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Lange, Hermann (2004): Defizite und neue Konzeptionen in der Lehrerbildung. Qualitätssicherung über Peer–Review–Verfahren

Als Folge der Diskussion um eine Reform der Lehrerbildung der letzten Jahre ist inzwischen eine erstaunlich große Zahl an Reformaktivitäten in den deutschen Hochschulen zu verzeichnen (Bellenberg, Thierack 2001; Winter 2004). Freilich ist die Frage noch kaum zuverlässig zu beantworten, wie nachhaltig die Bemühungen sind und welche Unterstützung sie bei der großen Zahl der an der Lehrerbildung beteiligten Institutionen und Personen wirklich finden. Wird es gelingen, den eingeleiteten Reformprozess "auf Kurs" zu halten, ihn – wo nötig – zu verbreitern und ihn letztlich zu dem gewünschten Erfolg zu führen? Dabei müsste eine "neue Lehrerbildung", um erfolgreich zu sein, Lehrerinnen und Lehrer befähigen, durch ihren Unterricht bessere Lernergebnisse von Schülerinnen und [/S. 7:] Schülern zu erreichen, als dies bei der "alten" der Fall war, und die Lehrkräfte gleichzeitig besser dafür rüsten, die mit dem Beruf verbundenen Belastungen und Krisen und die sich in diesem Rahmen immer wieder neu stellenden Anforderungen über einen langen Zeitraum hinweg zu bewältigen.

lehrerbildung_kmk.pdf [1]
 

Das Dilemma von Bildungspolitik und Bildungsadministration

Angesichts der gegenwärtigen Defizitbefunde und neuen Konzepten und Vorschlägen der Lehrerbildung in Deutschland ist die Lage von Bildungspolitik und Bildungsverwaltung nicht einfach. Sie haben die Verantwortung für das – in Deutschland noch immer weitgehend staatlich organisierte – Schulwesen einschließlich der Ausbildung der in den Schulen tätigen Lehrkräfte. Ihre Ausbildungsverantwortung wird gegenwärtig dadurch noch besonders akzentuiert, dass die Abschlussprüfungen am Ende des Studiums und des Referendariats als "Staatsprüfungen" abgenommen werden. Die Bildungsverwaltung übernimmt damit gewissermaßen selbst die Qualitätsgewähr für die Absolventen einer Lehramtsausbildung, ohne über empirisch gesichertes Wissen zu verfügen, was eine gute Ausbildung auszeichnet, und ohne das Handeln der für die Ausbildung verantwortlichen Institutionen ernsthaft beeinflussen zu können. Erkennt sie Mängel der bisherigen Ausbildung, fehlt ihr doch zumeist das Wissen, wie Ausbildungsalternativen aussehen könnten und wie diese gegebenenfalls durchzusetzen wären. Letzteres gilt allemal im Verhältnis der Bildungsadministration zu den Hochschulen, in abgeschwächter Form aber auch für das Verhältnis zu den anderen Institutionen der Ausbildung (Studienseminare, Schulen).

Mit dieser Situation ist auszukommen, solange alle Beteiligten an die Richtigkeit und die Wirksamkeit dessen glauben, was sie immer getan haben, und die Voraussetzungen und Ergebnisse ihres Handelns nicht wirklich hinterfragen. Kritisch wird es jedoch dann, wenn die Wirksamkeit und die Zweckmäßigkeit des gewohnten Handelns in Frage gestellt werden und die Frage nach möglichen Handlungsalternativen auftaucht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausbildung sich nicht mehr darauf beschränkt, die Dogmatik der überkommenen Vorstellung von Schule und die damit verbundenen Konventionen weiterzugeben, sondern den Anspruch der Wissenschaftlichkeit ernst nimmt, d.h. von der Voraussetzung ausgeht, die Grundlagen des Lehrens und Lernens wissenschaftlich klären und vermitteln zu können und nach Maßgabe des Fortschritts wissenschaftlicher Erkenntnis jeweils auch Ausbildungskonzeptionen weiterzuentwickeln. Der wissenschaftliche Anspruch der Ausbildung beschränkt sich nicht auf die Vermittlung eines Wissens, welches sich jeweils an dem aktuellen Stand der Forschung orientiert, sondern er zielt im Kern auf eine Haltung, die um die Unabgeschlossenheit des Erkenntnisprozesses weiß und die sich deshalb auch im Beruf selbst für Veränderungen offen hält, welche aus neuen Problemwahrnehmungen und neuen Erkenntnissen zu Möglichkeiten und Bedingungen der Problemlösung resultieren. Lehrerbildung endet deshalb nicht mit dem Studium. Sie wird zu einer Entwicklungsaufgabe, die sich im Beruf fortsetzt. Die damit angesprochenen Entwicklungen beziehen sich auf unterschiedliche Ebenen. Sie betreffen die Ebene des Gesamtsystems ebenso wie das Handeln der einzelnen beteiligten Institutionen (Hochschulen, Bildungseinrichtungen der zweiten Phase der Lehrerbildung wie der Fortbildung, Schulen) und der Individuen. [/S. 8:]

Der Versuch, den damit notwendigen Entwicklungsprozess mit einer Vielzahl Beteiligter, welche auf unterschiedlichen Handlungsebenen angesiedelt sind und im Rahmen der Gesamtaufgabe Lehrerbildung jeweils auch eine eigene Perspektive einbringen und eigene Zielsetzungen verfolgen, aus einer Hand gesamthaft inhaltlich zu steuern, kann nicht gelingen. Lösungen lassen sich zudem nicht allein politisch, d.h. mit Hilfe von Macht durchsetzen, die aus der formalen Position im Rahmen einer Hierarchie entspringt. Sie erfordern vielmehr eigene Kommunikationsformen, in denen die jeweils verfolgten Lösungen zu legitimieren und die notwendige Kooperation und Koordination der Beteiligten sicherzustellen sind. Hierfür bieten sich Handlungslehrerbildung an, in deren Rahmen die beteiligten Institutionen und Akteure ausreichende Spielräume für ein autonomes Handeln erhalten, die Möglichkeiten der Selbststeuerung der beteiligten Institutionen genutzt werden, wo immer dies möglich ist, und die politisch verantwortliche Bildungsadministration sich darauf konzentriert, die Rahmenbedingungen für Entwicklungsprozesse zu definieren, zur Klärung ihrer Ziele beizutragen, Anreize für das Ingangsetzen derartiger Prozesse zu schaffen, auf die Koordination der beteiligten Institutionen hinzuwirken sowie durch prozedurale Regelungen eine Wirkungskontrolle und ein Feedback zu initiieren, welches Veränderungen im Prozessverlauf ermöglicht.

Dies heißt nicht, dass die Inhalte der Lehrerbildung ihre Bedeutung für Bildungspolitik und Bildungsadministration verlieren. Gesagt ist nur, dass letztere sich den Inhalten nicht länger gewissermaßen im direkten Zugriff zuwenden können, sondern dass sie eines Verfahrens bedürfen, welches auf eine wirksame Weise Selektionshilfe leistet und die Komplexität all des möglicherweise Relevanten auf ein Format bringen kann, das leichter zu überschauen ist, Handlungsalternativen klärt, die Konsensbildung vorbereitet und Entscheidungen möglich macht. Hilfreich sind solche Verfahren, wenn sie der Bildungsadministration ermöglichen, zunächst nicht die Sache selbst zu thematisieren, sondern sich auf die Klärung der Prozeduren zu konzentrieren, in denen die Sache schließlich zur Sprache gebracht werden soll. Dazu gehört vor allem die Einrichtung von Gremien zur Entscheidungsvorbereitung. Deren Auftrag muss noch nicht die ganze Komplexität der Sache ausloten. Er darf auch nicht vorschnell in die Tiefe dringen. Kriterium für die Berufung der Mitglieder dieser Gremien ist deshalb auch nicht, welche Meinung diese in der Sache vertreten. Entscheidend ist vielmehr, welche "Reputation" sie in die Waagschale werfen können und welche Interessen sie repräsentieren. Die Reputation der an der Entscheidungsvorbereitung beteiligten Personen ist ein wichtiger Aspekt für die Akzeptanz der von ihnen ausgesprochenen Empfehlungen.

Auf der Basis der Reputation der an Entscheidungen beteiligten Personen, mithin in der Form von Peer Reviews, wird seit langem in dem durch funktionale Spezifikation und Ausdifferenzierung mit hoher Autonomie der beteiligten Akteure gekennzeichneten Wissenschaftssystem über Positionen, über die Einrichtung und Veränderung organisatorischer Strukturen, über Projektförderung und Finanzmittel sowie über Publikationsmöglichkeiten entschieden. Reputation fungiert in der Wissenschaft "als Medium der Kommunikation". Sie klärt die "Beachtlichkeit von Äußerungen", verbindet "den akademischen Meinungsmarkt mit dem System für offizielle Verteilungsentscheidungen" und legitimiert diese zugleich für die Systemumwelt (Luhmann 1973, S. 236 f.). Die Forschungsförderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, [/S. 9:] die Evaluation wissenschaftlicher Einrichtungen im Rahmen der "Blauen Liste" durch den Wissenschaftsrat, die mannigfachen Bemühungen um die Evaluation von Hochschulen oder die Review–Systeme renommierter wissenschaftlicher Zeitschriften sind hierfür prominente Beispiele.

Es fehlt nicht an kontroverser Diskussion über Vorteile und schädliche Nebenwirkungen der dadurch bestimmten Entscheidungsprozeduren: Das Verfahren der Peer Reviews diene der Qualitätssicherung, sei aber auch in der Gefahr, eher "normal science" zu begünstigen und nicht zwangsläufig epochemachende Fortschritte der Forschung zu sichern, es könne die Bildung von Seilschaften unterstützen und es führe zu zufallsbestimmten oder von der Subjektivität der ausgewählten Gutachter beeinflussten Entscheidungen (zur Diskussion um Peer Reviews: Daniel 1993 sowie die Beiträge im Rahmen des Ringsberg–Symposiums 2002 der Max–Planck–Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft). Freilich ist der Vorwurf unsachgerechter Entscheidungen empirisch schwer zu belegen und durch einschlägige Untersuchungen nicht bestätigt worden (Neidhardt 1988). Zudem gibt es offenbar bisher kein anderes leistungsfähiges Verfahren, das in ähnlicher Weise akzeptierte Entscheidungen begründen kann. Deshalb behaupten sich trotz dieser Kritik die durch Peers bestimmten Entscheidungsverfahren in der Wissenschaft unverändert.

 

Veränderungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen

Es ist kein Zufall, dass Bildungspolitik und Bildungsadministration in jüngerer Zeit bei der Vorbereitung der Reform der Lehrerbildung und bei der Umsetzung getroffener Strukturentscheidungen – wie auch in anderen schulpolitisch bedeutsamen Fragen (z.B. in der Diskussion die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungswesens oder um "Bildungsstandards") – in verstärktem Maße um die Beteiligung renommierter Vertreter der Wissenschaft bemüht sind. Man kann die Entwicklung, wie sie sich derzeit in der Bundesrepublik – mühsam genug, in bestürzender Langsamkeit und ohne, dass sich die Beteiligten der Logik dieser Entwicklung in jedem Falle wirklich klar sein müssten – vollzieht, in mehrfacher Hinsicht als prinzipiell bedeutsam ansehen. Es geht nicht allein um eine pragmatische Entlastung von einem aktuellen Entscheidungsdruck oder gar um den Ausdruck der in der Öffentlichkeit vielfach als "Kommissionitis" kritisierten Verlagerung politischer Entscheidungen in politisch nicht verantwortliche Gremien von Sachverständigen.

Der Prozess hat seine Logik vielmehr darin, dass als Folge der Verwissenschaftlichung der Lehrerbildung die Wissenschaft selbst in die Vorbereitung der komplexer werdenden Strukturentscheidungen in geeigneter Form einbezogen sein muss. Man kann darin zugleich eine Annäherung an Konsequenzen aus der Entwicklung zur "Informationsgesellschaft" sehen, in der nicht mehr die herkömmliche "Trial–and-Error–Methode", sondern zunehmend systematisches theoretisches Wissen die Neuerungen steuern und das Handeln von Politik und Verwaltung bestimmen muss (Bell 1975, S. 361 ff.). Letzteres heißt nicht, dass politische Entscheidungen nunmehr mit dem Wahrheitsanspruch wissenschaftlicher Erkenntnis getroffen werden können. Sie bleiben Ausdruck eines Handelns unter Unsicherheit, das sich seiner Folgen nie sicher sein kann, das deshalb auch um die Klärung der Folgen bemüht sein und für [/S. 10:] sie Verantwortung übernehmen muss. Dies schließt die Verpflichtung ein, vorhandenes Wissen zu nutzen und sich fehlendes Wissen zur Klärung der Voraussetzungen und der möglichen Folgen des Handelns zu beschaffen, wo Wissen möglich ist.

Vertreter der Wissenschaft spielten sowohl in der "gemischten Kommission" der Kultusministerkonferenz als auch im Wissenschaftsrat bei der Vorbereitung wesentlicher Strukturempfehlungen eine maßgebende Rolle. Sie sichten in Konsequenz dieser Entscheidungen konkret die Wissenschaftslandschaft in einzelnen Ländern zur Vorbereitung grundlegender Strukturentscheidungen und zur Beförderung konkreter Reformschritte in den einzelnen Hochschulen (vgl. z.B. Arbeitsgruppe Lehrerbildung Niedersachsen 2002) und sie unterstützen die Hochschulen in deren eigenen Bemühungen um die Evaluation von Forschung und Lehre als Basis konkreter Prozesse der Hochschulentwicklung in diesem Bereich (vgl. z.B. Expertengruppe Frankfurt 2003).


Mit diesen beispielhaft angesprochenen Vorgängen sind zugleich die unterschiedlichen Handlungsebenen und die damit verbundenen unterschiedlichen Formen eines Peer Reviews angesprochen. Damit wird der Begriff des Peer Reviews zugleich sehr weit gefasst. Er betrifft nicht nur Verfahren, in denen die Peer Group als geschlossenes Gutachter– oder Beratungsgremium dem Beratenen gegenübertritt, sondern auch solche, in denen im Beratungsprozess von Anfang an Berater und Beratene zusammenwirken. Gremien, die – wie die "gemischte Kommission Lehrerbildung" der Kultusministerkonferenz oder der Wissenschaftsrat – politisches Handeln vorbereiten sollen, sind häufig nach dem lehrerbildung des "policy–advisor–interface" strukturiert. In ihnen wirken Wissenschaftler und Vertreter des politisch-administrativen Bereichs zusammen. Die Beteiligung der Wissenschaft öffnet den Blick für die Vielfalt der Aspekte, die zu bedenken sind, macht die Entwicklung von Handlungsalternativen möglich, die den Rahmen der von den Apparaten getragenen Üblichkeiten sprengen, sichert die Einbeziehung vorhandenen Wissens, unterstützt die Akzeptanzbeschaffung bei den Betroffenen und schützt den Beratungsprozess davor, sich in einer vorurteilsgeleiteten Bestätigung der gegebenen Praxis zu erschöpfen. Die Beteiligung des politisch-administrativen Bereichs bezieht diesen von Anfang an in die Klärung der gegebenen Handlungsalternativen ein und sichert zugleich, dass die unvermeidlichen Restriktionen politisch-administrativer Entscheidungen in der gebotenen Weise zur Geltung kommen.

Fruchtbar ist die gemeinsame Beratung von Wissenschaft und Bildungspolitik dann, wenn beide Seiten sich wirklich aufeinander einlassen und einen konstruktiven Dialog führen und nicht nur ideologische Grundpositionen austauschen. Dies stellt vor allem Anforderungen an die politisch-administrative Seite, welche sich auch auf eine ernsthafte Diskussion von Überlegungen zu einer weit reichenden Veränderung der gegebenen Situation einlassen muss und den Peer Review nicht lediglich zur Legitimation bereits getroffener Entscheidungen benutzen darf. Positionsbestimmungen und Vorschläge, welche aufgrund eines solchen Beratungsprozesses formuliert werden, haben den Charakter von Empfehlungen, die die politisch Verantwortlichen nicht binden und von ihnen ggf. in eigener Verantwortung umzusetzen sind. Wenn der gemeinsame Beratungsprozess nicht ad absurdum geführt werden soll, bedarf es freilich triftiger Gründe, wenn den Empfehlungen nicht gefolgt werden soll. [/S. 11:]

Von den durch die Bildungspolitik oder die Bildungsadministration initiierten Beratungsprozessen zu unterscheiden sind Peer Reviews, die von einzelnen Institutionen zur Unterstützung ihrer eigenen Entwicklung veranlasst werden. In ihnen spielen die Peers die Rolle der "critical friends", welche den Entwicklungsprozess der jeweiligen Institution aus einer Außenperspektive unterstützend begleiten sollen. Die "critical friends" sind dabei zumeist Personen mit "Reputation" auf der Ebene der beratenen Institution, bei der Beratung von Hochschulen also selbst renommierte Hochschullehrer, bei der Beratung von Institutionen der Fort– und Weiterbildung oder von Schulen leitende Mitarbeiter vergleichbarer Einrichtungen. Aber es empfiehlt sich, auch das eine oder andere Mitglied aus einem anderen Arbeitsbereich hineinzunehmen, um den Blick zu weiten. Für das Verfahren eines solchen Peer Reviews wird häufig eine Struktur gewählt, bei der die betroffene Institution zunächst selbst ihre Situation analysiert und ihre Zielsetzungen und Entwicklungsvorstellungen artikuliert, um sie dann im Rahmen einer Begehung mit Peers zu erörtern und daraus Schlüsse für die nächsten Entwicklungsschritte zu ziehen (Bülow–Schramm 1996; Watschinger, Schenk, Zangerle 1999; Stifter 2002). Den Auftrag und damit auch den Referenzrahmen seiner Erledigung bestimmt die Institution, um deren Entwicklung es geht. Aufgabe der Peers ist es, die Positionsbestimmung der beratenen Institution zu hinterfragen und damit zur Klärung der Zielsetzungen und der Schlüssigkeit des darauf gerichteten Handelns beizutragen, "blinde Flecken" in der Selbstwahrnehmung der Beratenen sichtbar zu machen, durch neue Sichtweisen weitere Entwicklungshorizonte zu eröffnen und mögliche Handlungsalternativen in Vorschlag zu bringen.

Die Peers wirken insofern als wichtige Katalysatoren und Verstärker der innerorganisatorischen Klärungs–, Meinungsbildungs– und Konsensanbahnungsprozesse. Eine solche Beratungsaufgabe ist nicht einfach. Sie macht die Einfühlung in die Position der beratenen Institution und ihrer Entwicklungsvorstellungen erforderlich. Die Peers müssen deren Ausgangsposition keineswegs unkritisch hinnehmen. Aber es hilft nichts, wenn Berater und Beratene in Grundfragen, welche durchaus kontrovers beurteilt werden können, fundamental im Dissens sind, die Peers etwa, um ein aktuelles Beispiel zu wählen, eine konsekutive Lehrerbildung in Vorschlag bringen und daran alle Pläne der beratenen Hochschule messen, wo sich diese mit einer nachvollziehbaren Argumentation für das Festhalten an dem Modell der grundständig-integrierten Lehrerbildung entschieden hat. In einer solchen Situation ist es nützlich und notwendig, die Argumente für und gegen die eine oder die andere Lösung auszutauschen und die jeweiligen Präferenzen zu begründen, sich im übrigen aber auf den von der beratenen Institution gewählten Ansatz einzulassen und diesen von seiner eigenen Logik her zu beurteilen.

Es ist deshalb unerlässlich, die Beurteilungsmaßstäbe, von denen die Peers ausgehen, vorab sorgfältig zu klären und offen zu legen. Dies dürfte in der Vergangenheit nicht immer in der gebotenen Klarheit geschehen sein. Hier können "Standards der Lehrerbildung" ungemein hilfreich sein, wie sie derzeit aufgrund einer Expertise (Terhart 2002) in der Kultusministerkonferenz beraten werden. In der Expertise werden näher benannte Standards für die Individuen (Absolventen), die Ausbildungsinstitutionen (1. und 2. Phase) und für das Steuerungssystem der Lehrerbildung in Vorschlag gebracht. Angesichts der oben angesprochenen [/S. 12:] Schwierigkeiten, die Wirkungskette zwischen Lehrerbildung, Lehrerhandeln und Schülerlernen in empirisch belegter Weise nachzuzeichnen und demgemäß die Qualität der Lehrerbildung unmittelbar an den Lernergebnissen von Schülerinnen und Schülern zu klären, thematisieren die vorgeschlagenen Standards zunächst nur die Ergebnisse der Ausbildung auf der Ebene von Studium und Referendariat. Sie formulieren in plausibler Weise Aspekte, auf die es auch im Blick auf ihre Wirkung im schulischen und unterrichtlichen Handeln der Lehrkräfte "ankommen könnte", um diese einer offensiven Erörterung und Erprobung zugänglich und sie damit transparent, diskutierbar und überprüfbar zu machen (Terhart 2002, S. 14 f.). Dies ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung rationaler und konstruktiver Beratungsverfahren.

 

Schlussbemerkung

Mit der Formulierung von Standards ist klar, dass sich die Strategen einer Reform der Lehrerbildung – um die zur Charakterisierung unterschiedlicher Strategien der Lehrerbildung in den Vereinigten Staaten üblichen Termini noch einmal aufzugreifen – auf die Seite der "Professionalisierer" geschlagen und damit gegen die "Deregulierer" entschieden haben. Denn "Standards", an denen die Qualität der Ausbildung gemessen werden soll, geben nur einen Sinn, wenn die Ausbildung angehender Lehrkräfte nicht beliebig ist. Dies ist noch immer, bei allen Schwierigkeiten, die "Wirkungsketten", von denen oben die Rede war, empirisch nachzuzeichnen, die plausibelste Annahme. Vielleicht gelingt es eines Tages doch, über bloße Hypothesen hinaus, empirische Belege für diese Annahme zu finden. Auch hier liegt ein wichtiges Feld empirischer Forschung. [/S. 13:]

 

Literaturverzeichnis

Arbeitsgruppe Lehrerbildung der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen (2002): Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung in Niedersachsen. Abschlussbericht vom 25.10.2004.

Bell, D. (1975): Die nachindustrielle Gesellschaft. Frankfurt am Main.

Bellenberg, G.; Thierack, A. (2001): Die LehrerInnenausbildung in Deutschland. Bestandsaufnahme und Reformbestrebungen. Projekt B 8330 im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Essen.

Bülow–Schramm, M. (1995): Frischer Wind für Evaluation? Chancen und Risiken von peer review an deutschen Universitäten (2. geringf. veränderte Auflage). Interdisziplinäres Zentrum für Hochschuldidaktik. Hamburg.

Daniel, H.–D. (1993): Guardians of Science. Fairness and Reliability of Peer Review. Weinheim u.a..

Expertengruppe Frankfurt (2003): Frankfurter Interne Evaluation der Lehramtsstudiengänge (FIEL) Abschlussbericht der externen Begutachtung durch die Experten. Manuskript.

Luhmann, N. (1973): Selbststeuerung der Wissenschaft. In: Luhmann, N. (Hrsg.): Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. Band 1, (3. Aufl.). Opladen, S. 232-252.

Neidhardt, F. (1988): Selbststeuerung in der Forschungsförderung. Das Gutachterwesen der DFG. Opladen.

Stifter, E. P. (2002): Qualitätssicherung und Rechenschaftslegung an Universitäten: Evaluierung aus rechts- und sozialwissenschaftlicher Sicht. Wien u.a..

Terhart, E. (Hrsg.) (2000): Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlussbericht der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Kommission. Weinheim, Basel.

Terhart, E. (2002): Standards für die Lehrerbildung. Eine Expertise für die Kultusministerkonferenz. ZKL–Texte Nr.24. Münster.

Watschinger, J.; Schenk, V.; Zangerle, R. (2001): Lernen mit kritischen Freunden. Wechselseitige Evaluation unter Schulleitern. In: Becker, G.; Ilsemann, C. v.; Schratz, M. (Hrsg.): Qualität entwickeln: evaluieren. Seelze, S. 94-97.

Winter, M. (2004): Ausbildung zum Lehrberuf. Zur Diskussion über bestehende und neue Konzepte der Lehrerausbildung für Gymnasium bzw. Sekundarstufe II. Arbeitsberichte 3'04. Wittenberg.


 
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