Arbeitsmaterial: Gedenkstättenarbeit

Checkliste: Gedenkstättenbesuch

Wie kann der Besuch vorbereitet werden?

  • Von wem geht der Impuls zu einem Gedenkstättenbesuch aus?
  • Was ist das Ziel des Besuches?
  • Um welche Art von Gedenkstätte handelt es sich?
  • Welche Zeugnisse sind dort konkret vorzufinden?
  • An welche konkreten Ereignisse erinnert und mahnt die Gedenkstätte?
  • Wie ist der genaue historische Zusammenhang dieser Ereignisse?
  • Gibt es noch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die über die Geschehnisse berichten können? Können diese eingeladen bzw. hinzugezogen werden?
  • Welche Erwartungen und welche Interessen verbinden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer damit?
  • Welches Vorwissen und welche Kenntnisse über die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus bringen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit?
  • Wie können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereits in die Vorbereitungen einbezogen werden?
  • Welche schriftlichen Vorbereitungsmaterialien stehen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Verfügung bzw. sollten beschafft werden?
  • An welchen Punkten lassen sich Bezüge zur Situation der Jugendlichen heute herstellen?

Wie soll der Besuch ablaufen?

  • Wieviel Zeit steht zur Verfügung?
  • Soll eine Führung stattfinden?
  • Stehen kompetente Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zur Verfügung?
  • Sollen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen hinzugezogen oder anschließend besucht werden?
  • Soll die Gesamtgruppe in Teilgruppen aufgeteilt werden?
  • Welche konkreten Recherchemöglichkeiten gibt es direkt in der Gedenkstätte bzw. in den umliegenden Orten (Archive mit Lagerakten, Bildern usw.)?
  • Wie soll über die Opfer, wie über die Täter informiert werden?
  • Wie und warum haben die Täterinnen und Täter sowie Mittäterinnen und Mittäter zur Massenvernichtung beigetragen?
  • Sollen über die Gedenkstätte hinaus andere Zeugnisse nationalsozialistischer Gewaltherrschaft besucht werden (evtl. in Form eines "Suchspiels")?
  • Sollen mit dem Besuch konkrete handwerkliche Tätigkeiten (evtl. Pflege von Gräbern, Säubern von Wegen usw.) verbunden werden?
  • Sind Pausen eingeplant für Besinnung, Kleingruppengespräche, Essenszeiten usw.?
  • Wie läßt sich bei unvorhergesehen Ereignissen Souveränität bewahren (z. B. wenn Jugendliche neben einer Führung ihr Frühstücksbrot verzehren oder ihren Walkman aufsetzen)?

Wie kann der Besuch ausgewertet werden?

  • Wie wird in der Gedenkstätte versucht, die Erinnerung wachzuhalten? Welche Themen und Probleme werden dabei aufgezeigt und angesprochen, welche nicht?
  • Wie kann Trauer und Gedenken heute aussehen?
  • Welche Themen müßten weiter vertieft werden? (Z. B.: Welche Abwehrmechanismen tauchen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf und wie wird mit ihnen umgegangen? Welche Abwehrmechanismen hatte/hat die Großväter-/müttergeneration?)
  • Welche Reaktionsweisen auf den Besuch haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei sich und anderen feststellen können?
  • Wie können die Eindrücke verarbeitet und mit heutigen Ereignissen in Beziehung gesetzt werden (z. B. mit der Frage des Umgangs mit Fremden und Minderheiten heute)?
  • Wie können unterschiedliche Meinungen für die Gruppe produktiv verarbeitet werden?
  • In welcher Form kann der Besuch dokumentiert werden (Tagebuchaufzeichnungen, Fotodokumentation usw.)?
  • Wie können die gewonnenen Erkenntnisse im eigenen Lebensumfeld weiter vertieft werden (z. B. Recherchen im eigenen Heimatort, in der eigenen Familiengeschichte: Wo und wie kam es hier zu Deportationen? Wer wußte davon? usw.)?

Vergangenheit kann man nicht hinter sich lassen

Wie lernt man aus der Geschichte? Wie lernt eine Nation aus der Geschichte? Was immer ansonsten notwendig sein mag - es muß eine zuverlässig dokumentierte und zutreffend interpretierte Geschichte geben. Vor allem bezogen auf die Nationalgeschichte setzt das voraus, daß Geschichtsschreibung bestimmten Versuchungen widersteht, besser noch: ihnen entgegenwirkt. (...)
Da Nationalgeschichte hauptsächlich von Angehörigen der betreffenden Nation entworfen wird, hat sie zumeist etwas autobiographisches. Bei einer Autobiograpie sind Autor und Gegenstand identisch. Auch bei einer Nationalgeschichte teilen Autoren und Gegenstand eine Identität. Autobiographen rücken ihren Gegenstand meist in ein übertrieben vorteilhaftes Licht. Auch Nationalgeschichten beschönigen und verherrlichen normalerweise ihre Inhalte, die Vergangenheit einer Nation. Autobiographien neigen zu narzistischer Selbstüberhöhung, das heißt Legendenbildung. Ebenso neigen Nationalgeschichten zu kollektiver, narzistischer Verzückung, zur nationalistischen Geschichtsschreibung.

Ein genaues Verständnis erfordert in beiden Fällen eines: die jeweiligen Gegenstände in das Licht einer kritischen Außenwahrnehmung zu rücken. Bei den Persönlichkeitsporträts fällt das in die Zuständigkeit des Biographen. Im Falle der Nationalgeschichte besorgt es das Ausland. (...)

Die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ist ausschließlich in einem Sinne möglich: sie auf Abstand zu halten, um sicher zu gehen, daß sie nicht zu einer nach dem Bild dieser Vergangenheit geschaffenen Zukunft wird. Das aber kann nur heißen, die Vergangenheit in den Köpfen lebendig zu erhalten. Wer in der Dunkelheit wandert, weiß nicht, wohin er gerät.

Daniel Jonah Goldhagen: Modell Bundesrepublik. Nationalgeschichte, Demokratie und Internationalisierung in Deutschland. In: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, 4/97, S. 424 ff., Auszüge.

Gedenkkultur in der Sackgasse

Oberflächlich betrachtet gibt es eine regelrechte Gedenkflut. Aber bei näherem Zusehen erweist es sich, daß sie deutscherseits von nationalen Deutungsmustern beherrscht wird. Erinnern kann auch verzerren und vergessen heißen. Seine fast zwanghafte Reproduktion zeigt eher ein Problem an als schon dessen Lösung. (...)

Das Gedenken an den Holocaust ist zur arbeitsteiligen Verrichtung in einer Gesellschaft geworden, die von ihm nichts wissen will. Es sind immer die gleichen Leute, die sich für sie versammeln und Erinnerung zelebrieren. Der postfaschistische Staat hat die Abgrenzung vom nazistischen Massenmord zum Bestandteil seiner Identität erklärt. Das Gedenken erfolgt in öffentlichen Ritualen, die das Geschehen eher bannen und beschwichtigen als evozieren. Das Nachleben der kollektiven Tat spaltet sich in surrogative Zeremonien und private Reminiszenzen. Die schier inflationär verwendeten Zeitzeugen sind mit der Schließung dieser Lücke überfordert, doppelt einsam im Erleben und Wiedergeben ihres Leids.

Gerhard Armanski: Gedenkkultur in der Sackgasse. In: Mitteilungen Nr. 3 der Initiative zur Gründung eines "Zentralmuseums gegen Verbrechen wider die Menschlichkeit. Arbeits-, Gedenk- und Forschungsstätte für Frieden und Humanität. Hannover 1996, S. 6 f.

 

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