Späte: Ökonomische Bildung - eine praxisferne Diskussion. Kritische Anmerkungen einer Lehrerin

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Katrin Späte

Ausgangspunkt der öffentlichen Diskussion um "Wirtschaft in die Schule" waren Beschwerden seitens von Unternehmen, die Schüler/-innen hätten zu wenig "Wirtschaftskenntnisse", was immer darunter verstanden werden darf. Interessanterweise wird die daraufhin einsetzende Diskussion in den einschlägigen Fachzeitschriften von Hochschullehrenden geführt, deren Kontakt zur Schule sich in gelegentlichen Gesprächen mit Lehrkräften an Schulen beschränken dürfte. In den Beiträgen treten einige Verzerrungen auf, die bedingt sind durch praxisferne Reflexionsebenen. Im folgenden werden einige Aspekte skizziert.

Die Studie der Bertelsmann Stiftung

In der umfangreichen Studie zu "Wirtschaft in die Schule", die von der Bertelsmann Stiftung unterstützt wurde, sind Lehrpläne aus den Bundesländern detailliert analysiert worden. Lehrpläne geben grobe Rahmenbedingungen für Unterricht vor. Kaminski ist sicherlich zuzustimmen, wenn er Lehrpläne als Kulturdokumente charakterisiert (1) , die viel über Kräfteverhältnisse im politischen System der jeweiligen Landesregierung und der scientific community der hinzugezogenen Experten aussagen. Sie sagen aber wenig bis nichts über den durchgeführten Unterricht und seine Rahmenbedingungen aus. Die Erforschung des Unterrichts mangelt daran, dass die Hauptfigur des Geschehens, die Lehrkraft, nur in ausgewählten Bereichen Gegenstand relevanter Disziplinen wird und bildungspolitisch brennende Probleme schulischer Realität ausgeblendet werden. Ein treffenderes Bild der Situation "ökonomischer Bildung" dürfte sich durch die Erforschung der Unterrichtspraxis ergeben. Ein Ansatzpunkt wäre z. B. die Beobachtung der Fachkonferenzen, die das schulinterne Curriculum für das Fach festsetzen oder aber die Belege der Unterrichtsinhalte, die zur Anmeldung für das Abitur eingereicht werden. Für die Beobachtung des Unterrichts selbst, werden sich wahrscheinlich nicht viele Lehrerinnen und Lehrer finden, wenngleich dies der eigentliche Lernort ist, an dem in denen meisten Fällen eine Art "Steckenpferd-Didaktik" herrscht. (2)

Situation der Fächer Politik/Sozialwissenschaften in NRW

Unzureichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lernenden beruhen neben der Lernwilligkeit der Lernenden auch auf Unterrichtsausfall. Im Land NRW sind ökonomische Inhalte in der Sek I und Sek II des Gymnasiums Bestandteil der Lehrpläne, deren Inhalte in der genannten Studie der Bertelsmann Stiftung detailliert nachzulesen sind. Leider kommen die Lernenden in NRW sehr selten in den Genuss dieses Unterrichts. In der Sek I wird der Unterricht im Zweijahresrhythmus mit zwei Wochenstunden erteilt (3) . Nach der Auswertung der amtlichen Schuldaten 2000/2001 durch die GEW (4) wird Politik zu 56,4% fachfremd unterrichtet (5) . Das kann sogar der Kollege/die Kollegin mit Sport/Kunst/Religion. Hinzu kommen die Defizite durch Unterrichtsausfall. In der Oberstufe besteht wenigstens der Vorteil, dass der Unterricht des Faches Sozialwissenschaften mehrheitlich von Kräften mit der Fakultas Sozialwissenschaften (6) erteilt wird und weniger häufig ausfällt.

Funktionslogiken der Teilsysteme

Krol bietet in dem Aufsatz "‚Ökonomische Bildung' ohne ‚Ökonomik'"? eine bestechend scharfe Analyse der unterschiedlichen Logiken des pädagogischen und des ökonomischen Paradigmas, die zum Weiterdenken anregt. Mit der gleichen Argumentation könnten die unterschiedlichen Logiken eines Institutes für ökonomische Bildung und des Unterrichts des Faches Sozialwissenschaften, seinen Lernzielen und institutionellen Bedingungen herausgearbeitet werden. Besonders interessant ist, dass die Werteimplikationen des pädagogischen Paradigmas in dem genannten Beitrag klar herausgestellt werden, die der ökonomischen Theorie aber mit dem Hinweis auf die Modellhaftigkeit ökonomischer Theorie übergangen werden. Man könnte die Probleme auch so erklären, dass die Logik des Teilsystems Wirtschaft bereits wie eine Krake andere gesellschaftliche Teilbereiche umschließt. Selbstredend werden Fragen wie "Wieviel darf ein Mensch kosten?" (Stichwort: Gesundheitsreform) nicht durch das Ausblenden ökonomischer Paradigmen und das Verstärken moralischer Appelle gelöst, aber vielleicht könnte eine Lösung ja auch darin bestehen, ökonomische Paradigmen und die darin implizierten Werte zu hinterfragen und Ökonomen eine moralische Erziehung zu Teil werden zu lassen. Besonders dringlich ist diese Erziehung im Hinblick auf die Geschlechtsblindheit der malestream-Ökonomie (7) . Auch in den bereits vorliegenden Vorschlägen zu möglichen Inhalten eines Schulfaches "Wirtschaft" wird dieser Aspekt nur ansatzweise berücksichtigt. Darüber hinaus ist vor einer naiven Übernahme soziologischer Theoriebildung, die von Teilsystemen mit je eigenen Logiken ausgeht, zu warnen. Theorien sind nur ein Angebot zur Erklärung von Welt. Dabei ist gerade die genannte Systemtheorie gefährlich im Hinblick für ein Verständnis von Gesellschaft, dass diese als menschliches Produkt auffasst. In den neuen Richtlinien für das Fach Sozialwissenschaften wird explizit gefordert, dass den Schüler/-innen zu vermitteln ist, dass "der Mensch der Hervorbringer von Gesellschaft sei" (8). Ein solches Verständnis kann dazu beitragen, dass Heranwachsende Verantwortung übernehmen und ihr Handeln auf der Grundlage von Werten zu prüfen, mithin moralisch zu handeln. Ansonsten bleibt ein Mensch, der gefangen ist im System und seiner Logik und auf kritische Fragen bezüglich seines Handelns nur antworten muss: "So funktioniert's eben."

Zusammenfassung

Es bleibt zu hoffen, dass die Diskussion zukünftig praxisnäher geführt wird. Der Austausch mit Lehrenden des Faches ist dringlich, um eine realistische Einschätzung von Schule zu bekommen. Der Austausch mit Lernenden ist wichtig, um festzustellen, welches ökonomisches Wissen die Lernenden brauchen.

 

Anmerkung der Herausgeber: Wir würden uns freuen, wenn die geforderte Diskussion im sowi-online-journal geführt wird und laden alle Leser/-innen herzlich ein, uns ihre Manuskripte zu mailen. Hinweise für die Gestaltung der Texte erhalten Sie unter: http://www.jsse.org/authors.htm. Sie können Texte auch online kommentieren, indem Sie am Anfang eines Dokumentes auf das Symbol "Füllfederhalter" klicken.

Literatur / Anmerkungen

(1) Kaminsiki, H. (1999): Lehrplan-Analysen - ein Beitrag zur Situations-Analyse des Status der ökonomischen Bildung in Lehrplänen des Gymnasiums. In: Bertelsmann Stiftung, Heinz Nixdorf Stiftung, Ludwig-Erhard Stiftung (Hg.): Wirtschaft in die Schule. Gütersloh. Seite 15: "Lehrpläne sind Kulturdokumente. Sie stellen in Inhalt, Form und Sprache ein Spiegelbild der geistigen bzw. politischen Kräfte einer Gesellschaft in ihrer Epoche dar."

(2) Die meisten Lehrenden schaffen es im Unterricht über tausend Umwege auf das Gebiet zu kommen, auf dem sie sich am besten auskennen und das ihnen die meiste Sicherheit gibt.

(3) Das bringt dem Fach massive Statusprobleme ein. Seine Bedeutung wird von den SchülerInnen nicht sehr hoch eingeschätzt.

(4) Boese, R. (2001): Fachfremder Unterricht und Unterrichtsausfall an NRW-Schulen. In: neue deutsche schule, Juli/August 2001. 53. Jg. Seite 10.

(5) ebd.:Gesamtschule 63,8%, Gymnasium 33%, Hauptschule 63,9%, Realschule 64,9%.

(6) Die von Krol geforderte Schwerpunktsetzung im Fach Sozialwissenschaften, Stichwort "Vertiefung Wirtschaft" ist seit Jahren Unterrichtspraxis. Krol, G.-J.: "Ökonomische Bildung - ohne "Ökonomik"?. http://www.jsse.org/2001-1/krol.htm, Seite 9: "Spielraum dürfte aber bestehen, wenn man im Rahmen einschlägiger Unterrichtsfächer Schwerpunktsetzungen zuließe, die den Schülern dann die Wahlmöglichkeit beließen."

(7) hierzu: Berhard Filli, H./ Günter, A./ Jochimsen, M./ Knobloch, U./ Praetorius, I., Schmuckli, L./Vock, U. (1994): Weiberwirtschaft. Ausgeblendete Grundlage der Ökonomie. In: Weiberwirtschaft. Frauen -Ökonomie-Ethik. Luzern. Seite 9-28.

(8) MSWWF (Hg.) (1999): Richtlinien Sozialwissenschaften. Sekundarstufe II. Gymnasium/ Gesamtschule. Frechen. Seite 14.

 

 


KeyWords: Bertelsmann Stiftung, Lehrpläne, Lehrplan, ökonomische Bildung, Beobachtung, Unterrichtsausfall, Geschlechtsblindheit