Brecht´sche Lehrstücke

Arbeitsmaterial

Das Experimentieren mit Brecht'schen Lehrstücken eignet sich besonders als Medium, um Erfahrungen mit Gewalt, Macht und Ohnmacht zu bearbeiten und produktive Haltungen in Konfliktsituationen zu erproben.

Dieser Arbeit zugrunde liegt die von Bertold Brecht Anfang der 30er Jahre entwickelte "Lehrstück-Theorie". Speziell für diesen Zweck (und nicht für die Bühne) schrieb er entsprechende kleine Theaterstücke.

Der Umgang mit Brecht'schen Lehrstücken erfordert eine gewisse Sicherheit im theaterpädagogischen Bereich sowie gute Kenntnisse der Lehrstücke.

Vorgehensweise

  • Als Ausgangsmaterial dient jeweils eine Szene aus einem der von Brecht hinterlassenen sieben "Lehrstücke".
  • Zu Beginn sollten Aufwärm- und Interaktionsübungen stehen, damit der Zugang zum eigenen Körper intensiviert, die anderen bewußt wahrgenommen werden und die erforderliche Konzentration hergestellt wird.
  • Danach kann der Text in verschiedenen Variationen und Stimmungslagen (laut) gelesen und gespielt werden.
  • Erst jetzt kommen ernsthafte Szenenentwürfe und Proben.
  • Die jeweiligen Szenen werden mit ständig wechselnder Rollenbesetzung und aufgeladen durch ständig neue Assoziationen aus der Lebenswelt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Verlauf des Seminars immer wieder gespielt.
  • Wer in einem Durchgang gespielt hat, wird im nächsten zum Zuschauer und Beobachter.
  • Zu Beginn wird oft versucht, den Text entsprechend den Intentionen zu spielen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmern in unterschiedlicher Weise Brecht unterstellen.
  • Im Verlaufe des Spiels werden zunehmend eigene Erlebnisse und bedrängende Konfliktkonstellationen den Szenen unterlegt. Dabei geht es nicht nur um solche, in denen die Teilnehmer die Opfer waren, sondern im gleichen Maße um die eigene Beteiligung an tendenziell gewaltförmigen Vorgängen.
  • Nach jedem Spiel teilen diejenigen, die gerade nicht gespielt haben, ihre Wahrnehmungen und Assozisationen zu der Darstellung mit.
  • Erst am Ende eines solchen "Feedbacks" der "Beobachtenden" sprechen auch die Spielerinnen und Spieler über das, was sie sich vorgenommen und das, was sie im Spiel selbst erlebt haben.

Vgl.: Reiner Steinweg u. a.: Weil wir ohne Waffen sind.Frankfurt/M. 1986.

Die Regeln des Lehrstückspiels

  • Alle Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer sind abwechselnd Spieler (Darsteller) und Beobachter. Die Rollen werden von Spiel zu Spiel getauscht.
  • Es kommt nicht auf künstlerische Perfektion an. Jede Darstellung ist gut im Hinblick auf die besonderen Zwecke des Lehrstücks. Das Spiel wird gegenseitig nicht ästhetisch bewertet, weder negativ noch positiv.
  • Nach jeder Spielszene, manchmal auch erst nach zwei oder drei Szenen, beschreiben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Wahrnehmungen inklusive der sozialen und politischen Assoziationen, ohne die eine differenzierte Beschreibung kaum möglich ist.
  • Bei diesen verbalen, manchmal auch nonverbalen, Rückmeldungen auf eine gespielte Szene beziehen wir uns ausschließlich auf die dargestellte Figur, nicht auf die darstellende Person. (...)
  • Während des Kurses wird der ausgewählte Lehrstücktext nicht literarisch interpretiert. (...)
  • Körperübungen und Spiele zwischen den einzelnen Arbeitseinheiten oder zu ihrer Einleitung haben vorbereitenden oder kontrapunktischen, auflockernden Charakter.
  • Der Spielleiter (Regisseur, Schauspieler, Sozialpädagoge) spielt selbst mit und unterwirft sich den gleichen Regeln wie alle anderen. () Er achtet in erster Linie darauf, daß die vereinbarten Regeln eingehalten werden und beschreibt jeweils den nächsten Schritt.

Reiner Steinweg: Gewaltphantasien ausagieren. Was Theaterleute für den Frieden tun können. In: Wolfgang R. Vogt / Eckhard Jung (Hrsg.): Kultur des Friedens. Darmstadt 1997, S. 200.