Leben ohne Arbeit. Befragung einer Arbeitsloseninitiative

Birgit Weber

Inhalt

I. Allgemeine Angaben
1. Gegenstand/Lernziele
2. Ablauf
3. Einsatzmöglichkeiten
II. Spezielle Angaben zur Unterstützung des Ablaufs
1. Vorbereitung mit der Arbeitsloseninitiative
2. Vorbereitung mit den Lernenden
3. Durchführung der Befragung
4. Nachbereitung der Befragung
Anlage zur Hilfestellung während der Vorbereitung: Stichworte zum Fragenkatalog: Leben ohne Arbeit
III. Materialien für die Teilnehmer
Vorgehensweise
Folgen der Arbeitslosigkeit: Zukunftsängste und Resignation
Trittbrettfahrer und Schein-Arbeitslose
Befragung von Führungskräften aus Wirtschaft und Politik zu Ursachen der Arbeitslosigkeit
Anmerkungen

I. Allgemeine Angaben

1. Gegenstand/Lernziele

Durch die Befragung einer Arbeitsloseninitiative sollen die Lernenden Kenntnisse erwerben und Erfahrungen sammeln über:

  • materielle Veränderungen durch Einkommensverlust und ihre Auswirkungen auf Familienbudget, auf alltägliche und außergewöhnliche Ausgaben;
  • Veränderungen der psychischen und sozialen Situation betreffend des Selbstwertgefühls, der Zukunftsperspektive, der Zeitgestaltung von Arbeitslosen und deren Familien;
  • Ursachenzuschreibung aus der Sicht der Betroffenen und Reaktionen der Umgebung; (Selbst- und Fremdzuschreibung);
  • Entwicklung von Strategien zur individuellen und kollektiven Bewältigung der Arbeitslosigkeit sowie ihrer psychosozialen Folgen.

Die Befragung ermöglicht einen Einblick in die Bedeutung des wirtschaftspolitischen Ziels der Vollbeschäftigung für die soziale Entfaltung und die Selbstverwirklichung der Menschen. Sie macht die Notwendigkeit von politischen und individuellen Anstrengungen deutlich, um Arbeitslosigkeit als Entfaltungshindernis zu beseitigen.

2. Ablauf

  1. In einer Vorerkundung bei einer Arbeitsloseninitiative müssen inhaltliche und organisatorische Fragen geklärt werden.
  2. In einem Brainstorming ermitteln die Lernenden grobe Anhaltspunkte darüber, was sie über die Situation von Arbeitslosen erfahren wollen.
  3. Anhand von Literatur über die Folgen der Arbeitslosigkeit erarbeiten sie Fragen, die von der Arbeitsloseninitiative beantwortet werden sollen.
  4. Daraufhin wird die Befragung der Arbeitsloseninitiative durchgeführt.
  5. Die Ergebnisse der einzelnen Gruppen werden dargestellt, mit Daten anderer empirischer Untersuchungen verglichen und die Ergebnisse dokumentiert.

3. Einsatzmöglichkeiten

Die Befragung ist geeignet für die Sekundarstufe I und II. Sie leistet durch die Behandlung der materiellen und psychosozialen Folgen der Arbeitslosigkeit für den einzelnen einen Einstieg in die Begründung des wirtschaftspolitischen Ziels eines hohen Beschäftigungsstands. Die Ausdehnung auf Ursachen und Strategien im Bewußtsein der Menschen kann eine Motivationsbasis für weitere Auseinandersetzungen mit Ursachen und Strategien gegen Arbeitslosigkeit schaffen.

Zur Durchführung sind mit Vorbereitung und Auswertung mindestens 4 Stunden notwendig.

II. Spezielle Angaben zur Unterstützung des Ablaufs

1. Vorbereitung mit der Arbeitsloseninitiative

Wenn sich eine Arbeitsloseninitiative1) in der Nähe befindet und gesprächsbereit ist, sollte eine Art Vorerkundung durch die Lehrenden erfolgen.

Es ist in Erfahrung zu bringen,

  • ob die Arbeitslosen daran interessiert sind, über ihre materiellen, psychosozialen Probleme, die Ursachenzuschreibung von Arbeitslosigkeit und Strategien zur Bewältigung der individuellen und kollektiven Probleme zu sprechen.
  • Es sollte nachgefragt werden, ob dabei auch die Probleme zum Ausdruck kommen, die vor [/S. 320:] dem Anschluß an eine Initiative jede/r für sich bearbeiten mußte.
  • Um nicht unvorbereitet und dementsprechend hilflos einer Arbeitsloseninitiative gegenüberzutreten, die sich eventuell mit sehr einfachen Problembewältigungsstrategien zufriedengibt (Ausländer raus, Frauen an den Herd), ist es notwendig zu erfahren, welche Ursachenzuschreibung und Handlungsstrategien die Initiative kollektiv entwickelt hat. Möglicherweise gibt es von ihr entwickelte Flugblätter, aus denen solche Informationen hervorgehen.
  • Von Interesse dürfte auch die Zusammensetzung der Initiative sein, z.B. nach Geschlecht, Nationalität, Alter, Berufsgruppen etc.

Man kann wohl davon ausgehen, daß das Gesprächsinteresse der Arbeitsloseninitiative gegeben ist, zeigt doch schon der Zusammenschluß, daß Arbeitslosigkeit nicht einzig als individuelle Schuld verstanden wird und daß ein kollektives Interesse in der Selbsthilfeorganisation besteht, mit gesellschaftlichen Vorurteilen in der Gesellschaft, z.B. über Drückebergerei, Ausruhen in der sozialen Hängematte, aufzuräumen.

Sind die inhaltlichen Fragen zur Zufriedenheit geklärt, müssen noch gewisse organisatorische Voraussetzungen erörtert werden, wie

  • Zeitpunkt der Befragung,
  • Möglichkeit zur Diskussion in mehreren Gruppen,
  • Ort der Befragung (Arbeitslosenzentrum oder Schule),
  • Erlaubnis zur Benutzung technischer Hilfsmittel: Photoapparat bzw. Tonband.

2. Vorbereitung mit den Lernenden

Befragungen stoßen am ehesten auf das Interesse der Erkundenden, wenn bei ihnen eine gewisse Betroffenheit erweckt und die Fragen eigenständig entwickelt werden können.

Bei diesem Thema ist wohl davon auszugehen, daß von Arbeitslosigkeit eventuell familiär betroffene Lernende sich zunächst zurückhalten werden und möglicherweise erst mit der Hinwendung von Vorurteilen über individuelle Schuldzuschreibung zu gesellschaftlichen Problemlagen aktiver werden. Für die anderen Lernenden ergibt sich die Bedeutung des Themas als mögliche Gegenwartsbedrohung für ihre Familie oder als Hindernis für die Entfaltung der eigenen Zukunftsperspektiven.

Anhand von Untersuchungen zu Folgen der Arbeitslosigkeit, zu Ursachenzuschreibungen und daraus ermittelbaren Strategien soll sowohl das Interesse der Lernenden geweckt als auch die Erarbeitung systematischer Fragen veranlasst werden.

Die Bearbeitung einer wissenschaftlichen Untersuchung hat hier Vorrang gegenüber Betroffenenaussagen, weil individuelle Betroffenheit in den Gesprächen besser erfahren werden kann. Dabei lassen sich auch die empirischen Aussagen der herangezogenen wissenschaftlichen Untersuchungen an der Realität überprüfen.

  • Je nach organisatorischen und personellen Voraussetzungen können Gruppen gebildet werden, die sowohl gemeinsam die Fragen erarbeiten als auch die nachfolgende Befragung von Mitgliedern der Arbeitsloseninitiative durchführen. Es wird davon ausgegangen, daß die Befragungen in kleineren Gruppen unbefangener und offener durchgeführt werden können als wenn die ganze Klasse der Arbeitsloseninitiative gegenübersteht, zumal auch durch die kleineren Gruppen die einzelnen Lerngnden eher in die Verantwortung ihres Befragungsauftrages kommen.
  • Die Lernenden werden über die Möglichkeit, eine Arbeitsloseninitiative über ihre Situation befragen zu können, informiert. Um grobe Orientierungspunkte für alle Gruppen gemeinsam zu entwickeln, wären in einer Art Brain-Storming zu der Frage: "Was möchtet Ihr über die Situation von Arbeitslosen wissen?" Anhaltspunkte zu gewinnen, die den folgenden Bereichen zugeordnet werden können:
    • Folgen der Arbeitslosigkeit für die Arbeitslosen und ihre Familien,
    • Verantwortung für die Arbeitslosigkeit der einzelnen und Verantwortung für die Massenarbeitslosigkeit,
    • Individuelle, kollektive und politische Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und ihre Folgen.
  • Mit diesen Orientierungspunkten gehen die Lernenden in ihre Gruppen, lesen ihre Arbeitsmaterialien (s. Teilnehmervorlagen) und entwickeln daraufhin Fragen. Zu den obengenannten Bereichen könnten innerhalb der Gruppen Untergruppen gebildet werden, die in ihrem Teilbereich für die Vorbereitung und Durchführung der Befragung verantwortlich sind. Die Gruppen müssen zudem organisieren, wer die technischen Geräte bedient und in welcher Art und Weise die Ergebnisse dokumentiert werden sollen.
    Während der Gruppenarbeit kann der Lehrer - wo nötig - mit Stichworten Hilfestellung geben. (Anlage) [/S. 321:]

3. Durchführung der Befragung

Damit die Durchführung der Befragung entsprechend der vorbereiteten Fragen in den geplanten Gruppenaufteilungen erfolgen kann, müssen die Gruppen mit den jeweiligen Gesprächspartnern der Arbeitsloseninitiative in Kontakt gebracht werden.

4. Nachbereitung der Befragung

Zur Auswertung der Befragung der Arbeitsloseninitiative tragen die Gruppen ihre Ergebnisse zusammen, vergleichen sie mit empirischen Daten und dokumentieren sie.

  • Die Ergebnisse der Befragung können wie folgt zusammengetragen werden:
    Stichwort Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4
    Finanzielle
    Situation
           
    Psychische und
    soziale Situation
           
    Ursachen-
    zuschreibung
           
    Individuelle
    Strategien
           
    Kollektive
    Strategien
           
  • Zur Generalisierbarkeit der Ergebnisse lassen sich diese Daten mit empirischen Untersuchungen, die von den Lehrenden vorgestellt werden, vergleichen. Hier bieten sich alternativ, je nach Verfügbarkeit, folgende Informationen an:
    • Thomas Zuleger: Hat die Arbeitsgesellschaft noch eine Chance? Bonn 1985.
      Die Lage der Arbeitslosen, S.35-61
    • Gerhard Wilke: Arbeitslosigkeit. Diagnosen und Therapien. Bonn 1990.
      Problemstellungen und Zielsetzungen, S.7-15,
      Folgen und Kosten der Arbeitslosigkeit, S.53-59.
    • Harald Welzer u.a.: Leben mit der Arbeitslosigkeit. Zur Situation einiger benachteiligter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt.
      Aus Politik und Zeitgeschichte 38/88.
  • Zur Dokumentation ist gemeinsam zu überlegen, welche Ergebnisse in welchen Formen (Plakate o.ä.) festgehalten werden sollen. Die Dokumentation sollte der Arbeitsloseninitiative vorgestellt werden, die auch zu einer eventuellen Öffentlichmachung der Ergebnisse ihre Zustimmung geben muß.
    Möglicherweise haben die Lernenden auch Vorschläge entwickelt, mit ihren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit zu gehen:
    • in Form einer Plakatausstellung mit Pressebeteiligung,
    • eines Informationsstandes in der Stadt oder
    • einer Aktion mit der Arbeitsloseninitiative2
    Ob es dazu kommt, ist abhängig von den Ergebnissen, der Betroffenheit und Aktionsbereitschaft der Lernenden und kann dementsprechend auch nicht verordnet oder geplant werden. [/S. 322:]
    [/S. 322:]

ANLAGE ZUR HILFESTELLUNG WÄHREND DER VORBEREITUNG

Stichworte zum Fragenkatalog: Leben ohne Arbeit

Situation von Arbeitslosen
Finanzielle Situation
  • Sicherung der Existenz durch Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, Unterstützung durch Familie oder Freunde;
  • Höhe des Einkommensverlustes;
  • Zurückstellung von alltäglichen, bzw. außergewöhnlichen Wünschen und Käufen?
  • Finanzielle Einschränkungen für Familie und Kinder;
  • Verkauf bestimmter Gegenstände (Auto, Stereoanlage etc.);
Psycho-soziale
Situation
  • Verfügbarkeit von mehr Zeit für Familie und Kinder;
  • Veränderungen in der Freizeitbeschäftigung;
  • Auseinandersetzung mit Freunden und Bekannten über Arbeitslosigkeit;
  • Reaktion der Bekannten auf die Arbeitslosigkeit;
  • Veränderung des Selbstwertgefühls;
  • Veränderungen des Wohlbefindens zuhause;
  • Streit in der Familie;
  • Veränderungen des Kontaktes zu Freunden und Bekannten;
  • Gefühl der Isolation bzw. Einsamkeit;
  • Veränderung der Arbeitslosensituation vor und nach der Arbeit in der Initiative;
Ursachenzuschreibung
Selbstbild/
Fremdbild
  • Verantwortlichkeit für die eigene Arbeitslosigkeit/ für die Massenarbeitslosigkeit: Arbeitslose selbst, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Politik, Ausland, Ausländer
Handlungsstrategien
Individuelle
Strategien gegen Arbeitslosigkeit
Handlungsmöglichkeiten der Arbeitslosen selbst;
  • Bereitschaft zum Wohnortwechsel;
  • Bereitschaft zu Beruf mit geringerem Gehalt und Ansehen;
  • Bereitschaft zu längeren Anfahrtswegen;
  • Bereitschaft zu Umschulungen und Fortbildungen;
  • Existenz von Angeboten durch das Arbeitsamt;
Strategien der
Initiative gegen Arbeitslosigkeit
  • Handlungsmöglichkeiten der Arbeitsloseninitiative;
  • Reaktion des Umgebung auf die Arbeit der Initiative;
  • Ausübung politischen Drucks;
Kollektive, politische Strategien
gegen Arbeitslosigkeit
Handlungsmöglichkeiten des Staates, der Wirtschaft, der Tarifparteien und des Staates;
  • Generelle Arbeitszeitverkürzung /Arbeitszeitverkürzung für bestimmte Gruppen
  • Arbeitszeitflexibilisierung;Handlungsmöglichkeiten des Staates, der Wirtschaft, der Tarifparteien und des Staates;
  • Lohnsenkung oder Kürzung des Arbeitslosengeldes;
  • Beschäftigungsprogramme;
  • Reduktion des Arbeitsangebots bestimmter Gruppen (Alte, Eltern, Ausländer).

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III. MATERIALIEN FÜR DIE TEILNEHMER

VORGEHENSWEISE

  1. Bildet zu den folgenden drei Bereichen Untergruppen
    • Folgen der Arbeitslosigkeit für die Arbeitslosen und ihre Familien,
    • Verantwortung für die Arbeitslosigkeit der einzelnen und Verantwortung für die Massenarbeitslosigkeit,
    • Individuelle, kollektive und politische Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und ihre Folgen.
  2. Lest die folgenden Texte! Sie sollen Euch als Hilfestellung zur Formulierung von Fragen dienen.
    Formuliert nun Fragen, die Ihr den Arbeitslosen stellen wollt.
    Denkt daran, daß es sehr unterschiedliche Arten von Fragen gibt. Manche können mit Ja oder Nein beantwortet werden, andere werden den Betroffenen Raum geben ihre Probleme zu schildern.
  3. Legt fest, wer von Euch fotografiert, den Cassettenrecorder bedient oder mitschreibt. Überlegt zudem, wer welche Fragen stellt, so daß Ihr alle drankommt.
  4. Vielleicht fallen Euch jetzt schon Methoden und Dokumentationsweisen ein, mit denen Ihr Eure Ergebnisse darstellen wollt.
Folgen der Arbeitslosigkeit
Zukunftsängste und Resignation

Arbeitslosigkeit hat nicht nur für die unmittelbar Betroffenen bedrückende Folgen, sondern auch für die gesamte Familie und vor allem für die Kinder. Finanzielle Einschränkungen, verminderte soziale Kontakte und Zukunftsängste prägen häufig den Alltag dieser Familien. Das geht aus einer Infas-Untersuchung im Auftrag des NRW-Sozialministeriums hervor.

  1. Die Arbeitslosigkeit bewirkt drastische Veränderungen im Alltag der betroffenen Familien. Rund 40 % aller befragten Haushalte gaben sehr große finanzielle Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit an. Nur 35 % der arbeitslosen Väter bezogen Arbeitslosengeld, 44 % Arbeitslosenhilfe und 35 % Sozialhilfe. Jeder fünfte Arbeitnehmer hat aus finanziellen Gründen sein Auto abgeschafft. Sehr viele gaben auch an, kein Taschengeld mehr für ihre Kinder zu zahlen und kein Geld für Klassenfahrten auszugeben zu können.
  2. Entgegen mancher Vorurteile ist bei der überwiegenden Mehrheit der Arbeitslosen ein hohes Maß an Mobilität und ein erhebliches Zurückschrauben der Ansprüche festzustellen. 83 % wären zu längeren Arbeitswegen bereit, mehr als die Hälfte würde ihren Wohnort wechseln und 72 % eine Tätigkeit mit geringerem Einkommen oder Ansehen zu übernehmen.
  3. Infas hat drei Gruppen von Arbeitslosen herausgestellt, die unterschiedlich mit den Schwierigkeiten zurechtkommen:
    1. 20 % der Befragten können der vermehrten freien Zeit auch positive Seiten abgewinnen. Ihre Kontakte zu anderen Menschen litten weniger und ihre finanzielle Belastung war auch geringer.
    2. 50 % der Befragten ziehen sich sehr von anderen zurück. 72 % von ihnen beklagen fehlenden Kontakt zu Kollegen, mehr als die Hälfte sehen sich nicht in der Lage, Leute einzuladen. 44 % sagen aus, daß sie sich als Außenseiter fühlen und abfällig von ihren Mitmenschen behandelt werden.
    3. Bei 30 % der Befragten herrschen Zukunftsängste, Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls und resignative Stimmwngen vor. 63 % dieser Gruppe glauben, daß die anderen denken, daß sie gar nicht arbeiten wollen, 56 % fühlen sich als Außenseiter, 98 % haben Zweifel eine neue Stelle zu finden, 89 % geht das Zuhausesein auf die Nerven.
  4. Die Arbeitslosigkeit wirkt sich auf die ganze Familie aus. Mehr als ein Drittel hat sich vom Freundes- und Bekanntenkreis zurückgezogen. Fast die Hälfte (46 %) hat Angst, über die eigene Arbeitslosigkeit zu sprechen.

  5. Die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen und Bildungsveranstaltungen ist sehr gering. Besonders im Bereich Freizeit und Bildung ist ein drastischer Abbau von Lebenssituation festzustellen. Es kommt zu vermehrten Konflikten in der Familie.
    Auch die Kinder müssen sich auf diese Situation umstellen. Sie wachsen in einer Atmosphäre auf, die durch Existenzängste der [/S. 324:] Eltern geprägt ist, Allein deshalb fühlen sie sich benachteiligt und in ihren Freizeitaktivitäten eingeschränkt.

Quelle: Gekürzter Beitrag aus: Neue Deutsche Schule 12-13/1990

Trittbrettfahrer und
Schein-Arbeitslose

Moralisch noch deprimierender ist das um sich greifende Schwarzfahrer- und Aussteigertum. Verständlicherweise ist die Ausnützung des Wohlfahrtsstaates am stärksten dort, wo Leistungen in Anspruch genommen werden können, ohne daß damit auch Verpflichtungen verbunden wären. Wenn man gerade auf dem Gipfel der Arbeitslosigkeit mit 20-30 Prozent Schein-Arbeitslosen rechnen muß, nämlich mit Personen, die sich zwar beim Arbeitsamt melden, jedoch gar keine Arbeit suchen, sondern vielmehr einen Rentenanspruch geltend machen, ungestört ihrer Schwarzarbeit oder ihrer Freizeitbeschäftigung nachgehen wollen, ... dann führt dies sicher zur Perversion der Arbeitslosenversicherung. Immerhin ist dies nicht allein Schuld des Trittbrettfahrers, sondern auch Schuld des Gesetzgebers.

Quelle: W. L. Bühl: Krisentheorien. Darmstadt 19882, S.112f.

Befragung von Führungskräften aus Wirtschaft und Politik
zu Ursachen der Arbeitslosigkeit
UrsachenWP
Wirtschaftlicher
Strukturwandel
2829
Rationalisierung2117
Zu hohe Löhne2021
Arbeitsunwilligkeit2112
Starre Tarifvereinbarungen1721
Zunahme arbeitssuchender Frauen1333
Fachkräftemangel1910
Fehler der Wirtschaftspolitik1116
Mangelnde Mobilität99
Schlechte Wirtschaftslage611
Zu hohe Sozialkosten66
Währungsprobleme46
Zu großzügiges soziales Netz70

aus: Capital 3/88

Anmerkungen

  1. I nformationen zur Existenz von Arbeitsloseninitiativen sind zu erhalten bei folgenden Institutionen vor Ort:
    • DGB oder Einzelgewerkschaften,
    • Paritätischer Wohlfahrtsverband oder Arbeiterwohlfahrt,
    • Parteien und Kirchen,
    • Betriebsräten von Unternehmen mit Massenentlassungen.
  2. Eine solche Aktion könnte eine Passantenbefragung sein, deren Schwerpunkt nicht die Befragung, sondern die Information der Öffentlichkeit nach folgendem Beispiel ist:
    "Wußten Sie, daß nur 66 % der Arbeitslosen Arbeitslosenunterstützung beziehen? Mißbrauchen Ihrer Meinung nach Arbeitslose die Leistungen des Arbeitsamtes?"
    "Wußten Sie, daß wer wiederholt vom Arbeitsamt zumutbare Arbeit ablehnt, keine Arbeitslosenunterstützung mehr erhält und auch als Arbeitsloser gestrichen wird? Meinen Sie, daß die Mehrheit der Leute, die arbeitslos gemeldet sind, gar keine Arbeit suchen?"
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Das Original ist unter dem gleichen Titel erschienen in: Steinmann, Bodo; Weber, Birgit (Hg.) (1995): Handlungsorientierte Methoden in der Ökonomie. Neusäß: Kieser, S. 319-324.
(c) 1995 Kieser Verlag, Neusäß
(c) 2001 Birgit Weber, Bad Honnef
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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