berufsorientierung im Rahmen neuer Bildungs- bzw. Rahmenpläne hingewiesen (Baden-Württemberg, Berlin, Bremen). In manchen Ländern soll die begonnene Zusammenarbeit zwischen berufsbildenden und allgemein bildenden Schulen intensiviert werden, damit auch die Fachkompetenz der Fachpraxis-Lehrkräfte und die Möglichkeiten der Fachpraxisräume für die Berufsorientierung nutzbar gemacht werden (Niedersachsen, Schleswig-Holstein).

Andere Länder wollen innerhalb der vorhandenen Konzeptionen bestimmten Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft noch stärker gerecht werden: durch bewusste Hinführung zu Schlüsselqualifikationen und zu vernetztem Denken (Schleswig-Holstein), durch verstärkte Aufmerksamkeit für die Berufsorientierung der Mädchen (Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen), der ausländischen Jugendlichen und der Jugendlichen, die aufgrund ihrer persönlichen und sozialen Situation die Schule mit Defiziten verlassen (Nordrhein-Westfalen).

Manche Länder streben an, ihr Konzept für die Berufsorientierung durch gezielte Maßnahmen abzurunden: durch eine stärkere Betonung des Gegenstandsbereichs Berufsorientierung/ Wirtschaft in der Lehrerausbildung sowie in der Lehrerfortbildung (Hamburg), durch gezielte Hilfen für einzelne Schulen mit noch unterentwickeltem Handlungsrahmen für die Berufsorientierung (Nordrhein-Westfalen), durch das noch zu entwickelnde eigenständige Konzept für Gesamtschulen (Rheinland-Pfalz), durch einen gemeinsamen Erlass über Schülerbetriebspraktika für alle Schularten (Saarland, Baden-Württemberg), durch institutionalisierte Evaluation von Arbeitslehrelehrplan und -praxis in der Hauptschule (Bremen).

In den neuen Ländern wird eine noch stärkere Abstimmung zwischen Schule und Berufsberatung angestrebt in Verbindung mit der Absicht, neue Strukturen und Mechanismen des Ausbildungs- und Arbeitsmarkts noch stärker zum Bewusstsein zu bringen (Sachsen). Die unterrichtsorganisatorischen Bedingungen für Berufsorientierung in den entsprechenden Fächern sollen verbessert und projektorientiertes Arbeiten gefördert werden (Sachsen-Anhalt). In die Berufsorientierung sollen noch stärker außerunterrichtliche Veranstaltungen - z. B. mit Eltern, mit Vertretern der Wirtschaft - einbezogen werden (Sachsen-Anhalt). Durch Musterprogramme für Fachräume und deren Ausstattung in den entsprechenden Fächern, etwa Arbeitslehre, sollen auch für die Berufsorientierung verbesserte Bedingungen geschaffen werden (Brandenburg). Die Fortbildungsangebote gerade für den Bereich Berufsorientierung sollen weiter ausgebaut werden (z. B. Brandenburg).

 

1.9 Zusammenfassung

In allen Ländern wird innerhalb der Bildungs- und Erziehungsaufgaben an Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen der Berufsorientierung ein hoher Stellenwert zuerkannt. Sie wird überall als eine wichtige gemeinsame Aufgabe von Schule und Berufsberatung gesehen; Formen der Zusammenarbeit haben sich - unter Einbeziehung der Berufsinformationszentren (BIZ und BIZ-mobil) - eingespielt. Wegen der angestrebten Praxisorientierung werden im großen Umfang Betriebspraktika und Betriebserkundungen unter berufsorientierendem Aspekt einbezogen. Berufsorientierung im Unterricht der Lehrer und Schulbesprechungen der Berufsberater werden häufig ergänzt durch Veranstaltungen, die mit außerschulischen Verbänden und Einrichtungen durchgeführt werden: mit Kammern, Verbänden, Gewerkschaften, Partnerschaftsbetrieben u. ä. Unterschiedlich stark werden Impulse für die Berufsorientierung durch die Zusammenarbeit von allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen abgegeben.

Im Hinblick auf den Entwicklungsstand der Berufsorientierung besteht naturgemäß ein Unterschied zwischen den alten und den neuen Ländern. Für die Lehrerinnen und Lehrer in den neuen Ländern haben sich die Bedingungen der Berufswahl innerhalb kurzer Zeit grundlegend geändert. Berufsorientierung wird dort insbesondere auch als ganz wichtiger Schwerpunkt in der Lehrerfortbildung gesehen. Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Verbänden, Einrichtungen und Betrieben kann sich wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse nur schrittweise einspielen. Die von der Berufsberatung durch die Berufsinformationszentren (BIZ und BIZ-mobil) zur Verfügung gestellten Informationsmöglichkeiten werden dort als besonders hilfreich empfunden und haben die Entwicklung gezielt vorangetrieben.

In allen Ländern ist aufmerksam zur Kenntnis genommen worden, dass die Bedingungen der Berufswahl sich in den letzten Jahren wesentlich verändert haben. Offensichtlich erschweren die Entwicklungen im Bereich der betrieblichen Ausbildung, der beruflichen Schulen sowie des Arbeitsmarktes überhaupt den einzelnen Jugendlichen und seinen Eltern, Bildungs- und Berufswahlentscheidungen ohne intensive Information und Hilfestellung verantwortungsvoll zu treffen. Deshalb sind in einigen Ländern zur Hilfestellung für besondere Problemgruppen Weiterentwicklungen im Gange.

 

2. Länderübergreifende Gesamtdarstellung zur Berufsorientierung an Gymnasien und gymnasialen Oberstufen

 

2.1 Erlasse, Verwaltungsvorschriften im Hinblick auf Berufsorientierung

Die Zahl der Erlasse, Verwaltungsvorschriften u. ä. zur Berufsorientierung, die die "Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung" bzw. die daraus hervorgegangenen Übereinkommen der Länder mit den Landesarbeitsämtern (2) ergänzen, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Einem Land erscheint seine länderspezifische Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung als ausreichend, andere Länder haben Ergänzungen und Konkretisierungen angebracht. Diese beziehen sich z. B. auf die Umsetzungsmöglichkeiten eines fächerübergreifenden Ansatzes zur Berufsorientierung, auf Handreichungen zum Lehrplan mit teilweise erheblichem Umfang oder auf die Durchführung von Betriebserkundungen und Betriebspraktika.

 

2.2 Berufsorientierung in den Fächern und Lernbereichen der Stundentafeln

Berufsorientierung ist zwischenzeitlich zum festen Bestandteil in den Lehrplänen geworden. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff "Berufsorientierung" keineswegs einheitlich besetzt ist. Ein eigenständiges Fach "Berufsorientierung" ist in keinem Land vorhanden. In einigen Ländern gibt es kein Fach mit einem deutlichen Schwerpunkt Berufsorientierung (z. B. Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern), einige Länder ordnen Inhalte zur Berufsorientierung nur einem oder wenigen Fächern zu (z. B. Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen), andere Länder realisieren ein fächerübergreifendes Konzept unter Einbeziehung möglichst vieler Fächer (z. B. Bayern, Baden-Württemberg).

Leitfächer bei der Vermittlung von Berufsorientierung sind vorwiegend Fächer aus dem gesellschaftspolitischen Bereich wie

  • Gemeinschaftskunde (z. B. Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen),
  • Wirtschafts- und Rechtslehre (Bayern),
  • Wirtschaft und Recht (Thüringen),
  • Wirtschaft (z. B. Berlin),
  • Wirtschaftslehre (z. B. Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein),
  • Sozialkunde (z. B. Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt),
  • Arbeitslehre (z. B. Brandenburg, Hessen),
  • Politische Bildung (z. B. Brandenburg),
  • Politik,
  • Gemeinschaftskunde/ Rechtserziehung/ Wirtschaft (Sachsen),
  • Wirtschaft-Technik (z. B. Sachsen-Anhalt) und
  • Wirtschaft/ Politik (Schleswig-Holstein).

Außer den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern vermitteln in verschiedenen Ländern auch Fächer wie Deutsch, Religionslehre/ Ethik, Fremdsprachen oder Naturwissenschaften Berufsorientierung.

Neben einer Verankerung berufsorientierender Inhalte in den Lehrplänen bestimmter Fächer gibt es auch Sonderformen wie "Arbeitsgemeinschaft Berufsorientierung" (z. B. Baden-Württemberg) oder Wahlunterricht sowie außerunterrichtliche Veranstaltungen.

Der zeitliche Schwerpunkt liegt meist in den Jahrgangsstufen 9 und 10 sowie in der Oberstufe. Erste Ansätze einer Berufsorientierung gibt es jedoch auch in niedrigeren Jahrgangsstufen.

 

2.3 Übergeordnete Zielsetzungen und wesentliche Inhalte des Unterrichts

Die übergeordneten Zielsetzungen und die wesentlichen Inhalte des Unterrichts müssen im Zusammenhang mit der Aufgabe der Schule im Gesamtprozess der Berufswahlvorbereitung gesehen werden. Diese sind vor allem durch die Rahmenvereinbarung der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) vom 5.02.1971 und den darauf aufbauenden Übereinkommen zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und der KMK über die Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung geprägt. Von Bedeutung sind außerdem die länderspezifischen Vereinbarungen. Die Konkretisierungen sind in der Regel im Bildungs- und Erziehungsauftrag der jeweiligen Lehrpläne enthalten. Folgende übergeordnete Zielsetzungen gibt es in vielen Ländern am Gymnasium:

  • Die Schule hat die Aufgabe, auf Arbeitswelt und Beruf vorzubereiten. Dazu sind vielfältige Informationen notwendig.
  • Die Schülerinnen und Schüler sollten sich möglichst selbstständig und aktiv mit dem Problem der Berufs- und Studienwahl auseinander setzen, damit sie eine begründete Entscheidung für ihre Berufswahl treffen können.
  • Die Schülerinnen und Schüler sollen ihre eigenen Fähigkeiten, Vorstellungen und Wünsche erkennen und richtig einschätzen lernen.
  • Der Prozesscharakter der Berufsorientierung wird in allen Ländern betont, d. h., es wird altersstufengerecht und aufbauend vorgegangen.
  • Auch die Bedeutung von Arbeitstugenden, Arbeitshaltungen und Werthaltungen sollen den Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt werden.

Folgende wesentlichen Inhalte sind in den meisten Ländern von Bedeutung:

  • Bedeutung von Beruf und Arbeit,
  • schulische und berufliche Bildungsgänge im Überblick,
  • Beratungsangebote,
  • Möglichkeiten der Berufswegplanung,
  • Ablauf des Bewerbungs- und Einstellungsverfahrens,
  • gesamtwirtschaftlicher, regionaler und sektoraler Arbeitsmarkt,
  • gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge wichtige Rechtsgrundlagen (Ausbildungsvertrag, Jugendarbeitsschutzgesetz u. a.),
  • Funktionsgefüge eines Unternehmens,
  • Interessen und Konflikte in der Arbeitswelt,
  • politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und rechtliche Zusammenhänge,
  • Strukturmerkmale der industriellen Gesellschaft,
  • System der sozialen Sicherung und
  • strukturelle Veränderungen in der modernen Arbeitswelt.
 

2.4 Praxis der Einbeziehung der Berufsberatung

Die Praxis der Einbeziehung der Berufsberatung ist in den verschiedenen Ländern inhaltlich weitgehend einheitlich, zeitlich jedoch teilweise unterschiedlich geregelt. Die Berufsberatung ist schwerpunktmäßig in folgenden Jahrgangsstufen tätig:

  • Jahrgangsstufen 9 und/ oder 10 (z. B. Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen),
  • Jahrgangsstufe 11 (z. B. Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland),
  • Jahrgangsstufen 11 und 12 (z. B. Sachsen, Thüringen) sowie
  • Jahrgangsstufen 12 und 13 (z. B. Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland).

2.4.1 Formen der Einbeziehung bzw. der Zusammenarbeit

In allen Ländern ist der Berufsberater mit Schulbesprechungen beteiligt, in der Regel in der vorletzten Jahrgangsstufe vor dem mittleren Schulabschluss bzw. vor dem Abitur. Neben den allgemeinen Schulbesprechungen werden Einzelberatungen durchgeführt, außerdem werden spezielle Serviceleistungen angeboten (z. B. Eignungsuntersuchungen). Einen wichtigen Stellenwert nimmt die Einführung der Schülerinnen und Schüler in die Nutzung des Berufsinformationszentrums (BIZ) bzw. des mobilen Berufsinformationszentrums (BIZ-mobil) ein.

Bei entsprechenden Möglichkeiten gibt es beispielsweise noch folgende Ansatzpunkte:

  • Sprechstunden der Berufsberater,
  • berufskundliche Vortragsreihen,
  • Ausstellungen und Filmvorführungen,
  • Seminare der Berufsberatung, z. B. Bewerberseminare,
  • Teilnahme an Berufsinformationsveranstaltungen,
  • Elternveranstaltungen,
  • Hilfestellung bei Betriebserkundungen sowie Betriebspraktika, Durchführung und/ oder Beteiligung an Studientagen, Berufsinformationswochen u. ä.,
  • Hochschulinformationstage,
  • Teilnahme an Fachkonferenzen sowie
  • spezielle Veranstaltungen für Mädchen.

2.4.2 Ziele und Inhalte von Schulbesprechungen der Berufsberatung

Für die wesentlichen Ziele und Inhalte der Schulbesprechungen scheint bundesweit ein Konsens zu bestehen. Schwerpunkte bei den Inhalten sind beispielsweise:

  • aktuelle Arbeitsmarktdaten,
  • das regionale betriebliche und schulische Ausbildungsangebot,
  • Bewerbungsverfahren (Termine, Ablauf u. a.),
  • Beratungsmöglichkeiten sowie
  • Ausbildungs-, Studien- und Berufsmöglichkeiten nach dem Abitur.

2.4.3 Verwendung von Medien der Berufsberatung in den Lehrplänen bzw. Unterrichtseinheiten

Die Medien, die von der Bundesanstalt für Arbeit den Schulen für die Vermittlung von Berufsorientierung zur Verfügung gestellt werden, werden bundesweit in einem hohen Maß genutzt. Bei den Print-Medien gilt dies insbesondere für die Broschüren "Mach's richtig", "Beruf aktuell", "Studien- und Berufswahl" sowie für das "abi Berufswahl-Magazin".

In den Ländern werden zusätzlich noch Regionalschriften wie z. B. "Kursbuch - Studium, Ausbildung, Beruf" (Baden-Württemberg), "Berufsinformation" (Brandenburg), "Info zur Berufswahl Ausbildung und Studium für Hessen" (Hessen), "Wo?" und "AbiturientenInfo" (Rheinland-Pfalz) von der Berufsberatung entwickelt. Weitere Materialien werden von den Berufsberatern auf örtlicher oder regionaler Basis konzipiert und eingesetzt.

Darüber hinaus werden in den Ländern auch berufskundliche Filme, Videos sowie Computerprogramme verwendet. Das gesamte Medienangebot von BIZ und BIZ-mobil steht allen Schulen zur Verfügung. Dieses wird auch immer stärker genutzt.

In einigen Ländern weisen neuere Lehrpläne ausdrücklich auf Medien der Bundesanstalt für Arbeit bzw. des Landesarbeitsamtes hin.

2.4.4 Einbeziehung der Berufsinformationszentren (BIZ) bzw. Mobilen Berufsinformationszentren (BIZ-mobil)

Das BIZ und BIZ-mobil leisten einen sehr wichtigen Beitrag zur Berufsorientierung. Sie werden in allen Ländern in Anspruch genommen. Viele Schülerinnen und Schüler werden über die Möglichkeiten von BIZ und BIZ-mobil informiert. Teilweise finden auch die Schulbesprechungen im BIZ statt. Die Berufsinformationszentren ermöglichen nach der allgemeinen schulischen Vorstellung individuelle Informationsmöglichkeiten.

 

2.5 Betriebserkundungen und Betriebspraktika

Betriebserkundungen gehören in allen Ländern zum festen Bestandteil der Berufsorientierung. Durchgesetzt hat sich offensichtlich das Konzept der aspektorientierten Betriebserkundung, die offensichtlich die früher weit verbreitete Betriebsbesichtigung abgelöst hat. In einer Reihe von Ländern sind Betriebs- bzw. Arbeitsplatzerkundungen unter berufskundlichem Aspekt in der Vorphase des Betriebspraktikums vorgeschrieben.

Die Durchführung von Betriebserkundungen hängt natürlich vom lokalen bzw. regionalen Angebot ab. Die Unternehmensseite scheint zunehmend zu erkennen, wie wichtig Kontakte zwischen Schule und Wirtschaft für die Vermittlung einer anschaulichen und praxisorientierten Ausbildung sind. Aus diesem Grund gibt es insbesondere in Verdichtungsräumen zunehmend auch Partnerschaften zwischen Gymnasien und Unternehmen.

Betriebserkundungen werden schwerpunktmäßig in den Leitfächern der Berufsorientierung, aber auch verstärkt in anderen Fächern wie Chemie, Physik, Deutsch oder Erdkunde eingeplant.

In Einzelfällen können Betriebspraktika auch im europäischen Ausland durchgeführt werden (z. B. Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein). Sie haben vor allem zum Ziel, Schülerinnen und Schüler mit der Praxis von Berufsausbildung und Berufstätigkeit in Ländern der Europäischen Union vertraut zu machen. Eine Sonderform stellt auch das mit Schulen aus Großbritannien mögliche "work-experience" im Rahmen eines internationalen Schüleraustausches dar.

Betriebspraktika werden in fast allen Ländern angeboten. In diesen gibt es aus juristischen und versicherungsrechtlichen Gründen in der Regel ausführliche Richtlinien. Sie enthalten meist auch Hinweise zur organisatorischen und unterrichtlichen Vorbereitung.

Betriebspraktika dauern in Abhängigkeit von den länderspezifischen Bestimmungen in der Regel zwischen einer Woche und drei Wochen (z. B. Hamburg). Meist sind auch Zeitbereiche angegeben, z. B. "mindestens fünf, höchstens zehn Arbeitstage" (z. B. Mecklenburg-Vorpommern).

Eine verbindliche Einführung ist in verschiedenen Ländern nicht vorgesehen, da einerseits auf lokale Gegebenheiten, andererseits auch auf andere Schularten Rücksicht genommen werden muss. Insbesondere in den neuen Ländern beeinträchtigt offensichtlich die Wirtschaftsstruktur die Möglichkeit einer Durchführung. In verschiedenen Ländern sind auch ausführliche Handreichungen zum Betriebspraktikum veröffentlicht (z. B. Niedersachsen) bzw. in Vorbereitung.

 

2.6 Besondere Maßnahmen, Modellversuche, außerunterrichtliche Aktivitäten, Einbeziehung der Informationstechnischen Grundbildung, Europaorientierung

In den Ländern gibt es verschiedenartige besondere Ansätze zur Unterstützung und Weiterentwicklung der Berufsorientierung. Hierzu gehören z. B.

  • eine Zusammenarbeit zwischen allgemein bildenden und beruflichen Schulen,
  • Partnerschaften zwischen Gymnasien und Unternehmen,
  • fächerübergreifender Unterricht, z. B. im Rahmen von Studientagen in Bayern,
  • Projektunterricht und Projekttage,
  • Werkstattunterricht,
  • Facharbeiten in der Oberstufe des Gymnasiums,
  • Veranstaltungen unter Einbeziehung der Hochschule, z. B. Studientage in Baden-Württemberg,
  • Berufsinformationsveranstaltungen für Schüler und/ oder Eltern,
  • besondere Veranstaltungen für Mädchen wie "Berufsorientierung für Mädchen" (z. B. Berlin), "Mädchen und Technik" (z. B. Bremen), "Mädchen in Männerberufen" und "Andere Berufe für Mädchen" in Schleswig-Holstein,
  • Wirtschaftswochen mit computerunterstützten Planspielen (z. B. "WIWAG-Management-Games" in Hessen, "Marketing-Information-Game" in Schleswig-Holstein, "play-the-market" in Bayern),
  • Projekt "Zeitung in der Schule" oder
  • Ausstellungen und Lehrstellenbörsen (z. B. Bremen).

Diese besonderen Maßnahmen werden teilweise in Zusammenarbeit mit Kammern, Verbänden, Unternehmen, beruflichen Schulen, Hochschulen und überbetrieblichen Einrichtungen realisiert. Deutliche Schwerpunkte scheinen derzeit bei den mädchenspezifischen Berufswahlproblemen sowie bei der facherübergreifenden Umsetzung der Berufsorientierung (z. B. Baden-Württemberg, Bayern) zu liegen. Für die Mädchen gibt es derzeit auch die meisten Modellversuche. Wertvolle Anregungen hierzu enthalten die "Handreichungen zur beruflichen Orientierung am Gymnasium" in Bayern. Eine umfangreiche Broschüre zur "Studien- und Berufswahlvorbereitung am Gymnasium" bietet auch Nordrhein-Westfalen an. Auch in Niedersachsen steht eine entsprechende Handreichung zur Verfügung.

Informationstechnische Grundbildung (ITG)

In allen Ländern wird der ITG große Aufmerksamkeit geschenkt. Ausgehend von einem einheitlichen Rahmenplan werden vor allem gesellschaftspolitische Lerninhalte wie moderne Arbeitswelt, Auswirkungen der neuen Techniken in den verschiedensten Fächern, meist in ausgewählten Leitfächern umgesetzt. Die ITG dient nicht unmittelbar der Berufsorientierung, enthält aber vielfältige Ansätze zur Information über die moderne Arbeits- und Berufswelt und gibt somit indirekte Orientierungshilfen.

Europaorientierung

Europaorientierung ist in vielen Fächern verankert. Ansatzpunkte zur Berufsorientierung gibt es in den modernen Fremdsprachen (landeskundliche Themen) sowie in Fächern wie Erdkunde, Wirtschafts- und Rechtslehre, Gemeinschaftskunde, Sozialkunde und Geschichte. Europaorientierung wird in neueren Lehrplänen meist fächerübergreifend (z. B. Bayern) vermittelt. Ziel ist die Verbesserung der gegenseitigen Verständigung und Zusammenarbeit in einem vereinten Europa.

Teilweise gibt es bereits Kooperationsprojekte mit Schulen des europäischen Auslandes (z. B. Hamburg). Im BLK-Modellversuch in Nordrhein-Westfalen "Lernen für Europa" werden Schülerbetriebspraktika in Kooperation mit ausländischen Schulen in einem "Tandem-Modell" erprobt. Ein Schüler aus einer deutschen Schule und ein Partner aus einer Schule im Ausland absolvieren gemeinsam ein Praktikum sowohl im Ausland als auch in Deutschland.

 

2.7 Voraussetzungen in der Lehreraus- und -fortbildung

Lehrerausbildung

In der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung sind Inhalte der Berufsorientierung meist Bestandteil des Studiums und der Seminare des Referendariats jener Fächer, die nach den Lehrplänen der einzelnen Länder schwerpunktmäßig Berufsorientierung vermitteln. Für Studierende dieser Fächer ist ggf. auch ein Betriebspraktikum vorgesehen (z. B. ein halbjähriges Praktikum für Lehramtsstudenten des Faches Wirtschafts- und Rechtslehre am Gymnasium in Bayern).

In den Studienordnungen der neuen Länder wird derzeit ein Konzept für die Umsetzung von Berufsorientierung in der ersten Phase der Lehrerausbildung erarbeitet.

Lehrerfortbildung

Zur Beseitigung von Defiziten liegt der Schwerpunkt derzeit im Bereich der Lehrerfortbildung. Für Gymnasiallehrer, die mit Fragen der Berufsorientierung beschäftigt sind, werden häufig Fortbildungsveranstaltungen mit derartigen Inhalten im Rahmen der schulinternen, regionalen und zentralen Lehrerfortbildung angeboten. Dabei wird in vielen Fällen die Berufsberatung als Kooperationspartner einbezogen. Berufsorientierende Veranstaltungen werden vor allem unter Einbeziehung von Wirtschaftsverbänden, Kammern, Bildungswerken der Wirtschaft, Arbeits- und Studienkreisen Schule und Wirtschaft, Gewerkschaften sowie Unternehmen durchgeführt. Praxisorientierung spielt dabei eine wichtige Rolle. So werden z. B. für Lehrkräfte aspektorientierte Betriebserkundungen, wie zum Teil auch Betriebspraktika (z. B. Niedersachsen) angeboten. In einigen Ländern gibt es spezielle Zeitschriften mit Hinweisen auf neuere Entwicklungen und Angebote (z. B. der "Intern" in Baden-Württemberg).

Berufsorientierung ist auch eine besondere Aufgabe der Lehrerfortbildung in den neuen Ländern. Dazu werden teilweise umfangreiche Materialien zur Verfügung gestellt.

 

2.8 Hinweise zur weiteren Entwicklung

Bei den Tendenzen zur weiteren Entwicklung der Berufsorientierung muss zwischen den alten und neuen Ländern unterschieden werden.

In den alten Ländern sind folgende Entwicklungen feststellbar:

  • Die bisher erprobten und bewährten Konzepte, Maßnahmen und Inhalte werden fortgeführt und nach Bedarf modifiziert und erweitert.
  • Die Verankerung von Berufsorientierung in einem Leitfach oder in mehreren Leitfächern scheint weitgehend realisiert zu sein. In einigen Ländern sind darüber hinaus erfreulicherweise bereits abgestimmte fächerübergreifende Ansätze realisiert, die ihren deutlichen Niederschlag in Lehrplänen und Handreichungen gefunden haben. Schwerpunkte der Umsetzung liegen nach wie vor bei einzelnen Leitfächern, die jedoch immer mehr auch durch weitere Fächer bei der Vermittlung von Berufsorientierung unterstützt werden.
  • Am Gymnasium hat Berufsorientierung in den vergangenen Jahren vor allem in der Mittelstufe verstärkt Einzug gehalten. Sie scheint in Zukunft auch in der Oberstufe noch stärker verankert zu werden.
  • Für die geschlechtsspezifische Berufsorientierung von Mädchen dürfte noch ein stärkerer Handlungsspielraum bestehen.
  • Die Europäisierung der Berufsorientierung wird an Bedeutung gewinnen.
  • Die sog. Schlüsselqualifikationen, vernetztes Denken sowie teambezogene Arbeitsweisen werden auch bei der Berufsorientierung an Bedeutung gewinnen.
  • Projektorientiertes Arbeiten und handlungsorientierter Unterricht dürften bei der Vermittlung von Berufsorientierung einen hohen Stellenwert einnehmen.
  • An einzelnen Schulen werden schulinterne Beratungsverbunde unter Einbeziehung der Berufsberatung und der Praxis an Bedeutung gewinnen. Dabei sind Kooperationen mit Unternehmen, Verbänden u. a. wichtig. Außerunterrichtlichte Aktivitäten werden einen noch größeren Stellenwert als bisher einnehmen.
  • Die Berufsorientierung wird in der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung immer mehr verankert. Die Lehrerfortbildung wird sich verstärkt der fächerübergreifenden Umsetzung widmen. Damit wird Berufsorientierung erfreulicherweise auf eine breitere Basis gestellt.
  • Betriebserkundungen und Betriebspraktika auch für Lehrkräfte scheinen an Bedeutung zu gewinnen.
  • Die Kooperationsbereitschaft zwischen allgemein bildenden und beruflichen Schulen scheint zuzunehmen, damit auch die Fachkompetenz und die Möglichkeiten der Fachpraxisräume stärker genutzt werden können.

Die Bedingungen der Berufswahl und Berufsorientierungen haben sich in den neuen Ländern innerhalb kürzester Zeit grundlegend geändert. Dies erfordert besondere Anstrengungen. In den neuen Ländern zeichnen sich folgende Entwicklungen ab:

  • Die Notwendigkeit der Vermittlung von Berufsorientierung ist in allen Ländern erkannt und wird zunehmend auch konsequent umgesetzt.
  • Das Konzept der Berufsorientierung in der Lehrerausbildung wird derzeit entwickelt. Die Konzepte dürften bald erstellt sein.
  • Eine zentrale Rolle wird auch in Zukunft die Lehrerfortbildung spielen (z. B. Brandenburg). Die Inhalte der Rahmenpläne erfordern bei den Lehrkräften Kenntnisse und Fähigkeiten, auf die die Lehrkräfte meist noch nicht ausreichend vorbereitet sind. Auch die Qualifizierung der Beratungslehrer erfolgt stufenweise durch berufsbegleitende Fortbildungsmaßnahmen (z. B. Sachsen). Nach der Vorbereitung der Lehrer der Sekundarstufe I werden auch für Lehrer des Gymnasiums entsprechende Kurse eingerichtet werden (z. B. Sachsen-Anhalt).
  • Es werden zunehmend Handreichungen erarbeitet bzw. veröffentlicht (z. B. Brandenburg).
  • Die meist vorläufigen Lehrpläne werden in den nächsten Jahren revidiert und veröffentlicht sein (z. B. Thüringen 1998), so dass die bisherigen Erfahrungen mit Berufsorientierung in die Überlegungen mit eingehen können. Generelle Aussagen über mögliche Entwicklungen können derzeit noch nicht gemacht werden.
  • Eine Verankerung von Berufsorientierung in der Oberstufe des Gymnasiums ist z. T. bereits gegeben (z. B. Hessen, Niedersachsen) bzw. zeichnet sich ab (z. B. Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen).
  • Die Entwicklung von Kooperation mit Unternehmen, Kommunen, Verbänden, Studienkreisen, Berufsberatung u. a. wird weiter intensiviert (z. B. Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen).
  • Spezifische Probleme des Arbeitsmarktes in verschiedenen neuen Ländern werden ihren Niederschlag in der Konzeption Berufsorientierung finden (z. B. Sachsen).
  • Aufbauend auf Erfahrungen und Entwicklungen in den alten Ländern dürften auch die oben aufgezeigten Entwicklungen in den neuen Ländern zumindest teilweise Berücksichtigung finden.
 

2.9 Zusammenfassung

In allen Ländern nimmt Berufsorientierung zwischenzeitlich innerhalb des Bildungs- und Erziehungsauftrags einen hohen Stellenwert ein. Sie wird überall als eine wichtige gemeinsame Aufgabe von Schule und Berufsberatung gesehen. Im Vergleich zum Stand der letzten Teildokumentation Gymnasium (1985) sind deutliche Verbesserungen feststellbar. Diese beziehen sich vor allem auf folgende Entwicklungen:

  • Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Berufsberatung wurde in vielen Ländern konkretisiert. Auch in den neuen Ländern nimmt sie einen hohen Stellenwert ein. Die Formen der Zusammenarbeit haben sich, unter Einbeziehung von BIZ und BIZ-mobil, eingespielt.
  • Bei der Vermittlung von Berufsorientierung engagieren sich verstärkt Verbände, Kammern, Arbeitskreise, Unternehmen, Gewerkschaften u. a., damit die außerunterrichtlichen Aktivitäten sinnvoll gefördert werden können.
  • Zur Verbesserung der Praxisorientierung sind Betriebserkundungen und -praktika zwischenzeitlich weitgehend fester Bestandteil in allen Ländern geworden.
  • Damit die Umsetzung des Ziels Berufsorientierung in der Schulpraxis funktioniert, werden immer mehr Handreichungen, Materialien u. a. für die Unterrichtspraxis erstellt.
  • Die Verankerung der Berufsorientierung in den Lehrplänen, zumindest im jeweiligen Leitfach bzw. in den jeweiligen Leitfächern, ist zwischenzeitlich weitgehend realisiert. Zunehmend wird Berufsorientierung als ein fächerübergreifendes Bildungs- und Erziehungsziel betrachtet. Teilweise gibt es bereits eine über alle Fächer abgestimmte Konzeption.
  • Es zeichnet sich im Rahmen eines internationalen Schüleraustausches ansatzweise eine Europäisierung der Berufsorientierung ab.
  • Handlungsorientierte Ansätze sowie Projektorientierung gewinnen bei der Berufsorientierung zwischenzeitlich an Bedeutung. Es soll dadurch u. a. erreicht werden, dass die Schülerinnen und Schüler selbstständig an dieses Thema herangehen.
  • Im Hinblick auf den Entwicklungsstand der Berufsorientierung besteht aus verständlichen Gründen ein Unterschied zwischen den alten und neuen Ländern. In den neuen Ländern haben sich die Bedingungen der Berufswahl in kurzer Zeit grundlegend geändert. Berufsorientierung an Gymnasien wird mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung realisiert, da zunächst bei anderen Schulformen Prioritäten gesetzt wurden. Eine Einbeziehung der Oberstufe des Gymnasiums wird in Zukunft jedoch bewusst angestrebt.
  • Die Zusammenarbeit mit Verbänden, Unternehmen u. a. kann sich wegen der schwierigeren wirtschaftlichen Verhältnisse nur schrittweise einspielen. Lehrerfortbildung hat in den neuen Ländern einen hohen Stellenwert. Die Unterstützung durch die Berufsberatung wird unter Einbeziehung der BIZ als sehr hilfreich empfunden. Dadurch dürfte die zukünftige Entwicklung entscheidend vorangetrieben werden.
  • In allen Ländern ist aufmerksam zur Kenntnis genommen worden, dass sich auch für Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums die Bedingungen der Berufs- und Studienwahl in den vergangenen Jahren verändert haben. Zu erwähnen ist hier beispielsweise die veränderte Situation auf dem Arbeitsmarkt. Eine intensive Information und Beratung ist aus diesen Gründen auch für das Gymnasium wichtig.
 

Anmerkungen

1) Vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Dokumentation zur Berufsorientierung an allgemein bildenden Schulen (Sekundarbereich I und II). Band 1, Allgemeiner Teil, Bonn 1997, S. 5 - 119

2) Vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Dokumentation zur Berufsorientierung an allgemein bildenden Schulen (Sekundarbereich I und II). Band 1, Allgemeiner Teil, Bonn 1997, S. 5 - 119

 

Liteartur

Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (1997): Dokumentation zur Berufsorientierung an allgemein bildenden Schulen (Sekundarbereich I und II). Band 1, Allgemeiner Teil, Bonn, S. 5 - 119
 

Hochschulrektorenkonferenz/ Michael Ley: Übergang Schule - Hochschule. Klassifikation von Initiativen zur Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses.

In den vergangenen Jahren sind in der Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von Initiativen entstanden, die darauf abzielen, Schülerinnen und Schülern ein möglichst authentisches Bild von den Aufgaben und Arbeitsweisen der modernen Naturwissenschaften zu vermitteln und das Interesse an einer systematischen Auseinandersetzung mit diesen Aufgaben zu fördern. Im Auftrag der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz wurde zu dieser Thematik eine Studie erstellt, in der die verschiedenen Entwicklungen in diesem Bereich nach strukturellen Gesichtspunkten geordnet werden. (2)

Das Ziel der Studie besteht darin, typische Modellvarianten zu identifizieren, die im Bereich der Nachwuchsförderung angetroffen werden können. Ausdrücklich wird in der Untersuchung darauf verzichtet, eine möglichst umfassende Bestandsaufnahme sämtlicher Initiativen vorzunehmen, die heute im Bereich der Bildungswerbung angetroffen werden können. Statt dessen wird ein Ordnungssystem entwickelt, das einen Vergleich der unterschiedlichen Initiativen erleichtert sowie Entwicklungsmöglichkeiten kennzeichnet, die das Gebiet der Nachwuchsförderung im Ganzen betreffen.

Auf der Grundlage einer Erhebung, bei der insgesamt 120 Projekte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt wurden, konnten 22 Projekttypen unterschieden werden, die in der Dokumentation zu 6 verschiedenen Projektgruppen zusammengefasst werden. Die verschiedenen Projekttypen sowie die übergeordneten Projektgruppen werden in der Studie ausführlich gekennzeichnet und an einzelnen, besonders prägnanten Beispielen veranschaulicht.

Als Anhaltspunkt für die Klassifizierung der verschiedenen Projektformen gilt dabei die Überlegung, dass die einzelnen Initiativen jeweils bestimmte Entwicklungsaufgaben im Übergang Schule-Hochschule berücksichtigen. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich die Maßnahmen zur Nachwuchsförderung auf einer Linie anordnen, die von ersten Informations- und Orientierungsangeboten über die Einbindung in länger andauernde Arbeits- und Werkgemeinschaften bis hin zu einer Stabilisierung der einzelnen Initiativen im Rahmen übergreifender Organisationsstrukturen reicht:

  • So lassen sich unter dem Stichwort "Hochschule für Schüler" eine Reihe von Initiativen zusammenfassen, in denen Schülerinnen und Schülern Gelegenheit gegeben wird, sich eine erste Übersicht über die Studienmöglichkeiten an einer bestimmten Hochschule zu verschaffen, die Wahl zwischen Beruf oder Studium überhaupt erst zu thematisieren oder bereits getroffene Studienentscheidungen noch einmal zu überprüfen. Mit Formen eines so genannten Schnupperstudiums, mit speziell eingerichteten Fach- und Fakultätstagen, mit Veranstaltungen der Sommeruniversität oder mit besonderen Vorträgen für Schüler besitzen die Hochschulen ein Repertoire von Informations- und Orientierungsmöglichkeiten, die in besonderer Weise dazu geeignet sind, erste Zugänge zu den anschaulichen und alltagsnahen Seiten des Wissenschaftsbetriebes herzustellen.
  • Unter der Bezeichnung "Mobile Hochschule" werden in einer weiteren Gruppe Initiativen beschrieben, in denen die Hochschulen auch im physischen Sinne stärker auf die Schüler "zugehen". Gastvorträge für Schüler, Mobile Laboratorien, Science-Mobile sowie Mobile Ausstellungsprojekte kennzeichnen in dieser Gruppe spezielle Projektformen, bei denen sich Professoren, Dozenten, einzelne Fachbereiche oder sogar die Hochschule im Ganzen für einige Zeit in den Alltag der Schule begeben, um hier für die Leistungen der modernen Naturwissenschaften zu werben. In struktureller Hinsicht kommen dabei zugleich Züge zum Ausdruck, die um die 'Visionen' und die 'Utopien' des wissenschaftlichen Denkens zentriert sind.
  • In der dritten Gruppe werden unter dem Stichwort "Werkgemeinschaften" solche Projekte aufgeführt, bei denen die Beteiligung an langfristig angelegten Arbeitsprozessen im Vordergrund steht. Im Rahmen von Schüler-Experimentiertagen, Schüler-Praktika, Schüler-Arbeitsgemeinschaften und Schüler-Workshops werden spezifische Einübungsprozesse in die unterschiedlichen Formen des wissenschaftlichen Fragens und Denkens in Gang gesetzt, die den Schülerinnen und Schülern ausdrücklich die Möglichkeit zu selbstständig durchgeführten 'Experimenten' bieten sollen. Da dabei zugleich Formen des Lehrens und Lernens betont werden, die in den Schulen heute eher vernachlässigt werden, bieten die Initiativen dieser Gruppe wichtige Anhaltspunkte für die Entwicklung einer neuen Lehr- und Lernkultur, die geeignet sein könnte, auf positive Weise auf die Unterrichtspraxis in den Schulen zurückzuwirken.
  • Unter der Bezeichnung "Besondere Zielgruppen" werden in einer vierten Gruppe Initiativen aufgeführt, die sich mit der Förderung von Kindern und Mädchen und Frauen sowie von wissenschaftlichen Hochbegabungen befassen. Sie beziehen sich vor allem auf die Aufgabe, die verschiedenen Tätigkeiten im Bereich von Naturwissenschaft und Technik auf die speziellen Voraussetzungen lebensgeschichtlich gewordener Entwicklungen zu beziehen und das Engagement in diesem Bereich als eine 'biografische Unternehmung' zu begreifen.
  • In der fünften Gruppe werden "Kooperationsformen zwischen Schule und Hochschule" beschrieben, in denen es um die institutionelle Absicherung der bisher beschriebenen Projektformen geht. Typische Ansätze dieser Gruppe haben mit der Entwicklung von Netzwerken, von Mentoren- und Tutorensystemen, von Verbundprojekten zwischen Schule und Hochschule sowie von Kooperationsformen im Bereich der Lehrerbildung zu tun. Insbesondere im Hinblick auf die Frage, unter welchen Bedingungen sich eine nachhaltige Wirkung der einzelnen Maßnahmen zur Nachwuchsförderung erreichen lässt, kommt den Initiativen dieser Gruppe eine besondere Bedeutung zu.
  • Schließlich werden in einer letzten Gruppe unter dem Stichwort "Medienprojekte" Initiativen aufgeführt, bei denen die Entwicklung neuer Formen der Mediennutzung im Zentrum steht. Typische Projektformen dieser Gruppe stützen sich entweder auf Möglichkeiten im Bereich der traditionellen Medien oder auf solche im Bereich der neuen Medien. Eine Sonderform bildet die Verwendung von Experimentier-Sets.

Wie die Beschreibung der einzelnen Projekttypen zeigt, handelt es sich bei den verschiedenen Initiativen keinesfalls nur um isolierte Maßnahmen zur Nachwuchsrekrutierung. In struktureller Hinsicht erschließen die verschiedenen Projekte vielmehr umfassende und komplette Umgangsformen mit den Aufgaben des wissenschaftlichen Fragens und Denkens, die sich insbesondere an alltagsnahen und anschaulichen Gesichtspunkten orientieren, die verstärkt Möglichkeiten des Ausprobierens und Selbermachens einräumen und die nicht zuletzt von einem besonderen Interesse an den ästhetischen Seiten der wissenschaftlichen Systembildung geleitet werden.

Weil damit zugleich Zugänge zu einem realistischeren oder 'authentischeren' Bild von Wissenschaft eröffnet werden, als es an Schulen und Hochschulen heute immer noch gebräuchlich ist, verdienen die in der Studie beschriebenen Projektansätze eine möglichst breite finanzielle und personelle Unterstützung. Gleichzeitig lassen sich auf der Grundlage der Untersuchung konkrete Gestaltungskriterien benennen, die bei einem künftigen Ausbau der Initiativen berücksichtigt werden müssten:

  • So empfiehlt sich die Profilierung eines umfassenden Entwicklungsprogramms, bei dem an den einzelnen Hochschulstandorten nicht lediglich isolierte Maßnahmen, sondern unterschiedliche Initiativen aus verschiedenen Projektgruppen aufgelegt werden sollten, die inhaltlich und strukturell aufeinander bezogen und durch eine einheitliche Gesamtstrategie zusammengehalten werden sollten.
  • Darüber hinaus sollten die Angebote zur Nachwuchsförderung noch stärker als bisher mit der Arbeit an den Schulen verknüpft werden. Die einzelnen Projektformen sollten als komplementäre Angebote zu den Aufgaben der Schule und des Unterrichtens verstanden werden und sowohl inhaltlich als auch organisatorisch in die Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Fachcurricula eingebunden werden.
  • In einem weiteren Punkt wird eine möglichst frühe Ansprache der Schülerinnen und Schüler empfohlen. Die Angebote der Nachwuchsförderung sollten nicht wie bisher hauptsächlich auf Schüler der gymnasialen Oberstufe ausgelegt werden, sondern am besten bereits für Schülerinnen und Schüler im Grundschulalter zugeschnitten werden und danach sämtliche Altersstufen mit speziell ausgearbeiteten Curricula begleiten.
  • Insbesondere für eine dauerhafte und nachhaltige Wirkung der einzelnen Fördermaßnahmen erscheint die Entwicklung tragfähiger Organisationsstrukturen unverzichtbar. Daher sind künftig vor allem solche Ansätze zu fördern, bei denen die inhaltliche Ansprache der Schülerinnen und Schüler durch den Aufbau regionaler Netzwerke oder die Organisation von Tutoren- und Mentorensystemen unterstützt wird.
  • Eine große, aber bisher leider erst wenig genutzte Chance bietet sich durch die Integration der Projekte in die Lehrerbildung. Die Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern bildet die entscheidende Nahtstelle für eine zukunftsfähige Kooperation zwischen Schule und Hochschule. Vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen, die insbesondere mit der Beteiligung von Lehramtsstudierenden an der Gestaltung und Durchführung der einzelnen Projektformen gemacht werden konnten, spricht nichts dagegen, ausgewählte Angebote der Nachwuchsförderung in Zukunft zu einem verpflichtenden Bestandteil des Lehramtsstudium zu machen.
  • Da sich die Angebote zur Nachwuchsförderung in einem neuartigen und bisher wenig erforschten Bereich der Bildungslandschaft bewegen, da dieser Bereich jedoch zugleich erhebliche Potenziale für eine nachhaltige Reform des gesamten Bildungswesens besitzt, empfiehlt sich eine Unterstützung durch gut entwickelte Forschungsprogramme, mit denen diese Potenziale gesichtet und für eine Erneuerung traditioneller Lehr- und Lernformen genutzt werden könnten.

Es ist sicher nicht zu erwarten, dass die in der Studie beschriebenen Initiativen sämtliche Schwierigkeiten lösen können, mit denen die Schulen und Hochschulen heute zu kämpfen haben. Sie widersprechen jedoch dem verbreiteten Vorurteil, die Bildungslandschaft innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bewege sich auf eingefahrenen Gleisen. Statt dessen zeigt sich, dass im Rahmen der Nachwuchsförderung eine Bewegung in Gang gekommen ist, in der Ansätze zu einem grundlegend anderen Verständnis von Wissenschaft und Unterricht enthalten sind. Wenn unsere Kultur diese Ansätze nicht ungenutzt lassen will, kommt sie nicht daran vorbei, die neu entstandenen Entwicklungen im Bereich der Bildungswerbung entschieden und dauerhaft zu unterstützen.

Anmerkung

1) Auszug aus einer Veröffentlichung der Ergebnisse einer im Auftrag von Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz erstellten Studie.

2) Die gesamte Studie ist unter der Adresse www.hrk.de im Netz abrufbar. In der Netzversion sind sämtliche Mail- und Internetadressen der im Anhang der Studie aufgeführten Initiativen als aktive Schaltleisten repräsentiert.

 

BBJ Consult Aktiengesellschaft/ Joachim Dellbrück, Günther Kühling: Bausteinqualifizierung und Zertifizierung in Grundausbildungslehrgängen - ein Modellversuch im Auftrag des Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg

 

1. Vorbemerkung

Grundausbildungslehrgänge (G-Lehrgänge) gehören zum Angebot der Arbeitsämter in der Berufsvorbereitung. Sie haben das Ziel ausbildungsreife Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, auf eine qualifizierte Ausbildung vorzubereiten. Zum Programm gehört die fachliche Qualifizierung in einem Berufsfeld, die Steigerung der Motivation und Wettbewerbsfähigkeit und das Treffen einer fundierten Berufswahlentscheidung.

Das Problem ist aber, dass Grundausbildungslehrgänge immer weniger diese Zielsetzungen erfüllen. Sie geben Absolventen zwar über ein Jahr lang einen Schonraum, in dem sie Defizite aufarbeiten und eine berufliche Perspektive entwickeln können, vermitteln jedoch zu wenig praktisches Rüstzeug für einen erfolgreichen Übergang in eine Ausbildung - insbesondere in die neuen Berufe.

Die Mängel liegen

  • in der beschränkten Zielsetzung der Maßnahmen,
  • in der oft fehlenden Verknüpfung zu beruflichen Ausbildungsgängen (§ 25 BBiG) und
  • in den fehlenden Standards für die Anerkennung von (Teil-)Qualifikationen.

Aus diesem Grunde ist das im Prinzip wichtige Angebot der Grundausbildungslehrgänge für die Jugendlichen zunehmend unattraktiv.

Zur Beseitigung dieser Mängel und Kritikpunkte wird seit September 2001 im Auftrag des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg ein Modellversuch unter dem Titel "Einführung von einheitlichen Qualifizierungsbausteinen und Zertifikaten in Grundausbildungslehrgängen" durchgeführt.

In dem Modellversuch kooperieren Berliner Bildungsträger mit den zuständigen Arbeitsämtern, der Schulverwaltung und den zuständigen Oberstufenzentren (Berufsschulen). Der verantwortliche Projektträger ist die BBJ Consult AG.

Das Vorhaben gründet sich auf die Beratungen der Arbeitsgruppe "Aus- und Weiterbildung" zu notwendigen Veränderungen und Anpassungen in der Berufsvorbereitung im Bündnis für Arbeit und die zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und den Sozialpartnern vereinbarten "Leitlinien zur Weiterentwicklung der Berufsvorbereitung" vom 27.03.99.

 

2. Der Modellversuch

Ziel ist, Berufsvorbereitung mit Ausbildung stärker zu verbinden und dabei die Übergänge von den Grundausbildungslehrgängen in die Erstausbildung zu verbessern. Das Konzept künftiger Grundausbildungslehrgänge soll neben der Vorbereitung auf eine Berufsausbildung auch den Erwerb von anerkannten Teilzertifikaten ermöglichen, um auf diese Weise den Einstieg in eine berufliche Ausbildung zu forcieren.

Das neue Konzept soll folgende Forderungen einlösen:

  • systematische, individuelle Förderplanung,
  • aufeinander aufbauende Qualifizierungsbausteine und
  • Zertifizierung der erworbenen (Teil-)Qualifikationen.

Der Modellversuch sieht eine Neustrukturierung der Grundausbildungslehrgänge nach dem modularen Qualifizierungsansatz in Kombination mit Assessment- und Reflexionsphasen vor. Durch standardisierte Qualifizierungsbausteine, die z. T. auch frei gewählt werden können, sollen strukturelle Mängel des bisherigen Konzeptes beseitigt und die Effizienz der Maßnahmen gesteigert werden. Durch ein gestuftes Assessment- und Reflexionsverfahren (Feststellung von Interessen, Stärken und Neigungen) soll die relativ hohe Anzahl von Abbrüchen und Fehlbesetzungen reduziert, d. h. die Effizienz des Angebots gesteigert werden.

Die Ergebnisse des Modellversuchs sollen nach erfolgreicher Erprobung die Grundlage zukünftiger Leistungsbeschreibungen für Grundausbildungslehrgänge bilden.

Der Modellversuch erstreckt sich über 2 Jahre (1. 9. 2001 - 31. 8. 2003). Realisiert werden dabei eine Entwicklungsphase (bis 8/ 02) und eine Erprobungsphase bis 8/ 03. Aus der Entwicklungsphase liegen nun die ersten Ergebnisse vor.

 

3. Rahmenbedingungen von Grundausbildungslehrgängen

Grundausbildungslehrgänge sind nach § 61 SGB III fester Bestandteil der berufsvorbereitenden Maßnahmen des Arbeitsamtes. Das Angebot richtet sich an Schulabgänger, die prinzipiell ausbildungsreif sind, jedoch aus unterschiedlichsten Gründen keinen Ausbildungsplatz finden können. Voraussetzung für die Teilnahme ist in der Regel das Vorhandensein eines Schulabschlusses.

Umgesetzt wird das Angebot von Bildungs- und Qualifizierungsträgern in Kooperation mit den Oberstufenzentren (Berufsschulen) im Auftrag der Arbeitsämter. Die fachliche Qualifizierung in den Grundausbildungslehrgängen ist im Gegensatz zur beruflichen Ausbildung breiter angelegt und mehr auf Berufsfelder ausgerichtet.

Einen großen Raum nimmt die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, sogenannte "Softskills", deutsch- und fremdsprachliche Kompetenzen und die Absolvierung eines Bewerbungstrainings ein (s. Runderlass 42/96 der Bundesanstalt für Arbeit).

Teilnehmer/ -innen in Grundausbildungslehrgängen sind in der Regel berufsschulpflichtig und absolvieren ein betriebliches Praktikum unterschiedlicher Dauer.

Grundausbildungslehrgänge haben einen zeitlichen Umfang von 11 Monaten.

 

4. Berufsfelder, Teilnehmer/ -innen und Bildungsträger

Der Modellversuch wird exemplarisch in den Berufsfeldern/ Qualifizierungsbereichen "Informations- und Kommunikationstechnologie"/ Medien und "Bürowirtschaft und Verwaltung" durchgeführt. Hierzu wurden von den Arbeitsämtern sechs bewährte Bildungsträger ausgesucht, die in entsprechenden Maßnahmen insgesamt 135 Jugendliche vorbereiten. Die einzelnen Maßnahmen sind sowohl berufsfeldbezogen als auch berufsfeldübergreifend angelegt (z. B. IT und Medien oder IT und Bürowirtschaft).

Die Hauptgruppe der Teilnehmer/ -innen besitzt einen erweiterten Hauptschulabschluss bzw. einen Realschulabschluss. Die Spannweite erstreckt sich jedoch von Schulabgänger/ -innen ohne Abschluss bis zu Abiturient/ -inn/ -en, was auch einen entscheidenden Einfluss auf die Motivationslage der Teilnehmer/ -innen und somit auf das zu erreichende Niveau des Grundausbildungslehrganges hat.

Am Modellversuch beteiligte Bildungseinrichtungen (Tab. 1)

Träger Maßnahme(n) TN
Akademie für Berufsförderung und Umschulung, Berlin, e.V. (ABU) IT Maßnahme 30
Berufsfortbildungswerk (bfw) IT Maßnahme 30
Bildungsmarkt Vulkan gGmbH (BiMa) Wirtschaft/ Verwaltung 15
Internationaler Bund Außenstelle Berlin Schöneberg (IB) Gemischte Maßnahme IT/ Wirtschaft/ Verwaltung 30
Institut für Betriebsorganisation und Informationstechnik (InBit) IT Maßnahme 15
SOS Kinderdorf e.V. Berufsausbildungszentrum (baz) Gemischte Maßnahme IT/ Medien 15
 

5. Implementierung des modularen Qualifizierungsansatzes

Die inhaltliche Grundlage des Modellversuchs ist der von BBJ entwickelte modulare Qualifizierungsansatz. Dieser sieht zum einen eine handlungsorientierte Vermittlung von Fachinhalten in einer engen Theorie/ Praxisverzahnung und zum anderen eine kontinuierliche Bewertung und Zertifizierung der Qualifizierungsfortschritte nach trägerübergreifend abgestimmten Standards vor. Zur Dokumentation der Erfolge wird der von BBJ entwickelte Qualifizierungspass (1) genutzt.

Die Implementierung des modularen Qualifizierungsansatzes wird durch eine sogenannte "Multiplikatorenschulung" für die Mitarbeiter/ -innen der beteiligten Bildungsträger sicher gestellt. Hierbei geht es sowohl um die Klärung der grundlegenden Fragen zur modularen Qualifizierung als auch um die Handhabung des dafür entwickelten Instrumentariums. Es werden zunächst Querschnittsinformationen zur Modularisierung vermittelt, damit alle am Modellvorhaben beteiligten Personen über einen gemeinsamen Fundus von Definitionen/ Sprachregelungen zur Modularisierung verfügen. Weitere Schwerpunkte sind die curriculare, methodisch-didaktische und organisatorische Umsetzung des modularen Qualifizierungsansatzes unter Einbeziehung aktueller Verfahren der Kompetenzermittlung, der Leistungsüberprüfung und Zertifizierung von Qualifizierungsabschnitten. Die von den Trägern bereits entwickelten Qualifizierungskonzepte werden hinsichtlich der vom BIBB und den örtlichen Kammern festgelegten Standards zur Modularisierung überprüft und unter der Maßgabe der Vergleichbarkeit weiterentwickelt.

Um eine möglichst schnelle und nachhaltige Wirkung zu erreichen, nehmen an der Multiplikatorenschulung Koordinatorinnen, Sozialarbeiter/ -innen, Ausbilder/ -innen und Entwickler/ -innen teil. Die Qualifizierung der Multiplikatoren umfasst insgesamt fünf Module zu folgenden Themen/ Arbeitsschwerpunkten:

  • Qualifizierung in Bausteinen/ Modulen in Grundausbildungslehrgängen,
  • Entwicklung von Bausteinen/ Modulen im Rahmen des Berufskonzepts,
  • Zielgruppengerechte Verfahren zur Berufswahl,
  • Umsetzung und Lehrgangsorganisation und
  • Zertifizierung und Dokumentation im Qualifizierungspass.

Zur Übertragung des Qualifizierungsansatzes/ Entwicklung eines Bausteinkonzeptes für die Grundausbildungslehrgänge werden trägerübergreifende Arbeitsgruppen - hauptsächlich in themenbezogenen - eingerichtet, die durch Beratungen/ Coaching bei den beteiligten Trägern ergänzt werden. Die Beratung dient dabei hauptsächlich der Berücksichtigung und Abstimmung einrichtungsspezifischer Aspekte bei der Konzept- und Bausteinentwicklung.

Die Begleitung in der Erprobungsphase erfolgt im Rahmen eines Monitoring durch das Projektteam. Gemeint sind hier die fortlaufende Beobachtung und Bewertung der Projektfortschritte, die Überprüfung der positiven und negativen Wirkungen, die Identifizierung von Synergieeffekten sowie auch das Initiieren von Anpassungen.

Zum Abschluss ist der Transfer der Ergebnisse in die Fachöffentlichkeit unter Beteiligung der Kammern, der zuständigen bildungspolitischen Gremien sowie der Arbeitsverwaltung zu organisieren.

 

6. Vorläufige Ergebnisse

Nach einjähriger Entwicklungs- und Abstimmungsarbeit befindet sich der Konzeptvorschlag für künftige Grundausbildungslehrgänge sowie die exemplarischen Qualifizierungsbausteine/ Module für zwei Berufsfelder/ Qualifizierungsbereiche in einem erprobungsfähigen Stadium.

Es wird die Neustrukturierung der Grundausbildungslehrgänge mit gestuftem Berufswahlverfahren vorgeschlagen. Die Grundstruktur zukünftiger G-Lehrgänge mit integriertem mehrstufigen Berufswahlverfahren wird im Folgenden dargestellt und näher erläutert:

 

Abbildung 1:

 

 

7. Assessment

Zunächst wird in einem Assessment das Angebot der jeweiligen G-Lehrgänge den Teilnehmer/ -innen vorgestellt und dessen/ deren Eignung für ein Berufsfeld ermittelt. Zeigen einzelne Teilnehmer/ -innen andere Interessen und Neigungen wird diesen soweit möglich ein alternatives Angebot empfohlen. Grundsatz des Assessmentverfahrens ist ein positiver Denk- und Handlungsansatz.

Es werden die Bereiche Sozialkompetenz, Interessen/ Stärken, Motivation/ Durchhaltevermögen bearbeitet, sowie die Fachkompetenz überprüft.

Die Auswertung erfolgt in einem Reflexionsgespräch mit anschließender Qualifizierungsberatung. Ein Förder- und Qualifizierungsplan wird erstellt und eine schriftliche Empfehlung für ein Berufsfeld gegeben. Gleichzeitig wird gemeinsam die Suche eines Praktikumsplatzes geplant. Über fortlaufende Berichtslegung wird das Ergebnis gesichert.

 

8. Grundlagenmodul

Im Anschluss an das Assessment absolvieren die Teilnehmer/ -innen zunächst die erste Qualifizierungsphase in den (obligatorischen) Grundlagenbausteinen gemäß des festgelegten Förder- und Qualifizierungsplanes. Die Grundlagenbausteine bereiten auch auf das Praktikum in den Betrieben vor und werden nach erfolgreicher Absolvierung zertifiziert.

Zur Veranschaulichung wird hier der Grundlagenbaustein aus Bürowirtschaft/ Verwaltung exemplarisch abgebildet. Die Bausteine a + b bilden das so genannte Grundlagenmodul, welches mit der IHK zu Berlin abgestimmt ist. (Tab. 2)

Baustein Inhalte
a) Grundlagen der Kommunikation

Kommunikationsformen

Bürotechnik

Textverarbeitung

Tabellenkalkulation

Informations- und Kommunikationsnetze

b) Betriebswirtschaftliche Grundlagen

Grundlagen des Wirtschaftens

privates + öffentliches Recht

Vertragsarten

Fachenglisch entsprechend der o. g. Fachinhalte

 

Mit der fachlichen Qualifizierung, die möglichst handlungsorientiert erfolgen und durch entsprechende Fachpraxis untermauert werden soll, werden auch Angebote zum Erwerb bzw. Ausbau der notwendigen sprachlichen bzw. fremdsprachlichen Kompetenzen gemacht.

Parallel zur Qualifizierung beim Bildungsträger/ zum Praktikum im Betrieb ist von den Teilnehmer/ -innen auch der obligatorische Berufsschulbesuch zu absolvieren. Die vorgelegten Konzepte schlagen ein abgestimmtes Verfahren entsprechend der vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen an den jeweiligen Lernorten vor. Hierbei werden von der Berufsschule i. d. R. vertiefende und ergänzende Angebote in den allgemein bildenden Fächern angeboten. Künftig wäre aber auch ein direktes Zusammenwirken in der Bausteinqualifizierung vorstellbar.

 

9. Reflexionsphase I

Die erste Reflexionsphase dient der Auswertung und dem Abgleich der Qualifizierung in den Grundlagenbausteinen und der Identifizierung der Entwicklungspotenziale. Auf dieser Basis wird mit den Teilnehmer/ -innen eine erste Berufswahl getroffen.

Eckpunkte sind die Auswertung der Qualifizierung in den Grundlagenbausteinen und die Fortschreibung des individuellen Förder-/ Qualifizierungsplans für die nachfolgenden Fachbausteine. Die Qualifizierungsberatung umfasst dabei:

  • die Klärung der Motivation bei der Wahl/ Kombination der Fachbausteine,
  • die Bewerbungsstrategie für den Ausbildungsplatz,
  • die (Weiter-)Entwicklung einer Bewerbungs-/ Produktmappe und
  • die Fortschreibung des Berichtes.

Mit der Ausgabe des Qualifizierungspasses mit den Zertifikaten der Grundlagenbausteine wird die Reflexionsphase abgeschlossen.

 

10. Fachbausteine/ Praktikum

Die Teilnehmer/ -innen absolvieren die Qualifizierung in den Fachbausteinen sowie ihr Praktikum auf Grundlage ihres fortgeschriebenen Förder-/ Qualifizierungsplanes. Dabei können z. B. aus vier angebotenen Bausteinen zwei gewählt werden. Die einzelnen Bausteine schließen mit einer Bausteinprüfung ab.

Je nach Angebots- und Organisationsmöglichkeiten des Trägers sollten besonders leistungsfähigen Teilnehmer/ -innen weitere Bausteine angeboten werden.

Zur Veranschaulichung wird hier der Fachbaustein aus IT/ Medien exemplarisch abgebildet. Die einzelnen Fachbausteine ordnen sich verschiedenen Fachmodulen aus unterschiedlichen Berufsbildern zu. (Tab. 3)

Baustein Inhalte

Softwareanwendungen Vertiefung

(Inhalte ECDL II)

Datenbanken

Präsentation

HTML Grundlagen

Präsentationstechniken

Visuelle Präsentationsformen

und ihre Durchführung

Bewerbungstraining

Kaufm. Geschäftsprozesse

Lieferanten -> Unternehmen

innerhalb des Unternehmens

Unternehmen -> Kunden

Netzwerke

Planen

Installation/ Inbetriebnahme

Instandhaltung/ Service/ Wartung

Fachenglisch entsprechend der o. g. Fachinhalte

 

Wie in den Grundlagenbausteinen findet auch in der Vertiefungsphase der Ausbau der sprachlichen bzw. fremdsprachlichen Kompetenzen statt.

Das Praktikum als wesentliche Schnittstelle zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sichert ein Minimum an betrieblicher Erfahrung und kann bis zu drei Monaten dauern. Zur Abstimmung der Tätigkeits-/ Qualifizierungsinhalte im Praktikumsbetrieb ist im Qualifizierungsplan eine gesonderte Rubrik eingerichtet (siehe auch Übersicht Qualifizierungsplan).

Der Berufsschulbesuch findet ergänzend zur Vermittlung beim Bildungsträger/ im Betrieb einmal wöchentlich nach einem abgestimmten Lehrplan statt.

 

11. Reflexionsphase II (Schlussreflexion)

In der Schlussreflexion wird der G-Lehrgang ausgewertet und eine Empfehlung für einen bestimmten Ausbildungsberuf ausgesprochen. Dazu wird ein Abgleich der Anforderungen für eine Ausbildung in einem bestimmten Berufsbild und die abschließende Beurteilung der Entwicklung der Teilnehmer/ -innen vorgenommen. Zudem kann eine Einstiegsempfehlung für bestimmte Ausbildungsgänge erfolgen. (z. B. "...geeignet um ins erste oder zweite Ausbildungsjahr einer Ausbildung als IT-Systemkaufmann einzusteigen ...").

Die Bewerbungsstrategie für den Ausbildungsplatz wird überprüft und die Bewerbungs-/ Produktmappe bestätigt oder modifiziert. Diejenigen, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, werden abschließend bei der Suche unterstützt.

Zum Abschluss wird der Qualifizierungspass aktualisiert und der Endbericht mit der Ausbildungsempfehlung erstellt.

 

12. Berufswahlverfahren

Das beschriebene Verfahren zur Berufswahl bedarf jedoch einheitlicher, zwischen den Trägern abgestimmte Qualitätskriterien. Diese dienen der Transparenz des Verfahrens und schaffen die Voraussetzungen für eine gegenseitige Anerkennung der Ergebnisse.

Die jeweiligen Schritte (Eingangsassessment, Reflexionsphasen) beinhalten daher konkrete Übereinkünfte und Aussagen zu

  • Teilnehmer/ -innen-/ Dozentenverhältnis (quantitativ),
  • Gruppengröße,
  • Klare Benennung der Ziele, Kriterien und Methoden des Verfahrens,
  • Berücksichtigung realer Anforderungen der (Berufs-)Ausbildung,
  • Benennung der Struktur und des (zeitl.) Umfang des Verfahrens,
  • Abstimmung des Dokumentations- und Berichtswesens,
  • Zertifizierung (Charakter/ Interpretationsbreite) und
  • Angaben zu Controlling/ Qualitätssicherung.
 

13. Bausteinkonzept

Um Berufsvorbereitung mit Ausbildung künftig besser verbinden zu können, braucht man kompetenzorientierte Bausteinkonzepte, die zum einen den aktuellen Anforderungen in den jeweiligen Berufsfeldern entsprechen und zum anderen berufsfeld- bzw. berufsbildübergreifend gestaltet sind. Die Orientierung an den aktuellen Anforderungen in den Betrieben wirkt sich positiv auf die Verwertbarkeit des Angebotes aus und die übergreifende Gestaltung der Bausteine ist Teil des methodischen Konzeptes, das erst in der Schlussphase die Wahl des eigentlichen Ausbildungszieles vorsieht.

Daher sollten in Grundausbildungslehrgängen überwiegend Qualifizierungsbausteine angeboten werden, die möglichst quer zu vielen Tätigkeitsbereichen, Berufsfeldern oder zumindest Berufsbildern gelagert sind. Voraussetzung für die Anerkennung in Ausbildungsgängen ist die Berücksichtigung des Berufskonzeptes nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG).

Bei der Entwicklung übergreifender Bausteine wurden im Modellversuch daher zunächst die gemeinsamen Kompetenzen und Inhalte der betroffenen Berufsfelder/-bilder identifiziert. Aus den gefundenen Querschnitts- und Teilmengen wurden nach handlungsorientierten Ansätzen neue Bausteine geschnitten. Die Systematik kann durch folgende Grafik veranschaulicht werden:

Abbildung 2:

Die Grafik stellt das systematische Vorgehen in drei Berufsfeldern dar: kaufmännische Berufe, IT (IuK) Berufe und Medienberufe.

Es können hier Kompetenzen/ Inhalte identifiziert und Qualifizierungsbausteine geschnitten werden, die alle drei Felder betreffen und solche die lediglich zwei Felder schneiden. Grenzen übergreifender Bausteine ergeben sich aus der beruflichen Systematik, da Berufsfeldern/ -bildern zwangsläufig auch spezielle und nur für diese Berufe zutreffende Inhalte inhärent sind.

Zu jedem Baustein werden als Instrument der Lernortkooperation Qualifizierungspläne entwickelt, die jeweils eine Kompetenzbeschreibung und Aussagen zu Fachtheorie (Lerninhalte), Fachpraxis (zu vermittelnde Fertigkeiten/ Kenntnisse) und zum Praktikumbetrieb (Qualifizierungsempfehlung) beinhalten.

Nachfolgend soll ein exemplarischer Qualifizierungsplan aus dem Feld Bürowirtschaft/ Verwaltung dargestellt werden (Fachbaustein "Organisationsformen und Organisationstechniken").

 

Abbildung 3:

 

Die Qualifizierungspläne sind Bestandteil des zu erstellenden Förderplans.

 

14. Ausblick

Nach einem Jahr der Entwicklung und Abstimmung zwischen den beteiligten Trägern liegen nun das Strukturkonzept für künftige Grundausbildungslehrgänge, das Konzept für ein mehrstufiges Verfahren zur Berufswahl, zwei berufsfeldbezogene Bausteinkonzepte nebst zugehörigen Materialien vor. Die im Modellversuch beteiligten Träger haben zwischenzeitlich ihre G-Lehrgangsteilnehmer/ -innen aufgenommen und werden ab Oktober mit der Erprobung beginnen.

In den nächsten Monaten soll die Kooperation mit den Oberstufenzentren weiter konkretisiert werden und auch inhaltliche Schnittstellen zu anderen Modellen der Berufsvorbereitung (MDQM (2), BBE etc.) geklärt werden.

Die Erfahrungen der Teilnehmer/ -innen mit dem Qualifizierungspass im Rahmen ihrer Praktikumsuche werden im ersten Quartal 2003 ausgewertet werden.

Im vierten Quartal 2003 werden dann die endgültigen Ergebnisse vorliegen, die durch den Projektträger in weiteren Veröffentlichungen bzw. über das Publikationsforum des "Netzwerkes Modularisierung" www.modulnet-berlin.de der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

 

Projektträger: BBJ Consult AG
Kontaktperson: Joachim Dellbrück
  Herzbergstraße 84, 10365 Berlin
  Tel.: 030-5505-1329, Fax - 1000
  E-Mail: dellbrueck@bbj.de

 

 

Anmerkungen

1) Der Qualifizierungspass ist in der Modellversuchsreihe "Modulare Nachqualifizierung" des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Abstimmung mit bundesweit tätigen Trägern der beruflichen Bildung, mit den örtlichen Kammern und Verbänden entwickelt worden. Herausgeber des Qualifizierungspasses ist der in Berlin ansässige BBJ Verlag, Herzbergstraße 84, 10365 Berlin.

2) Berliner Schulmodellversuch "Duale Modulare Qualifizierungsmaßnahme"

Dieser Beitrag ist entstanden auf Anregung der wissenschaftlichen Begleitung des Programms "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben". Das Programm wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und durch den Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union. Der Inhalt liegt in der Verantwortung des Verfassers bzw. der Verfasserin.