Arbeitsaufgabe, Arbeitsauftrag

Edwin Stiller

Inhalt

1. Begriff und Bedeutung
2. Versuch einer Typologie der Arbeitsaufgabel/des Arbeitsauftrages
3. Anforderungen an Arbeitsaufgaben/Arbeitsaufträge
4. Lernende stellen sich ihre Arbeitsaufgaben selbst
5. Literatur
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1. Begriff und Bedeutung

In der pB impliziert die Arbeitsaufgabe/der Arbeitsauftrag (A) eine Vielzahl didaktischer und methodischer Entscheidungen. Im Sinne der Arbeitsschulbewegung umfasst der Begriff "Arbeit" im Unterricht das gesamte Spektrum von manueller Tätigkeit bis zur geistigen Arbeit mit dem Ziel, die Schüler zur größtmöglichen Selbständigkeit anzuleiten (W. Twellmann 1981, 509ff.). Die A kann als eine Anweisung definiert werden, allein, mit dem Partner oder in der Gruppe (d. h. weitgehend ohne direkte Steuerung durch den Lehrenden) eine Leistung zu erbringen. Sie beinhaltet Arbeitsziel, Arbeitsmittel, die Planung des Arbeitsweges, die Durchführung des Arbeitsvorganges und die Integration des Arbeitsproduktes in den Lernzusammenhang. Das Spektrum der A in der pB reicht von der Bearbeitung von Texten innerhalb eines Lehrganges bis zur Produktion z. B. der Herstellung eines Videofilms innerhalb eines handlungsorientierten Projektes. Es ist wichtig, auf die gesamte Palette von Möglichkeiten zurückzugreifen, um so den unterschiedlichen Fähigkeitsprofilen der Lernenden gerecht zu werden, eine hohe Motivation zu erreichen und um der zentralen Zielsetzung der politischen Bildungsarbeit näher zu kommen: dem mündigen, sachkundigen, handlungsbereiten und handlungsfähigen Bürger.[/S.416:]

2. Versuch einer Typologie der Arbeitsaufgabe/des Arbeitsauftrages

Da in der A implizit alle zentralen methodischen und didaktischen Entscheidungen enthalten sind, ist es schwierig, zu einer Systematisierung zu gelangen. Differenzierungen erscheinen sinnvoll.
Bezüglich

  • des Arbeitsziels kann man A unterscheiden, die auf eine intellektuelle Einsicht zielen, eine Werthaltung erzeugen oder problematisieren, methodische und lerntechnische Fähigkeiten vermitteln oder schwerpunktmäßig auf Handeln ausgerichtet sind;
  • der Arbeitsmittel lassen sich A unterscheiden, die mit Texten, Bildinformationen, Tonquellen oder audiovisuellen Mitteln gekoppelt sind; sie können vom Lehrenden vorgegeben oder von den Lernenden selbst eingebracht werden;
  • des Arbeitsweges kann die A je nach ihrem Ort innerhalb des Lernprozesses in folgenden methodischen Schwerpunkten angesiedelt sein: Methoden des Einstiegs: z. B. Brainstorming, Fotomeditation, Collage, Statementspiel; Methoden der Erkundung: Interview, Expertenbefragung, Besichtigung, Medienanalysen; Methoden der Analyse: hermeneutische Verfahren, Auswertung von Daten; Methoden der Produktion: szenische Darstellung, öffentliche Aktion, Videofilm;
  • der Durchführung des Arbeitsvorganges spielt in erster Linie die Wahl der Sozialform (Einzel-, Partner-, Gruppenarbeit) eine Rolle;
  • der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit kann man Kurzzeit- von Langzeitarbeitsaufträgen (z. B. Facharbeit) unterscheiden;
  • der Integration des Arbeitsergebnisses in den Lernzusammenhang sind A zu unterscheiden, die in erster Linie auf Leistungsmessung ausgerichtet sind (z. B. Klausuren) oder vorwiegend dem Lernfortschritt der Lerngruppe dienen sollen (z. B. Gruppenberichte), sowie unterschiedliche Arten der Ergebnispräsentation: mündlich, schriftlich, produktförmig, aktionsmäßig.

Darüber hinaus müssen bei der Wahl von A folgende Entscheidungen getroffen werden:
Soll der A

  • vorbereitend/nachbereitend (also z. B. Hausaufgaben) sein oder in den gemeinsamen Lernprozess integriert werden?
  • vorgegeben (vom Lehrer oder aus einem Schulbuch übernommen) oder gemeinsam bzw. von den Lernenden völlig selbständig entwickelt werden?
  • möglichst offen (z. B. bei einer Stellungnahme) oder geschlossen (z. B. multiple choice) formuliert werden?
  • einheitlich für alle Lernenden gelten oder arbeitsteilig ausgerichtet sein?
  • komplex, einfach, umfassend oder einschrittig konzipiert sein?

3. Anforderungen an Arbeitsaufgaben/Arbeitsaufträge

Folgende Aspekte sollten bei der Formulierung von A berücksichtigt werden: Sie sollten verständlich, kurz und eindeutig formuliert sein, möglichst schriftlich präsentiert werden (Tafel, Arbeitsblatt o. ä.), ferner genau die auszuführenden Handlungen bezeichnen und deutlich machen, auf welches Ziel hingearbeitet werden soll sowie motivierend formuliert werden. [/S.417:]

Unter lernpsychologischen Gesichtspunkten nennen J. und M. Grell (1994, 232 ff.) unter anderen folgende "Rezepte":

  • Die A müssen in einen Sinnhorizont eingebettet sein, der für die Lernenden nachvollziehbar ist;
  • die A müssen den Fähigkeiten und Kenntnissen der Lernenden entsprechen;
  • eine erfolgreiche Bearbeitung und damit ein Erfolgserlebnis soll wahrscheinlich sein;
  • die A müssen andererseits komplex genug sein, um nicht zu unterfordern.

In fachlicher Hinsicht sollten die Gesamtheit der Methoden pB berücksichtigt sowie lerntechnische Hilfen gegeben werden, so dass die Lernenden in die Lage versetzt werden, ihre A selbst oder gemeinsam mit dem Lehrenden zu konzipieren.

4. Lernende stellen sich ihre Arbeitsaufgaben selbst

Langfristiges Ziel der pB sollte es sein, dass die Lernenden in die Lage versetzt werden, sich in Eigenverantwortung Arbeitsauftrag und Arbeitsaufgaben selbst zu stellen. An drei Beispielen wird aufgezeigt, wie dieser Prozess in der pB vollzogen werden kann:

  1. Selbst bei der routinemäßigen Textarbeit können Lernende zu größerer Selbständigkeit geführt werden, wenn man z. B. die "Fünf-Schritte-Methode" (H. Stary/J. Kretschmer 1994,61 ff.) anwendet: 1. Schritt: Überblick gewinnen (Inhaltsverzeichnis, Einleitung, Überschriften, Gedankengang); 2. Schritt: Der Lernende selbst stellt Fragen an den Text (Intentionen des Verfassers, Hauptaussagen, Belege, Integration in den Zusammenhang); 3. Schritt: Genaues Lesen, gezieltes Text- markieren nach den vorher aufgestellten Fragen; 4. Schritt: Rekapitulieren - der Lernende muss versuchen, auf die von ihm selbst gestellten Fragen zu antworten; 5. Schritt: Zusammenfassende Wiederholung - aus den Einzelergebnissen wird nun ein Gesamtergebnis erstellt, welches mündlich oder schriftlich in den Lernzusammenhang eingebracht wird. - Ist der Lernende in der Lage, selbst Fragen zu stellen, wird es ihm auch leichter fallen, sich an der Gesamtplanung des Lernprozesses zu beteiligen.
  2. Anhand von Experimenten aus dem Bereich der Kleingruppenforschung, die man selbst durchführt, kann man in allen Bereichen der pB die Lernenden mit dem Grundmuster der empirischen Sozialforschung vertraut machen (E. Stiller 1986, 235 ff.): Konfrontation mit einem Problem, Hypothesenformulierung, Entwurf eines Untersuchungsplans, Durchführung der Untersuchung (Experiment, Beobachtung, Inhaltsanalyse u. a.), Auswertung der gewonnenen Daten, Schlussfolgerungen und Integration in den Zusammenhang.
    Je geläufiger den Lernenden dieses Verfahren ist, desto besser sind sie in der Lage, sich an den Planungsentscheidungen zu beteiligen und Arbeitsaufträge zu konzipieren - von komplexen Leitfragen bis zu konkreten Beobachtungsaufträgen in einzelnen Phasen.
  3. Die Facharbeit dürfte der Aufgabentyp der Zukunft sein, der geeignet ist, die Forderung nach Individualisierung des Lernens sowie dem höchst möglichen Maß an Selbststeuerung in Lernprozessen mit der weiter bestehenden Aufgabe der Wissenschaftspropädeutik zu verbinden (E. Stiller 1997, 114ff.). In der Facharbeit[/S.418:] im Bereich der pB können die Lernenden über einen langen Zeitraum an einem selbst gestellten Thema arbeiten, welches
    • bewusst fachspezifisch (mit soziologischem, ökonomischem oder politologischem Schwerpunkt),
    • bewusst fächerübergreifend innerhalb der Sozialwissenschaften oder darüber hinausgreifend, z. B. mit einer interkulturellen Perspektive (A. Holzbrecher 1997),
    • bewusst theorie- oder praxisbezogen,
    • aber auch subjekt- oder biographieorientiert (H. Hoppe 1997) ausgelegt ist.

5. Literatur

Feiks, D. (1992): Aufgabe in Schule und Unterricht, München.

Grell, J./Grell M. (1994): Unterrichtsrezepte, Weinheim.

Halfpap, K. (1996): Lernen lassen. Ein Wegweiser für pädagogisches Handeln, Darmstadt.

Holzbrecher, A. (1997): Wahrnehmung des Anderen, Opladen.

Hoppe, H. (1997): Subjektorientierte politische Bildung, Opladen.

Peterssen, W. H. (1997): Methodenlexikon, Stichwort: Aufgabe, in: Meyer, M. A. u. a. (Hrsg.), Lernmethoden - Lehrmethoden. Wege zur Selbstständigkeit, Jahresheft XV/1997, Seelze, 5- 121.

Stary, J./ Kretschmer, H. (1994): Umgang mit wissenschaftlicher Literatur, Frankfurt/M. .

Stiller, E. (1986): Kommunikation und Kooperation in Kleingruppen als Unterrichtsthema (S II). in: GK 29 (1986), 5. 235-245. DERS., Dialogische Fachdidaktik Pädagogik, Paderborn.

Twellmann, W. (1981): Die "Arbeit" im Unterricht, in: Ders. (Hrsg.); Handbuch Schule und Unterricht, Bd. 4.1, Düsseldorf.

 

Zum Autor

Edwin Stiller ist Referent für Lehrerausbildung im Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Dieser Text ist unter dem gleichen Titel erschienen in: Wolfgang W. Mickel (Hg.). 1999. Handbuch zur politischen Bildung, Bonn, S. 415-418.
© 1999 Edwin Stiller, © 2007 sowi-online e.V., Bielefeld
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