Planspiele zur Toleranz in der politischen Bildungsarbeit

Stefan Rappenglück

Inhalt

Eine offene Gesellschaft zeichnet sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher politischer und religiöser Meinungen aus, wie aktuell die Diskussionen um die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft und der "Kopftuch-Streit" zeigen. Teilweise wird die Debatte sehr emotionell und mit Vorurteilen geführt. Sehr schnell und oft oberflächig wird der Begriff "Fundamentalismus" in diesem Kontext verwendet. Die Grenzen der eigenen Toleranz werden oft schneller erreicht als ursprünglich beabsichtigt.

Um das gesellschaftliche Klima nicht zu vergiften und ein einvernehmliches Miteinander von Ethnien in einer multikulturellen Gesellschaft zu ermöglichen, bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Aussagen und ein aktives Eintreten für die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger in einer offenen Gesellschaft. Im Rahmen des Projektes "Achtung(+) Toleranz sind Planspiele entwickelt worden, die sich kognitiv mit den Themen "Religiöse Toleranz", "Asyl" und "Rechtsextremismus" beschäftigen und in denen politisches Handelns eingeübt werden kann. Die Planspiele setzen umfangreiche Potentiale und Erfahrungen bei den Teilnehmenden frei. Auf der Basis fiktiver Ausgangslagen werden in den Planspielen Rollen von Akteuren übernommen, die spezifische Interessen und Ziele vertreten.

Das Planspiel "Ein Minarett in Marienstein"

In einer fiktiven BürgerInnenversammlung wird um die umstrittene Frage des geplanten Baues und die Höhe des Minaretts gerungen. In der Sitzung prallen unterschiedliche Ansichten aufeinander. PolitikerInnen verschiedener Parteien sowie Bewohner ergreifen das Wort, die sich aus verschiedenen Gründen zu Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben und unterschiedliche Auffassungen gegenüber dem Vorhaben vertreten. Die Sitzungsleitung hat die Bürgermeisterin/der Bürgermeister inne. Anwesend sind auch Vertreter der moslemischen Gemeinde, deren Beteiligung jedoch vom Verlauf der Diskussion abhängt sowie JournalistInnen einer liberalen und einer konservativ ausgerichteten Zeitung. Zur Durchführung des Planspieles sind nur wenige Kopiervorlagen für die Teilnehmenden (Szenario, Stadtplan, Kurzeinführung in den Ablauf einer Bürgerversammlung sowie Rollenprofile) notwendig. Das Planspiel dauert ungefähr 6 Stunden.

Ziele

Das Planspiel bietet spielerisch Sachinformationen an und fördert die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Überprüfung eigener Vorurteile soll ermöglicht und gelernt werden, wie mit Parolen und fremdenfeindlichen Äußerungen umgegangen werden kann. Auch kann es zum Abbau von diffusen Ängsten beitragen und die Empathiefähigkeit für alle Seiten des Konfliktes fördern.

Ablauf des Planspieles

In der Einführungsphase wird die Ausgangslage geschildert, die Rollen vergeben und die BürgerInnenversammlung eingeführt. Die Teilnehmenden bereiten sich in Gruppen auf die Versammlung vor; die Spielleitung - die in der Regel aus einer Moderatorin oder einem Moderator besteht - bereitet in dieser Zeit den Raum für die Versammlung vor. Die Seminarleitung ist den Gruppen bei der Vorbereitung behilflich.

Simulation

Das Planspiel kann in zwei Varianten gespielt werden. Im Kurzplanspiel werden die einzelnen Konfliktlagen und Positionen in einer BürgerInnenversammlung vorgestellt und anschließend mit dem Ziel der Konsensbildung im Plenum diskutiert. Die Simulation wird mit einer Ergebnissicherung durch die anwesende Presse beendet. Bei der längeren Version beraten sich die Mitwirkenden nach der ersten Bürgerversammlung in ihren Arbeitsgruppen über Lösungsvorschläge, die für alle tragbar sind. In einer zweiten Bürgerversammlung wird versucht, ein Ergebnis auf der Grundlage der in der Beratungsphase erarbeiteten Kompromißvorschläge zu erzielen. Um die Spannung zu erhöhen, wird fünf Minuten nach Beginn der zweiten BürgerInnenversammlung die Bürger[/S. 25:]meisterin/der Bürgermeister zu einem wichtigen Telefonat gebeten. Die Spielleitung teilt eine geänderte Spielsituation mit. Die bisherigen Pläne der Mitwirkenden müssen spontan überdacht und den neuen Gegebenheiten angepaßt werden.

Sowohl die Kurz- als auch die Langversion des Planspieles wird mit einer umfangreichen Reflexion ausgewertet. Die Reflexion ermöglicht den Teilnehmenden sich wieder aus der Rolle zu begeben; die Presse schildert den Ablauf der Diskussion und des Entscheidungsprozesses. Im Mittelpunkt der Reflexion steht die Auseinandersetzung mit den einzelnen Rollenvorgaben, die Dynamik des Prozeßgeschehens, Interaktionen zwischen den beteiligten Akteuren und der Bezug zur eigenen Lebenswelt der Teilnehmenden. Anschließend wird über die Themen Fundamentalismus, Religiöse Toleranz, Islam in Bezug auf die "Bürgerversammlung als Beispiel gelebter Demokratie" diskutiert.

Rollen

Über die Rollen werden Informationen wie auch Parolen, Vorurteile, Klischees und Stereotypen transportiert. Viele der in den Rollen vorgebrachten Argumentationslinien entstammen der Realität und werden auch auf BürgerInnenversammlung oder in Alltagssituationen immer wieder geäußert. Einige Rollen haben die Funktion, eine sachorientierte Debatte zu ermöglichen. Andere Rollen haben die Funktion, "Brücken" zwischen den divergierenden und konträreren Ansichten zu bauen oder Möglichkeiten des "Miteinanders" aufzuzeigen. Die Rollen und der Ablauf des Planspieles ermöglichen es auch, persönliche Vorstellungen direkt oder indirekt einzubringen.

Teilweise sind die Rollen geprägt von Empathie gegenüber den Wünschen der moslemischen Gemeinde, der Suche nach Kompromissen und der Vermittlung von Sachwissen. Aspekte wie Minderheit und Mehrheit, kulturelle Dominanz, sowie der eigene Toleranzbegriff werden über die Rollen diskutiert. Die Klischees und Vorurteile sollten von der Seminarleitung in der Reflexion aufgegriffen werden, um ihre Funktion während des Planspieles und deren Bedeutung für den Verlauf des Entscheidungsprozesses herauszuarbeiten.

Der Einsatz in Schule und außerschulischen Seminaren zeigt, dass über die Methode viele Lerninhalte aktiv vermittelt, zu einer intensiven Diskussion zur Toleranz angeregt sowie zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beigetragen werden kann.



Keywords: Planspiel, Politische Bildung, Toleranz, Fundamentalismus, Ethnie, Kompromiss, multikulturelle Gesellschaft, Minderheit, Minarett, Bürgerversammlung, Simulation, Rollen

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Das Original ist 1999 unter dem gleichen Titel erschienen in: DVPB-Aktuell 3. Jg. (1999) H. 1, S. 24-25.
(c) 2001 Stefan Rappenglück
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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