Karikaturenanalyse

Tim Engartner/May Jehle

 

 

Inhalt

1. Kurze Beschreibung der Methode

2. Zielsetzung

3. Ablauf der Methode

4. Forschungsstand

5. Pro und Contra in der Anwendung

6. Beispielthemen/-skizze für ein Umsetzungsbeispiel

7. Literatur

 

 

1. Kurze Beschreibung der Methode

Als eine insbesondere in den Schriftmedien häufig zu findende Möglichkeit der Sozialkritik, die Unterbelichtetes an die Oberfläche trägt, wird die Karikatur (ital. caricare = überladen) spätestens seit dem 19. Jahrhundert als bildliche Form der Satire eingesetzt, um parteiische Kritik an bestehenden Werten, politischen Verhältnissen oder Personen der Öffentlichkeit zu üben. Die meist in Form einer Bildanalyse durchgeführte Interpretation von Karikaturen kann als wesentliche sozialwissenschaftliche Methode im Politik- und Ökonomieunterricht angesehen werden (vgl. Engartner 2010).

 

2. Zielsetzung

Das didaktische Potenzial von Karikaturen besteht nach Kuhn (2010) in dem Spannungsverhältnis zwischen eindeutigen, auf einen Blick zu erkennenden Zeichen sowie einer irritierenden Montage aus einer für Karikaturen charakteristischen breiten Palette bildsprachlicher Zeichen, die das politische Denken provoziert. Die Zuspitzung von Sachverhalten sowie die Hinterfragung von Normen bis hin zu Tabubrüchen können politische Diskussionen befördern, die nachhaltig wirkende Denk- und Lernprozesse befördern. Als Bildmedien können Karikaturen Lehr-Lernprozesse auf vielfältige Weise initiieren: strukturierend oder fantasieanregend, auf bewusster oder unbewusster Ebene, funktional oder imperativ. Sie gelten deshalb als besonders geeignet für den thematischen Einstieg; die an ihnen entwickelten und geübten Kompetenzen der Interpretation stellen darüber hinaus nicht nur einen unerlässlichen Beitrag zur Ausbildung der Medienkompetenz dar, sondern sollten sich zudem – jedenfalls ansatzweise – auch auf „analytische“ Illustrationen wie Diagramme, Graphen oder Koordinatensysteme übertragen lassen (Engartner 2010).

 

3. Ablauf der Methode

Zur Analyse von Karikaturen im (Politik-)Unterricht werden in der Regel zwei unterschiedliche Modelle empfohlen: Neben einer Interpretation nach dem Stufenmodell der Hermeneutik, das im Vorgehen Ähnlichkeiten zu dem bei Engartner (2010: 151-152) beschriebenen Analyseraster von Wahrnehmung, Analyse und Interpretation zur Erschließung von Bildern im Allgemeinen aufweist, kann auch die sogenannte Lasswell-Formel angewendet werden. Diese ursprünglich aus der US-amerikanischen Massenkommunikationsforschung stammende Formel „Who says what in which channel to whom with what effect?“ bzw. „Wer sagt was zu wem auf welchen Kanälen mit welchem Effekt?“ und die daraus entwickelten Leitfragen bieten einen hervorragenden Orientierungsrahmen für tiefgreifende Analysen (Klepp 2010; Kuhn 2007, 2010). Das Modell der politikdidaktischen Hermeneutik unterscheidet demgegenüber die drei Stufen Verstehen, Auslegen und Anwenden (Kuhn 2007, 2010). Die Grundlage für das Verstehen wird dabei mittels einer detaillierten Beschreibung gelegt, die die unterschiedlichen verwendeten Stilmittel herausarbeitet und den damit einhergehenden Verfremdungseffekten besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die Interpretation setzt mit der Stufe des Auslegens ein, die zur Benennung der Hintergründe, Motive und Intentionen der Karikaturisten führt. Auf der dritten Stufe sollen die wesentlichen Aussagen der Karikatur gebündelt und anhand zusätzlicher Materialien einer Prüfung unterzogen werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Entwicklung und Förderung der eigenständigen Urteilsbildung der Schüler(innen), wobei diesem dritten Schritt angesichts der Karikaturen zuzuschreibenden Parteilichkeit nicht zuletzt mit Blick auf das Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsenses eine hohe Bedeutung zuzusprechen ist (Klepp 2010; Kuhn 2007, 2010).

 

4. Forschungsstand

Die Karikaturenanalyse kann als etablierte Methode im sozialwissenschaftlichen Unterricht verstanden werden und findet auch eine entsprechende Berücksichtigung in den einschlägigen Handbüchern (z.B. Klepp 2010; Kuhn 2007, 2010). Dort aufzufindende Darstellungen und Empfehlungen zur Anwendung der Methode im Unterricht gehen auch auf Erfahrungen in der Aus- und Weiterbildung von Lehrer(inne)n zurück (Kuhn 2010). Die angestrebte Vermittlung von Kenntnissen im Unterricht wird allerdings nach wie durch eine Orientierung an Texten dominiert und das didaktische Potential der Arbeit mit Karikaturen sowie mit Bildern im Allgemeinen wird unterschätzt, indem dieser vor allem beispielsweise auflockernde und illustrierende Funktionen zugeschrieben werden (Klepp 2010).

 

5. Pro und Contra in der Anwendung

Das didaktische Potenzial der Karikaturenanalyse wird vor allem in den Charakteristika der Verkürzung oder Verzerrung, Unter- oder Übertreibung sowie wohlwollender oder ablehnender Kommentierung gesehen, die zur Stellungnahme herausfordern. Der mit Hilfe von Ironie, Parodie, Überzeichnung oder Sarkasmus aufgezeigte Kontrast zur Realität soll bei den Betrachter(inne)n Denkprozesse auslösen und befördern. Sie können somit als Impulse für Unterrichtgespräche eingesetzt werden und fördern zugleich die Urteilsbildung, indem sie komplexe Sachverhalte prägnant darstellen, Probleme visualisieren und Fragen aufwerfen. Aufgrund dieser motivierenden und stimulierenden Funktionen eignen sich Karikaturen in besonderer Weise für den Unterrichtseinstieg, wenngleich die Einsatzmöglichkeiten damit noch nicht erschöpft sind. In Form einer gezielten Sammlung zu einem politischen Thema können unterschiedliche bis kontroverse Perspektiven diskutiert und somit auch komplexe Themen erarbeitet werden (Klepp 2010). Erfahrungsgemäß bleiben die Inhalte von Karikaturen Schüler(inne)n vergleichsweise lange im Gedächtnis, weshalb sie ebenso zur Verfestigung von Stoffinhalten dienen können. Wenn den Lernenden auf der Grundlage von Karikaturen schließlich die Gelegenheit gegeben wird, das zuvor erworbene Wissen erläuternd, interpretierend und/oder argumentierend darzustellen, können diese auch als Lernkontrolle eingesetzt werden (Engartner 2010). Um das Potenzial der Methode in der Anwendung auch zum Tragen zu bringen, gilt es, die damit verbundenen Anforderungen sorgfältig zu reflektieren, um Vor- und Nachteile mit Blick auf die eigene Unterrichtsplanung abwägen zu können und – wie Beispiele aus der empirischen Unterrichtsforschung zeigen – häufig auftretende Fehler zu vermeiden.

Richtet man die Aufmerksamkeit auf die Ausgestaltung der Interpretationsphase, lassen sich zwei Extreme einer nicht adäquaten Umsetzung beschreiben: Verbleibt die Auseinandersetzung mit der Karikatur in der Phase von Assoziationen und offener Deutungen, werden lediglich unverbindliche Aussagen getroffen, die keiner Prüfung unterzogen werden. Eine Anbahnung argumentativ begründeter Stellungnahmen kann so nicht geleistet werden. Andererseits ist eine Gefahr darin zu sehen, wenn es zu einer durch den routinierten Blick der Lehrperson angeleiteten vorschnellen Urteilsbildung bezüglich des Inhalts der Karikatur kommt. Für eine adäquate Umsetzung der Methode wird daher eine klare und auch für die Schüler(innen) nachvollziehbare Strukturierung der Arbeitsphasen empfohlen. Bevor zur Interpretation fortgeschritten wird, gilt es, der detaillierten Beschreibung der einzelnen Elemente ausreichend Zeit einzuräumen. Auf dieser Grundlage können der Bedeutungsgehalt von Symbolisierungen und darin enthaltene Zuspitzungen herausgearbeitet werden, wobei die Schüler(innen) zu präzisen und expliziten Aussagen anzuhalten sind. Da die Komplexität von Karikaturen Schüler(innen) überfordern kann und in der Regel Vorwissen vorausgesetzt werden muss, hat die Lehrperson dafür Sorge zu tragen, dass die zur Analyse und Interpretation notwendigen Informationen zur Verfügung stehen (Klepp 2010). Die für Karikaturen charakteristische Parteilichkeit darf nicht dazu führen, dass Sachverhalte einseitig dargestellt werden und die eigenständige Urteilsbildung der Schüler(innen) dadurch beeinflusst wird. Insbesondere gilt es, der Verfestigung von Vorurteilen entgegenzuarbeiten, indem Verkürzungen und Überzeichnungen transparent gemacht werden. Werden in diesem Sinne die Ebenen der Beschreibung, Deutung und Kritik sorgfältig getrennt und ausgewiesen, sollte im Zuge der Bearbeitung auch die eigenständige Urteilsbildung mit Blick auf die herausgearbeitete in der Karikatur formulierte Kritik ermöglicht werden.

 

6. Beispielthemen/-skizze für ein Umsetzungsbeispiel

Das unterrichtsmethodische Spektrum der Karikaturenanalyse bietet verschiedene Einsatzmöglichkeiten, die von der kommentarlosen Projektion im Sinne eines stummen Impulses, der Kennzeichnung zentraler Elemente („Hot-Spots“) durch die Lehrperson über das Zusammensetzen kleiner Einzelteile zu einem Karikatur-Puzzle bis hin zur kreativen Leistung der Entwicklung von Untertiteln oder der Produktion eigener Karikaturen reichen. Kurz skizziert wird hier abschließend die Einsatzmöglichkeit der „Karika-Tour“, für die zunächst Karikaturen (Anzahl je nach Klassengröße, aber mind. vier) auszuwählen sind, die sich auf das gleiche Thema beziehen, darauf aber unterschiedliche Perspektiven anbieten. Mithilfe von Leitfragen analysieren die Schüler(innen) zunächst in Kleingruppen die verschiedenen Karikaturen und stellen die Interpretationen anschließend im Plenum vor. Thematisch kann sowohl auf „Themenklassiker“ als auch auf aktuelle politische Ereignisse Bezug genommen werden (Tipps zur Recherche im Internet finden sich z.B. bei Engartner 2010: 155).

 

7. Literatur

Engartner, Tim (2010): Didaktik des Ökonomie- und Politikunterrichts. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh.

Klepp, Cornelia (2010): Karikaturen. In: Besand, Anja/Sander, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Medien in der politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.

Kuhn, Hans-Werner (2007): Karikatur. In: Reinhardt, Volker (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Baltmannweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S.  181-188.

Kuhn, Hans-Werner (2010): Karikaturen. In: Frech, Siegfried/Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Methodentraining für den Politikunterricht I. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, S. 23-36.