Ich will zum Schluss mit einigen Hinweisen auf den Beginn zurückkommen: Ist von den Bemühungen der 70erJahre gar
nichts geblieben? Haben sich beide Fächer in ihren Stellungen verschanzt? Sind getrennte Lehrplangleise gezogen, die es
nicht zulassen, dass die Zusammenarbeit zwischen Geschichtsunterricht und Politikunterricht nicht nur didaktisch und theoretisch
begründet, sondern auch im Unterricht praktiziert werden kann?
Folgendes ist geblieben:
- Eine gründliche Diskussion von den verschiedensten Positionen her liegt bereit, ein Material, auf das man
zurückgreifen muss, wenn man Zusammenarbeit von Geschichts- und Politikunterricht plant. Ich sehe dabei als wichtigste,
bisher noch nirgends klar herausgearbeitete Erkenntnis, dass nicht "der" Politikunterricht und nicht "der"
Geschichtsunterricht, sondern dass in beiden Fächern die unterschiedlichsten Konzeptionen das gegenseitige Verhältnis
bestimmen. Ich habe indirekt durch die Illustration mit Hilfe der Kreise gesagt, welche Konzeptionen von Politik- und
Geschichtsunterricht ich für untauglich halte für eine Zusammenarbeit, nämlich die isolationistischen einerseits
und die holistischen andererseits. Immer wieder verweise ich in diesem Zusammenhang auf den Aufsatz von Dahrendorf (1964) "Ungewissheit, Wissenschaft und Demokratie", in dem politische
Institutionen, wissenschaftliche Erkenntnisweisen und damit auch intentionale, öffentliche Lehre mit Wissen um die
Begrenztheit und legitime Widersprüchlichkeit menschlicher Erkenntnis in ein Verhältnis gesetzt werden, das der
wechselseitigen Begrenzung und Infragestellung bedarf, um der Dogmatisierung des Irrtums vorzubeugen.
- Neben diesem in den 70er und den frühen 80er Jahren produzierten Reflexionspotential bleiben uns auch eine Reihe
praktischer und verwendbarer Materialien, auf die zurückgegriffen werden kann, die aber auch weiterzuentwickeln sind und im
Alltag des Unterrichts brauchbar bleiben. Ich verweise auf die Vielzahl von Unterrichtseinheiten zum politischen und zum
historischen Unterricht, die ein breites &Uml;berschneidungsspektrum aufweisen, auf die selbst in die Richtlinien eingegangenen
nützlichen Hinweise zu Gemeinsamkeiten der Lernziele. Freilich bedarf es einiger Anstrengung des Lehrers, sich dieses
Material zu eigen zu machen und es im Unterricht einzusetzen.
- Am wenigsten zufriedenstellend fällt die Erbschaft der 70er und 80er Jahre im Hinblick auf die Richtlinien aus.
Nachdem für die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II der gleichsam imperialistische Zugriff der Gesellschaftslehre auf
den Geschichtsunterricht scheiterte, entstand im breiten Feld bundesrepublikanischer Lehrpläne als Hauptlinie eben nicht
eine durchdachte, in den Richtlinien vorgezeichnete Zusammenarbeit, sondern eine jeweils besondere Lehrplanspur der Fächer.
Ich schwanke in meinem Urteil, ob dies eher schädlich oder eher nützlich ist. Nützlich insofern, als es
problematisch ist, eine Zusammenarbeit in Amtsblättern mit Rechtskraft festzuschreiben, die didaktisch und methodisch nicht
fundiert ist; schädlich insofern, als es von jeder Zusammenarbeit überhaupt abzusehen erlaubt.
Ich möchte zum Schluss eine Empfehlung geben, von der ich allerdings weiß, dass sie dem administrativen
Perfektionsdrang ebenso wie dem curricularen Systemzwang widerspricht, der sich in der Erarbeitung der jetzt geltenden
Richtlinien in so starker Weise niedergeschlagen hat und in den Neubearbeitungen, soweit ich sehe, sich wiederum zeigt -
vielleicht haben die neuen Bundesländer in ihrer plastischen Situation die Chance, nicht nur die neueren Industrieanlagen,
sondern auch besser koordinierte Richtlinien zu entwickeln. Richtlinien oder ministerielle Anweisungen sollten die
Geschichtslehrer und die Lehrer des politischen Unterrichts an den Schulen auffordern, in Zusammenarbeit nach dem Prinzip der
Anstaltslehrpläne für jede Klassenstufe Sequenzen zu entwickeln, die Geschichtsunterricht und politischen Unterricht
an bestimmten Gegenständen und mit ausgewiesenen Lernzielen zusammenführen. Sie sollten Freiraum für solche
Versuche lassen - und zwar in echter Form (10). Die Ministerien sollten
Gelegenheit geben, wie es früher bei der Einführung neuer Lehrpläne üblich war, auf Fachtagungen den
Austausch von Erfahrungen und Vorschlägen zwischen den verschiedenen Schulen zu ermöglichen. Die Aufsicht der
Schulbehörde könnte sich auf die Kenntnisnahme und Approbation, gegebenenfalls Diskussion solcher Unterrichtssequenzen
durchaus beschränken, zugleich aber fordern, dass sie umgesetzt und in Erfahrungsberichten zur Diskussion gestellt werden.
Dies wäre ein Weg, die Zusammenarbeit von Politik- und Geschichtsunterricht, da sie sich didaktisch und administrativ mit
Aussicht auf ihr Gelingen nicht von oben verordnen lässt, von unten in Gang zu setzen.