Soziale Netz in Oldenburg. Projektorientierter Unterricht in der Kursstufe.

Karl-Josef Burkard

Inhalt

1. Kursplanung und Projektskizze
2. Planungsphase
3. Durchführung der Forschungen und Erstellung der Projektberichte in den Gruppen
4. "Gemeinsam sind wir stärker" - Selbsthilfegruppen in Oldenburg
5. Das "Projektbuch" und seine Auswertung im Unterricht
6. Die Projektarbeit im Urteil der Schüler
7. Zur Zensierung der Projektberichte
8. Beispiele für Gutachten
9. Abschließende Überlegungen
10. Literatur
11. zum Autor

Das Bild eines Unterrichts, der ausschließlich nach dem Sender-Empfänger-Modell funktioniert, entspricht gewiss nicht mehr uneingeschränkt der Wirklichkeit an unseren Schulen, doch noch immer dominieren Lehrgänge, in denen zwar auf mancherlei Weise Schüleraktivität eingefordert, aber weitgehend vom Lehrer organisiert und gesteuert wird. Aktionsformen des Unterrichts mit einem hohen Grad an Selbststeuerung durch die Lernenden erfreuen sich bei den Schulpädagogen und Didaktikern einer hohen Wertschätzung; im Unterrichtsalltag spielen sie jedoch nach den übereinstimmenden Befunden der empirischen Unterrichtsforschung eine eher untergeordnete Rolle (s. Hage/Bischoff/Dichanz 1985), auch wenn es in den meisten Richtlinien anders lautet:

"Die Lernenden sind nicht nur Adressaten, sondern vor allem Subjekte, die ihre Erwartungen, Interessen, Einsichten und Einstellungen [...] in den Lernprozess einbringen". Sie "wirken bei der Festsetzung von Inhalten und Methoden mit". In "Realitätserkundungen" wie beispielsweise "Betriebserkundungen sowie Erkundungen sozialer und politischer Einrichtungen" sollen sie "Daten und Fakten erheben und deuten, Sachverhalte auf Ton- und Bildmaterial dokumentieren, Gespräche, Expertenbefragungen und Interviews durchführen, festhalten und auswerten". "Möglichkeiten des realen Handelns" sollen eröffnet werden, z.B. in "Erkundungen, Praktika, Befragungen, Experteninterviews, Projektinitiativen und Fall- oder Sozialstudien", aber auch "simulatives Handeln in Rollenspielen, szenischen Spielen, Planspielen, Entscheidungsspielen und Pro- und Kontradiskussionen".

Die Autoren der niedersächsischen Rahmenrichtlinien Politik für die gymnasiale Oberstufe (Hannover 1994, S. 17 ff.), aus denen hier zitiert wird, versprechen sich von diesen "handlungsorientierten" Methoden, dass "handelnd erworbenes Wissen dauerhafter und gründlicher" sei und dass "die Lernenden, die von einer Sache oder einem Problem wirklich 'berührt' werden, von sich aus damit befasst" blieben (ebenda, S. 29). Es soll im Folgenden nicht die erkenntnistheoretische Frage diskutiert werden, ob Wissenserwerb durch "Handeln" überhaupt möglich ist (vgl. Diederich 1994, S. 92 f.), und es soll auch nicht vertieft werden, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit praktische Erfahrungen in strukturiertes Wissen transformiert werden können. Stattdessen werden am Beispiel eines teilweise "projektorientierten" Politik-Grundkurses des 12. Jahrgangs Möglichkeiten und Grenzen handlungsorientierter Konzepte im Politikunterricht der gymnasialen Oberstufe demonstriert und reflektiert.

1. Kursplanung und Projektskizze

"Der Sozialstaat auf dem Prüfstand", "Tägliche Balance auf dem sozialen Netz", "Arbeitslosigkeit springt dramatisch in die Höhe", "Arbeitskosten auch 1995 am höchsten", "Weniger Geld für Arbeitsbeschaffung", "Streit um das Rentenniveau", "Pflege als Glücksspiele", "Grundversorgung widerspricht dem Leistungsprinzip", "Arzneikosten schnellen in die Höhe", "Was die dritte Stufe der Gesundheitsreform bringt", "Krankenversicherer proben den Wettbewerb", "Der Sozialstaat ist sein Geld wert", "Gerecht sparen - wie geht das?"

Dieses Potpourri von Schlagzeilen aus "Handelsblatt", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Frankfurter Rundschau", "Wirtschaftswoche", "Die Zeit", "Nordwest-Zeitung" illustriert: Der bundesrepublikanische Sozialstaat befindet in einer grundlegenden Legitimations-, Struktur- und Finanzierungskrise, deren Lösung sich nicht in kurzfristigen Reparatur- und Anpassungsbemühungen erschöpfen kann (vgl. Rosenberg 1990). Die politische Bildung würde ihren Auftrag verfehlen, wenn sie diese Fragen, deren Relevanz für die gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen der Schülerinnen und Schüler evident ist, nicht thematisieren würde.

Von diesen Überlegungen ausgehend habe ich im Schuljahr 1996/97 einen Grundkurs Politik im 12. Jahrgang zum Thema "Die Krise des sozialen Netzes" durchgeführt, in dessen Verlauf ich - nach einer vorausgegangenen Absprache mit den Schülern - Lehrgang und Projektmethode kombinieren wollte: Einerseits sollten die allgemeinen geschichtlichen Trends, Prinzipien, Strukturen und Probleme des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sowie alternative Lösungskonzepte in einem Lehrgang systematisch dargestellt und analysiert werden (vgl. Kaminski 1995; Bundeszentrale für politische Bildung 1994). Andererseits sollten die Schülerinnen und Schüler in einem Projekt Gelegenheit erhalten, selbständig konkrete Einrichtungen und Probleme des sozialen Netzes vor Ort zu erforschen und zu dokumentieren.

"Lehrgang" und "Projektunterricht" gehören neben "Unterricht in Gestalt relativ eigenständiger, fachlicher oder fächerübergreifender Themen" und "Trainingsunterricht" zu den von Klafki identifizierten "Grundformen" der "Beziehung von unterrichtlichen Zielsetzungen, thematischer Strukturierung und Unterrichtsformen" (Klafki 1996, S. 311). Es macht wenig Sinn, diese "Grundformen" des Unterrichts gegeneinander auszuspielen: "Keine ist verzichtbar, jede hat im Optimalfall eine charakteristische Lehr-Lernstruktur, die im Konkreten gewiss etliche Varianten erlaubt und erfordert" (ebenda). Der Lehrgang vermittelt in systematischer Form grundlegende Fakten, Kategorien und Zusammenhänge (H. Meyer 1997 Bd. 1, S. 55; Bastian/Gudjons 1993, S. 38 ff.). Er schafft damit nicht nur Grundlagen für die Formulierung begründeter Hypothesen durch die arbeitsteiligen Projektgruppen, sondern auch ein Bezugssystem für die Interpretation und Bewertung der Projektergebnisse, die sonst nur punktuell, situativ und beliebig blieben. Während der Lehrgang vom fachwissenschaftlich und fachdidaktisch geschulten Lehrer möglichst stringent geplant und realisiert wird, intendiert die Projektmethode ein "zunehmend gleichberechtigtes Rollenverständnis von Lehrenden und Lernenden" und impliziert, dass "die Projektgruppe im Sinne einer gemeinsamen Zielsetzung ihre Lern- und Arbeitsschritte plant, durchführt und reflektiert" (Kaminski 1996, S.390 f.).

Die Form, in der Lehrgang und Projektunterricht aufeinander bezogen werden (nacheinander oder gleichzeitig), ist in hohem Maß durch zeitlich-organisatorische Zwänge determiniert. Ein Nacheinander kam im Falle meines Kurses nicht in Betracht: Einerseits musste möglichst früh mit der Projektplanung begonnen werden, um beispielsweise Befragungen außerschulischer Experten durch einzelne Projektgruppen so zu terminieren, dass sie rechtzeitig ausgewertet und im Kursplenum präsentiert werden konnten. Andererseits hatte der Lehrgang nicht nur eine "Zulieferfunktion" für die Projektarbeit (Orientierungs- und Hintergrundinformationen), sondern musste bis zur zentral festgesetzten Klausur auch klausur- und abiturrelevantes Wissen vermitteln. Es war unter den gegebenen Bedingungen also gar nicht anders möglich, als nach einem gemeinsamen inhaltlichen Einstieg und einer im Wesentlichen arbeitsteiligen Projektplanungsphase Lehrgang und Projektarbeit über einen längeren Zeitraum parallel laufen zu lassen, wie aus dem folgenden Kursplan hervorgeht, der eine Kombination von Lehrgangsplanung und Projektskizze darstellt (zur "Projektskizze" vgl. Bastian/Gudjons 1993, S. 253 ff.; Kaiser/Kaminski 1997, S. 282).

So paradox es klingen mag: Die verbindlich festgelegte Zeitstruktur ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des relativ "freien", durch die Schüler in hohem Maße selbst gesteuerten Projektunterrichts; die Schüler können ihre Vorhaben nur dann eigenständig planen, wenn ihnen die Eckdaten für ihre Planungen bekannt sind, etwa die Termine für die Vorstellung der Arbeitspläne oder für die Abgabe und die Präsentation der Projektberichte.

Grundkurs Politik "Die Krise des sozialen Netzes"

A. Eingangsphase (1 . - 4 Woche)

1. Aktueller Einstieg: die Debatte um die gesetzliche Alterssicherung (1. und 2. Woche)

2. Planungsphase eines Projekts zum Thema "Das soziale Netz in Oldenburg" (3. und 4. Woche)

a) Generelle Zielsetzung des Projekts

b) Themenfindung und Bildung von fünf Projektgruppen (mit je 5 Teilnehmern)

c) Arbeitsplanung der Projektgruppen

- Entwicklung von Fragestellungen
- Sichtung von Literatur
- Kontaktaufnahme mit Experten und Betroffenen
- Erstellung eines Arbeits- und Terminplans

d) Vorstellung und Besprechung der Arbeitspläne im Kursplenum

B. Parallele Lehrgangs- und Projektarbeit (5. - 12. Woche)

Lehrgang: Prinzipien, Strukturen und Probleme des sozialen Netzes

- im Kursplenum

- in der Regel zwei der drei Kursstunden

 

1. Geschichte, Prinzipien und Strukturen des sozialen Netzes in der Bundesrepublik Deutschland

a) Ansatzpunkte, Funktionen und Bereiche der Sozialpolitik
b) Vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat
c) Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien der sozialen Sicherung und ihr Niederschlag in Parteiprogrammen (z.T. in arbeitsteili- ger Gruppenarbeit)

2. "Säulen" der Sozialversicherunga) Arbeitslosenversicherung

b) Kostenexplosion im Gesundheitswesen - Reform der gesetzlichen Krankenversicherung (Expertenbefragung)
c) Pflegeversicherung
d) Rentenversicherung (Siehe "Einstieg"!)

3. Sozialhilfe

4. Ansatzpunkte und Konzepte zur Reform des Sozialstaats - Erfahrungen anderer Staaten

Projektarbeit: Forschungs- und Dokumentationsphase

- in den Projektgruppen

- in der Regel eine der drei Kursstunden

 

Selbständige Arbeit in den Projektgruppen:

 

a) in der Schule:

· Koordination der Projektarbeit,
· Klärung methodischer Probleme
· Besprechung von Zwischenergebnissen

b) außerschulisch:

· Recherchen
· Durchführung von Interviews
. Dokumentation von Ergebnissen
· Erstellung von Texten

 

Angestrebtes "Produkt":

Erstellung von Projektberichten (von 10 - 15 Seiten) für ein "Projektbuch", in dem die Beiträge aller Gruppen zusammengefasst werden sollen (bis zur 12. Woche)

Klausur Individueller Lernbericht

C. Präsentations- und Auswertungsphase (13. - 18. Woche)

1. Präsentation und Besprechung der Projektberichte
2. Reflexion der Projektarbeit unter methodischen Aspekten
3. Abschlussdiskussion: Die Zukunft des "sozialen Netzes"

Dieser Plan, den ich zu Beginn des Kurses ausführlich erläuterte, bildete das Bezugssystem für die Projektplanungen der Schüler: Inhaltlicher Rahmen, notwendige Planungsschritte und Leistungserwartungen waren damit grob skizziert. Die Schüler waren nun aufgefordert (und fühlten sich in aller Regel auch gefordert), sich über mögliche inhaltliche Schwerpunkte zur Untersuchung des "sozialen Netzes in Oldenburg" Gedanken zu machen und um Mitstreiter für ihre Vorhaben zu werben.

Es mag kritisch eingewandt werden, dass entgegen einer stark idealisierenden Vorstellung von Projekten die eigentliche Projektinitiative nicht von den Schülern, sondern vom Lehrer ausging und dass keine interdisziplinäre Kooperation verschiedener Unterrichtsfächer stattfand. Der Verfasser ist demgegenüber der Auffassung, dass die Verfolgung von Maximalzielen der sicherste Weg ist, die Realierung des praktisch Möglichen zu verhindern. Das gilt gerade für die gymnasiale Oberstufe, in der zahlreiche inhaltliche und organisatorische Zwänge eine Projektorientierung des Unterrichts erschweren (vgl. Stübig 1998, S. 186 ff.):

1. Das Kursystem macht echte Interdisziplinarität im Sinne eines fächerkoordinierenden Unterrichts praktisch unmöglich, denn dieser würde identische Schülergruppen in verschiedenen Kursen voraussetzen, was allenfalls in einer sogenannten "Profiloberstufe", in der die Wahlmöglichkeiten der Schüler zugunsten bestimmter Fächerverbindungen eingeschränkt werden, oder im Rahmen sogenannter "Projektkurse" der Fall wäre (vgl. Sämmer/Wagener, S. 44 f.). Unter den üblichen organisatorischen Rahmenbedingungen kann Interdisziplinarität "nur" die Form des fächerübergreifenden Unterrichts im Sinne eines Überschreitens von Fächergrenzen und der Integration von Elementen anderer Fächer annehmen, wobei unter Umständen Lehrer anderer Fächer als Experten einbezogen werden. Diese im Vergleich zu einer maximalistischen Position bescheidenen Ansätze sollten allerdings nicht unterschätzt werden, denn sie stellen bisher keineswegs die Regel dar. Im projektbegleitenden Lehrgang wurden im Übrigen durchaus ökonomische, politische, soziale und historische Aspekte berücksichtigt und miteinander verknüpft.

2. Jedes Unterrichtsvorhaben hat sich in die vorgegebenen curricularen und organisatorischen Strukturen einzufügen, die in der gymnasialen Oberstufe durch eine hohe Regelungsdichte gekennzeichnet sind: So sind in jedem Kurs zwei Klausuren zu schreiben, deren Termine häufig zentral festgelegt werden; die Klausuren setzen wiederum einen gewissen zeitlichen Vorlauf voraus, in dem bestimmte Inhalte und Methoden vermittelt und geübt werden müssen. Alles andere wäre den Schülern gegenüber verantwortungslos, die mit den Kursen einen Teil der Gesamtqualifikation im Abitur erwerben und über die jeweiligen Kursthemen auch schriftlich oder mündlich geprüft werden. Im Kursunterricht der Oberstufe durchgeführte Projekte werden nur dann von der gesamten Lerngruppe getragen, wenn die Schüler sicher sein können, nicht in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu gehen, dessen Konsequenzen sie auszubaden haben. Gerade bei Schülern ohne Projekterfahrungen - und das sind leider immer noch die meisten - scheint es notwendig, sie durch eine relativ detaillierte Projektskizze von der Realisierbarkeit des Projekts in einem begrenzten Zeitraum zu überzeugen (in diesem Sinne auch Kaminski 1996, S. 393).

2. Planungsphase

Bis zur 3. Kurswoche bildeten sich fünf Gruppen mit jeweils fünf Teilnehmern zu folgenden Themen:

(1) Arbeitslosigkeit in Oldenburg
(2) Obdachlosigkeit in Oldenburg
(3) Die Pflege der Alten: Pflegeversicherungen und Pflegeeinrichtungen
(4) Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen
(5) Selbsthilfegruppen in Oldenburg

In den folgenden zwei Wochen holten die Projektgruppen erste Informationen über ihr Thema ein, formulierten ihre Erkenntnisinteressen und Fragestellungen, nahmen mit Experten Kontakt auf, vereinbarten Gesprächstermine und verständigten sich über die weitere Zeit- und Arbeitsplanung (einschließlich einer gruppeninternen Arbeitsteilung). Am Ende der 4. Kurswoche stellten die Projektgruppen ihre vervielfältigen Arbeitspläne dem Kursplenum vor. Stellvertretend sei der Arbeitsplan des Projekts "Selbsthilfegruppen in Oldenburg" zitiert:

Projektgruppe "Selbsthilfegruppen"

 

I. Fragestellungen

- Inwieweit stellen Selbsthilfegruppen einen Teil des sozialen Netzes dar?
- Wie werden sie organisiert/koordiniert? Wie sind sie aufgebaut?
- Was bedeutet "Selbsthilfe" eigentlich konkret?
- Wie arbeitet eine Selbsthilfegruppe?
- In welchen Bereichen gibt es zur Zeit Selbsthilfegruppen in Oldenburg und Umgebung?
- Wie hat sich die "Selbsthilfe" in Oldenburg und Umgebung entwickelt?
- Welche Aufgaben hat die Beratungs- und Koordinierungsstelle für Selbsthilfegruppe e.V. (BeKoS)?
- Wie werden die Selbsthilfegruppen finanziert, wie wird die BeKoS finanziert?
- Gibt es BeKos oder vergleichbare Organisationen in anderen Städten?
- Stehen die Selbsthilfegruppen bundesweit in Verbindung?

 

II. Vorgehensweise

 

1) Informationsbeschaffung

- Informationsmaterial der BeKoS
- Informationsmaterialien der Selbsthilfegruppen
- Literatur
- Interviews

2) Gesprächspartner und Gesprächstermine

a) gemeinsame Befragung der Mitarbeiter der BeKoS am 19. März

b) Erkundigungen bei verschiedenen Selbsthilfegruppen, darüber hinaus auch Gespräche
mit sonstigen Beteiligten:

- Thema "Alkoholabhängige": Erkundigungen bei Ärzten, Psychologen, Klinik, Krankenkassen, Diakonie
- Thema "Pflegeeltern": Eltern, Psychologen, Jugendamt, Kinderheim
- Thema "Mit Ausländern verheiratete Frauen": Ausländerbehörde

3) Dokumentation: Mitschriften bei Befragungen

 

4) Verteilung der Arbeitsaufgaben innerhalb der Gruppe

 

- Thema "Alkoholabhängige": S. und T.
- Thema "Pflegeeltern": S. und H.
- Thema "Mit Ausländern verheiratete Frauen": D. und M.
- BeKoS: alle



3. Durchführung der Forschungen und Erstellung der Projektberichte in den Gruppen

In der Regel stand den Projektgruppen eine der drei Kursstunden (bei Bedarf auch eine zusätzliche Stunde) für die gruppeninterne Kommunikation zur Verfügung. Die eigentliche Befragungs- und Schreibarbeit musste außerhalb der regulären Unterrichtszeit geleistet werden. Die enormen Schwierigkeiten, die sich für die Schüler daraus ergaben, hatte ich zunächst unterschätzt: Die Nachmittage, an denen die geplanten Interviews durchgeführt werden sollten, waren in einem erheblichen Maß durch Unterricht und Freizeitverpflichtungen (z.B. Musikunterricht, Sportaktivitäten, Jobs) in Beschlag genommen, so dass es eines ausgeklügelten Projektmanagements bedurfte, um mit den Gesprächspartnern, die ihrerseits über volle Terminkalender klagten, gemeinsame Termine zu finden. Oft half nur eine gruppeninterne Arbeitsteilung weiter, die allerdings den Aufwand an Absprachen zwischen den Gruppenteilnehmern erhöhte.

Die Ergebnisse der Befragungen mussten dokumentiert und unter den Gruppenmitgliedern ausgetauscht und diskutiert werden. Nach mehreren Bearbeitungsstufen wurden die Gruppenberichte nach verbindlichen formalen Vorgaben (auch bezüglich Seitenformat, Schriftart und Schriftgröße usw.) erstellt. Der Zeitdruck in der Endphase der Gruppenarbeit war erheblich, aber notwendig: Ohne den relativ frühen Abgabetermin Ende Mai wäre es nicht möglich gewesen, rechtzeitig die Berichte zu einem Buch zusammenzufassen, das die Grundlage für die weitere Kursarbeit bis zum Ende des Halbjahres bilden sollte.

Um einen Eindruck von den Arbeiten der Schülerinnen und Schüler zu vermitteln, werden im Folgenden exemplarisch einige kurze Auszüge aus dem umfangreichen Bericht (ca. 20 Seiten) der Gruppe "Selbsthilfegruppen in Oldenburg" wiedergegeben:

4. "Gemeinsam sind wir stärker" - Selbsthilfegruppen in Oldenburg

Die Projektgruppe setzte sich zunächst grundsätzlich mit der Struktur von Selbsthilfegruppen auseinander. Sie erfuhr in diesem Zusammenhang in einem Gespräch mit der Beratungs- und Koordinierungsstelle der Selbsthilfegruppen (BeKoS), dass es allein in Oldenburg über 250 registrierte Selbstgruppen gibt. Die Gruppe hat dann exemplarisch Mitglieder von Selbsthilfegruppen aus dem Suchtbereich (Anonyme Alkoholiker, Kreuzbund e.V.), einer Pflegeeltern-Selbsthilfegruppe sowie einer Selbsthilfeorganisation binationaler Familien und Partnerschaften befragt. In ihrem Fazit hat die Gruppe die gewonnenen Erkenntnisse in den allgemeinen Zusammenhang der Diskussion über die Weiterentwicklung des sozialen Netzes gestellt:

"Am Anfang des Projektes war uns der Begriff der 'Selbsthilfe' zwar bekannt, aber kaum jemand konnte die Bedeutung des Wortes genauer erläutern, geschweige denn vermochten wir die Dimension einzuschätzen und zu erahnen, wie wichtig sie in unserer heutigen Gesellschaft tatsächlich ist und wie sehr die Gesellschaft sie benötigt. Erst im Laufe der Gespräche mit Betroffenen und Beteiligten wurde uns immer bewusster, was Selbsthilfe wirklich bedeutet, und wir erkannten, dass die Aufgabe, die sie gerade in den letzten Jahren im Bereich des sozialen Netzes eingenommen hat, vielfach unterschätzt bzw. nicht zutreffend gewichtet wird. Wir hoffen, dass wir durch unsere Berichte deutlich machen konnten, welche tragende Rolle sie in unserem heutigen Gesundheitssystem einnimmt und auch wie stark sie die Kosten des Gesundheitssystems zu dämpfen vermag, indem die Ausgaben für Fremdhilfe, wie z.B. in Form eines Psychiaters, entfallen. Vielleicht wird die Akzeptanz der Selbsthilfe in den nächsten Jahren weiterhin steigen und können die Vorurteile, die noch immer bestehen, abgebaut werden. Selbsthilfe sollte in Zukunft nicht mehr lediglich als Hilfe nach dem Subsidiaritätsprinzip gesehen werden, sondern vermehrt als ein eigenständiger Faktor des Gesellschaftssystems anerkannt werden. Dieses wäre dann ein wichtiger Schritt für eine Reform des gesamten Gesundheitswesens, die nicht nur Kosten einsparen würde, sondern den Betroffenen oft auch effektiver helfen könnte.

Neben vielen neuen Erfahrungen und Erkenntnissen, die wir im Verlauf der Befragungen und Nachforschungen gesammelt haben, wird uns wohl besonders die Freundlichkeit und Offenheit, die alle von uns in den persönlichen Gesprächen mit Teilnehmern von Selbsthilfegruppen erlebt haben, unvergessen bleiben. Unsere Befürchtungen, man würde uns misstrauisch oder unfreundlich gegenüberstehen, verflüchtigten sich schon beim Empfang. Überall - ob es nun bei der BeKoS, den Anonymen Alkoholikern, der Pflegeelternvereinigung oder der Selbsthilfegruppe der mit Ausländern verheirateten Frauen war - nahm man sich sofort Zeit für uns und beantwortete bereitwillig und geduldig unsere Fragen. Dementsprechend traten auch keinerlei Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung auf, da überall auf unsere Interessen eingegangen wurde und wir ehrliche Antworten erhielten. Gerade diese Bereitschaft, mit Fremden über das eigene Leid zu reden, welches bisher mühsam hinter einer heilen Fassade versteckt werden sollte, zeigt besonders deutlich das neu gewonnene Selbstbewusstsein, das die Betroffenen in den Selbsthilfezusammenschlüssen aufgebaut haben."

5. Das "Projektbuch" und seine Auswertung im Unterricht

Die fünf Projektberichte mit einem Gesamtumfang von 80 Seiten wurden für alle Kursteilnehmer und eine begrenzte Öffentlichkeit fotokopiert und zu einem Buch gebunden. Dieses Buch bildete in den verbleibenden Unterrichtsstunden die Grundlage der Kursarbeit. Die Hausaufgabe lautete jetzt in der Regel so: "Lesen Sie bitte in Ihrem Buch die Seiten 49-55! Notieren Sie Ihre Fragen an die Projektgruppe!" Die Projektgruppe brauchte auf diese Weise keine langweiligen Vorträge zu halten, sondern beantwortete informiert und engagiert die Fragen eines interessierten "Publikums".

Die Recherchen der Schüler erbrachten wichtige Ergänzungen und Differenzierungen der im Lehrgang vermittelten Sach-, Struktur- und Problemkenntnisse:

  • Die Gruppe "Arbeitslosigkeit in Oldenburg" fand bei den Gesprächen mit Gewerkschaftern und Arbeitgebervertretern neben den erwarteten Positionsunterschieden auch beträchtliche Übereinstimmungen in deren Vorstellungen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit heraus.
  • Die Gruppe "Pflegeversicherung" gewann einen Einblick in den expandierenden Markt der Pflegedienste und gelangte dabei unter anderem zu der Einsicht, dass die Entwicklung und die Durchsetzung von Qualitätsstandards im Pflegebereich unabdingbar seien. Nebenbei machten sie die Bekanntschaft mit interessanten Zivildienststellen.
  • Die Gruppe "Obdachlose" erstellte nicht nur eine Übersicht über Ausmaß und Formen von Obdachlosigkeit sowie das relativ dichte Netz der staatlichen und privaten Hilfsangebote, sondern ermittelte auch Motive eines Teils der "Nichtsesshaften", sich diesen Hilfsangeboten zu entziehen.
  • Die Gruppe "Selbsthilfe" machte an zahlreichen Beispielen deutlich, wie umfangreich das Netzwerk der Selbsthilfegruppen in einer "kleinen Großstadt" wie Oldenburg ist und was "Subsidiarität" konkret bedeuten kann.
  • Die Gruppe "Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen" zeigte an konkreten Fällen die unterschiedlichen Interessen staatlicher Instanzen und privater Hilfsorganisationen auf und verdeutlichte die Notwendigkeit verbesserter Kommunikation und Kooperation im Sozialbereich.

6. Die Projektarbeit im Urteil der Schüler

Die Arbeit in den Projektgruppen wurde von den Schülerinnen und Schülern überwiegend als positiv empfunden. Einige Schüleräußerungen sollen dies exemplarisch belegen:

  • "Ich denke, dass ein wesentlicher Vorteil des Projektes darin besteht, dass man lernt, in und mit der Gruppe zu arbeiten, und dass somit auch die Teamfähigkeit, die im Berufsleben gefordert wird, erlernt oder zumindest erlebt werden kann. Zudem ist die Motivation größer, da nicht mehr stur reproduziert wird, sondern wir uns eigenständig mit dem Thema auseinandersetzen können und auch selber Verbindungen und Kontakte herstellen müssen. Dieses ist zwar vielleicht eine schwierige Aufgabe, bewirkt aber eine größere Zufriedenheit als die Aufnahme von Fakten, die uns nur vorgesetzt werden. Zudem konnten viele neue Erkenntnisse und Erfahrungen gesammelt werden."
  • "Ein anderes Problem bei der Gruppenarbeit ist vielleicht auch, dass nicht alle Mitglieder einer Gruppe gleich stark sind. Manche können sich gut durchsetzen und ihre Vorschläge einbringen, andere sind eher ruhig und haben Probleme, ihre Ideen zu 'vermarkten'."
  • "Ich finde, durch diese Art von Arbeit werden die Eigenständigkeit und die Eigeninitiative gefördert. Man denkt sich selbst Schwerpunkte, Vorgehensweise, Dokumentation und Lay-out aus und bekommt nicht alles vorgesetzt. Außerdem lernt man viel mehr und behält es länger, als wenn man stumpf für eine Klausur paukt. Durch die Praxis hat man engen Kontakt zum Gegenstand und kann sich seine eigene Meinung bilden durch die Eindrücke und Einblicke, die man gewinnt. Man lernt außerdem, in der Gruppe zu arbeiten, ein Teil derselben zu sein, der weder mehr noch weniger Mitspracherecht hat als die anderen Mitglieder."
  • "Das eigenständige Erarbeiten einer solchen Thematik hat zur Folge, dass ich mich wesentlich stärker in die Materie einarbeite und diverse Problematiken wie Lohnnebenkosten oder Reintegration der Arbeitslosen nicht isoliert, sondern im großen Zusammenhang sehe."
  • "Das Projekt war eine gelungene Abwechslung vom normalen Schulalltag. Man lernte die Gruppenmitglieder näher kennen und baute auch eine Art Gruppenbewusstsein auf. Allerdings ist es schwierig, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man überhaupt nicht mag. Doch in der Gruppe ist man gezwungen, diese Gefühle für ein paar Stunden außer Acht zu lassen. Man lernt, seine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Dies ist teilweise eine schmerzliche Erfahrung. Aber es ist schön, selbst Informationen einzuholen und sie nicht vom Lehrer 'auf dem goldenen Teller präsentiert' zu bekommen."

Allerdings wurden auch die Probleme benannt, die bei der Anwendung der Projektmethode im Rahmen der bestehenden Strukturen von Schule und Unterricht (insbesondere im Kurssystem der Oberstufe) auftreten können:

  • "Es war aufgrund sonstiger Verpflichtungen schwierig, Termine zu finden, an denen alle Gruppenmitglieder Zeit hatten. Außerdem bringt Projektarbeit, zumindest in unserem Fall, mehr Arbeit mit sich und kostet unheimlich viel Zeit; ich denke da an unzählige Nachmittage und Abende."
  • "Auch oder gerade weil man arbeitsteilig arbeitet, ist der Arbeitsaufwand nicht zu unterschätzen. Ebenso besteht die Gefahr, dass sich Schüler aus der Arbeit ausklinken und die anderen arbeiten lassen."

7. Zur Zensierung der Projektberichte

Kritisch wurde von einigen Schülern gesehen, dass ich für die einzelnen Gruppenberichte Gruppenzensuren erteilte und die Projektberichte mit folgenden Aufgabenstellungen zum Thema der zweiten Klausur machte:

1. Aus welchen Erkenntnisinteressen bzw. Beweggründen haben Sie sich für Ihr Projektthema entschieden
2. Berichten Sie über die Vorgehensweise Ihrer Projektgruppe!
3. Worin sehen Sie Vorzüge und Nachteile bzw. Probleme einer derartigen Projektarbeit?
4. Referieren Sie die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Projektarbeit
5. In welchem Zusammenhang sehen Sie das von Ihrer Projektgruppe bearbeitete Thema mit der generellen Fragestellung des Kurses "Reißt das soziale Netz?"

Die folgenden Schüleräußerungen zur Problematik der Zensierung sind durchaus repräsentativ:

  • "Ich bin der Meinung, dass man diese Projektarbeiten nicht mit individuellen Klausuren verbinden kann, da dies dem eigentlichen Sinn des Projektes nicht entspricht."
  • "Problematisch ist ferner, dass man eine Gruppenarbeit abliefert und dafür eine Gruppenzensur erhält. Hat man schlecht gearbeitet, reißt man die anderen Gruppenmitglieder hinunter. Arbeiten die anderen schlecht, bleibt die eigene Arbeit eventuell ungewürdigt."
  • "Schwierig ist bei einer solchen Projektarbeit das System der Beurteilung, da der Anteil des Einzelnen nicht genau festgestellt werden kann."

Ich muss gestehen, dass ich mich bei der Bewertungsproblematik relativ allein gelassen fühlte. Zwar wird in allen neueren Rahmenrichtlinien Projekt- und Gruppenarbeit unter Hinweis auf die anzustrebenden Schlüsselqualifikationen Teamfähigkeit, kommunikative Kompetenz, Methodenbewusstsein und Selbständigkeit gefordert, es werden dort aber keine praktikablen Lösungsvorschläge für das Dilemma gemacht, für den kollektiven Lernprozess in der Gruppe und die gemeinschaftlich erstellten Projektberichte individuelle Noten erteilen zu müssen (Vorschläge zur Leistungsbewegung in Projekten bei Goetsch 1993, S. 257 ff.; Bastian 1996, S 26 ff.; Dethlefs 1998, S. 17 ff.; Wester 1999, S. 26 ff.).

Wie die Schüler selbst klar erkannt hatten, liegt es im Wesen der Projektarbeit, dass sich die Arbeitsanteile der einzelnen Mitarbeiter nicht eindeutig zuordnen lassen. Sie legten aber zugleich großen Wert darauf, dass ihre zeitaufwendigen Arbeiten durch Zensuren gewürdigt werden sollten. So erhielt also ungeachtet aller Bedenken jede Gruppe für ihren Projektbericht eine Zensur, die in einem kurzen Gutachten begründet wurde.

8. Beispiele für Gutachten:

Zum Bericht der Projektgruppe "Selbsthilfegruppen in Oldenburg"

Dieser Bericht wird in ganz besonderem Maße den Anforderungen gerecht. In einer theoretischen Einleitung wird der Begriff der "Selbsthilfe" thematisiert; so werden die verschiedenen Selbsthilfezusammenschlüsse überzeugend voneinander abgegrenzt (Selbsthilfeinitiativen, -organisationen, -gruppen), um dann einen Überblick über die Charakteristika von Selbsthilfegruppen zu geben. Sehr instruktiv ist auch die Darstellung der Beratungs- und Koordinationsstelle für Selbsthilfegruppen (BeKoS), für die sowohl schriftliche als auch mündliche Informationen verarbeitet wurden. Diesem gemeinschaftlich erarbeiteten umfangreichen Einführungs- und Überblickskapitel folgen drei arbeitsteilig erstellte Berichte, in denen bekannte und weniger bekannte Selbsthilfegruppen exemplarisch vorgestellt werden. Das Fazit resümiert die während der Projektarbeit gewonnenen Erfahrungen konsequent im Hinblick auf die in der Einleitung aufgeworfene Frage nach der Bedeutung von Selbsthilfeaktivitäten im sozialen Netz. Die ausgewerteten Quellen sowie die Interviewpartner werden am Ende des jeweiligen Kapitels sorgfältig vermerkt. Sehr gut!

Zum Bericht der Projektgruppe "Obdachlosigkeit in Oldenburg"

Ganz offensichtlich arbeiteten die beiden Untergruppen dieses Arbeitsvorhabens eher neben- als miteinander, was nicht nur in der unzureichenden Gliederung, sondern auch darin zum Ausdruck kommt, dass die unverbunden nebeneinander stehenden Einzelbeiträge von den Autoren namentlich gekennzeichnet werden. Nur im Nachwort wird ein Versuch unternommen, zu einer gemeinsamen Bewertung zu gelangen; das hier gegebene Resümee ist allerdings recht allgemein gehalten. Auf die Fragestellungen der Gruppe bzw. ihrer Mitglieder sowie auf die Probleme der Vorgehensweise wird nirgendwo eingegangen. Nichtsdestotrotz enthält der Bericht bemerkenswerte Teilergebnisse: so die an sich vorzügliche Darstellung der Sozialhilfebedürftigkeit in Oldenburg, so die Wiedergabe von Interviews mit Diakonie-Mitarbeiterinnen (wobei nicht klar genug herausgestellt wird, was Meinung der jeweiligen Interviewpartnerin ist und was objektive Tatsache), so das spannende Interview mit einem "Punk", so das Gespräch mit dem Vertreter des Ökumenischen Arbeitskreises Wohnungslosenhilfe. Die Verarbeitung dieser Teilergebnisse zu einem Gesamtergebnis fand aber nur ansatzweise statt; im Nachwort wird zwar allgemein auf Bewertungsunterschiede der Interviewpartner hingewiesen, doch werden diese Unterschiede nicht explizit genannt. Noch befriedigend!

Diese Zensur ging mit 20 % in die Kursnote ein, die nach folgendem Schema ermittelt wurde:

A. Klausuren: 40 % der Gesamtnote

1. Klausur (110 Minuten zum Thema "Prinzipien, Strukturen und Probleme des sozialen Netzes"
2. Klausur (60 Minuten) über die Projektarbeit (siehe oben)
Gewichtung der Klausurnoten im Verhältnis 2 : 1

B. Projektbericht: 20 % der Gesamtnote

C. Mündliche Leistung für Unterrichtsbeteiligung, Hausaufgaben etc. : 40 % der Gesamtnote

9. Abschließende Überlegungen

1. Auch wenn der Projektbegriff in der pädagogischen Diskussion strittig ist (spezielle Aktionsform des Unterrichts versus umfassendes didaktisches Konzept), besteht doch Übereinstimmung hinsichtlich einiger Merkmale von Projekten wie Produkt- und Handlungsorientierung, Interdisziplinarität, Schülerorientierung, Situations- und Gesellschaftsbezug und gemeinsame Organisation von Lernprozessen (vgl. Bastian/Gudjons 1993, S. 28 ff.). Es wäre m.E. allerdings verhängnisvoll, solche idealtypischen Projektmerkmale, die als Orientierungs- und Verständigungshilfen sinnvoll sind, normativ zu überhöhen und jedem Unterricht den Projektcharakter abzusprechen, der nicht vollständig, sondern nur näherungsweise diesen Merkmalen entspricht. Bei der unterrichtlichen Realisierung der Projektmethode muss stets den spezifischen Bedingungen der Schulstufe und Schulart, den besonderen zeitlichen und organisatorischen Voraussetzungen, den Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen der konkreten Lerngruppe Rechnung getragen werden; diese bestimmen den Grad, zu dem die Annäherung an den Idealtypus des Projekts möglich ist (vgl. Kaminski 1996, S. 393). Angesichts des gewaltigen Überhanges an lehrerzentriertem Unterricht sind auch erste Schritte auf dem Weg zu einer zeitweisen Projektorientierung des Unterrichts "Fort-Schritte".

2. Unterrichtsmethoden sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, etwa nach dem Muster "lehrerzentrierter Frontalunterricht" versus "schülerorientiertes Projektlernen" (vgl. Meyer/Meyer 1997, S. 34 ff.; Gudjons 1998, S. 6 ff.). Zum einen schließt Frontalunterricht, der eigentlich nur eine bestimmte Sozialform (in Abgrenzung beispielsweise zur Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit) darstellt (Aschersleben 1979, S. 96 ff.), eine Vielzahl von Vortrags- und Gesprächsformen ein, die gemeinsames, selbstständiges, fächerübergreifendes, schüler- und problemorientiertes Lernen ermöglichen - alles Eigenschaften, die man gewöhnlich den sog. "handlungsorientierten" Unterrichtsformen zuschreibt! Zum anderen kommt der Projektunterricht nicht ohne Phasen der Instruktion, etwa in der Form der systematischen Wissensvermittlung innerhalb eines Lehrganges, aus. Lehrgang und Projektunterricht sind also nicht nur Gegensätze, sondern stehen zueinander in einem Verhältnis der Komplementarität.

3. Projekte sind methodische Großformen, in deren Rahmen zahlreiche verschiedenartige Aktions- und Sozialformen des Unterrichts stattfinden, z.B. gemeinsame Planungs-, Auswertungs- und Reflexionsphasen, in denen der Lehrer nicht nur als Moderator, sondern auch als Anreger, Kritiker, Fragender, Wissensvermittler gefordert ist, oder Gruppenarbeitsphasen, in denen die Schüler so selbstständig wie möglich agieren sollten, aber auch Einzel- und Partnerarbeit bei der Erledigung von Aufgaben, auf die sich die Gruppen intern verständigt haben (etwa bestimmte Recherche-, Dokumentations- und Präsentationsaufgaben).

4. Der Erfolg von Projekten hängt zum einen ganz entscheidend davon ab, ob und in welchem Umfang die Schüler über bestimmte Informationsstrategien, Planungs-, Frage-, Dokumentations-, Schreib- und Präsentationstechniken sowie über soziale Kompetenzen verfügen, ohne die die Arbeit in der Gruppe für alle Beteiligten zur Qual wird und für das Gesamtvorhaben wenig effektiv ist (vgl. Kaiser/Kaminski 1997, S. 284). Zum anderen setzt erfolgreiche Projektarbeit Lehrer voraus, die nicht nur ein breites Methodenrepertoire, sondern auch ein Gespür dafür besitzen, wann und wie lange sie sich zurückhalten müssen, damit die Schüler im Sinne der angestrebten Erziehung zur Selbständigkeit ihre eigenen Erfahrungen (Irrtümer und Fehler eingeschlossen) machen können, und wann eine pädagogische Intervention geboten ist, um beispielsweise einen persönlichen Konflikt, der eine Gruppe lahmzulegen droht, zu schlichten (vgl. Gudjons 1992, S. 41 ff.).

5. Die herkömmliche Praxis, Gruppenarbeitsleistungen nur zu bewerten, wenn sie sich individuell zurechnen lassen, ist m.E. revisionsbedürftig. Gemeinschaftlich erbrachte Leistungen lassen sich nicht einzelnen Schülern zuschreiben. Selbst wenn bestimmte Kapitel von Gruppenberichten individuell verfasst wurden, sind sie bei einer wirklichen Gruppenarbeit doch eingebunden in einen kollektiven Arbeitsprozess und von der Gruppe insgesamt zu verantworten. So verhält es sich auch in der beruflichen Wirklichkeit, in der Teams von Mitarbeitern für ihre gemeinschaftlich erbrachten Arbeitsergebnisse gerade stehen müssen, also gewissermaßen "gesamtschuldnerisch" haftbar gemacht werden. Das schließt nicht aus, dass der Lehrer offensichtliches "Trittbrettfahrerverhalten" einzelner Gruppenmitglieder sanktionieren muss. Allerdings sollten die Selbstregulierungsmechanismen der Gruppen nicht unterschätzt werden, die sich nicht selten mit großer Vehemenz gegen solches, die gemeinsamen Anstrengungen unterlaufendes Verhalten zur Wehr setzen. Gerade der Zwang, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Produkt abzuliefern, das der Klassen- bzw. Kursöffentlichkeit, evtl. aber auch der Schulöffentlichkeit (Ausstellung, Jahrbuch) zur Kenntnisnahme und Diskussion vorgelegt wird, wirkt sich stimulierend auf das Arbeitsverhalten der Gruppenmitglieder aus.

6. Wie unorthodox auch immer die Projektmethode in der schulischen Realität gehandhabt wird, so sollte doch unbedingt auf der kritischen Reflexion der Projektarbeit bestanden werden, und zwar in fachlicher, methodischer und sozialer Hinsicht. Dabei erscheint es mir notwendig, nicht nur die Arbeitsgruppen (etwa in den Gruppenberichten) und die gesamte Lerngruppe zu Wort kommen zu lassen, sondern auch die einzelnen Schüler (z.B. in Form einer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme). Die fachliche Reflexion dient der Überprüfung und Sicherung der gewonnenen Erkenntnisse, die methodische Reflexion bezieht sich auf die eingeschlagenen Erkenntniswege und die angewandten Arbeitstechniken, die soziologische Reflexion auf das Verhalten in den Gruppen: Was haben wir auf den verschiedenen Ebenen dazugelernt, wo sind wir auf Grenzen und Defizite gestoßen, welche Konsequenzen ziehen wir aus unseren Einsichten?

7. Es reicht nicht aus, in stets mit dem Anspruch des "Neuen" auftretenden theoretischen Abhandlungen oder Richtlinien die "Schüler-", "Problem-", Handlungs-", "Projekt"- oder was auch immer für eine "Orientierung" des Unterrichts zu fordern; solche Postulate führen allenfalls zu schlechtem Gewissen und Abwehrreaktionen bei den Pädagogen "an der Basis". Eine allmähliche Änderung der Unterrichtspraxis ist nur zu erwarten durch eine Lehreraus-, ?fort- und -weiterbildung, in der neue oder bisher vernachlässigte Unterrichtsmethoden und Arbeitsweisen nicht nur theoretisch vermittelt, sondern an konkreten Beispielen praktisch erprobt, ja unter Umständen sogar regelrecht "trainiert" werden, um hinreichende methodische Souveränität bzw. Routine für die individuelle Unterrichtspraxis aufzubauen.

10. Literatur

Aschersleben, K. (1979): Einführung in die Unterrichtsmethodik. 3. Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz.

Bastian, J./ Gudjons, H. (Hg.) (1993): Das Projektbuch II. Über die Projektwoche hinaus. Projektlernen im Fachunterricht. 2. Auflage, Hamburg.

Bastian, J. (1996): Leistung im Projektunterricht. In: Friedrich Jahresheft XIV, S. 26ff.

Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.) (1994): Soziale Sicherung. Reihe "Kontrovers". Bonn.

Dethlefs, B.C. (1998): Projektunterricht in der gymnasialen Oberstufe. Erfahrungen mit Leistungsbewertung und Ergebnissicherung. In: Pädagogik, Heft 7-8, S. 17ff.

Diederich, J. (1994): Zweifel an Projekten. Eine reformerische Idee und ihr Pferdefuß. In: Friedrich Jahresheft XII, S. 92ff.

Frey, K. (1993): Die Projektmethode. 5. überarb. u. erw. Auflage, Weinheim/Basel.

Goetsch, K. (1993): Projektunterricht bewerten. In: Bastian, J./ Gudjons, H. (Hg.): Das Projektbuch II. Über die Projektwoche hinaus. Projektlernen im Fachunterricht. 2. Auflage, Hamburg.

Gudjons, H. (1992): Neues aus der Gruppenforschung. In: Pädagogik, H. 7-8, S. 40ff.

Gudjons, H. (1998): Frontalunterricht - gut gemacht. In: Pädagogik, H. 5, S. 6ff.

Kaiser, F.-J./ Kaminski, H. (1997): Methodik des Ökonomieunterrichts. 2. Auflage, Bad Heilbrunn/Obb., S. 267ff.

Kaminski, H. (1995): Sozialpolitik. In: May, H. (Hg.): Handbuch zur ökonomischen Bildung. 2. Auflage, München, S. 469ff.

Kaminski, H. (1996): Projektmethode. In: May, H. (Hg.): Lexikon der ökonomischen Bildung. München, S. 390ff.

Klafki, W. (1996): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. 5. Auflage, Weinheim/Basel.

Meyer, E. (1992): Lerngruppen brauchen geeignete Lerninstruktionen. In: Pädagogik, H. 1, S. 13ff.

Meyer, H. (1994): UnterrichtsMethoden. 2 Bde., 6. Auflage, Frankfurt a.M.

Meyer, H./ Meyer, M.A. (1997): Lob des Frontalunterrichts. Argumente und Anregungen. In: Friedrich Jahresheft XV, S. 34ff.

Meyer, H. (1997): Schulpädagogik. 2 Bde., Berlin.

Rosenberg, P. (1990): Das soziale Netz vor der Zerreißprobe? Frankfurt a.M.

Sämmer, G./ Wagener, A. (1997): Projektorientierter und fächerverbindender Unterricht auf der gymnasialen Oberstufe, in: Pädagogik, H. 9, S. 44ff.

Struck, P. (1980): Projektunterricht. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz.

Weinert, Franz E. (1997): Notwendige Methodenvielfalt. Unterschiedliche Lernfähigkeiten erfordern variable Unterrichtsmethoden. In: Friedrich Jahresheft XV, S. 50ff.

Wester, F. (1999): Leistungsbewertung im Projektunterricht. In: Oldenburger Fortbildungszentrum (Hg.): Wege zu neuen Kursformen in der gymnasialen Oberstufe. Oldenburg, S. 26ff.

Wolters, A. (1994): Projekt- und Fächerübergreifender Unterricht. In: Bovet, G./ Huwendiek, V. (Hg.): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. Berlin, S. 157ff.

11. zum Autor

Dr. Karl-Josef Burkard unterrichtet am Alten Gymnasium Oldenburg die Fächer Wirtschaftslehre, Politik und Geschichte.


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Dieser Text ist eine überarbeitete Fassung eines Beitrags, der unter gleichem Titel erschienen ist in: arbeiten+lernen/Wirtschaft, 8. Jg. (1998) Nr. 32, S. 30-35.
© 1998 Verlag Erhard Friedrich, Seelze; © 2001 Karl-Josef Burkard, Oldenburg
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