Juniorfirma – Ein Erfahrungsbericht über ein handlungsorientiertes Bildungskonzept für allgemeinbildende Schulen

Heinz Kociubski

Inhalt

1. Über das Konzept Juniorfirma
   1.1 Angebahnte Ziele
   1.2 Versuch einer Einordnung in einen theoretischen Kontext
2. Die Verlaufsstruktur des Konzepts – dargestellt am Beispiel der Juniorfirma `holderheckenhandmade´
   2.1 Die Projektidee
   2.2 Vorüberlegungen des Projektleiters
   2.3 Die Gründungsphase
   2.4 Unsere Firmenstruktur
   2.5 Die Kapitalbeschaffung
   2.6 Der Verlauf des ersten Geschäftshalbjahres
   2.7 Unsere zweite Hauptversammlung
   2.8 Die zweite Hälfte des Geschäftsjahres
   2.9 Die Auflösung der Firma
3. Erfahrungen der Schüler und des betreuenden Lehrers
4. Fazit
Literatur

1. Über das Konzept Juniorfirma

Das Konzept Juniorfirma besteht darin, dass Schüler eine eigene Firma gründen und dabei wie im richtigen Wirtschaftsleben agieren. Dazu müssen sie sich eine Produktidee überlegen, eine interne Firmenstruktur und eine Aufgabenverteilung entwickeln, einen Firmennamen geben, das Produkt herstellen und auf dem Markt möglichst gewinnbringend verkaufen. Um der Realität des Wirtschaftslebens noch näher zu kommen, müssen außerdem die Kapitalbeschaffung über Anteilscheine erfolgen, innerhalb der Firma eine Lohn- und Gehaltsstruktur mit drei Tarifgruppen (Arbeiter, Angestellte, Unternehmensleitung) ausgearbeitet und auch die Löhne und Gehälter berechnet und ausbezahlt werden. An die Projektleitung in Köln sind dabei monatliche Berichte über die Firmensitzungen zu senden und die Beiträge für Lohnsteuer und Sozialversicherungen zu überweisen. Darüber hinaus ist die Schülerfirma zur Buchhaltung verpflichtet und muss im gesamten Jahr drei Hauptversammlungen für die Aktionäre abhalten, wobei die erste als Gründungsversammlung der Firma nach dem Aktienverkauf, die zweite im Februar mit einem Zwischenbericht zur Mitte des Geschäftsjahres und die letzte Aktionärsversammlung mit Auszahlung der Dividende und der Vorlage eines Jahresberichts inhaltlich verpflichtend festgelegt sind. Vor dieser letzten Veranstaltung müssen alle Bücher der Firma abgeschlossen, eine Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung erstellt sein. Auch an die Kapitalertragssteuer ist zu denken, denn vor Auszahlung des Gewinnes an die Aktionäre muss auch hier ein Pauschalbetrag von 10% an die Projektleitung des Instituts der deutschen Wirtschaft überwiesen werden.

Zur Bewältigung dieser doch recht komplexen Aufgaben können von den Schülern `Paten´ aus der Schule (z.B. der Projektleiter oder andere Lehrkräfte) zur Hilfe gebeten werden oder die Schülerfirma kann sich `Wirtschaftspaten´ aus der heimischen Wirtschaft (z.B. spezielle Ansprechpartner für spezielle Aufgaben) suchen. Die Paten dürfen jedoch immer nur beratende Funktionen einnehmen, genau wie auch der betreuende Lehrer.

1.1 Angebahnte Ziele

Im Vordergrund steht die Entwicklung von Schlüsselqualifikationen wie Selbständigkeit, Eigeninitiative, Verantwortungsbewusstsein und vor allen Dingen Teamfähigkeit. Die Förderung sozialer Kompetenzen und das Erleben der [/S. 138:] Wichtigkeit bestimmter Arbeitstugenden wie Pünktlichkeit oder Genauigkeit bei der Arbeit in der Schülerfirma bringen wesentliche Erkenntnisse für den späteren Alltag als Arbeitnehmer oder –geber. Daneben lernen die Schüler natürlich auch in der praktischen Anwendung wirtschaftliche Zusammenhänge kennen und verstehen und orientieren sich in einem Umfeld, das das spätere Erwerbsleben unmittelbar betrifft. Elementare Kenntnisse und Handlungsstrategien aus den Problemfeldern Arbeiten und Wirtschaften sollen in Firmensitzen und Abteilungsgesprächen erarbeitet und in der Firma praktisch erprobt und überprüft werden.

"JUNIOR verfolgt keinen eigenen wirtschaftlichen Erwerbszweck, sondern hat es sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen mit den wichtigsten wirtschaftlichen Grundprinzipien vertraut zu machen und ihre soziale Kompetenz zu fördern. Die primäre Zielsetzung von JUNIOR ist daher die Entwicklung von Selbständigkeit, Eigeninitiative, Verantwortungsbewusstsein und Teamfähigkeit von Jugendlichen. Durch die verschiedenen Prozesse der Willensbildung und das praktische Handeln in der Gruppe wird die Entscheidungs- und Teamfähigkeit junger Menschen gefördert. Außerdem lernen Teilnehmer wirtschaftliche Zusammenhänge und die Bedingungen für unternehmerische Entscheidungen kennen, unternehmerisches Denken und Handeln wird angeregt." (Institut der deutschen Wirtschaft 1996, 7)

1.2 Versuch einer Einordnung in einen theoretischen Kontext

Die vorgestellte Thematik Arbeit mit einer Schülerfirma bedarf einer Begriffsklärung. Von den in der Literatur verwendeten Begriffen Lernfirma, Übungsfirma, Lernbüro o.ä. wird bewusst Abstand genommen, da diese in der Regel in Teilbereichen der beruflichen Ausbildung oder auch im kaufmännischen Schulwesen beheimatet waren oder noch sind. Im Gegensatz dazu ist eine Schülerfirma an allen Schularten, also auch an den allgemeinbildenden und weiterführenden Schulen möglich und auch sinnvoll. Die Gemeinsamkeiten mit den traditionellen Übungsfirmen bestehen

  • in der Reduktion der wirtschaftlichen Vorgänge auf elementar wichtige Strukturen eines Unternehmens und seiner Abteilungen
  • in der Vereinfachung firmeninterner Strukturen (z.B. Lohnsystem)
  • in der Vereinfachung externer juristischer und finanztechnischer Strukturen (Rechtsform des Unternehmens, Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Kapitalertragssteuer usw.).

Die Schülerfirma ist keine Scheinfirma, sie existiert real und versucht sich am Markt zu behaupten. Die Firma selbst, also die in ihr arbeitenden Schüler, fällen alle anstehenden Entscheidungen von der Firmenstruktur über die Realisierung der Geschäftsidee bis hin zur Gewinnverteilung. Zur Kontrolle fungiert die JUNIOR-Geschäftsstelle des Projektes des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Es nimmt Funktionen der Sozialversicherungen, des Finanzamtes und des Staates wahr: Beiträge zu den Versicherungen oder den verschiedenen Steuerarten müssen real überwiesen werden, die Buchführung der Firma muss monatlich dargelegt werden, Protokolle der Aktionärsversammlungen müssen eingesandt werden usw. Das Prinzip der Substitu[/S. 139:]tion im Sinne von Reetz (1986) hat in Bezug auf Schülerfirmen kaum Bedeutung, da alle Vorgänge real ablaufen, nichts wird symbolisch repräsentiert. Allerdings werden einige Vorgänge nur vereinfacht durchgeführt, z.B. beträgt der zu zahlende Arbeitnehmeranteil zu den Sozialversicherungen generell 10% vom Bruttoeinkommen und auch die Lohnsteuer wird pauschal mit 20% berechnet. Die Beträge müssen natürlich monatlich an die Geschäftsstelle JUNIOR überwiesen werden.

2. Die Verlaufsstruktur des Konzepts – dargestellt am Beispiel der Juniorfirma `holderheckenhandmade´

Die Entwicklungsphasen von Juniorfirmen werden bewusst an einem Beispiel aus einer Hauptschule dargestellt, weil dadurch das anspruchsvolle und lebendige Arbeiten in Juniorfirmen sehr deutlich wird.

2.1 Die Projektidee

Ein wichtiger Anstoß zur Gründung von Schülerfirmen kommt von Arbeitgeberseite:

"In Deutschland herrscht in einem besorgniserregenden Ausmaß ökonomischer Analphabetismus. Nicht annähernd die Hälfte der deutschen Schüler konnte in einer repräsentativen Umfrage der Universität Mainz mit wichtigen volkswirtschaftlichen Grundbegriffen etwas anfangen." (Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt in taz vom 01.11.2000, Beitrag "Der Bildungskanon".

Schüler gründen eine Firma und handeln wirtschaftlich selbständig, das ist die Grundidee dieses Unterrichtsprojektes für alle Schularten.

"JUNIOR wird getragen vom Institut für angewandte wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftliche Forschung e.V. (I.a.F.) und vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sowie von vielen anderen Organisationen und Institutionen unterstützt." (Institut der deutschen Wirtschaft 1996, 7)

Bayern nahm im Schuljahr 1997/98 erstmalig daran teil. Andere Bundesländer beteiligen sich bereits seit mehreren Jahren an diesem Wettbewerb. Es ist ein europäischer Wettbewerb, der für Gruppen aus allen Schularten offen ist. Er findet auf drei Ebenen statt: Landesebene, Bundesebene, Europaebene. Bei einer Einführungsveranstaltung im Juli 1997 in München waren Vertreter von ca. 40 verschiedenen bayerischen Schulen anwesend, von denen dann 21 im September ihre Teilnahme realisierten. Die Palette reichte von Haupt- über Real- bis hin zu Berufsschulen und Gymnasien ohne Alterdifferenzierungen.

2.2 Vorüberlegungen des Projektleiters

Folgende Schwierigkeiten sah ich für unsere Hauptschüler:

  • Die abstrakten Begriffe des Wirtschaftslebens (z.T. oben genannt) sind unseren Schülern unverständlich und entstammen größtenteils nicht ihrer Erfahrungswelt.
  • Das Projekt Junior zielt ab auf die unternehmerische Selbständigkeit, wobei aber ein Hauptschüler später in der Regel als Angestellter und Arbeiter beschäftigt ist.
  • Schüler mit kreativen Fähigkeiten zum Entwickeln von Ideen und Strategien sind in der Hauptschule in der Minderheit. [/S. 140:]
  • Die Altersstruktur an weiterführenden Schulen (Schüler mit 16 Jahren oder gar volljährig) bedingt ganz andere Voraussetzungen (organisatorisch/technisch – z.B. Kontoeröffnung oder Auftreten bei Verhandlungen mit Geschäftspartnern, Reife, Persönlichkeit, Selbstbewusstsein usw.)

Als Klassenleiter einer 9. Jgst. Im Schuljahr 1997/98 machte ich mir darüber meine Gedanken und kam zu folgenden Ergebnissen:

  • Begriffe aus dem Wirtschaftsleben sollten für jeden Menschen verständlich und begreifbar werden, weil er ja gezwungenermaßen als Arbeitnehmer oder –geber daran teilhaben wird.
  • Beispiele von Karriereverläufen ehemaliger Schüler von mir zeigen, dass es diese zu einer Unternehmensgründung gebracht haben. In Zukunft wird diese vor allem im Dienstleistungsbereich noch weiter zunehmen.
  • Unter meinen Schülern gibt es zwar viele, die am liebsten nach genauen Anweisungen arbeiten und wenig kreativ sind, aber der traditionelle Unterricht bietet oft auch nicht viel Gelegenheiten, kreative Fähigkeiten zum Tragen kommen zu lassen.
  • Reife und Persönlichkeit sind auch eine Frage der Übung, der Erfahrungen und der Herausforderungen. Vielleicht eröffnet gerade die Mitarbeit in einer Schülerfirma für die Jugendlichen einen Schritt zur Weiterentwicklung.

Mein Fazit: Mit interessierten und motivierten Schülern müsste die Teilnahme an diesem Projekt möglich sein – wichtige persönliche Erfahrungen sammeln alle Beteiligten auf jeden Fall. Außerdem werden etliche Lernziele des Faches Arbeitslehre in der Projektarbeit vertieft bzw. eher erreicht als im traditionellen Unterricht.

2.3 Die Gründungsphase

Als Lehrer einer 9.Klasse einer bayerischen Hauptschule fand ich die Projektidee also gut geeignet, Schülerinnen und Schüler in die Arbeits- und Wirtschaftswelt einzuführen. Mit Unterstützung des Schulleiters und einiger Kollegen konnten 17 Jugendliche aus zwei 9.Klassen für dieses Projekt gewonnen werden.

2.4 Unsere Firmenstruktur

Nach den ersten drei Sitzungsnachmittagen mit langwierigen Diskussionen um Namen und Zweck der Firma wurde das Unternehmen `holderheckenhandmade´ von 17 Schülern der HS Bergrheinfeld gegründet. Wir machten es uns zum Ziel, Glückwunschkarten in Handarbeit herzustellen, außerdem boten wir Visitenkarten und die Gestaltung von Speisekarten an. Nach der Anmeldung des Unternehmens bei der Projektleitung in Köln wurden 85 Aktien im Nennwert von je 15,- DM gezeichnet. Jeder teilnehmende Schüler musste 5 Aktien verkaufen, eine davon durfte er für sich behalten und eine weitere durfte in der Familie erworben werden. Für die restlichen 3 Aktien musste er/sie andere Interessenten überzeugen.

Die Binnenstruktur der Firma, einschließlich der Positionen und der Lohngruppen, war unsere nächste Hürde. Nach mehreren harten Abstimmungen wurden ein Geschäftsführer und vier Abteilungsleiter für die Bereiche Verwaltung/Personal, Fi[/S. 141:]nanzen, Produktion und Verkauf gewählt. Jeder Abteilung wurden bis zur vier Mitarbeiter zugeteilt. Darüber hinaus wurde eine dreistufige Gehaltsstruktur mit Stundenlöhnen festgelegt (Arbeiter 2,00 DM je Stunde, Abteilungsleiter 2,50 DM je Stunde, Geschäftsführer 3,50 DM je Stunde).

2.5 Die Kapitalbeschaffung

Zur Eröffnung des Aktienverkaufs luden wir die Bürgermeister der Schulverbandsgemeinden und Vertreter der Elternschaft ein und bereiteten mit der Hauswirtschaftsgruppe auch ein kaltes Büffet vor. Zusätzlich vereinbarten wir natürlich noch einen Pressetermin, um unsere Firma bekannt zu machen. Prototypen unserer ersten Glückwunschkartenserien sollten dabei den künftigen Aktionären unsere Geschäftsidee aufzeigen. Die Regionalzeitungen in Schweinfurt druckten dann auch einige Tage später einen Artikel mit Fotos von dieser Veranstaltung ab. In einem Zeitraum von 14 Tagen konnten alle 85 Aktien zu den o.a. Bedingungen verkauft werden.

Als Abschluss dieser Gründungsphase mussten wir nach den Richtlinien des Projekts JUNIOR eine erste Gesellschafterversammlung einberufen. Das hieß, es mussten alle 85 Aktionäre eingeladen werden. Am 5.12.97 war es soweit: Das Unternehmen wurde mit Ziel, Zweck und Namen vorgestellt und von der Aktionärsversammlung mehrheitlich genehmigt. Aus den Reihen der Aktionäre wurden Rechnungsrevisoren ernannt, die die Buchhaltung zu prüfen hatten, und die Firma `holderheckenhandmade´ war endlich startbereit. Dazu musste die Unternehmensführung sich vor allen Aktionären präsentieren, die einzelnen Abteilungsleiter stellten ihr Konzept vor und ließen es sich von der Aktionärsversammlung genehmigen. Für Hauptschüler war es eine vollkommen neue Erfahrung, vor einer Zuhörergruppe von 50 meist erwachsenen Personen ein Referat zu halten.

Das Presseecho in der Regionalzeitung machte uns dann doch recht stolz – auf einer halben Seite wurde über die Aktionärsversammlung berichtet.

2.6 Der Verlauf des ersten Geschäftshalbjahres

Die wichtigsten Ereignisse bzw. Stationen in dieser Zeit waren eine Umfrage unter rund 800 Personen zu ihren Erwartungen beim Kauf von Glückwunschkarten, die Werbung mit Pressearbeit und die persönliche Vorsprache bei potentiellen Kunden, z.B. bei den Schulverbandsgemeinden, die Vorbereitung eines Musterkataloges und natürlich unsere Verkaufsaktionen bei diversen Veranstaltungen (z.B. Weihnachtsfeiern verschiedener Organisationen).

Doch vor den ersten größeren Verkaufsaktionen kam es bei einer Firmensitzung zu einer Auseinandersetzung über die Verwendung unseres Kapitals und die Lohnstruktur. Materialeinkäufe und Lohnauszahlungen hatten das Firmenkapital fast aufgezehrt, so dass auf dieser Versammlung von der Finanzabteilung Lohnkürzungen gefordert wurden. Nach erregter Debatte konnte Corinna, die Vorstandsvorsitzende, den streit zwischen Arbeitern, Angestellten und der Unternehmensführung schlichten. Man einigte sich etwa auf eine 10%ige befristete Lohnkürzung, eine Anhebung [/S. 142:] der unteren Einkommensgruppe und eine Reduzierung des Gehalts bei der Firmenleitung. Dokumentiert ist dies ausführlich im zehnseitigen Geschäftsbericht zum ersten Halbjahr.

Aber das beginnende Weihnachtgeschäft brachte uns dann wichtige Verkaufserfolge. Die Exklusivität, das Prädikat Handarbeit und das marktübliche Erscheinungsbild unserer Karten (Firmenlogo, Prädikat `handgefertigt´ und auch eine professionelle Verpackung mit Zellophanhülle und Preisschild ließen uns bis Weihnachten einen Umsatz von 2558,66 DM erzielen.

Schwer fiel natürlich der Verwaltungsteil und die Buchhaltung innerhalb der Firma. Wir machten Fehler beim Ausfüllen der Überweisungen, wir mussten uns mit Begriffen wie Umsatz-, Vor- und Mehrwertsteuer herumschlagen und gleichzeitig Karten herstellen, Material einkaufen und die Endprodukte verkaufen. Besonders gewissenhaft war das Hauptbuch zur führen. Vor allem im Dezember brachte das einige Überstunden für die Finanzabteilung mit sich. Auch die Produktions- und die Verkaufsabteilung hatten wegen des saisonalen Geschäfts viele Überstunden zu leisten, die dann zum Leidwesen unseres Abteilungsleiters für die Finanzen auch noch mit Überstundenzuschlägen bezahlt werden mussten. Darüber hinaus hatten wir als Abschlussklasse auch noch ständig wichtige Schulaufgaben zu bewältigen.

Durch unsere unermüdliche Pressearbeit war auch das Bayerische Fernsehen auf unsere Firma aufmerksam geworden. Kurz vor weihnachten kam ein Fernsehteam und machte Aufnahmen zu einigen aussagekräftigen Szenen aus dem Firmenleben. Der Beitrag wurde dann kurz vor Weihnachten im Dritten Programm des Bayerischen Rundfunks im Rahmen der Frankenschau gesendet.

2.7 Unsere zweite Hauptversammlung

Als nächste große Bewährungsprobe der Firma stand im Februar unsere zweite Hauptversammlung bevor. Wieder mussten alle Aktionäre eingeladen werden, und die Abteilungsleiter mussten Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen. Darüber hinaus prüften die Rechnungsrevisoren auch noch alle Bücher und die Finanzen der Firma.

Unser ursprünglicher Plan, ein örtliches Geldinstitut für eine Hauptversammlung als Sponsor zu gewinnen, war fehlgeschlagen und wir suchten neue Möglichkeiten, um bei unseren Aktionären einen guten Eindruck zu erwecken. Hier half uns die Hauswirtschaftsgruppe der 8. Klassen: Sie bereitete Tischschmuck und Büffet vor, sodass für die Firma nur geringe Kosten entstanden.

Corinna als Unternehmensleiterin und die Abteilungsleiter trugen ihre Berichte vor. Zur ausführlichen inhaltlichen Darstellung diente der o.a. Geschäftsbericht. Von den 85 Aktionären waren 56 persönlich erschienen, was wir als großen Erfolg unserer Öffentlichkeitsarbeit betrachteten. Viel Zeitaufwand in der Finanz- und Verwaltungsabteilung entstand dadurch, dass alle Bücher auf den aktuellen Stand gebracht und eine Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung erstellt werden musste. Das alles waren für die Schüler zunächst vollkommen neue Aufgaben und Lerninhalte, die nur [/S. 143:] durch genaues Nachlesen in den Projektunterlagen und den darin enthaltenen Buchungsbeispielen verstanden und durchgeführt werden konnten. Schwierige Buchungsfälle, z.B. ein versehentlich falsch überwiesener Rechnungsbetrag eines Kunden, ließen uns schwer ins Schwitzen kommen. Zusätzlicher Zeitaufwand war die Folge.

2.8 Die zweite Hälfte des Geschäftsjahres

Nach der Euphorie des Weihnachtsgeschäftes spürten wir jetzt eine Flaute in unserer Motivation. In Diskussionen der Abteilungsleiter wurde erkannt, dass neue Ideen für neue Projekte und auch ein neuer Motivationsschub für die Mitarbeiter dringend notwendig waren. Auch an den Verwaltungskosten musste eingespart werden. Es dauerte einige Sitzungen, bis wir uns auf das Ostergeschäft und verstärkte Verkaufsaktivitäten im Hinblick auf Visiten- und Speisekarten einigen konnten und wir diese Aufgaben dann auch aktiv angingen.

Neuen Auftrieb bekam die Firma auch dadurch, dass Corinna (Vorstandsvorsitzende) und Tanja (Abteilungsleiterin der Verwaltung) zu einer Podiumsdiskussion zum Thema `Frauen als Unternehmerinnen´ im Februar zur Eröffnung der neuen Münchner Messe eingeladen wurden. Staatssekretär Spitzner und auch die anderen Teilnehmer waren sehr beeindruckt von unserer Schülerfirma. Das gab uns neue Kraft und die Produktion von Karten für Ostern und Muttertag lief an. Unsere Flaute in der Firma konnte so überwunden werden, es war nur eine einzige Abmahnung an einen Mitarbeiter nötig, der `keinen Bock mehr hatte´, aber ein großes Verkaufstalent auf Veranstaltungen war. Der Geschäftsführung machte es zunächst große Schwierigkeiten, diesem Mitarbeiter gegenüber klar Stellung zu beziehen. Aber er sah sein Fehlverhalten ein und blieb der Firma treu.

Die geplante nächste Veranstaltung, nämlich die Präsentation der Firma zusammen mit anderen Schülerfirmen in München Anfang März, konnten wir aus finanziellen Erwägungen nicht durchführen, weil ein Teil der Fahrtkosten zu Lasten unseres Unternehmensgewinnes gegangen wäre.

Wir konzentrierten uns auf den Endspurt, also die Erhöhung unseres Umsatzes und die Darstellung unserer Firma beim Schlusswettbewerb im Mai. Aufgrund unserer bisherigen Bilanz und unseres ordentlichen Schriftverkehrs mit der Zentrale in Köln wurden wir unter die besten zehn bayerischen Schülerfirmen gewählt und zur Vorstellung eingeladen. Wir bauten in den Räumen der Landesbank für Aufbaufinanzierung einen Messestand auf und wurden einzeln von den Mitgliedern der Jury zu unserer Firma befragt. Wir nahmen sogar einen Fernseher mit Videorecorder mit und zeigten den Besuchern am Stand den vom 3. Programm des Bayerischen Fernsehens gesendeten Beitrag über die Firma `holderheckenhandmade´. Am Nachmittag musste die Firma sich noch einmal vor dem ganzen Plenum präsentieren. Dabei hatte jede Gruppe nur genau zehn Minuten Zeit und man durfte zur Präsentation nur den Overheadprojektor verwenden. Leider konnten wir nicht den begehrten ersten Platz erreichen, der uns zur nächsten Messe aller Sieger aus den einzelnen Bundesländern ge[/S. 144:]bracht hätte. Ein Gymnasium aus Oberbayern wurde von der Jury zum Sieger bestimmt.

Wir ärgerten uns nur wenig, weil wir auf der anderen Seite einen riesigen Fortschritt in unserer Firma gemacht hatten: Obwohl nur die Abteilungsleiter eingeladen waren und deshalb nur diese die Fahrt bezahlt bekamen, fuhren alle 17 Firmenmitglieder mit und beschlossen vorher, die Kosten dafür gleichmäßig auf alle aufzuteilen. Das waren immerhin fast 50 DM für jeden. Wir sahen uns inzwischen als `ein Team´, und dieses Wir-Gefühl half uns auch die letzte Hürde, nämlich die Auflösung der Firma auf der dritten Hauptversammlung und die damit verbundenen Aufgaben für die einzelnen Abteilungen, zu meistern.

2.9 Die Auflösung der Firma

Schülerfirmen im Projekt JUNIOR müssen am Ende des Schuljahres aufgelöst werden. Das Inventar und die Bestände an Material und Fertigprodukten mussten abgeschrieben bzw. verbraucht oder verkauft sein, alle Bücher und das Firmenkonto abgeschlossen werden, eine Gewinn- und Verlustrechnung sowie eine Bilanz erstellt sein. Ausstehende Löhne, Sozialversicherungsbeiträge, Verbindlichkeiten, Steuern – auch die Kapitalertragssteuer auf eventuelle Aktiengewinne – wurden dazu berechnet und auch überwiesen. Schlussverkäufe in der Schule wurden veranstaltet und in einer Versammlung aller Firmenmitglieder wurde ein Vorschlag zur Renditeverteilung (33 %) der Firma diskutiert und entschieden. Da bei Spenden an gemeinnützige Organisationen keine Kapitalertragssteuer anfällt, beschlossen wir als Vorschlag für die Aktionärsversammlung 2/3 des Firmengewinnes dem Blindeninstitut Würzburg zu spenden, der Rest sollte den Aktionären als Dividende ausgezahlt werden.

Die Aktionäre bekamen ein Einladungsschreiben für die Auflösungsversammlung mit dem Antrag der Firma zur Verwendung des Gewinnes zugesandt. Die Mehrheit der anwesenden 49 Aktionäre nahm diesen Vorschlag an. Gleichzeitig wurde ihnen auch der zehnseitige Geschäftsbericht mit diversen berichten der Abteilungsleiter und Grafiken über Personalstruktur, Umsätze, Lohnkosten usw. über das gesamte Geschäftsjahr überreicht. Unsere Spende übergaben wir direkt an eine Außengruppe für betreutes Wohnen des Blindeninstituts Würzburg. Die Rendite zahlten wir bar aus bzw. überwiesen sie an nicht anwesende Aktionäre.

3. Erfahrungen der Schüler und des betreuenden Lehrers

Da die Jury zur Auswahl des besten Miniunternehmens den materiellen Firmenerfolg, die Präsentation der Firma am Stand und die mündliche Darstellung des Unternehmens vor dem Plenum als Kriterien heranzog, sind die Chancen einer Schülerfirma von 15-jährigen Schülern natürlich in der Regel schlechter als die von 18-, 19-Jährigen. Des weiteren stößt ein Unternehmen, das sich aus jüngeren Schülern zusammensetzt, [/S. 145:] auch während der täglichen Arbeit im Umgang mit Zulieferern, beim Verkauf, in der Mobilität, im Auftreten usw. auf weitaus größere Probleme als Kollegiaten aus einer 13. Klasse eines Gymnasiums. Hier sollten sich die Organisatoren Gedanken machen, ob nicht der persönliche Wissens- und Erfahrungsgewinn in irgendeiner Weise mit erfasst werden könnte.

Alle teilnehmenden Schüler und auch der betreuende Lehrer sendeten Erfahrungsberichte an die Zentrale nach Köln. Absichtlich wurden die Schülerberichte von mir als Lehrer nicht überarbeitet, damit sich jeder ein möglichst unvoreingenommenes Bild machen konnte. Rechtschreib- und Ausdrucksschwierigkeiten der beteiligten Schüler sagen oft nicht sehr viel über ihre Fähigkeiten aus, sich im beruflichen Leben zurecht zu finden.

Was das Projekt alles an Zeitaufwand – vor allem für die Abteilungsleiter – mit sich brachte, war immens und es ging teilweise bis an die Grenze der Belastbarkeit, vor allen Dingen, wenn man daran denkt, dass den Schülerinnen die Abschlussprüfung unmittelbar bevorstand.

Für mich als Lehrer und Paten des Projektes kann ich nur sagen, dass die Firma `holderheckenhandmade´ ein voller Erfolg war, wenn auch die Arbeit innerhalb eines solchen Vorhabens auf mehrere Lehrkräfte verteilt werden müsste. Der Zuwachs an Kompetenz und Fachwissen bei den Schülern ist durch einen traditionellen Unterricht sicher nicht in diesem Maße zu erwarten. Besonders beeindruckend waren die Fortschritte der Schüler im persönlichen Bereich (Sicherheit im Auftreten, Einsicht in die Bedeutung der Teamarbeit und der Wichtigkeit von Genauigkeit und Zuverlässigkeit, da sonst der Firmenerfolg gefährdet wäre, Erkennen und Übernehmen von Verantwortung für überschaubare Bereiche usw.). Meine Vorüberlegungen wurden im Wesentlichen bestätigt: Es war jedoch noch mehr Hilfestellung von Seiten des betreuenden Lehrers nötig als erwartet. Auf der anderen Seite entwickelten einige Schüler sich in ihrer Persönlichkeit, in der Sicherheit ihres Auftretens und auch in ihrer Kreativität sehr viel positiver als man das vorher für möglich gehalten hätte.

In Bezug auf die Rolle und die Aufgaben des betreuenden Lehrers des Miniunternehmens müssten selbst an einer modernen und flexiblen Schule wie unserer, noch mehr Möglichkeiten geschaffen werden, einer selbständigen Kooperation von Lehrkräften entgegenzukommen. Das muss sowohl im schulorganisatorischen Bereich (z.B. Stundenmaß einzelner Lehrkräfte) wie auch in einer noch größeren Befreiung von verwaltungstechnischen Zwängen (z.B. Verwendung von Haushaltsmitteln) geschehen, dies einerseits um der Schülerfirma wichtige Hilfestellung geben zu können und andererseits um den Neuerungen unseres kurzlebigen Informations- und Technologiezeitalters folgen zu können. Es wäre z.B. für die Schülerfirma einfacher und erfolgreicher gewesen, wenn ihr eine noch bessere Computerausstattung und neueste Präsentationstechniken zur Verfügung gestanden hätten. [/S. 146:]

4. Fazit

Die These, dass Schule auf das Leben vorbereiten soll, ist sicherlich unbestreitbar. Dieter Hundt kritisiert zwei grundlegende Probleme von Schule:

"Erstens die mangelnde Vorbereitung auf die berufliche Wirklichkeit. Die Berufsanfänger und Auszubildenden in den Betrieben klagen immer wieder, dass sie unzureichend auf die Berufswelt vorbereitet wurden. (…) Zweitens vermisse ich grundlegendes ökonomisches Wissen: Ohne ein tragfähiges Wissen über grundlegende ökonomische Zusammenhänge bleibt die Welt der Wirtschaft ein Buch mit sieben Siegeln." (Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt in taz vom 01.11.2000, Beitrag "Der Bildungskanon".

Die Erfahrungen mit der Schülerfirma zeigen, dass ein solches Projekt hervorragend geeignet ist, diesen beiden Defiziten in der schulischen Ausbildung entgegenzutreten. Außerdem bringt die Arbeit des Miniunternehmens ganz automatisch, selbstverständlich und zwingend eine Kooperation von Schule und Wirtschaft vor Ort mit sich. Gerade die Öffnung der Schule nach außen schafft auch bei den Schülern Lernsituationen und Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung, die der traditionelle Unterricht nicht zu leisten imstande ist. Das Fach Arbeitslehre wird hierdurch in seinem Praxisbezug noch weiter gestärkt, die theoretischen Inhalte werden mit Leben erfüllt, und so für den Lernenden begreifbar.

Literatur

Institut der deutschen Wirtschaft, Hg. (1996): Junior Projekthandbuch. Köln.

Reetz, Lothar (1986): Konzeptionen der Lernfirma. Ein Beitrag zur Theorie einer Organisationsform wirtschaftsberuflichen Lernens im Betriebsmodell. In: Wirtschaft und Erziehung. Jg. 39, Heft 11, 351-365.

 

Dieser Text ist unter dem gleichen Titel erschienen in Schweizer, Gerd; Selzer, Helmut Maria (Hg.) (2001): Methodenkompetenz lehren und lernen – Beiträge zur Methodendidaktik in Arbeitslehre, Wirtschaftslehre, Wirtschaftsgeographie. Dettelbach: Verlag Röll, Seite 137-146.
© 2005 Heinz Kociubski
© 2005 sowi-online e.V., Bielefeld
Sowi-online dankt dem Verfasser und dem Verlag J.H. Röll GmbH, Dettelbach, für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung dieses Textes im Internet.
Dieser Erfahrungsbericht stammt vom betreuenden Lehrer der Juniorfirma. Er enthält auch Elemente der teilnehmenden Schüler und Schülerinnen.
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z.B. [/S. 53:].
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Copyrightinhabers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, auch im Internet.