In der ersten, universitären Phase der Lehrerbildung sollten bei den Studierenden bzw. Absolventen folgende Ziele erreicht werden:
Diese vier hier nur formal abgegrenzten Kompetenzen werden als aufeinander aufbauend betrachtet (Stufen–Modell).
Die zweite Phase im Studienseminar (Referendariat) baut hierauf auf und schließt sich an. Hinsichtlich der hierauf bezogenen Personenstandards lässt sich folgende Aufgabe formulieren:
Entwicklung und Erprobung der eigenen beruflichen Handlungs– und Reflexionsfähigkeit
Für die 1. Phase sind (mit Blick auf Personenstandards) folgende vier Bereiche von Bedeutung:
(1) Ein solides systematisch, methodisch und wissenschaftsgeschichtlich gestütztes Wissen in den und über die Unterrichtsfächer(n) ist eine conditio sine qua non. Dies gilt für alle Lehrämter und alle Fächer – die Grundschullehrerbildung steht somit keineswegs zurück, da sie ebenfalls eine spezifische wissenschaftsbasierte Fachlichkeit aufweist. Dabei ist das Disziplinen– bzw. Fächerwissen, das die Universität an Lehramtsstudierende vermittelt, deutlicher als bisher auf die Horizonte der schulischen Lehrpläne zu beziehen. Zugleich sollte nicht nur ein solides Fachwissen innerhalb des jeweiligen Faches, sondern auch der Blick von außen auf die Disziplin und das Fach vollzogen werden (Geschichte und Entwicklung, grundlegende Erkenntnis- und Methodenprobleme, Verknüpfung mit anderen Disziplinen, gesellschaftliche Bedeutung und Vermittlung des Faches etc.); diese letztgenannten Punkte sind übrigens nicht nur für die Lehramtsstudierenden dieses Faches von Bedeutung, sondern für alle Studierende dieser Disziplin. Die Disziplinen bzw. Fächer selbst sollten sich viel stärker als bisher in die Diskussion um die Lehrerbildung und deren Inhalte und Standards einmischen. Dabei wäre es ein falscher Weg, wenn die Disziplinen/Fächer die Angebote für die zukünftigen Lehrer gänzlich aus dem Angebot für ihre Hauptfachstudierenden (Diplom, Magister etc.) ausgliedern, also gewissermaßen bereits in der Universität eine vereinfachte Variante bieten: Die lehramtsbezogenen Veranstaltungen sollen – auf der Basis einer Verständigung über das für den (jeweiligen) Fachunterricht Notwendige und Sinnvolle – in großen Teilen, insbesondere bei den Grundlagen, mit den Hauptfachstudiengängen verknüpft sein.
Es ist eines der schon traditionellen und ganz großen Defizite der Diskussion um die Lehrerbildung, dass die wissenschaftlichen Disziplinen bzw. die Schulfächer – beides ist natürlich nicht identisch – sich in dieser Debatte so stark zurückhalten. Sie sollten sich allerdings allmählich selbst fragen, wie lange sie sich dieses Schweigen noch leisten wollen und können. Dabei ist nicht nur an die Tatsache zu erinnern, dass in sehr vielen Universitätsdisziplinen bzw. Fachbereichen große Teile der Personalkapazität nur deshalb vorhanden sind, weil es Verpflichtungen in der Lehrerbildung gibt. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Disziplinen selbst – ganz unabhängig von der Lehrerbildung – sich dem Problem der Vermittlung ihrer Erkenntnisse, Probleme und Chancen in die Öffentlichkeit hinein mehr Aufmerksamkeit widmen sollten. Auch im Rahmen der Erprobung konsekutiver Lehrerbildung (Bachelor/Master–Strukturen) dürfen die Fächer nicht aus der Verantwortung für diese Aufgaben entlassen werden; sowohl in der Bachelor–Stufe sind deshalb Bereiche vorzusehen, die einen reflexiven Rückbezug auf [/S. 31:] Fächer und ihre Grenzen, auf fächerverbindende und fächerunabhängige Kompetenzen, auf Argumentations– und Vermittlungskompetenz etc. abzielen.
(2) Im Bereich des erziehungswissenschaftlichen und schulpädagogisch-didaktischen Wissens ist die tatsächlich erreichbare Wirkung immer vergleichsweise bescheiden anzusetzen; das erziehungswissenschaftliche Studium nimmt je nach Bundesland schließlich nur zwischen 5 % und ca. 20 % des Gesamtvolumens eines Lehramtsstudiengangs ein. Wenn es gelingt, als Ergebnis dieser teilweise nur 8 SWS, z.T. aber auch 32 und mehr SWS Absolventen zu bekommen, die etwas über Theorie und Geschichte der Schule wissen, die aktuelle bildungspolitische Kontroversen einzuordnen vermögen, die Lern–, Entwicklungs– und Sozialisationstheorien kennen, denen die Lern– und Entwicklungsprobleme von Kindern und Jugendlichen nicht fremd sind, die sich in den Didaktiken auskennen, um die Problematik der Leistungsbeurteilung wissen und mit Ergebnissen der empirischen Unterrichtsforschung etwas anfangen können – wenn alles dies regelmäßig tatsächlich erreicht werden könnte, wäre verglichen mit dem jetzigen Stand schon viel erreicht. Keineswegs jedoch kann man erwarten, dass das erziehungswissenschaftliche Studium innerhalb der universitären Lehrerbildung (1. Phase) den Absolventen gewissermaßen berufsfertig entlässt.
(3) Ein ganz wichtiger Standard universitärer Lehrerbildung lautet: Ein Absolvent muss fachdidaktisch analysieren und argumentieren können. Er muss dazu in der Lage sein, sein Fach bzw. seine Fächer unter dem Gesichtspunkt der Lehrbarkeit und Lernbarkeit – auch unter dem Gesichtspunkt von Lernschwierigkeiten bei Schülern sowie unter dem Gesichtspunkt der Fächergrenzen und deren Überwindung – zu erörtern. Während das fachbezogene Wissen sich lediglich auf zu vermittelnde Inhalte und deren Hintergründe bezieht, und das in die Lehrerbildung eingebaute erziehungswissenschaftliche Wissen ‚inhaltsneutral' und eher allgemein auf Probleme und Prozesse des Schulsystems, des Unterrichts und des Lehrerberufs abhebt, bietet das Feld der Fachdidaktik die Möglichkeit einer Verschränkung von inhalts– und prozessbezogener Perspektive. Genau dies ist ein zentrales Element innerhalb der Lehrerkompetenz.
Um dies in der 1. Phase anbahnen und erreichen zu können, muss die Fachdidaktik einen angemessenen Platz innerhalb des Lehrerbildungscurriculums erhalten (s.u.). Dies kann am Ende der ersten Phase noch nicht vollständig unterrichtspraktisch durchdekliniert sein; gleichwohl wird jede zukünftige Lehrerbildung diesen fachdidaktischen Standard ernster nehmen müssen als bislang. Auch dies gilt unabhängig von der Frage: konsekutiv oder grundständig!
(4) Schließlich: Ein Absolvent der 1.Phase sollte dazu in der Lage sein, seine Berufswahl auch vor dem Hintergrund von praktischen Erfahrungen während schulpraktischer Studien zu reflektieren und zu vertreten. Die Erfahrung der eigenen Person in der Schu– [/S. 32:]le, mit Kindern und Heranwachsenden, mit Eltern und Kollegen ist ein wichtiges Element innerhalb der studentischen Sozialisation. Schulpraktische Studienelemente sind dabei nicht schon ‚an sich' positiv – etwa in dem Sinne, dass diejenige Lehrerbildung die beste ist, die die meisten Praktika enthält: Es kommt nicht darauf an, schon im Studium das Einsozialisieren in bestehende Berufsroutinen und –kulturen anzubahnen oder zu ‚üben', sondern es muss darum gehen, neben der Erprobung der eigenen Person den kritisch–reflektierenden Blick sowohl auf die bislang im Studium vermittelten Inhalte wie auch auf die in der Praxis angetroffene Realität zu entwickeln. Zielperspektive kann das ‚forschende Lernen' sein. Inwieweit es tatsächlich dazu kommt, und inwieweit die Lehrenden in den Fachdidaktiken wie in den am erziehungswissenschaftlichen Studium beteiligten Disziplinen dies anzuleiten bereit und in der Lage sind – auch dies wird eine interessante Frage für die Evaluation sein.
Standards für die ausgebildeten Lehrer (Absolventenstandards):Die Standards für die ausgebildeten Lehrer werden getrennt für die 1. und 2. Phase ausgewiesen. Sie orientieren sich einerseits an bestimmten inhaltlichen Bereichen (senkrechte Achse) und andererseits an unterschiedlichen Ebenen (Stufen) der Kompetenz (waagerechte Achse):
1. Phase:
Bereiche | Wissen | Reflexion | Kommunikation | Urteil |
Unterrichtsfächer | XXX | XX | XXX | XX |
Fachdidaktiken | XXX | XXX | XXX | XX |
Erziehungswissenschaften | XXX | XXX | xxx | xx |
Schulpraktische Studien | xx | xxx | xxx | xx |
Für diese vier Bereiche (Unterrichtsfächer, Fachdidaktiken, Erziehungswissenschaften, Schulpraktische Studien) werden jeweils Standards formuliert: [/S. 33:]
10 Standards für die Unterrichtsfächer(17)
10 Standards für die Fachdidaktiken
10 Standards für das erziehungswissenschaftliche Studium
Bereiche | Wisen | Reflexion | Urteil | Können |
Kompetenz in den Unterrichtsfächern | X | XX | XXX | XXX |
Kompetenz in fachdidaktischer Hinsicht | X | XX | XXX | XXX |
Kompetenzen in pädagogischer Hinsicht | X | XX | XXX | XXX |
Kompetenzen in Schul–/Unterrichtsentwicklung | X | XX | XXX | XXX |
10 Standards für die Absolventen der 2. Phase:
Damit sind personenbezogene Standards benannt, die am Ende der ersten und zweiten Phase erfüllt sein sollten. Entscheidend ist, ob man Modalitäten des Evaluierens/Prüfens findet, die es erlauben, das Vorliegen bzw. auch den relativen Grad des Vorliegens dieser Standards zu ermitteln.
Hinsichtlich einer Erfassung der Ergebnisse der 1.Phase im Bereich der erziehungswissenschaftlichen Studien liegen einige wenige punktuelle Forschungen vor.(18) Eine (nicht repräsentative) Studie über die u.a. auf das erziehungswissenschaftliche Begleitstudium bezogenen Lesegewohnheiten von Wigger (2000; Keiner 2000) bringt eher deprimierende Ergebnisse. Befragungen von Absolventen zur Einschätzung der Qualität und des Wertes ihrer Ausbildung sind nicht unwichtig, unterliegen jedoch starken Verzerrungen. Evaluation von Ausbildung muss mehr sein als eine nachgängige Befragung von Absolventen zu Erfahrungen und Wert der Ausbildung: Die tatsächlich erworbenen Kompetenzen müssen – an Standards orientiert – erfasst werden.
Der aktuellste und am weitesten ausgearbeitete Versuch einer solchen Evaluation der erziehungswissenschaftlichen Studienanteile wird derzeit von A. Nolle an der Universität Dortmund (Institut für Schulentwicklungsforschung) durchgeführt (Dissertation): Erfasst werden Lehramtsstudierende der Universitäten Bremen (n=26), Dortmund (287), Leipzig (309) und Erlangen–Nürnberg und Bamberg (n=264). Somit lagen insgesamt 886 auswertbare Fragebögen vor. Einschränkend muss angemerkt werden, dass es [/S. 36:] sich um eine Befragung von Studierenden handelt; 508 der Befragten befanden sich noch im Grundstudium! Insofern kann man nicht von einer Analyse der Wirkungen des erziehungswissenschaftlichen Studiums sprechen; es handelt sich vielmehr um eine Befragung der Teilnehmer während des Prozesses der Lehrerbildung zum erziehungswissenschaftlichen Ausschnitt des Lehramtsstudiums. Darüber hinaus erfolgt diese Evaluation nicht mit Blick auf vorab definierte Standards (also gewissermaßen ‚lernzielorientiert'), sie erfolgt vielmehr als eine Erfassung des Zustandes, die erhaltene Verteilungen (Durchschnitte, Abweichungen etc.) zeigt (also gleichsam ‚durchschnittsorientiert').
Hinsichtlich der Vorgehensweisen bei der Überprüfung des Grades der Erreichung von Standards sind – bei der Personenevaluation – verschiedene Formen praktikabel und praktiziert worden:
Vier Stufen einer an Standards orientierten EvaluationDiese vier Formen einer an Standards orientierten Evaluation (auf der Personenebene) sind auf einer Skala von einfach/wenig aussagekräftig bis anspruchsvoll/sehr aussagekräftig anzuordnen; sie stellen Stufen dar. Die Selbsteinschätzung, die bislang dominierte, auch noch in der Schweizer Studie, sollte in dem angestrebten Evaluationen keines– [/S. 37:] wegs die alleinige Basis sein – sie sollte sogar weitgehend minimiert werden. Die zweite Stufe – testdiagnostische Verfahren (Papier und Bleistift) sollte dominieren, da mit ihr aussagekräftigere Informationen gewonnen werden können. Sie sollte aber – zumindest punktuell – durch Beobachtungs–/Beurteilungsverfahren mit Blick auf das berufliche Handeln ergänzt werden; dies in einem quantitativ begrenzten Rahmen. Die vierte Stufe – Erfassung der Wirkungen bei Schülern – halte ich, wie oben bereits dargelegt, angesichts der immensen theoretischen und methodischen Probleme, des sehr hohen Aufwandes und der am Ende nicht präzise zu ermittelnden Zusammenhänge zum gegenwärtigen Zeitpunkt für nicht opportun: Der ungewöhnlich hohe Aufwand stünde in keinem Verhältnis zum unsicheren Ertrag.
Insofern besteht die Aufgabe bei der Personenevaluation darin, die Standards weiter zu konkretisieren und auf dieser Basis dann sowohl geeignete diagnostische Instrumente zu entwickeln wie auch entsprechende ergänzende Beobachtungsverfahren. Wenn sich dann etwa zeigen ließe, dass – richtig konstruiert und durchgeführt – diagnostische Verfahren zuverlässig zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie Beobachtungsverfahren, so könnte man auf letztere – da aufwendig – verzichten. Genau dies aber muss vorher erprobt werden.