Interkulturelles Lernen: Die Wahrnehmung des Anderen als pädagogische Herausforderung: Zur Gestaltung interkultureller Zwischenräume

Alfred Holzbrecher

Inhalt

1. These
2. These
3. These
4. These
5. These
Literatur
Anhang: Übungen zum Thema Wahrnehmung des Anderen
Selbstbild - Fremdbild : Analogiespiel
Expeditionen in die Wahrnehmung des anderen
Masken - Spiel mit Möglichkeiten
Meinen Körper mit Leben füllen
Körperbewußtsein - Die Begegnung mit dem Fremdgewordenen
Meine - deine - unsere Welt: Berührungspunkte
Anmerkungen

Eine Fülle miteinander verflochtener Fragen läßt sich aus dieser Überschrift ableiten, z.B.:

  • Was ist unter dem Anderen zu verstehen, wenn damit nicht nur ein personales Gegenüber gemeint ist?
  • Was beinhaltet das Konzept der Wahrnehmung? Was wird in welcher Weise wahrgenommen? Kann man - als Gegenbegriff dazu - etwas unwahr-nehmen? Von welchen biographischen, gesellschaftlichen bzw. kulturellen Wahrnehmungsmustern ist das geprägt, das wir für wahr bzw. für unwahr halten?
  • Die Rede von der Wahrnehmung des Anderen läßt daran denken, wie mit diesem Anderen umgegangen wird oder werden sollte: Was geschieht an dieser Kontaktgrenze zwischen dem Selbst und dem Anderen? Wer gestaltet in welcher Weise diese Überschreitung von Subjektgrenzen?
  • Haben wir es beim personalen Kontakt mit einer anderen Person mit dialogischen Zwischenräumen zu tun, eröffnet sich vor dem Hintergrund des Interkulturellen Lernens eine weitere Dimension: Das Spezifische dieses Interkulturellen Lernens könnte die Fähigkeit sein, mit Zwischenräumen umgehen zu lernen. Welche Konsequenzen lassen sich daraus für die Formen des schulischen Lernens ableiten?
  • Zum letzten Stichwort, dem der Gestaltung: Welche Bedeutung hat die Dimension der Gestaltung im Rahmen einer Förderung der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen? In welcher Beziehung stehen Wahrnehmung, Reflexion und Ausdruck bzw. Gestaltung zueinander?

1. These

Der oder das Andere ist ein Gegenüber, das als Risiko wie auch als Chance wahrgenommen werden kann, als befremdlich oder als faszinierend. Es erscheint tendenziell als chaotisierende Kraft, d.h. als etwas, das ein vertrautes Weltbild in Frage stellt.

Dieses Fremde tritt uns gegenüber

  1. in Gestalt des anderen als (fremdes) Subjekt: Trotz möglicher (und notwendiger) Gemeinsamkeiten unterscheidet er sich mit seiner Biographie und mit seinen kultur- und milieuspezifischen Deutungsmustern grundsätzlich von anderen Subjekten.
  2. als Objekt bzw. als Medium einer fremden Kultur, z.B. als Text, Film, Musik- oder Theaterstück;
  3. als geschichtliche Dimension: Das Andere der eigenen Vergangenheit, der biographischen wie auch der kollektiven, tritt uns umso fordernder - und versteckter - gegenüber, je mehr es verleugnet wird: [/S. 48:] Aus unserer Geschichte wissen wir, daß erst im Kontakt mit historischer Schuld, erst über "Trauerarbeit" der Grundstein gelegt wird für eine neue Beziehungsqualität in der interkulturellen Begegnung.
  4. als das "Andere der Vernunft" (Böhme/Böhme), d.h. die Dimension des "unbewußt Gemachten" (Erdheim) in unserer Konstruktion von Wirklichkeit. Diese Dimension des Anderen zeigt sich auf mehreren Ebenen: Auf dem Hintergrund der europäischen Kulturgeschichte gilt das Chaos der Leidenschaften und der Einbildungskraft als das "Andere der Vernunft", - als Kraft, die Grenzen tendenziell auflöst oder in Fluß bringt. Alles "Nicht-Rationale" fällt unter diese Kategorie, z.B. ästhetische, sinnliche oder (körper-)wahrnehmungsorientierte Erkenntnisprozesse.

Was ist der Nutzen, den Begriff des Anderen derart umfassend zu definieren, und was ist der gemeinsame Nenner dieser verschiedenen Dimensionen des Begriffs? Das oder der Andere verkörpert das Ambivalente, das Nicht-Eindeutige, welches als solches Angst macht. Es stellt das Eigene und Vertraute potentiell in Frage, weil es dazu auffordert, sich auf eine Beziehungs- und Entwicklungsgeschichte mit offenem Ausgang einzulassen.

In welcher Gestalt dieses Andere erscheint, hat in zentraler Weise mit der Optik dessen zu tun, der dieses Bild entwirft. Im Kern des so entworfenen Bildes vom Anderen zeigt sich das Selbst-Bild, die Konstruktion des Eigenen und Vertrauten. Wenn wir von der "Wahrnehmung des Anderen" sprechen, müssen wir also diese psychologische Dimension des "unbewußt Gemachten" (Erdheim), aber auch die des Noch-Nicht- Entdeckten (im Sinne Blochs) mitdenken:

2. These

Wir können nicht die Realität "an sich" erkennen. Vielmehr erscheint uns die Welt in der Form, die unser sprachlich vermitteltes Weltbild zuläßt. Den Fremden erkennen wir im Bild des Anderen, wie es uns die europäische Herrschaftsgeschichte vermittelt, und zwar mit allen damit verbundenen Gefühlsqualitäten. Das eigene Bild vom Anderen ist von biographisch und gesellschaftlich vermittelten Wahrnehmungsmustern geprägt. Es gilt bewußt zu machen, in welcher Weise sich Fremd- und Selbstwahrnehmung gegenseitig bedingen.

Ortfried Schäffters Untersuchung der "Modi des Fremderlebens" ermöglicht, genauer zu bestimmen, von welcher Art diese Wahrnehmung des Fremden ist. Er unterscheidet vier Formen:

  1. "Resonanzboden des Eigenen": Hier erscheint Fremdheit u.a. als das "Ursprüngliche, ohne das die Eigenheit nicht möglich wäre". Unter der Voraussetzung, daß grundsätzlich alle menschlichen Ausdrucksformen verstanden werden können, geht es hier um die "(Wieder)Entdeckung universeller oder existentieller Voraussetzungen und Ursprünglichkeit des Eigenen im Fremden", - man muß nur selbst "Zugang zur gemeinsamen anthropologischen Basis" finden (Schäffter 1991, S.18).
  2. Fremdheit kann als "Gegenbild" wahrgenommen werden: Hier erscheint es als das "Nicht-Eigene", zu dem eine feste Grenzlinie zu zie[/S. 49:]hen ist, weil es den Bereich des Vertrauten bedrohen könnte. Das Andere wird hier als negatives oder positives Gegenbild fixiert, die Grenzlinie zwischen dem Fremden und dem Eigenen bleibt starr und die Beziehung zwischen beiden statisch. Zu dieser wohl häufigsten Form der Wahrnehmung des Fremden gehört die Ver-Teufelung (vgl. Sündenbockprojektion) ebenso wie die Ver-Engelung bzw. Exotisierung, etwa in Gestalt es Edlen Wilden.
  3. Bei der Wahrnehmung des Fremden "als Ergänzung" geht es um das "Zusammenspiel von Aneignung von Fremdem mit struktureller Selbsterfahrung" (1991, S.22). Fremdes wird hier zum Medium der Erweiterung und "Wiedergewinnung abgespaltener Erfahrungsmöglichkeiten und als Entfaltung latenter Potenzen von Eigenheit" (1991, S.24).
  4. Mit der vierten Form - "Fremdheit als Komplementarität" - beschreibt Schäffter einen Wahrnehmungsmodus, der verhindert, was in den bisherigen zumindest angelegt ist: daß das Andere letztlich doch als ein Eigenes vereinnahmt wird. Wird die Welt nicht mehr eindeutig - im Sinne universeller Rationalitätsstrukturen - wahrgenommen, entsteht eine Ordnungsstruktur, die "von einem permanenten ‚Oszillieren' zwischen Positionen der Eigenheit und der Fremdheit" lebt, welche "sich im wechselseitigen Kontakt gegenseitig hervorrufen" (1991, S.25). Die Grenzlinie zum Anderen wird prinzipiell anerkannt, unter Umständen erscheint das Fremde als nicht aneignungsfähig; trotzdem wirkt es "als Ferment einer (inter-)kulturellen und innerpsychischen Dynamik" und relativiert bestehende Denkstrukturen. "Gegenseitige Fremdheit als Komplementarität bezieht sich daher auf das Verhältnis zwischen einander auf fremdartige Weise fremden Positionen. [...] Der eigenen Perspektivität bewußt, können wir das Fremde als Fremdes belassen" (1991, S.27.28, Hervorh. i. Orig.). Der Erkenntnis(fort)schritt, der mit diesem Modus verbunden ist, läßt sich als erweiterte Kompetenz beschreiben, den - in mehrfachem Sinn - spannenden Bereich des Zwischenraums nicht nur zu ertragen, sondern produktiv zu gestalten.

Sich in den Anderen "einzufühlen", um ihn immer besser "verstehen" zu können, dieses Bemühen muß als Prozeß des Konstruierens von Bildern gesehen werden, in denen wir selbst als Betrachter vorkommen. Wir können dem Anderen immer nur "auf der Spur" sein (Waldenfels 1991, S.53). Aber diese Spur finden wir nicht vor, sondern müssen sie, um im Bild zu bleiben, gehend erkunden, probeweise konstruieren und ihre Gangbarkeit erfahren, - immer im Bewußtsein, nie in seinen Fußstapfen gehen zu können. Den Fremden, seine Denk- und Handlungsweise in ihrem Eigen-Sinn zu begreifen, kann - und muß - erlernt werden, ohne die Konstruktionsqualität dieses Einfühlungsbemühens zu verkennen (1). "Es kommt auf die Einstellung an", lautet eine verbreitete alltagssprachliche Wendung. Versteht man Einstellung im fototechnischen Sinn, wird deutlich, daß das betrachtende Subjekt seine Optik, d.h. sein Wahrnehmungssystem, auf das zu betrachtende Objekt ein-gestellt hat. Begreift der Betrachter dieses System als eigenes und veränderbares Instrumentarium, kann er lernen, diese Optik einer veränderten Realität anzupassen. [/S. 50:]

3. These

Interkulturelles Lernen ist dialogisches Lernen. Es lebt aus der Spannung der Zwischenräume, die es kreativ zu gestalten gilt.

Wenn der Andere nicht als bloßes Objekt, sondern als Subjekt mit Eigen-Sinn gesehen wird, beinhaltet dies, zu ihm in einer besonderen Weise in Beziehung zu treten: In einem ersten Schritt geht es um die grundsätzliche Bereitschaft, sich mit ihm auf eine unabsehbare Beziehungsgeschichte einzulassen, d.h. ihn verstehen zu wollen, im Bewußtsein, ihn nie ganz verstehen zu können. Im Gegensatz zur alltäglichen Form des Fest-Stellens, wie der andere ist, muß hier versucht werden, das Bild vom Anderen offenzuhalten für Veränderungen, - im Bewußtsein, daß dieses Bild immer ein solches bleibt und nicht mit der Realität selbst verwechselt werden darf. Schon aus dieser Spannung zwischen seinem realen ("objektiven"), dynamischen Wesen und der Konstruktion von subjektiv bedeutsamer Wirklichkeit ergibt sich eine Entwicklung ermöglichende, ja provozierende Beziehungsqualität.

In einem zweiten Schritt gilt es bewußt wahrzunehmen, was an der Kontaktgrenze geschieht, wie die Bilder vom Anderen und vom Selbst sich gegenseitig bedingen, ergänzen oder auch unterscheiden und in Widerspruch zueinander treten. Von zentraler Bedeutung ist hierbei die Bewegung auf den anderen zu. Erst diese intentionale Qualität eines Kontakts ermöglicht, seinen prozeßhaften Charakter zu begreifen. Somit entsteht ein Bewegungsmuster, dessen Grundmerkmal nicht allein "Offenheit" ist, sondern vor allem "Beziehungsfähigkeit": Auf der Ebene des Kontakts zum Anderen in der Objektwelt ist damit gemeint, daß (im besten Fall von beiden Seiten) in aktiver Weise Neugier und Interesse entwickelt wird (2).

Gleichzeitig ist "Beziehungsfähigkeit" auf die intrapersonale Ebene zu beziehen: Wer in Kontakt tritt zu seinen versteckten Ängsten und Aggressionen, wer die Brüchigkeit des eigenen Selbstbilds ("Patchwork-Identität") erkennt und damit umgehen lernt, dürfte weniger der Versuchung fundamentalistischer Weltbilder unterliegen. Er erkennt und anerkennt die Differenz auch beim Anderen, d.h. er unterliegt nicht (mehr) dem psychologischen Druck, mittels einer harmoniesüchtigen Weltsicht die Ambivalenz des Selbst zu kompensieren.

Als Aktivität des Subjekts gesehen, entwickelt sich dieses Bewegungsmuster aus der Spannung zwischen dem Innehalten, d.h. der (Selbst-)Reflexion bzw. dem Gewahrwerden, und dem Versuch, den Zwischenraum aktiv und kreativ zu gestalten. Im Kontaktprozeß mit dem Anderen entsteht die gemeinsame Praxis, - theaterpädagogisch ausgedrückt: der Spielraum für die Entwicklung von Beziehungsfähigkeit. Kontaktgrenzen wahrnehmen und gestalten, heißt also, die Fähigkeit zu entwickeln, dem Anderen Raum zur Entfaltung zu geben, sich ihm zu öffnen und ihn zu Wort kommen zu lassen, um damit eigenen Spielraum (wieder)zu gewinnen. [/S. 51:]

4. These

Subjektarbeit ist der lebenslange Prozeß, interne (psychische, kognitive) Wahrnehmungs- und Deutungsmuster mit dem Bild der äußeren Realität zu vermitteln. Zielperspektive dieses Prozesses ist, daß aus einem "impliziten" Wahrnehmungsmodus ein "expliziter" wird. Bei dieser Organisation der eigenen Erfahrung bedingen sich die Dimensionen der "Wahrnehmung", der "Reflexion" und des "Ausdrucks" gegenseitig. Diese Beziehung gilt es pädagogisch zu gestalten.

Unser Gehirn hat die Fähigkeit, innere wie auch äußere Sinnesreize auf unterschiedliche Weise zu verarbeiten, und zwar einerseits intuitiv, sinnlich, gefühlsbetont, bildhaft/symbolisierend, ganzheitlich und synthetisierend. Die moderne Hirnforschung hat festgestellt, daß unsere rechte Gehirnhälfte i.d.R. in dieser Weise Informationen verarbeitet. Andererseits kommt mit zunehmendem Alter die Fähigkeit hinzu, diese Wahrnehmung auch reflexiv zu verarbeiten, d.h. linear, logisch und analytisch zu denken. Dies wurde als Arbeitsweise bzw. Verarbeitungsmodus der linken Gehirnhälfte erkannt. Damit wird das Subjekt in die Lage versetzt, sich zu sich selbst reflexiv zu verhalten und die eigene Entwicklung immer bewußter zu gestalten.

Wahrnehmung und Reflexion sind als Dimensionen der Erfahrungsorganisation zunächst für andere nicht erkennbar, weil es sich um interne psychologische Vorgänge handelt. In der Regel (außer vielleicht bei Autisten) finden sie jedoch ihren bewußten und/oder unbewußten Ausdruck, z.B. als eine spezifische Körperhaltung, als Art und Weise zu sprechen oder als bewußte kreative Gestaltung. Auf einer abstrakten Ebene betrachtet: Das Weltbild einer Person und ihr Verhalten in der Welt sind als Ausdruck einer bestimmten Selbst- und Weltwahrnehmung zu verstehen.

Schulische Arbeit heißt normalerweise, eine Thematik reflexiv zu bearbeiten. Methodisch dominiert das Unterrichtsgespräch, in dem man sich dem Untersuchungsobjekt logisch und analytisch nähert. Auch die Frage, was dieses mit der Alltagswelt der SchülerInnen zu tun hat, wird oft zu einem verbal bzw. rational aufzuarbeitenden Problem. Der Anspruch, die Jugendlichen bei ihrer Subjektarbeit zu unterstützen, kann damit jedoch nur bedingt eingelöst werden.

Als Lehrer/innen sind wir bemüht, die Selbst- und Weltwahrnehmung unserer Schüler/innen zu verstehen, um auf dieser Grundlage Unterricht zu planen. Wir stellen uns die Frage, wie sie die (von uns erkannten) Widersprüchlichkeiten des politischen Alltags wahrnehmen und damit umgehen. Doch können wir diese ihre Wahrnehmung nicht als solche erkennen, wir können lediglich den Versuch machen, ihre (z.B. ästhetischen) Ausdrucksformen zu deuten und daraus mögliche Schlußfolgerungen ableiten. Auf eine Formel gebracht kann unsere pädagogische Aufgabe so formuliert werden: Es gilt, die Schüler/innen darin zu unterstützen, [/S. 52:]

  • ihre Wahrnehmungsfähigkeit zu schärfen,
  • ein breites Spektrum von Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln und
  • das solcherart zum Ausdruck Gebrachte einer reflexiven Bearbeitung zugänglich zu machen.

Für die pädagogische Praxis bedeutet dies, daß der - entwicklungsgeschichtlich ältere - Verarbeitungsmodus der Wahrnehmungsdimension in Verbindung mit dem kreativen Ausdruck stärker berücksichtigt und in eine qualitativ neue Beziehung zur reflexiven Bearbeitung gesetzt werden sollte. Dafür ist es notwendig, Medien und Methoden zu entwickeln, die einen Zugang zu den symbolhaft verdichteten Bilder vom Anderen (vgl. 1. These) und den damit verbundenen Gefühlsqualitäten ermöglichen: Indem diese Bilder zunächst in vorsprachlicher Form gestaltet werden, findet eine Objektivierung, eine Gestaltwerdung von Ängsten und Phantasien statt, die dann einer gemeinsamen reflexiven Bearbeitung zugänglich werden.

In einer Unterrichtsreihe über Okkultismus/Teufel/Dämonen in einer Religionsgruppe der 10. Klasse sollten die Schüler/innen möglichst anschaulich "Dämonen" beschreiben, - Aussehen, Größe, Geruch, besondere Merkmale, Kleidung etc, dann auch das, "was sie mit uns machen" (Partner-/ Gruppenarbeit auf Wandzeitung). In einer zweiten Phase wurde die Aufgabe gestellt, jede/r sollte sich in diese Dämonenfigur hineinversetzen und aus der Ich-Perspektive einen Text in Form einer "Selbstdarstellung" schreiben. Ich habe die Schüler/innen dieser Gruppe seit Jahren nicht mehr so locker und gelöst erfahren wie beim Abfassen dieser Texte, aber auch beim Vortragen.

Offensichtlich wurden in dieser Form des Ausdrucks destruktive, angstmachende / "fremde" Anteile der eigenen Persönlichkeit gebunden, was subjektiv als Befreiung erlebt wurde. Da schon vor dieser Stunde Teufelsglaube, Dämonenphantasien und Hexenverfolgung als Projektionen gesellschaftlich verdrängter Ängste erkannt worden waren, konnte über diese Übung die Erfahrung vermittelt werden, daß solche "fremden" Anteile eine neuartige Beziehung zu den bewußten Teilen des Selbst eingehen. Eine rein reflexive Bearbeitung des Themas hätte sicherlich nicht diese tiefgehende Wirkung gehabt, sie vermag nur bedingt jene Kontaktgrenze zur weitgehend unbewußten Welt der Gefühle und Empfindungen zu verflüssigen. Ein Kontakt zum Selbst hat stattgefunden: Was vorher als "dämonisch" in der Außenwelt wahrgenommen wurde, entpuppte sich als Projektion eines impliziten Wahrnehmungsmodus: Jetzt, nachdem er Gestalt gewonnen hatte, d.h. "an die Wand gemalt wurde", war er auch reflexiv bearbeitbar. Vor allem aber bewirkte offenbar der (kreative) Ausdruck als solcher eine Umorganisation der Gefühlswelt. Ein weiteres Beispiel:

Unterrichtsthema waren "Grenzerfahrungen", also z.B. zwischen verschiedenen Bewußtseinszuständen (vgl. Traum, Meditation, Drogen...), zwischen Lebens- / Erlebnisformen (vgl. Alltag vs. Freizeit), aber auch politische oder generationsspezifische Grenzerfahrungen wurden integriert, um den [/S. 53:] Umgang mit diesen Erfahrungen zu thematisieren. Die Schüler/innen sollten in Zweiergruppen nach einer kurzen Vorbereitungszeit eine dieser Grenzerfahrungen gestisch bzw. körpersprachlich (evtl. auch szenisch) in der Klasse darstellen.

Eine der Zweiergruppen zeigte folgende pantomimische Darstellung: Eine Person liegt in Embryonalhaltung am Boden, die andere steht in Herrscherhaltung, einen Fuß auf der liegenden Person. Nun begannen die Mitschüler/innen, diese Situation zu deuten ("Herrscher / Unterdrückter? Mann / Frau? ..."). Die beiden Schülerinnen nahmen diese Deutungsversuche interessiert zur Kenntnis: Sie wollten die Beziehung zwischen dem Verstand / Wachbewußtsein und dem Traum darstellen.

Das anschließende Unterrichtsgespräch konzentrierte sich auf die Gefühle, die mit dieser Geste / Haltung verbunden sind, und auf die Frage, inwiefern kulturelle bzw. gesellschaftliche Konditionierungen beim Ausdruck dieser Wahrnehmung eine Rolle spielen.

Aus einem impliziten Wahrnehmungsmodus muß ein expliziter werden: Die Ängste und Phantasien, die vorher dazu führten, daß man von ihnen "getrieben" wurde, erscheinen nun als Objekte, die gemeinsam bearbeitet werden können. Ist man vorher "Opfer" des eigenen Weltbilds, das einem die Perspektive aufzwingt, erwirbt man jetzt die Fähigkeit, mit der eigenen Wahrnehmung kreativ und selbst-bewußt umzugehen.

5. These

Interkulturelles Lernen muß von seiner Form her den Möglichkeitssinn entwickeln und Kompetenzerfahrungen ermöglichen.

Ulrich Beck sieht als epochale Herausforderung die Frage: "Wie gehe ich, wie gehen wir mit der hergestellten Ungewißheit und Unkontrollierbarkeit als Ergebnis fortgeschrittenster Rationalisierung um?" (Beck 1993, S.46). Mit dem Fremden und Nicht-Vertrauten, mit dynamisch sich verändernden und daher zwangsläufig ambivalenten Situationen umgehen zu können, erfordert neben dem analytisch-rationalen einen Denkmodus, der mit dem Begriff des Kreativen nur sehr grob umschrieben ist. Mit diesem Wahrnehmungsmodus bewegt man sich in einer "Welt fluktuierender Bilder und Worte" und "schwebender Identitäten" ohne feste Grenzen (Polet 1993, S.114. 80). Das wesentliche Kennzeichen dieses schöpferischen Prozesses besteht darin, daß zwischen dem Bewußtsein und dem Unbewußten ein permanenter Informationsaustausch stattfindet, ein Pendeln zwischen bildhaft-synthetischem Wahrnehmen und analytischem Denken. Könnte es gelingen, als handelndes Subjekt gerade aus dieser Unbestimmtheit kreative Energie zu gewinnen? Dabei käme der Phantasie in diesem prozeßhaften Geschehen die Funktion einer Produktivkraft zu: Neue Formen und Deutungsmöglichkeiten werden sichtbar, und die Arbeit am eigenen Selbst- und Weltbild erscheint als Spiel mit möglichen Rollen, Masken bzw. Identitätselementen (3). Unterricht kann damit zu einem Ort werden, "wo Lebensentwürfe gebastelt werden, wo Sinn- und Wertsuche stattfindet" (Quitmann 1991, S. 247). [/S. 54:]

Von großer Bedeutung während des Wahrnehmens der Situation ist die Fähigkeit, nicht nach mechanischen Reiz-Reaktionsmustern handeln zu müssen (vgl. das Bestätigen vor Vor-Urteilen), sondern den Akt des Auswählens und Entscheidens hinausschieben zu können: Erst jetzt haben Intuition, spontane Einfälle, das Spiel mit Analogien und Metaphern freie Bahn, und Emotionen können eine "heuristische Funktion" (Polet 1993, S.92) übernehmen. Dieser Prozeß ist von einem permanenten Abschätzen vorhandener und dem Erkunden verborgener Wahrscheinlichkeiten gekennzeichnet: Ein Handeln in Zwischenräumen, im Übergangsfeld zwischen Ordnung und Chaos.

Der Begriff der Kompetenz kann vor diesem Hintergrund mehrdimensional bestimmt werden:

  • Psychologisch gesehen entsteht Kompetenz als Ich-Stärke bzw. als Erfahrung, eine Krisensituation oder eine schwierige Aufgabe selbstbestimmt bewältigt zu haben oder bewältigen zu können. Macht man diese Erfahrung in der Gruppe, entwickelt sich aus dieser Arbeit heraus ein ich-stützendes Wir-Gefühl. Möglicherweise liegt darin ein wichtiger Schlüssel für den produktiven Umgang mit den tagtäglich uns überschwemmenden Katastropheninformationen. Mehr denn je gilt Marianne Gronemeyers These, daß Kompetenzerfahrungen dazu beitragen, lähmende Ohnmachtserfahrungen zu überwinden (Gronemeyer 1976). Die Erfahrung gemeinsam erarbeiteter und erweiterter Handlungsspielräume läßt ein emotional stabilisierendes Kompetenz- und Wir-Gefühl entstehen. Beides zusammen schafft die psychologischen Voraussetzungen dafür, daß Ambivalenz und Vielfalt bewußter und aktiver verarbeitet werden kann. Bieten die im pädagogischen Handlungsfeld eröffneten Lerngelegenheiten derartige Erfahrungen von Kompetenz, müßte eine sichere motivationale Basis entstehen, auf der sich Lernbedürfnisse - und eine Neugierhaltung dem Anderen gegenüber - entwickeln können.
  • Mit dem Begriff der interkulturellen kommunikativen Kompetenz ist nicht nur die Fähigkeit gemeint, sich (fremd)sprachlich verständigen zu können, darüber hinaus geht es um die Entwicklung der Fähigkeit, mit der Anderscrtigkeit des Anderen aktiv umzugehen. Von großer Bedeutung dabei ist die "Lernkultur", d.h. das Gesamt der von der Lehrperson und den Schüler/innen inszenierten Medien und Methoden, die Interaktionsformen innerhalb der Lerngruppe bzw. die Arbeitsatmosphäre: Wenn die kommunikativen Beziehungen innerhalb der Lerngruppe aufgrund ihrer Überschaubarkeit ein Gefühl relativer Deutungssicherheit bieten, kann dieser Binnenraum zu einem emotionalen und sozialen Schutzraum werden - als Voraussetzung für gelingende Außenaktivitäten und für die Fähigkeit, sich aktiv und schöpferisch mit der multikulturellen Vielfalt der Lebenswelt auseinanderzusetzen. Dieser letzte Aspekt zeigt eine weitere Dimension des Kompetenzbegriffs:
  • Die Vielfalt multikultureller Lebenswelten nicht nur hinzunehmen, sondern sie vor allem aktiv mitzugestalten, beinhaltet die Zielperspektive einer politischen Handlungskompetenz im multikulturellen [/S. 55:] Alltag. Richtet sich die interkulturelle kommunikative Kompetenz eher auf die Wahrnehmung und Gestaltung der Zwischenräume, so geht es hier darum, das "Polis"-Konzept (v. Hentig 1994) in die Praxis umzusetzen bzw. im Raum der kommunalen Öffentlichkeit weiterzuentwickeln. So gilt es, den schulischen Binnenraum mit den Lernorten jenseits der schulischen Mauern zu verknüpfen (4), Massenmedien aktiv zu nutzen, politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen, durch kreative Aktionen selbst Öffentlichkeit herzustellen etc.

Bei der gemeinsamen Aufarbeitung dieser Aktivitäten im Binnenraum der Schule geht es um eine weitere Dimension des Kompetenzbegriffs: Heinz Klippert versteht unter Methodenkompetenz die Beherrschung elementarer Lern-/ Arbeitstechniken, Gesprächs-/Kooperationstechniken sowie die Fähigkeit, mit grundlegenden "Makromethoden" (Gruppenarbeit, Referat, Facharbeit etc) umgehen zu können (Klippert 1994, S.28). Wer Techniken der Beschaffung, Verarbeitung und Präsentation von Informationen gelernt hat, so darf vermutet werden, dürfte eher in der Lage sein, sich selbstgesteuert mit den jeweiligen Inhalten und mit der eigenen Wahrnehmung auseinanderzusetzen.

Über diesen eher instrumentellen Charakter der Methodenkompetenz hinaus geht es um die Entwicklung von Strategien des kreativen Arbeitens. In einem weiten Sinn ist damit gemeint, im Umgang mit "kreativen Medien" sich ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten anzueignen und die eigenen Kontaktfunktionen zu erweitern. Dazu gehört nicht nur die Fähigkeit, mit technischen oder Sachmedien arbeiten zu können, also beispielsweise Fotoapparat und Videokamera als Instrumente zur Erkundung des multikulturellen Alltags zu nutzen. Vor allem als Person sind wir Medium (vgl. Wolf 1989), und es gilt, die Wahrnehmung des Anderen sensibler und bewußter zu gestalten (5).

Nach dem Verlust der großen Utopien und der Desillusionierung in bezug auf die bewußtseinsverändernde Dynamik aufklärerischer Ideen bleibt uns vielleicht dies: Indem wir Lerngelegenheiten schaffen und Raum dafür geben, die eigene Wahrnehmung zu sensibilisieren, sie in kreativer Weise Gestalt werden lassen und gemeinsam reflexiv zu bearbeiten, ermöglichen wir Kompetenzerfahrungen. Auf dieser Grundlage, so ist anzunehmen, sind die Schüler/innen in der Lage, auch zukünftige Lernprozesse selbstorganisiert zu gestalten, - vielleicht in einer Weise, die uns "fremd" bleibt: Der Umgang mit dem Fremden fängt im Klassenzimmer an. [/S. 56:]

Literatur

Hartmut BÖHME/Gernot BÖHME, Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants, Frankfurt 1985
Ulrich BECK, Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung, Frankfurt 1993
Mario ERDHEIM, Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit. Eine Einführung in den ethnopsychoanalytischen Prozeß, Frankfurt 31990
Marianne GRONEMEYER, Motivation und politisches Handeln. Grundkategorien politischer Psychologie, Hamburg 1976
Hartmut von HENTIG, Die Schule neu denken. Eine Übung in praktischer Vernunft, München/Wien 31994
Heinz KLIPPERT, Methodentraining. Übungsbausteine für den Unterricht, Weinheim/Basel 21994
Sybren POLET, Der kreative Faktor. Kleine Kritik der kreativen (Un-)Vernunft, Bensheim/Düsseldorf 1993
Helmut QUITMANN, Die Gestaltpädagogik ist eine "Pädagogik" und keine "Therapie"!, in: Burow/Kaufmann (Hg), Gestaltpädagogik in Praxis und Diskussion (Hochschule der Künste Berlin), Berlin 1991, S. 245-247
Ortfried SCHÄFFTER, Modi des Fremderlebens.Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit, in: ders. (Hg), Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung, Opladen 1991, S.11-42
Bernhard WALDENFELS, Der Stachel des Fremden, Frankfurt 21991
Werner WOLF, Die Medien das sind wir selbst. Handbuch für die Medienarbeit in der Schule, Reinbek 1989

Anhang: Übungen zum Thema Wahrnehmung des Anderen

Die folgenden und weitere ca. 15 Übungen sind in einer Broschüre zusammengefaßt, die beim Autor angefordert werden kann (Unkostenbeitrag 5,00 DM: A. H., Bismarckstr. 5, 53842 Troisdorf)

Selbstbild - Fremdbild : Analogiespiel

Zielgruppe: etwa ab 13 Jahren
Ziele: Erkennen, wie mich andere sehen vs. wie ich mich selbst sehe
Material/Vorbereitung: ./.

Durchführung:

  1. Variante: Die Gruppenmitglieder/Schüler... sitzen im Kreis, eine Person erklärt sich bereit, eine andere (anwesende) Person zu charakterisieren, die Restgruppe versucht diese herauszubekommen durch "Analogiefragen" wie z.B.: "Wie stellst Du Dir die Person vor als Farbe, Landschaft, Gewässer, Landschaft, Musikinstrument, Buch, Haus, ....?" Da der Reiz des Spiels u.a. darin besteht, daß die zu ratende Person möglichst viele Facetten dieses "Psychogramms" von Seiten der einen Person mitbekommen möchte, sollte nicht zu früh geraten werden, um wen es sich handelt. Nach der "Auflösung" hat die "geratene" Person die Möglichkeit zurückzufragen, z.B. wenn bestimmte Charakterisierungen nicht mit dem Selbstbild übereinstimmen. [/S. 57:]
  2. Variante: Eine Person verläßt den Raum, die Restgruppe verabredet, wer aus dem Kreis geraten werden soll. Die Person , die den Raum verlassen hatte, stellt nun die "Analogiefragen"..., wodurch u.U., da mehrere Antworten auf eine Frage möglich sind, ein heterogenes Bild entsteht. Die zu ratende Person gibt selbstverständlich auch Antworten...

Expeditionen in die Wahrnehmung des anderen

Zielgruppe: etwa ab 15 Jahren
Ziele: Die fremde Kultur, die Welt des anderen mit allen Sinnen wahrnehmen; (wieder) bewußt und kreativ mit den eigenen Sinnen umgehen (lernen); wahrnehmen, wie der andere / Fremde seine Umgebung wahrnimmt, was ihm wichtig, normal, befremdlich, faszinierend... erscheint - und dabei sich selbst wahrnehmen, wie man darauf reagiert / welche Resonanzen dies auslöst.
Wenn diese Übung zusammen mit einem fremden Partner durchgeführt wird, was eigentlich Sinn ist, dürfte ein Mindestmaß an sprachlicher Verständigungsmöglichkeit notwendig sein. In abgewandelter Form kann die Übung aber auch als "ein-seitiges" Wahrnehmungstraining durchgeführt werden.

Durchführung:
Versuchen Sie, bei diesem Wahrnehmungstraining zunächst, sich nacheinander auf die einzelnen Sinne (Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Sehen) zu konzentrieren. Wichtig ist, nicht mit dem Sehen zu beginnen, sondern zunächst mit den anderen, uns "fremderen" Sinnen. In Begleitung eines "fremden" Partners geht man (Zweiergruppen) durch die Stadt, die Landschaft..., den Alltag: Beide achten bewußt auf die jeweils spezifischen Sinnesreize (nach einer festgelegten Zeit werden die Rollen getauscht). Evtl. wird ein gemeinsames Wörterbuch angelegt. Auch sollten kleinere Gegenstände zu den einzelnen Sinnen/Wahrnehmungsformen gesammelt werden, die dann im Tagungsraum als HörBar, RiechBar, SchmeckBar, TastBar und SichtBar aufgestellt und den anderen Gruppen zur Erkundung angeboten werden.
Bei dieser Expedition in die Wahrnehmung des anderen können Sie sich leiten lassen von folgenden Fragen:

  • Hören: Stimmen, Geräusche, Musik...; auf welche Klänge macht mich der/die andere aufmerksam? Welche sind ihm/ihr besonders wichtig?...
  • Riechen: Was (und wen) können wir gut riechen (Gefühlsassoziationen zu einzelnen Gerüchen)? Wie riecht es auf der Straße, beim Spaziergang durch den Wald...? Wie riecht es in diesem, wie in jenem Raum?...Worauf macht [/S. 58:] mich der/die andere aufmerksam... (s.o.)
  • Schmecken: gemeinsam in ein Café o.ä. gehen; beim Essen bewußt die Einzelzutaten identifizieren, Geschmacksnuancen wahrnehmen...; worauf macht mich der/die andere aufmerksam...(s.o.)?
  • Tasten: (Zu dieser Wahrnehmungsform sollte im Seminarraum eine "TastBar" mit verschiedenen Gegenständen vorbereitet werden)
  • Sehen: Was gibt es in der fremden Welt zu sehen? Worauf macht mich der/die andere aufmerksam? Was möchte er/sie mir zeigen? Was sagen die von ihm/ihr ausgewählten Bilder über ihn/sie selbst aus? Welche Farben und Formen zeigen sich? Welche Erfahrungen und Geschichten sind den Leuten ins Gesicht geschrieben? Ist das Halten von Augenkontakt in dieser Kultur üblich, unhöflich... bzw. in welchen Situationen ist das so? Inwiefern gibt es kulturelle Unterschiede?...

Masken - Spiel mit Möglichkeiten

Zielgruppe: ab 15 J.
Ziele: Das Spiel mit "Typen", definierten Rollen bzw. Eigenschaftsbereichen erlaubt das Ausagieren von Emotionen unter dem Schutz der Maske, das "Spiel mit möglichen Identitätsbestandteilen", die Selbst-Erfahrung als dynamische subjektive Empfindung hinter der Maske sowie als Resonanz der Gruppe
Material/Vorbereitung: Papier/Schreibzeug

Beschreibung:

  1. Sammeln von typischen menschlichen Negativ-Eigenschaften / Typen, z.B. der/die Furchtbare, Angsterregende, Jähzornige, Gewalttätige, Brutale, Herrschsüchtige, Blutrünstige, ewig Klagende...
  2. Jede/r greift sich diejenige Figur heraus, mit der er/sie sich besonders beschäftigen möchte und malt ein Bild / Symbol dieser Figur
  3. "meditative Zwischenphase"/Musik! (mit geschlossenen Augen): Sich in der Phantasie diese Figur vor einem stehend vorstellen (Welche Körperhaltung hat sie [aufrecht, gebückt...]? Wie ist sie gekleidet? Was hält sie in ihren Händen?...)
  4. "Selbst"-Darstellung dieser Figur: Schreiben eines Textes in Ich-Perspektive (Wer bin ich? Wie sehe ich aus? Wie rieche ich? Wie fühlt sich meine Haut an? Wie will ich auf andere wirken / was will ich mit meinem Aussehen, mit meiner Gestalt bewirken?...) - Dabei möglichst anschaulich und übertrieben beschreiben!
  5. Vortragen (lassen) und die Texte aufhängen
  6. "Kontaktaufnahme" mit der Positivfigur: Jede/r sucht sich einen (in Textform beschriebenen) Negativ-Typus heraus, zu dem eine Gegen-Figur entworfen werden soll: wie Pkt. 3 und 4; der Text sollte in Form einer Kontaktaufnahme verfaßt werden.
  7. Text der "Positivfigur" wird vorgetragen bzw. neben dem der "Negativfigur" aufgehängt.

Auswertung:
Was haben wir/habe ich bei der gedanklichen Vorstellung der Negativfigur empfunden ? Was bei der Abfassung des Textes ? - Daß eine Figur/Person "befremdet" oder/und "fasziniert", zeigt, daß sie in mir/uns etwas zum "Klingen" gebracht hat; vereinfacht: was mich fasziniert, verweist auf unerfüllte bzw. verdrängte Wünsche; was mich befremdet, rührt an Bereiche, die ich verdrängen mußte. - Was hat die Figur X mit mir zu tun?... - Wie habe ich/ haben wir den "Kontakt" der Positivfigur wahrgenommen?... [/S. 59:]

Meinen Körper mit Leben füllen

Zielgruppe: ab 10 J
Ziele: Selbstdar-/vorstellung; erste Annäherung an das Thema "Fremdsein"
Material/Vorbereitung: große Wandzeitungsrolle (erhältlich bei Zeitungsdruckereien als "Reste"); Schreibzeug

Durchführung:
Jede(r) TeilnehmerIn legt sich auf die Papierbahn und läßt von sich (mit Bleistift) den Körperumriß nachzeichnen; man selbst fährt diese Linie dann mit dickerem Filzstift nach.
In den Körperumriß wird geschrieben und gemalt:

  • ich kann gut ...; ich bin ... (positive Eigenschaft)
  • ich wäre gerne mehr ...
  • mir macht angst, wenn ...
  • Fremdsein heißt für mich ...

Auswertung:
Gemeinsam werden die "Körper" besprochen, wobei sich möglichst ein Dialog zwischen allen ergeben sollte über die jeweiligen Inhalte / Personen; wer plaziert welche Inhalte in welche Körperpartie?...Wo sind unsere Verdrängungen in diesem "Körper" lokalisiert/lokalisierbar? Wie empfinden wir dies? Aufgrund welcher Erfahrungen wird "Fremdheit"zu einem subjektiv bedeutsamen (positiv oder negativ gefärbten) Wahrnehmungsmuster? Welche Gefühlsdimensionen schwingen mit, wenn wir Fremdes (Wortfeld bestimmen!) wahrnehmen: fremde Klänge, Gerüche, Berührungen.....

Körperbewußtsein - Die Begegnung mit dem Fremdgewordenen

Zielgruppe: unbestimmt; je älter die TeilnehmerInnen sind, desto größer dürften die Barrieren und die "Erkenntnis"-Effekte sein
Ziele: Erkundung des Körperbewußtseins und seiner Erfahrungs- und Ausdrucksmöglichkeiten; ein kreativitätsorientierter, v.a. den ganzen Körper einbeziehender "Umgang mit dem Fremden" i. S. von Fremdgewordenen - nachdem die abendländische Kultur mit der Herrschaft über fremde Völker auch die Herrschaft über den Körper und die Sinnlichkeit gebracht hat
Vorbereitung/Material: viel Platz muß vorhanden sein; Kleidung der TeilnehmerInnen den Übungen angemessen; Musik

Durchführung:
(in Anlehnung an Barbara Haselbach, Improvisation, Tanz, Bewegung, Stuttgart (Klett) 4/1987, S.23ff)
Erkunden der Bewegungsmöglichkeiten: Was kann man mit Händen, Füßen, Kopf, Schultern, Rücken, Po, Knien... erfinden? Wie kann man sich fortbewegen, wenn man keine Schritte benützt?
Welche phantasievollen /"fremden" Möglichkeiten der Kontaktaufnah[/S. 60:]me zu anderen gibt es? Welche von mir noch nie gemachten Bewegungsabläufe kann ich ausprobieren?
Wo habe ich überall Muskeln und Bewegungsmöglichkeiten? Wie fühlen sich diese Körperpartien bei mir selbst an?...

Diese Übung(en) können auch als "Aufwärmspiele" z.B. für Stegreifszenen oder pantomimische Improvisationen verstanden werden:
"Stell Dir vor, die Tür geht auf, und ein(e) Fremde(r) (Afrikaner / in, Chinese..., Flüchtling aus...., "Asylant", ... "Alien"/Monster..., eine schöne Frau/ein schöner Mann...) betritt den Raum. Wie reagierst Du? (spontaner körpersprachlicher Ausdruck)

Meine - deine - unsere Welt: Berührungspunkte

Ziele: Nachdem jede/r zunächst Bilder/Symbole zur eigenen Lebenswelt gemalt hat, ergibt sich aus dem methodischen Arrangement zwangsläufig der Zeitpunkt, zu dem man "ins Bild des anderen hineinmalen" muß: Es gilt die Grenzlinie zu gestalten zwischen dem "Eigenen" und dem "Fremden".
Material: DIN-A 3-Bögen mit großem Kreis (Kopien), je 1 Bogen für 2 Personen; Mal-/Filzstifte; Musikkassette (eine Mischung aus "meditativer" und "anregender" Musik, abhängig von Gruppe/Geschmack !, z.B. Keith Jarrett, Köln Concert; Paul Horn...)

Durchführung:
Die Gesamtgruppe teilt sich in "gemischte" Zweiergruppen; man sitzt sich gegenüber, jede/r beginnt von der eigenen Seite aus zu malen,

  • was für die eigene Lebenswelt typisch ist,
  • Muster, Symbole aus der eigenen Kultur, die für einen selbst Bedeutung haben etc. Währenddessen läuft Musik, es sollte auf keinen Fall gesprochen werden.

Auf diese Weise malen beide "aufeinander zu" und gestalten die "Berührungspunkte bzw. -flächen ...

Auswertungsaspekte:
Wie gestalteten die Partner/innen den Prozeß der "Grenzgestaltung" bzw. des Kontakts? Inwiefern fanden Abgrenzungen statt? In welcher Form? Inwiefern dominierte der Wunsch nach "Verschmelzung" bzw. fließenden Übergängen ? Wie weit wurde ins Bild des/der anderen hineingemalt? Wie reagierte der/die andere darauf? ...

Anmerkungen

(1) Vgl. hierzu die Übung "Analogiespiel" im Anhang
(2) Vgl. hierzu die Übung "Expeditionen in die Wahrnehmung des anderen" im Anhang
(3) Vgl. hierzu die Übung "Masken - Spiel mit Möglichkeiten" im Anhang
(4) Vgl. das Projekt "Gestaltung des Schullebens und Öffnung der Schule" (GÖS) des Landesinstituts für Schule und Weiterbildung in Soest
(5) Vgl. hierzu die anderen im Anhang aufgeführten Übungen



Das Original ist unter dem gleichen Titel erschienen in der Zeitschrift der DVPB NW: Politisches Lernen 17. Jg. (1995) H. 3-4, S. 47-60.
(c) 2001 Alfred Holzbrecher
Um den Text zitierfähig zu machen, sind die Seitenwechsel des Originals in eckigen Klammern angegeben, z. B. [/S. 53:].
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