In der Literaturwissenschaft und im Deutschunterricht der Schulen ist Textanalyse eine weithin angewendete Methode. Mit ihrer Hilfe erschließen sich hintergründige Inhalte und Motive von Stellungnahmen, Presseerklärungen, Reden usw.
Zum Vorgehen bei der Textanalyse
Mit Texten umgehen, sie zu deuten und verstehen zu lernen, sollte am besten in Kleingruppen geschehen. Dabei ist bereits bei der Auswahl des Textes darauf zu achten, daß er nicht zu lang ist (maximal zwei Schreibmaschinenseiten), sowie, daß Hilfsmittel für die Bedeutung von Fremdwörtern usw. zur Verfügung stehen.
Einen Text deuten heißt, mit anderen über den Text ein Gespräch führen. Aber woran kann man sich beim Deutungsgespräch halten? Soll man sich nur auf das beziehen, was im Text steht? Aber was steht wirklich im Text? Im Text steht, was wir hineindeuten, weil wir es herauslesen können - aufgrund von Gewohnheit, Kenntnis und Interesse. Deshalb muß das Textverständnis in der Gruppe ausgehandelt werden.
Zum Kontext des Textes
- Vergewissern Sie sich, in welcher Umgebung der Text steht. (Das läßt meistens etwas über die Absichten des Schreibers - oder des Herausgebers - erkennen. Und: es bringt einen auf neue Einfälle bei der eigentlichen Deutung.)
- Überlegen Sie, in welche Kontexte (zu welchen anderen Texten) der vorliegende Text auch noch passen könnte. (So können Sie die Eigenart des gegebenen Kontextes besser erfassen.)
Zum Text selbst
- Sie können den Text besser verstehen, wenn Sie ihn laut lesen. Vielleicht abwechselnd mit anderen, vielleicht allein, je nachdem, was sinnvoller ist.
In welchem Ton können Sie ihn lesen? In welchem Ton sicher nicht? Hat der Ton mit dem Thema und mit dem Inhalt des Textes zu tun? (Oft kommt man mit diesen Fragen viel leichter an den Text heran als mit Fragen nach dem Sinn.) - Teilen Sie (den anderen, aber auch sich selbst) ausdrücklich mit, wie Sie den Text verstehen. Was sind die ersten Eindrücke gewesen? Was, denken Sie, soll mit dem Text mitgeteilt sein? Mit welcher Absicht?
(Oft reden die Leute über die richtige Deutung eines Textes, ohne sich gegenseitig klarzumachen, wie sie den Text überhaupt verstehen. Sie nehmen Stellung - aber nur scheinbar zum selben Textverständnis; denn fast jeder versteht ihn anders.) - Versuchen Sie den Text klarer zu verstehen, indem Sie mit ihm analytisch umgehen:
Eine andere Überschrift, einen anderen Titel finden.
Abschnitt für Abschnitt (Einheit für Einheit) mit eigenen Worten (möglichst kurz) wiedergeben.
Das Thema des Textes auf eigene Weise, im eigenen Stil formulieren.
Den ganzen Text auswendig aufschreiben (so wie man sich erinnert); die eigene Fassung mit der Originalfassung des Textes vergleichen. (Das kann man auch gleich zu mehreren machen; Sie werden sich wundern, wie verschieden die eigenen Fassungen ausfallen!)
Den Text neu schreiben - wie er Ihrer Auffassung nach auch hätte geschrieben werden können (oder hätte geschrieben werden sollen). Auch hier lohnt sich der Vergleich mit verschiedenen eigenen Neufassungen!
Zur Situation des Textes
- In welcher Situation wurde der Text verfaßt und mit welcher Absicht:
aus der Sicht des Autors,
aus der Sicht seiner Zeitgenossen,
aus der Sicht heutiger (informierter) Zeitgenossen? (Der Autor, seine Zeitgenossen und heutige Beobachter werden Situation und Absicht des Schreibers womöglich verschieden sehen.)
- Welche waren oder - wenn es sich um einen aktuellen Text handelt - sind die Bedingungen und Umstände, unter denen der Text entstanden, bekanntgemacht und verbreitet worden ist?
- Wie war die Lebenssituation (und die Lebensgeschichte) der Schreiberin bzw. des Schreibers oder der Rednerin bzw. des Redners? (Ob die Situation, die äußeren Umstände und die mitmenschlichen Bedingungen sowie die Lebensgeschichte des Autors den Text in einem anderen Licht erscheinen lassen?)
Zur Deutungssituation
- Werden Sie sich der Absicht bewußt, mit der Sie den Text verstehen und deuten wollen. Vor allen Dingen: welches ist das Ziel der Deutung, und für wen ist das Ergebnis der Deutung wichtig?
- Verständigen Sie sich mit den anderen ausdrücklich über Ihre Deutungsabsicht. (Unklarheiten über das Ziel erschweren eine Deutung.)
- Machen Sie sich klar, mit welchen Deutungsschritten Sie zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen wollen. (Drauflosreden ist zwar ein beliebtes, aber nicht das brauchbarste Verfahren.)
- Verständigen Sie sich über die verschiedenen Deutungsansprüche. (Wollen Sie verschiedene Deutungen ausprobieren - oder eine einzige aushandeln?)
- Beachten Sie, daß "Argumentieren" bedeutet, Behauptungen zu begründen und zu widerlegen.
Vgl. Wolfgang Boettchner u. a.: Sprache. Das Buch, das alles über Sprache sagt. Braunschweig 1983, S. 274 f.
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