sowi-online
Veröffentlicht auf sowi-online (https://www.sowi-online.de)

Startseite > Reader > Berufsorientierung > Reader II > 3. Wandel in der Berufs- und Ausbildungsstruktur > Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen e.V.

Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen e.V./ Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen/ Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft: Lehrerbildung für berufli

Im Mittelpunkt der gegenwärtigen Diskussion um die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer für das berufsbildende Schulwesen stehen folgende vier Aspekte:

  1. die dauerhafte Deckung des Lehrerbedarfs der berufsbildenden Schulen auf qualitativ hohem Niveau,
  2. die Sicherung der Qualität der pädagogischen und didaktischen Ausbildung der zukünftigen Lehrkräfte durch die Entwicklung eines Kerncurriculums,
  3. der Ausbau und die Verbesserung der fachdidaktischen Studienanteile und
  4. die Veränderung der Studienstruktur durch die Einführung neuer Studiengangmodelle.

BLBS [1], VLW [2] und die Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der DGfE [3] sehen die Gefahr, dass - angesichts des gegenwärtigen Problemdrucks - die langjährig bewährten und einen hohen Qualitätsstandard gewährleistenden universitären Studiengangmodelle und Studienstrukturen aufgegeben werden, ohne dass für einen adäquaten Ersatz gesorgt würde. Die Verbände fordern daher die Kultusminister der Länder auf, die folgenden Eckpunkte bei der Gestaltung des Studiums ohne Abstriche umzusetzen.

 

1. Maßnahmen zur dauerhaften Deckung des Lehrerbedarfs der berufsbildenden Schulen

Die Nachwuchssituation bei den Lehrkräften für das berufsbildende Schulwesen ist seit einigen Jahren in der Mehrzahl der Bundesländer schwierig und wird sich in den kommenden Jahren, falls sich die Zahl der Studierenden nicht wesentlich erhöht, insbesondere aufgrund der anstehenden Pensionierungswelle noch weiter verschärfen. Daher sind die Kultusministerien der Länder in der Pflicht, nachhaltige Maßnahmen zur Sicherung der quantitativen Unterrichtsversorgung an den berufsbildenden Schulen zu ergreifen, ohne dabei gleichzeitig die notwendigen Qualifikationsanforderungen zu vernachlässigen. Die Situation ist vor allem in den großen gewerblich-technischen Berufsfeldern (insbesondere Elektro- und Metalltechnik), in den informationswirtschaftlichen und -technischen Berufen sowie im Bereich Wirtschaft und Verwaltung brisant. Die von mehreren Ländern bereits eingeleiteten Quer- und Seiteneinsteiger-Programme, die darauf abzielen, im gewerblich-technischen Bereich Diplom-Ingenieure und im wirtschaftsberuflichen Schulwesen Diplom-Kaufleute, Diplom-Volkswirte und Diplom-Wirtschaftsinformatiker als Quereinsteiger direkt in den Schuldienst oder als Seiteneinsteiger in das Referendariat einzustellen, können mittel- bis langfristig nicht als zielführender Weg zur Verbesserung der Nachwuchssituation gesehen werden. Darüber hinaus gehen von solchen Maßnahmen Signale an die Studierenden aus, die keineswegs geeignet sind, sich für die Aufnahme eines grundständigen berufs- und wirtschaftspädagogischen Studienganges zu entscheiden. Hier sind vielmehr Konzepte gefordert, die für interessierte Studienanfänger und Studierende das Arbeitsfeld "Berufsbildende Schule" attraktiv machen. Dazu gehören u. a. bessere Arbeitsbedingungen und Aufstiegschancen, wie auch eine Anhebung der Referendarbezüge auf ein Niveau, das mit den Gehältern von Trainees in der Wirtschaft vergleichbar ist.

Für viele der gegenwärtig bereits eingerichteten Quer- und Seiteneinsteiger-Programme gilt, dass sie den berufs- und wirtschaftspädagogischen Qualitätsstandard eines grundständigen universitären Studiums deutlich unterschreiten. Angesichts des Wandels der Arbeitswelt sowie im Zeichen einer globalisierten Wirtschaft steigen die Qualifikationsanforderungen ständig, so dass solche "Notmaßnahmen" sich als kontraproduktiv erweisen. Es ist daher sicherzustellen, dass in den zur Abdeckung des kurzfristigen Bedarfs eingerichteten Quer- und Seiteneinsteiger-Programmen eine fundierte berufs- und wirtschaftspädagogische Ausbildung integriert und in den entsprechenden Curricula fest verankert wird. Die Gestaltung und Durchführung der Programmelemente sollte von den universitären Lehr- und Forschungseinrichtungen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Verbindung mit den Studienseminaren der zweiten Phase verantwortet werden.

 

2. Sicherung der Qualität der pädagogischen und didaktischen Ausbildung der zukünftigen Lehrkräfte durch die Entwicklung eines Kerncurriculums

Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist die profilbildende wissenschaftliche Disziplin im Studium künftiger Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen, denn sie konzentriert sich in Forschung und Lehre vor allem auf die Untersuchung von Lehr-/ Lernprozessen im Rahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung in berufsbildenden Schulen, Betrieben und sonstigen Berufsbildungseinrichtungen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Fragen der Ziel- und Inhaltsbestimmung von beruflichen Bildungsgängen, der Gestaltung von berufsbezogenem Unterricht und der Ermöglichung von Lern- und Bildungsprozessen. Hinzu kommen die Ermittlung und Beurteilung personaler Lern- und Bildungsvoraussetzungen sowie die Entwicklung der organisatorischen, institutionellen, rechtlichen, politischen und personellen Rahmenbedingungen der Berufsbildung. Im Studium werden die Studierenden mit diesen Kernbereichen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik so weit vertraut gemacht, dass sie auf der Basis der erworbenen grundlegenden Erkenntnisse in der Lage sind, praktische Fragen und Probleme in den genannten Tätigkeitsfeldern theoriegeleitet zu reflektieren und rational begründete, auf individuelle und kollektive Bedürfnisse abgestimmte Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Die Umsetzung dieser Leitidee erfolgt im Studium in aufeinander bezogenen Lehrveranstaltungen im Umfang von etwa 30 Semesterwochenstunden (SWS) im Verlaufe von neun Semestern, wobei weitere 10 SWS für individuelle Profilbildungen der einzelnen Lehr- und Forschungseinrichtungen zur Verfügung stehen.

Durch die Ausformulierung eines Kerncurriculums für diesen Studienteil von 30 SWS soll der Grad an Übereinstimmung zwischen den einzelnen Hochschulstandorten erhöht und die inhaltliche Abstimmung zwischen dem Studium an der Universität und der Ausbildung am Studienseminar optimiert werden. Gleichzeitig würde auch ein Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des Studiums geleistet werden. Zudem soll durch ein solches Kerncurriculum ein nicht zu unterschreitender Qualitätsstandard für berufs- und wirtschaftspädagogische Studiengänge erreicht werden, der auch - wie bereits betont - für Quer- und Seiteneinsteiger-Programme gelten muss.

 

3. Ausbau und Verbesserung der fachdidaktischen Studienanteile

Die Ziel- und Inhaltsbestimmung von Bildungsgängen und die Planung, Konstruktion, Durchführung und Evaluation von Lehr-/ Lernprozessen zählen zu den wesentlichen Aufgaben einer jeden Lehrkraft. Insofern ist es unverzichtbar, dass zukünftige Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen bereits im Studium Expertenwissen im Bereich der Didaktik beruflichen Lehrens und Lernens erwerben, und zwar sowohl auf dem Felde der von ihnen gewählten beruflichen Fachrichtung als auch auf dem Felde des von ihnen gegebenenfalls gewählten weiteren nicht-berufsbezogenen Unterrichtsfaches oder einer berufsbezogenen Vertiefungsrichtung. Daher wird didaktischen Fragen auch im Kerncurriculum ein breiter Raum gegeben.

Der hohen Bedeutung fachdidaktischer Forschung und Lehre für den Professionalisierungsprozess zukünftiger Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen steht jedoch gegenwärtig ein mangelhafter Ausbau der fachdidaktischen Lehr- und Forschungseinrichtungen an einer Vielzahl von Universitäten gegenüber. Häufig sind für die Fachdidaktiken keine Professuren eingerichtet, oder es fehlt an einer sachlichen und personalen Mindestausstattung, so dass eine kontinuierliche fachdidaktische Forschung als wichtige Grundlage für eine fundierte Lehre nicht gewährleistet ist. Hierunter leidet nicht allein die Qualität der Lehre, sondern insbesondere auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in den Fachdidaktiken. Um die Qualität des Studiums zu erhalten und weiter zu verbessern, ist ein schneller und umfassender Ausbau der beruflichen Fachdidaktiken - vor allem im gewerblich-technischen Bereich - in enger Verbindung mit den berufs- und wirtschaftspädagogischen Lehr- und Forschungseinrichtungen daher unverzichtbar.

 

4. Veränderung der Studienstruktur durch die Einführung neuer Studiengangmodelle

Während aus der Sicht der veranstaltenden Verbände die Erhöhung der Attraktivität und die Sicherung des Studiums durch die bisher genannten Maßnahmen im Vordergrund der Diskussion um die Veränderung der universitären Phase stehen müssten, wird diese gegenwärtig von formal-organisatorischen Aspekten dominiert. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung neuer Modelle für die Gestaltung der berufs- und wirtschaftspädagogischen Studiengänge. Dabei handelt es sich um konsekutive BA- und MA-Studiengänge, welche die etablierten Diplom- bzw. Staatsexamensstudiengänge ablösen sollen. Wenn zukünftig Lehrkräfte für die berufsbildenden Schulen in solchen Studiengängen ausgebildet werden sollen, müssen mindestens die bisher erreichten Qualitätsstandards des Diplom- bzw. Staatsexamensstudiengangs sichergestellt werden. Dieses Ziel könnte erreicht werden, wenn nach einem sechssemestrigen Studium mit dem Bachelor ein erster Abschluss verliehen werden könnte, der für außerschulische Tätigkeiten, z. B. im Bereich der betrieblichen Aus- und Weiterbildung, arbeitsmarktfähig ist, der allerdings noch nicht zur Einstellung als Lehrkraft für das berufsbildende Schulwesen berechtigt. Erst weitere erziehungswissenschaftliche, fachdidaktische und vertiefte fachwissenschaftliche Studien in viersemestrigen MA-Studiengängen können zu der Qualifizierung führen, die von den angehenden Lehrkräften beim Eintritt in das Referendariat für das Lehramt an berufsbildenden Schulen erwartet werden.

BLBS [1], VLW [2] und die Sektion für Berufs- und Wirtschaftspädagogik [3] sehen eine Umstrukturierung des Studiums auf das BA-/MA-Studiengangkonzept nur dann mit Aussicht auf Erfolg realisierbar, wenn die übrigen wirtschafts- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge als fachwissenschaftliche Bezugsdisziplin ebenfalls in dieser Form organisiert werden. Darüber hinaus muss die Integration des Studiums eines zur gewählten beruflichen Fachrichtung nicht affinen Wahlbereichs in ein konsekutives Studiengangsmodell in befriedigender Weise gelingen und eine grundständige berufs- und wirtschaftspädagogische Ausbildung im Sinne der Qualitätsstandards des Kerncurriculums garantiert sein.

Dagegen wird die von mehreren Bundesländern beabsichtigte partielle Verlagerung des Studiums an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen eindeutig abgelehnt. Diese Modelle werden den an die Lehrkräfte gestellten hohen Qualifikationsanforderungen nicht gerecht. Sie stehen zudem im Gegensatz zu internationalen Entwicklungen, die grundsätzlich auf eine volluniversitäre Ausbildung der Lehrkräfte für berufsbildende Schulen hin ausgerichtet sind.

BLBS, VLW und die Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der DGfE sind überzeugt, dass die Umsetzung dieser Eckpunkte zur qualitativen Weiterentwicklung der Ausbildung der Lehrkräfte für berufsbildende Schulen erforderlich ist, um den wachsenden gesellschaftlichen Anforderungen an das Berufsbildungssystem entsprechen zu können.

 

Anmerkung und Links

(1) Position der veranstaltenden Verbände auf dem Lehrerbildungskongress am 29. November 2002 in Bonn

Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen e.V. (BLBS) [1]
Bundesgeschäftsstelle: Friedrichstraße 169/170; 10117 Berlin
Bundesvorsitzender Dipl.-Ing. Günter Besenfelder

Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V: (VLW) [2]
Bundesgeschäftsstelle: Wehlauer Straße 170; 76139 Karlsruhe
Bundesvorsitzender Dipl.rer.pol. (techn.) Manfred Weichhold

Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) [3]
Kontakt zum Vorstand: Carl-Zeiss-Str. 3; 07740 Jena
Vorsitzender Sektion BWP Prof. Dr. Holger Reinisch

 
© Copyright 2016 by Sowi-Online e.V.. All Rights Reserved.
  • Impressum
  • Datenschutz
  • Kontakt

Quell-URL (modified on 14/01/2013 - 15:15): https://www.sowi-online.de/node/637

Links
[1] http://www.blbs.de/
[2] http://www.vlw.de/
[3] http://www.ibw.uni-hamburg.de/bwp-dgfe/sektion/index.html