Fischer: Lernfelder und nachhaltige Entwicklung

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Andreas Fischer

Mit meinen Überlegungen wende ich mich an theoretisch geschulte Lehrer und praxisorientierte Wirtschaftsdidaktiker, die Ausschau halten nach einer modernen, zukunftsorientierten beruflichen Bildung.

Ich vertrete die These, dass in den von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) initiierten Lernfeldern eine grundsätzliche Kritik am vorherrschenden Wirtschaftslehreunterricht enthalten ist. Das Lernfeldkonzept kann als Versuch interpretiert werden, die institutionalisierte Langeweile und eingefleischte Routine der konstruierten Fächerstrukturen zu überwinden. Das Vorhaben versandet allerdings in einem Ausstoß an technisch-bürokratischen Anordnungen - die traditionellen wirtschaftlichen Inhalte werden lediglich anders oder neu verbunden.

Mit diesem technokratischen Vorgehen umgeht man das eigentliche Problem, das von der KMK selbst angesprochen wird: Angesichts des rasanten technischen und wirtschaftlichen Wandels und der Obsoleszenzanfälligkeit vermittelten Wissens rücken neben Fachkenntnissen zunehmend Schlüsselqualifikationen wie kommunikative, soziale und methodische Kompetenzen in den Mittelpunkt. Parallel dazu treten die bisherigen Grenzziehungen zwischen Lehren und Lernen, Berufs- und Allgemeinbildung sowie zwischen Berufsbildung und (allgemeiner) Erwachsenenbildung in den Hintergrund und werden durch Sichtweisen überlagert, die das Komplementäre und Integrative betonen.

Für die Umsetzung des Lernfeldkonzepts müssen nicht nur organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden. Darüber hinaus ist für das Lernfeld Ökonomie eine inhaltliche Neuorientierung notwendig, die unter anderem den gesellschaftlichen Diskurs über eine nachhaltige Entwicklung aufgreift. Warum eine solche Neuorientierung erforderlich ist und welche Verknüpfungen zwischen dem Lernfeldkonzept und der Idee der Nachhaltigkeit bestehen, skizziere ich in den folgenden Ausführungen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich formuliere weder Rezepte noch leite ich aus einer vorpädagogischen Idee Regeln für das pädagogische Handeln deduktiv ab. Es geht nicht um die Funktionalisierung der beruflichen Schulen und ihrer Akteure für externe politische oder gesellschaftliche Zwecke. Angestrebt wird, den jungen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, in einer Welt der knappen Ressourcen und nicht realisierter inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit gestaltend mitwirken zu können. Als Wirtschaftsdidaktiker denke ich darüber nach, wie die (schulische) Realität entsprechend gestaltet werden könnte.

Zunächst referiere ich die Kerngedanken der Nachhaltigkeitsidee. Das hat seinen guten Grund: Während eine rege Lernfelddebatte stattfindet, ist der wirtschaftspädagogische und -didaktische Diskurs in der Rezeption der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit dem Nachhaltigkeitsgedanken auffallend zurückhaltend. Beginnen wir also gemeinsam mit dem schwierigen Vergnügen, eine Brücke zwischen dem Lernfeldkonzept und einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zu schlagen.

1 Entkernung als Chance

Auf der Grundlage des seit 1996 von der KMK diskutierten didaktischen Konzepts der Lernfelder werden die Inhalte "neu geschnitten". Danach soll der Fachunterricht im (fach-) didaktischen Sinne abgeschafft werden. Die Wirtschaftspädagogen Buschfeld / Twardy sprechen in diesem Zusammenhang von einer Entkernung der Berufsschule (Buschfeld / Twardy 1997,144).

Als Entkernung wird ein Prozess bezeichnet, der bestehende Strukturen und Denkmodelle, die als Gewohnheiten des Geistes beschrieben werden können, auflöst. Eine solche Entkernung kann daher als eine Chance interpretiert werden, sich von liebgewonnenen Routinen zu befreien. Karl-Heinz Brodbeck beschreibt die Wirkung von Denkmodellen wie folgt: "Sie formen das Denken, geben ihm Richtung und Gestalt, noch bevor eine Beobachtung, eine Anschauung zu ihrer Bestätigung herangezogen wird. Denkmodelle bestimmen in sozialer Resonanz feststehende Überzeugungen. Sie führen ein eigenständiges Leben, das nur mäßig von gegensätzlichen Erfahrungen geprägt wird." (Brodbeck 1998,5)

Was sich auf den ersten Blick vielleicht abstrakt ausnimmt, ist im Wirtschaftslehreunterricht zum Alltag geworden: Während in der Volkswirtschaftslehre wie auch in der Betriebswirtschaftslehre unterschiedliche Denkschulen und Lehrmeinungen nebeneinander existieren, dominiert im Wirtschaftslehreunterricht ein Wirtschaftsmodell, in dem die Beziehungen zwischen ökonomischen Größen mechanistisch betrachtet werden.

Während also das moderne Verständnis der Betriebswirtschaftslehre mehrperspektivisch, vernetzt und konstruktiv-systemtheoretisch ausgerichtet ist, wird im traditionellen Wirtschaftslehreunterricht ein kausal-lineares Denken geschult, das die Möglichkeiten eines nicht-linearen Systemverhaltens und gegenseitige Beeinflussungen ausschließt. Im fächerorientierten Alltag werden nicht selten die blutleer systematisierten Überlegungen und (Denk-) Modelle aus Schulbüchern auszugsweise kopiert, um sie anschließend wohlportioniert in einer Light-Version den Lernenden zu vermitteln (!). Es verwundert nicht, dass die offerierte Schmalkost lediglich Energie bis zur obligatorischen Klausur bietet - Reserven für das Verständnis der wirtschaftlichen Wirklichkeit(en) lassen sich daraus kaum bilden.

Die (Aus-) Differenzierung wirtschaftlicher Unterrichtsfächer mag durchaus erfolgreich gewesen sein. Angesichts der beobachtbaren und prognostizierten Umbrüche in der Gesellschaft und auf dem Beschäftigungsmarkt erscheint sie jedoch nicht mehr zeitgemäß, weil der Blick für das Ganze verloren geht. Der "Zerkleinerungswahn" läßt sich anschaulich am alten Rahmenlehrplan des Ausbildungsberufs Bankkaufmann/Bankkauffrau illustrieren: Er enthält mehr als 420 Teillernziele und fast 190 weitere inhaltliche Ergänzungen, die auf über 90 Lernabschnitte in insgesamt drei Lerngebieten verteilt sind (vgl. Perczynski 1998,244). Dieser Zersplitterung wirkt das Lernfeldkonzept entgegen: Für zwölf Lernfelder werden zwölf Globalziele mit 77 Teilzielen und 83 Inhaltsangaben vorgegeben (ebenda). An die Stelle atomisierten Detailwissens rückt ein systemisches, prozessorientiertes und zugleich vernetzendes Vorgehen. Damit sollen Kompetenzen gefördert werden, die den einzelnen in die Lage versetzen, der steigenden Komplexität beruflichen Handelns gerecht zu werden. Das Lernfeldkonzept ersetzt zerstückelnden Berufsschulunterricht durch ein offenes, relativ flexibles und vernetztes schulisches Curriculum. Es geht nicht um ein "Mehr", sondern - um es in Anlehnung an die populären Reden des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zu formulieren - um das "richtige" Wissen. Dazu gehören "ein Grundverständnis ökologischer und ökonomischer Zusammenhänge und eine fundierte Auseinandersetzung mit ethischen Fragen." (Herzog, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 85, vom 14. April 1999, Seite 10)

Wenn wirtschaftsberufliche Bildung das Ziel verfolgt, den einzelnen für die wirtschaftliche Wirklichkeit zu bilden - was nicht mit einer Abbild-Didaktik ökonomischer Modelle oder des betrieblichen Geschehens gleichzusetzen ist - dann darf nicht ausschließlich am individualistischen Ansatz der Mainstream-Ökonomik festgehalten werden, die die Elemente des methodologischen Individualismus, die Typisierung individuellen Verhaltens, die Annahme stabiler Präferenzen und variabler Restriktionen, das formale Eigennutzaxiom und die beschränkte Verfahrensrationalität der Akteure in den Mittelpunkt stellt. Der Horizont muss erweitert werden um die soziale, ökologische und kulturelle Reflexivität, um ethische Aspekte des Wirtschaftens und die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wirtschaften und gutem Leben.

Dies schließt die Auseinandersetzung mit einem Problemkreis ein, der im gesellschaftspolitischen Diskurs unter dem Stichwort Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung geführt wird. Dabei geht es nicht naiv darum, Schnabeltier und Schachtelhalm zu erhalten. Vielmehr basiert der Grundgedanke nachhaltiger Entwicklung auf der Forderung, dass ökonomische, ökologische und soziale Entwicklungen nicht voneinander getrennt oder gegeneinander ausgespielt werden dürfen.

Die wechselseitigen Beeinflussungen zwischen ökonomischen und ökologischen Systemen werden im Wirtschaftslehreunterricht bisher nicht angemessen berücksichtigt: Entweder wird die Umwelt als ein "Sack voller Ressourcen" verstanden, aus dem Elemente unabhängig voneinander entnommen werden können, oder aber es dominiert eine Vorstellungswelt, in der Umweltprobleme noch als übersichtlich und lösbar gelten (vgl. Kaiser u. a. 1995,266 ff.).

Wenn das starre (Fächer-) Korsett mit seinem Überfluss an Detailwissen den Wirtschaftslehreunterricht bereits so einengt, dass er dem dynamischen Prozess der wirtschaftlichen Wirklichkeit kaum gerecht zu werden vermag, erscheint es als gänzlich unmöglich, die Trias Ökonomie, Ökologie und Soziales aufzugreifen. Eine Chance bieten hier Entkernungen: In Lernfeldern können Inhalte nicht nur neu angeordnet, sondern neu komponiert werden, und - dies ist kein nachrangiger Aspekt - einer integrativen "Komposition" der Lerngegenstände, damit der Exemplarik sowie komplexen didaktisch-methodischen Lehr-Lern-Arrangements wird der Vorzug gegeben. Gerade im Kontext der Lernfeld- und der Nachhaltigkeitsdebatte gewinnen Verfahren an Bedeutung, die etwas zu ermöglichen versuchen, das nicht instrumentarisierbar ist: Das Denken in Zusammenhängen, welche die lineare Kausallogik keineswegs außer Kraft setzt, lineare, monokausale und dualisierende Strukturen aber relativiert.

Inwieweit sich das Lernfeldkonzept und der Diskurs über eine nachhaltige Entwicklung verknüpfen lassen, sich gegenseitig bedingen oder verstärken, wird im folgenden erörtert. Ich biete allerdings keine fertigen Musterlösungen an. Bei allem Optimismus, mit dem die Einführung von Lernfeldern begrüßt werden kann, ist Skepsis angebracht: Um die wirtschaftsberufliche Bildung tatsächlich entkernen und Spielräume für eine moderne und zukunftsorientierte Bildung schaffen zu können, sind ebenso die fachwissenschaftliche und die organisatorische Struktur der Lehreraus- und -fortbildung zu verändern.

Beide Aspekte bleiben in den folgenden Überlegungen jedoch ausgeklammert, weil ihre eingehende Diskussion den Rahmen meiner Ausführungen sprengen würde (vgl. dazu Fischer, 1999). Ebenso wenig werde ich die Kerngedanken von Nachhaltigkeit referieren und die Kristallisationspunkte der Idee skizzieren (vgl. dazu die Einführung in diesem Journal). Stattdessen werde ich mögliche Synergieeffekte zwischen Lernfeldkonzept und nachhaltiger Entwicklung in vier Schritten erörtern: Ich liste in Frage kommende Problemfelder auf (2.1) und diskutiere das didaktische Anforderungsprofil (2.4). In einem Zwischenschritt denke ich Exemplarik nachhaltig (2.2) und veranschauliche die Überlegungen am Beispiel der Produktlinienanalyse (2.3).

2 Lernfelder sustainable gedacht

Das Lernfeldkonzept enthält ein strukturelles Veränderungspotential. Wer annimmt, in Lernfeldern müßten die traditionellen Inhalte der Fächer lediglich neu geordnet werden, der irrt. Unklar ist allerdings, ob sich die Verantwortlichen der KMK dieser Tatsache bewusst waren, als sie ihre Handreichungen formulierten. Der von der KMK vorgelegte technokratisch ausgerichtete Text, der den fachdidaktischen Diskurs ebenso vernachlässigt wie curriculare Theorien, läßt daran zweifeln. Zumindest den Befürwortern der traditionellen Fächerstruktur scheint der "drohende" paradigmatische Wechsel klar geworden zu sein - anders können die zum Teil polemisch vorgetragenen Bedenken nicht interpretiert werden. So werden die Neuerungen als Modernismen abgekanzelt (Noll 1998,249), die Gefahr der Ideologisierung wird beschworen (ebenda) - und gleichzeitig wird so getan, als sei die derzeitige Konstruktion des Wirtschaftslehreunterrichts frei von Ideologien. Der Konflikt zwischen Theorie (Wissenschaft) und Praxis (Schule) wird geschürt (Stommel 1998,387 f.) - dabei bleibt unberücksichtigt, dass die Genese der Lernfelder ohne wirtschaftsdidaktische bzw. -pädagogische Begleitung erfolgte. Mit plumper Ironie wird auf die fehlende Qualifizierung der Lehrenden aufmerksam gemacht (vgl. Günther 1998,250), zugleich wird die Gelegenheit genutzt, den "Feldzug" - angesichts der vom Verfasser verwendeten militaristischen Formulierungen ist dieser Begriff zutreffend - gegen handlungsorientierte Ansätze fortzusetzen (vgl. Stommel, 1998). Schließlich wird gar behauptet, die Auswahl von Inhalten sei beliebig (Günther 1998,250).

Die Botschaft des Lernfeldkonzepts lautet: Die traditionelle Struktur ist nicht mehr zeitgemäß und erst recht nicht zukunftsorientiert. Die Kritik der KMK richtet sich aber gleichermaßen an die Art und Weise, wie die Inhalte angeboten werden. Favorisiert wird ein handlungsorientierter Unterricht, auch wenn der Verweis auf "handlungsorientierte Ansätze" nur wenig reflektiert scheint. Kurz: Überkommene Vorstellungen und Rituale des Lehrgeschehens werden in Frage gestellt und damit die starre Gliederung von Lerninhalten und der immer noch dominierende Frontalunterricht. Neue, teilnehmeraktivierende Lernarrangements sollen ebenso zur Selbstverständlichkeit werden wie räumlich dezentrale Formen des Lernens. Der Verweis der KMK auf die Handlungsorientierung stellt eine tragfähige Brücke zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung dar.

Ihrer Intention nach verfolgen das Lernfeldkonzept und die Bildung für nachhaltige Entwicklung das Ziel, Qualifikationen und Kompetenzen zu fördern, die für einen "spezialisierten Generalisten" von Bedeutung sein können. Die Lernfelddebatte ist vor dem Hintergrund neuer Rationalisierungskonzepte und einer sich wandelnden Arbeitsorganisation zu sehen. In Anbetracht der sich abzeichnenden Veränderungen geht es in Qualifizierungskonzepten primär darum, die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, die individuelle Leistungsfähigkeit, Flexibilität und Selbstreflexion in Lernprozessen zu entfalten und für die Arbeitstätigkeit nutzbar zu machen. Schließlich läuft die Umstrukturierung des Beschäftigungssystems auf eine Universalisierung der Qualifikationsprofile hinaus, die sich in Begriffen wie Schlüsselqualifikationen, Ganzheitlichkeit und Selbständigkeit niederschlägt.

2.1 Realisierungschancen für Lerninhalte

Unser lückgnhaftes Wissen und die Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen machen die Suche nach repräsentativen Lerninhalten schwierig. Wer entscheidet wie über die Auswahl von Lerninhalten? Wie können solche Entscheidungen legitimiert werden? Wie kann der prozessuale Charakter einer nachhaltigen Entwicklung mit Hilfe entsprechender Lerninhalte unterstützt werden?

Eine didaktische Binsenweisheit besteht darin, dass eine (berufliche) Bildung ohne Kenntnisse, ohne Wissen, nicht möglich ist und dass sich eine nachhaltig ausgerichtete berufliche Bildung an Inhalten festmachen läßt, die ein verändertes Wirtschaften impliziert. Das setzt jedoch voraus, dass überhaupt bekannt ist, was unter Wirtschaften und was eigentlich unter nachhaltigem Wirtschaften zu verstehen sei.

Gesucht wird folglich nach Themen, die nicht nur intellektuell ansprechend oder gesellschaftlich bedeutsam sind, sondern die auch den anthropologisch verankerten Wunsch nach Vergegenständlichung befriedigen und die, konstruktivistisch ausgedrückt, viabel sind. Denn Themen der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion sind selten identisch mit denen sozialwissenschaftlicher Analysen.

Eine Möglichkeit besteht darin, bekannte Probleme und traditionelle Überlegungen unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit zur Diskussion zu stellen. So wird zum Beispiel in der ökonomischen Debatte der bekannte Effizienzgedanke neu definiert: Es geht nicht nur um die optimale Versorgung mit einem knappen Gut - es geht um eine optimale Versorgung unter Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit. Dadurch, dass der sozial-ökologische Aspekt im Kontext der Sustainability-Idee erörtert wird, wird die Frage nach dem relevanten Paradigma neu gestellt.

Als didaktische Konkretisierung bieten sich das Unternehmen mit seinen umweltrelevanten Input- und Output-Beziehungen, der Lebenszyklus der Produkte in ihrem gesamten Entstehungs-, Verwendungs- und Entsorgungszusammenhang, das Handeln des einzelnen im Beruf und als Verbraucher, das gesellschaftliche Umfeld (Umwelt im engeren Sinne) und schließlich das globale Umfeld (Umwelt im weiteren Sinne) an. Einen entsprechenden Anknüpfungspunkt stellen die Umweltberichte dar, die von den Unternehmen herausgegeben werden.

Die Faktoren, die einen pragmatischen Umgang mit Umweltberichtsystemen in der Betriebsrealität problematisch erscheinen lassen, zum Beispiel die Fülle und die Unzulänglichkeit an Informationen, die in kurzer Zeit verarbeitet werden müssen, sind für den Berufsschulunterricht als Vorteil zu interpretieren. Die Schule kann gegenüber der betrieblichen Ausbildung ihre Stärke als reflektierende und theoretisierende Instanz in die Waagschale werfen. Gerade in der Berufsschule können die gesellschaftlichen Auswirkungen (Stichwort: externe Effekte) erarbeitet und damit das systemische Denken gefördert werden. Im Kontext der neuen Wohlstandsberechnungen kann thematisiert werden, dass das Bruttoinlandprodukt Leistungen als wirtschaftliche Wertschöpfung erfasst, die lediglich dazu dienen, entstandene Schäden wie Luftverunreinigung, Wasserverschmutzung, vergiftete Böden, Waldsterben, Straßenverkehrsunfälle etc. zu beheben.

Am Beispiel der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kann gezeigt werden, dass es nicht so sehr darauf ankommt, das Regelwerk dieser gesellschaftlichen Buchhaltung im Detail nachvollziehen zu können. Vielmehr kann der zugrundeliegende mechanische Gedankengang, der auf Konventionen aufbaut, deutlich gemacht werden.

Ferner können historische Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung aufgegriffen werden: In den Industrieländern basiert im Gegensatz zu früheren Kulturen das Wachstum der Wirtschaft, der Einkommen und des Lebensstandards auf der Ausbeutung nicht erneuerbarer, nur in begrenzten Mengen vorhandener Rohstoffe und Energiequellen.

Seit Beginn der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert hat sich in allen Industriegesellschaften ein umweltbelastender Produktions- und Konsumstil herausgebildet, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg weiter beschleunigt hat. Diese Entwicklung kann ebenso herausgearbeitet werden wie der Zusammenhang zwischen heutigem Wohlstand in den Industrieländern und den Belastungs- und Zerstörungsprozessen in der Natur.

Bevor am Beispiel einer Produktlinienanalyse deutlich gemacht wird, wie (vermeintlich) übersichtliche Gegenstände des beruflichen Alltags thematisiert werden können, um die dahinterstehende Komplexität und gesellschaftliche Bedeutung in der Bildungsarbeit exemplarisch aufzubereiten, möchte ich in einem kleinen Exkurs auf die Arbeitsorientierten Exemplarik verweisen. Mit ihrer Absicht, gestaltend in den Prozess der Neuorientierungen einzugreifen, stellt sie einen Anknüpfungspunkt für einen nachhaltig ausgerichteten Berufsschulunterricht dar.

2.2 Exemplarik sustainable gedacht

Mit Exemplarik ist zunächst gemeint, dass Lernende an Unterrichtsgegenständen das Verständnis verallgemeinerbarer Prinzipien, Einsichten, Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge erarbeiten. Im Exemplarischen ist also das Strukturelle enthalten, deswegen ist exemplarisches Lernen nicht mit dem speziellen Lernen zu verwechseln. Während im Exemplarischen allgemeine Strukturen zu erarbeiten sind, die auf andere Systeme übertragen werden können, ist dies im speziellen Lernen nicht möglich.

Gesucht sind Inhalte, die im Besonderen ein Allgemeines enthalten. Auf der Grundlage der Auseinandersetzung mit einem konkreten Inhalt kann der Lernende eine allgemeine Einsicht gewinnen, deren Gültigkeit über die im Lernprozess erarbeitete Situation hinausreicht.

Die Arbeitsorientierte Exemplarik basiert auf den Grundprinzipien Subjektorientierung und Denken in Implikationen. "Unter Subjekt wird der selbstbestimmte, aktive, die ihn umgebende Welt und die Geschichte gestaltende wie sich selbst durch Arbeit entfaltende Mensch verstanden. Dieser ist einmalig und einzigartig mit ganz individuellen Potentialen ausgestattet, wie er zugleich Teil und Geprägter der Gemeinschaft(en), Gruppen(n), Gesellschaft ist, in denen er lebt. Subjekt ist und wird er durch tätiges und bewusstes In-Beziehung-Treten zur äußeren, ihn umgebenen Welt, wodurch zugleich seine innere Welt sich als individuelle entwickelt." (Lisop/Huisinga 1994,347).

Lisop/Huisinga gehen davon aus, dass sich das Subjekt "in der praktischen gesellschaftlichen Tätigkeit (entwickelt), indem es die vorhandenen wie neue Bereiche der Welt zum Objekt seiner Tätigkeit und seiner Erkenntnis macht und dabei seine Kräfte vergegenständlicht (objektiviert), und indem es im Prozess und mit dem Produkt seiner Tätigkeit sein eigenes Wesen wie das der menschlichen Gattung sich zu eigen macht: durch Gewahrwerden, Nutzen, Genießen und Reflektieren." (Lisop/Huising ebenda).

Deswegen kann es nach ihrer Auffassung aus der Sicht der subjektorientierten Didaktik den Stoff an sich nicht geben. Dabei fällt die Arbeitsorientierte Exemplarik nicht in die alte bildungspolitische Debatte über formale bzw. materielle Bildung zurück. Vielmehr ist diese Position pragmatisch zu verstehen: Denn es wird darauf hingewiesen, dass der Stoff bzw. die Lernzielebenen von den Lehrenden im Hinblick auf die methodische Leitfrage ausdifferenziert werden muss.

Nach der Idee der Arbeitsorientierten Exemplarik geht Bildung stets von einem prägnanten Punkt, Gegenstand, Komplex, Begriff oder Gesetz aus. Als Implikation begriffen, läßt sich vom Exemplarischen aus der Zusammenhang von Sinnstrukturen und Erscheinungsformen, Teilen und Ganzem, Individuellem und Gesellschaftlichem, Allgemeinem und Besonderem erschließen, um dann als Struktur- und Transferwissen zur Verfügung zu stehen. Es ist also nicht das Beispiel an sich, das im Mittelpunkt steht, nicht der Fall oder ein Gegenstandsbereich an sich, der, gleichsam als Prototyp fungierend, stellvertretend für weitere Beispiele stehen kann. Entscheidend ist dagegen, was der als exemplarisch ausgewählte oder ausgelegte Gegenstand objektiv an Fachwissen und generellem Erkenntnismaterial birgt (vgl. Lisop 1996,167).

Für die praktische Umsetzung der Arbeitsorientierten Exemplarik unterscheiden Lisop/Huisinga die Phase der Vorplanung der Lehrenden, in der nach Methoden und "Aufhängern" gesucht wird, die hinsichtlich der Thematik möglichst viel an Erfahrungen, Erwartungen, Assoziationen wie auch Abwehr der Lernenden zur Artikulation bringen sollen. Lisop/Huisinga haben dafür die Instrumente des "gesellschaftlichen Implikationszusammenhangs" und des "psychodynamischen Implikationszusammenhangs" entwickelt (vgl. hierzu das Kapitel Exemplarik in diesem Buch).

Argumente, warum die Exemplarik für eine nachhaltig ausgerichtete berufliche Bildung unverzichtbar ist, liefern die Autoren selbst - auch wenn sie dabei mit Sicherheit (noch) nicht an Nachhaltigkeit gedacht haben: Exemplarik ist pädagogisch prozessual ausgerichtet. Im Zentrum der Überlegungen steht die Frage, ob und wie Subjektbildung initiiert und gefördert werden kann. "Die Reflexion von Normen und Werten, von Lebensstilen und (kommunikativen) Umgangsformen, von subkulturellen Moden und gesamtgesellschaftlichen Trends gehört zentral zur Identitätsbildung vor allem während der Jugendzeit und der Adoleszenz" (Lisop 1996,170). Die jugendlichen Lebenswelten sollen in das curriculare Spektrum integriert werden. Was nur gelingen kann, wenn das objektorientierte Denken und die inhaltlich ausgerichteten Curricula aufgebrochen werden. Weiterhin findet sich in der Exemplarik die Erkenntnis wieder, "daß fächerübergreifendes Wissen, Problemlösungswissen und innovatives Denken sowie Sozialkompetenz (...) nicht separat gelehrt werden können. Die Debatte über Schlüsselqualifikationen und Handlungsorientierung sind integrativer Natur." (Lisop 1996,170)

Für den Lehrenden ist Exemplarik ein didaktisches Leitprinzip, um Lerngegenstände auswählen und aufbereiten zu können. Aus den Leitvorstellungen Handlungsorientierung und exemplarisches Lernen läßt sich ein (schul-) fachübergreifendes Vorgehen ableiten. In ein solches fächerübergreifendes Lernen ist das Wissen um das begrenzte Wissen einzubeziehen.

2.3 Die Produktlinienbetrachtung als Exempel

Nimmt man die vorangegangenen Überlegungen ernst, dann sollte das Lernen an komplexen, authentischen Problemen ermöglicht werden, die einen exemplarischen Wert aufweisen. Gleichzeitig ist dem Doppelcharakter einer nachhaltig orientierten beruflichen Bildung Rechnung zu tragen: Von Beginn an sollen Kompetenzen sowohl unter Anwendungs- als auch unter Reflexionsgesichtspunkten gefördert werden. Dies ist nur möglich, wenn man sich von der Vorstellung löst, man müsse den Lernprozess entlang der Linie vom Einfachen zum Schwierigen planen und zunächst ein Basiswissen erarbeiten. Statt dessen sollten signifikante ökologische Konzepte sowie deren Entstehung und Anwendung im Arbeitsprozess und in der Gesellschaft thematisiert werden.

Dies ist am Beispiel der Produktlinienbetrachtung möglich, die nicht nur die ökologischen, sondern auch ökonomische und soziale Auswirkungen von Produkten entlang der Produktlinie berücksichtigt. Zu diesem Zweck wird der gesamte Lebenszyklus eines Produktes im Hinblick auf seine ökologischen, ökonomischen und sozialen Voraussetzungen und Auswirkungen untersucht. Konkrete Vorschläge für die Umsetzung liegen bereits vor (vgl. Fischer, 1995; Retzmann, 1997).

Die Produktlinienbetrachtung veranschaulicht die vielfältigen Verknüpfungen zwischen Produkten und den realen Auswirkungen des Wirtschaftens und Konsumierens. Zur Information können sozialwissenschaftliche Studien herangezogen und/oder eigene Erfahrungen eingebracht bzw. eigene Studien durchgeführt werden. Lebensgeschichtliche und soziokulturelle Prägungen fließen mit ein, so dass die Transformation vom Lerngegenstand zum Lerninhalt realisierbar ist. Die Forderungen nach Relevanz und Viabilität werden so erfüllt.

Die Chancen, die sich aus der Bearbeitung einer Produktlinienbetrachtung im Lernfeld Ökonomie ergeben, sind vor allem in ihrer Realitätsnähe und in ihrer Relevanz für tägliche Fragestellungen zu sehen. Die Wissensaneignung erfolgt nicht anhand abstrakter Daten, sondern basiert auf einem konkreten Beispiel, zu dem die Lernenden/Auszubildenden möglichst einen direkten Bezug haben.

Die Wissensaufnahme reduziert sich damit nicht auf einen "pragmatischen Akt", bei dem Fakten nur bis zur nächsten Prüfung behalten werden, sondern stellt eine eigenständige Erarbeitung dar. Insofern ist die Durchführung einer Produktlinienbetrachtung ein lernaktivierendes Moment im Lernfeld. Die Produktlinienbetrachtung weist aufgrund ihrer klaren Strukturierung und Formalisierung eine Intersubjektivität auf, auf deren Basis die Lernenden gemeinsam arbeiten können. Diese Form von Subjektivität (richtiger: Interessen) der Produktlinienbetrachtung hat allerdings ihre Tücken: Die aufwendigen Informationssammlungen und wissenschaftlichen Untersuchungen werden in Frage gestellt, weil die zu berücksichtigenden Bewertungskriterien für jede Produktlinienbetrachtung scheinbar willkürlich von den Lernenden festgelegt werden können und die endgültige Bewertung aufgrund subjektiver Einschätzungen bzw. Interessen erfolgt. Tatsächlich kann eine solche Offenheit für subjektive Wertungen zur Verunsicherung aller Beteiligten führen. Doch diese Offenlegung der Subjektivität/Interessen stellt gleichzeitig eine Chance dar; denn im Grunde wird hier der Vorhang wissenschaftlicher Methoden gelüftet, wobei deutlich gemacht wird, dass Methoden wie Ökobilanzen auf individuellen (und kollektiven) Entscheidungen und Interessen basieren. Welche Kriterien berücksichtigt und untersucht werden, welche Ergebnisse als positiv oder negativ, als wichtiger oder unwichtiger beurteilt werden, unterliegt der Intention der Untersuchenden bzw. der Personen, die den Untersuchungsrahmen festlegen (vgl. dazu Lundie, 1999). Mit Hilfe einer Produktlinienbetrachtung kann die angebliche Eindeutigkeit und Objektivität politisch favorisierter wissenschaftlicher, unternehmerischer und gesellschaftlicher Entscheidungen aufgedeckt und als interessenbezogen entlarvt werden.

Gerade die Erkenntnis, dass die Berücksichtigung bzw. der Ausschluss von Bewertungskriterien einer individuellen Entscheidung unterliegen, die den weiteren Verlauf der Untersuchung und Bewertung maßgeblich beeinflusst, zeigt, wie wichtig es ist, diese Entscheidungen zu dokumentieren und nachvollziehbar zu machen. Der intersubjektive Diskurs kann bei den Lernenden auch die Kritikfähigkeit gegenüber anderen Bewertungsmethoden - zum Beispiel Ökobilanzen - fördern.

Die Produktlinienbetrachtung weist ferner über isolierte Problemlösungen hinaus, stärkt die Bereitschaft zur Konsensfindung und fördert außerfachliche Qualifikationen, zum Beispiel die Fähigkeit zu Kritik, zu einer schlüssigen Argumentation, zum Dialog und zur Teamarbeit. In der Stärke der Bilanzierung ist gleichzeitig ihre Schwäche enthalten: die Illusion, die Auswirkungen industrieller Prozesse mit buchhalterischer Genauigkeit erfassen zu können.

Aus fachwissenschaftlichen Überlegungen heraus ist es also möglich, in einer an der Nachhaltigkeitsidee orientierten wirtschaftsberuflichen Berufsschulbildung ein Verständnis ökologisch orientierten Wirtschaftens zu formulieren und Modelle einer wachstumsfreien - nicht aber entwicklungslosen - Wirtschaft und Gesellschaft zu erörtern. Dabei steht auch der Abbau oligarchischer Produktions- und Konsumstandards bei der reichen Minderheit und eine gleichzeitig einsetzende Grundbedürfnisbefriedigung bei der armen Mehrheit der Weltbevölkerung zur Diskussion.

Angestrebt wird ein Verständnis der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklung in der Form, dass die Paradigmen der Moderne verstanden und nachgezeichnet werden, um Einsicht in die Notwendigkeit von Korrekturen und einer Umorientierung zu gewinnen. Daneben steht die Erkenntnis, dass an das bislang vorherrschende mechanische Weltbild die Vorstellung geknüpft ist, dass Rhythmen frei disponibel und unabhängig von natürlichen und kulturellen Rhythmen seien (Entrhythmisierung).

2.4 Das "Wie?" des Lernens

Das "Wie?" des Lernens, das implizite Lernen sowie die Aneignungsprozesse der Individuen und Lerngruppen sind nicht als unter- oder nachgeordnetes Beiwerk von Lernprozessen aufzufassen, sondern als absichtsvoll und professionell zu gestaltende Ermöglichungsbedingungen. Deshalb erscheint es plausibel, handlungsorientierte Ansätze in den Vordergrund zu stellen. Es genügt nicht, nur das Vokabular zu aktualisieren und die herkömmlichen wirtschaftlichen Fragestellungen im Lernfeld lediglich als (nicht-) nachhaltig zu erörtern. Denn die schwierigsten und anspruchsvollsten Momente der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung stellen sich als ein Komplex von Anforderungen dar, den am Unterricht beteiligten Akteuren eine durch die Lernfeldstruktur spezifisch organisierte Innovationskompetenz zuzutrauen - und diese tatsächlich einzufordern und zu fördern.

Die Lernfeldkonzeption erlaubt es, sich von einer Unterrichtsgestaltung zu verabschieden, in der faktenlastige Lehrervorträge und das fragend-entwickelnde Vorgehen dominieren. Das traditionelle Paradigma der Lerngestaltung innerhalb der beruflichen Bildung wird auf zwei Ebenen in Frage gestellt: Zunächst wird explizit das (Schul-) Curriculum mit seiner hierarchischen Begriffsstrukturierung, die vor allem in Anlehnung an die lehrbuchorientierte Wissenschaftssystematik aufgebaut ist, problematisiert.

Damit wird implizit auf den Irrglauben hingewiesen, dass es eine objektive Struktur des Lernstoffes gäbe. Was hinter der traditionellen Fächerstruktur und den damit verbundenen Konzeptionen steht, ist folgendes: Das Lernen und das Unterrichtsgeschehen werden als zu managende Probleme betrachtet. In der fächerorientierten Praxis hat ein Lern(denk)modell Konjunktur, das als magischer Trichter bezeichnet werden kann: Das Hauptaugenmerk ist auf die Vermittlung (sic!) von Wissen gerichtet. Die Aneignung von neuem wird als ein von außen gesteuerter Prozess verstanden, der an das Individuum herangetragen werden muss, während das Lernen "von innen" kaum berücksichtigt wird. Aus dem Lernfeldkonzept ergibt sich die Chance, die überwiegend behavioristisch ausgerichtete Lernzielprogrammatik und die Taylorisierung des Lernens zu überwinden.

Ungeklärt bleibt, ob mit Hilfe des Lernfeldkonzepts die Lehr-Lern-Illusion und der Lehr-Lern-Kurzschluss zu den Akten gelegt werden können, so dass bei der Unterrichtsplanung und -gestaltung nicht mehr die "Illusion der Vollständigkeit" dominiert, die eng gekoppelt ist mit der "Illusion der Machbarkeit". Die Handreichungen der KMK zeigen, dass ein wesentliches Problem erkannt ist: Nicht mehr alles verfügbare Wissen kann gelehrt werden und das, was gelehrt wird, wird nicht zwangsläufig gelernt.

Für das Lernfeld- und das Nachhaltigkeitskonzept gilt, dass das Lernen entgegen den gängigen Vorstellungen, dass nur gelernt werde, wenn gelehrt wird, und dass das gelernt werde, was gelehrt wird, ein weitgehend selbstorganisiert bzw. selbstreferentiell ablaufender Aneignungsprozess von Individuen ist. Dessen Resultate können durch ein entsprechendes Arrangement von Lernwelten in Lernfeldern, sprich Anregungen, ermöglicht, aber nicht erzeugt im Sinne von "gemacht" oder "gewährleistet" werden.

Drei didaktische Leitlinien, die so neu allerdings nicht sind, lassen sich im Lernfeldkonzept in Verbindung mit einer Bildung für nachhaltige Entwicklung umsetzen: Zum einen kann aus authentischen Situationen gelernt werden, das heißt, dass komplexe, lebens- und berufsnahe, ganzheitlich zu betrachtende Problembereiche angeboten werden. Damit wird das vorherrschende additive Aneinanderreihen von einzelnen Lerngegenständen und das bloß anwendende Üben mit mehr oder minder gut strukturierten Fragestellungen überwunden. Arrangiert werden kann weiterhin eine Konfrontation mit der unstrukturierten Wirklichkeit, aus der heraus Einzelheiten im Gesamtzusammenhang betrachtet werden, um schließlich erneut den Gesamtzusammenhang zu beurteilen. Schließlich werden Vorerfahrungen stärker beachtet, so dass das Lernen mehr auf die eigenen Interpretationen und das eigene Verstehen ausgerichtet werden kann.

Diese Leitlinien werden als Postulate für den Unterricht zum Teil schon seit Jahren verbreitet. Dennoch dominieren in den fächergestützten Lehrplänen Linearisierungsstrategien. Das Lernfeldkonzept kann in Verbindung mit einer Bildung für nachhaltige Entwicklung dazu beitragen, Machbarkeitsvorstellungen vom Lernen zu entzaubern: Anstelle linear und mechanistisch geprägter pädagogischer Interventionsmodelle ist die Option auf Wechselwirkungen, Offenheit, Störanfälligkeit, Irrtumswahrscheinlichkeit, Systemdynamik und Selbstorganisation gegeben.

3. Resümee

Die Einschätzung, dass die Nachhaltigkeitsidee im sozial- und wirtschaftlichen Unterricht an Bedeutung gewinnt, ergibt sich aus dem Einblick in den gesellschaftlichen Umbruch, in dem wir uns zur Zeit befinden: Grundsätzlich erfordert eine solche Umbruchsituation ein verändertes Verständnis von Lernen, das "die Menschen instandsetzt, die künftig zu erwartenden Probleme dieser Gesellschaft zu begreifen und Lösungswege ins Auge zu fassen." (Negt 1997,19 f.) Dies impliziert, dass avantgardistische Bildung konventionelle Lernroutinen ersetzen, zumindest aber ergänzen muss. Das Lernfeldkonzept kann als Versuch gelten, dieser Forderung nachzukommen, denn es ist als Kritik am traditionellen Berufsschulunterricht zu interpretieren, der in seiner Erstarrung scholastisch wirkt.

Bezogen auf die wirtschaftsberufliche Bildung vollzieht das Lernfeldkonzept auf inhaltlicher Ebene jedoch keinen radikalen Bruch - obwohl sich die Gelegenheit dazu bietet. Wenn allerdings traditionelle Fragestellungen, die zu den wirtschaftlichen Kernfächern gezählt werden, lediglich anders geordnet und in gewohnter Kultur gelehrt werden, wird diese Möglichkeit vertan. Der Status quo bleibt erhalten - unter der neuen Vokabel wird in der Praxis das didaktisch antiquierte propädeutische Konzept fortgeführt, in dem die Vermittlung (!) von systematisierten Lehrbuchweisheiten dominiert.

Werden die Lernfelder in Verbindung mit der Nachhaltigkeitsidee in den wirtschaftlichen Berufsschulunterricht implementiert, wird dieser Gefahr entgegengewirkt. Denn die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung setzt sich inhaltlich mit einem epochaltypischen Problem auseinander, das im traditionellen Fächerkanon nicht adäquat berücksichtigt werden kann, und macht didaktisch-methodisch komplexe Lehr-Lern-Arrangements erforderlich.

Eine solche Implementierung erscheint aber erst dann realistisch, wenn in Diskursen und in politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Entscheidungen kontinuierlich Umsetzungsmöglichkeiten für die Handhabung von Lernfeldern produziert und reproduziert werden. Bürokratische Vorgaben allein reichen ebensowenig wie das Formulieren von Rezepten. Vielmehr ist es erforderlich, bei den Akteuren entsprechende Kompetenzen auszubilden und ihnen auf der organisationspolitischen Ebene nachhaltig ausgerichtete Handlungs- und Entscheidungsfreiräume zu bieten.

Auf dem Weg zu nachhaltig orientierten Lernfeldkonzepten werden in der Praxis - zumindest vorübergehend - moderne Konzeptionen neben traditionellen Fächerstrukturen stehen, so dass von einer Gleichzeitigkeit disparater Entwicklungen bzw. von pluralen Ansätzen gesprochen werden kann. Dennoch lautet das Fazit: Die Realisierung eines modernen, zukunftsorientierten wirtschaftlichen Berufsschulunterrichts ist eng gekoppelt mit der Entwicklung und Umsetzung von nachhaltig ausgerichteten Lernfeldern. Im Zusammenspiel beider Elemente können die notwendige produktive Vielfalt und die schöpferischen Potentiale freigesetzt werden, die die überholten starren Organisationsformen zu überwinden vermögen.

Anmerkung

Gekürzte und leicht überarbeitete Fassung der Veröffentlichung: Lernfelder und nachhaltige Entwicklung - Potentiale für die ökonomische Bildung. in: Huisinga, R./Speier H.D./Lisop, I. (Hrsg.); 1999: Lernfeldorientierung. Konstruktion und Unterrichtspraxis. Frankfurt/M.

Literatur

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