Aus allen vorliegenden Untersuchungen wird deutlich: Berufswahl ist eine komplexe und lang andauernde Entwicklung. Berufsorientierung beginnt bereits in der Kindheit, erstreckt sich über die Schulzeit hinweg und umfasst die Phasen des Übergangs an der ersten und zweiten Schwelle. Die Notwendigkeit richtungsweisender Bildungsentscheidungen ist mit der Berufswahl an der ersten Schwelle jedoch bei weitem nicht abgeschlossen.

Angesichts der wachsenden Wichtigkeit lebenslangen Lernens für die eigene berufliche Entwicklung, gewinnt berufliche Weiterbildung immens an Bedeutung und damit auch die Notwendigkeit von Berufswege- und Bildungsentscheidungen nach Beendigung der beruflichen Erstausbildung. Somit werden "Berufswahlkompetenzen", die die Entscheidungsfindung vorbereiten, zunehmend zu Fähigkeiten, die den Berufsweg wie das lebenslange Lernen des Einzelnen dauerhaft begleiten.

Dies gilt insbesondere für junge Frauen, da sie zum einen teilweise nicht in Ausbildungsberufe ihrer ersten Wahl einmünden, zum anderen häufig in Berufen ausgebildet werden, die als "Zuverdienerberufe" gelten. Für die Zeit nach Abschluss der beruflichen Erstausbildung sind sie daher in besonderer Weise von Prozessen der beruflichen Weiterentwicklung und Umorientierung betroffen. Dies macht die Betrachtung von Berufswahl als langfristigen Prozess, der mehrere Lebensphasen umspannt, gerade bei (jungen) Frauen besonders notwendig.

Das Potenzial junger Frauen nutzen

Aufgrund der demografischen Entwicklung ist schon heute absehbar, dass Auszubildende und junge Fachkräfte in wenigen Jahren in Ostdeutschland und spätestens in zehn Jahren auch in Westdeutschland Mangelware sein werden (Brosi u. a. 2001). Angesichts dieser demografischen Veränderungen gilt es bereits heute, das vorhandene Qualifizierungs- und Arbeitskräftepotenzial auszuschöpfen: (Junge) Frauen bilden eine erhebliche, schulisch gut vorgebildete Ressource, deren Kompetenzen und Profile es auch für gewerblich-technische Berufe bzw. für Berufe der Informationstechnologie auszuschöpfen gilt.

Für Betriebe, die bereits jetzt in manchen Regionen - wie Bayern und Baden-Württemberg - einen Facharbeitermangel beklagen, sind junge Frauen ein Nachwuchspotenzial, das es zu fördern gilt. Die attraktive Gestaltung von Ausbildungsplätzen und die stärkere Gewinnung von Schulabgängerinnen auch in technikorientierten Berufen stellen hier eine bildungspolitische Herausforderung aller beteiligten Akteure dar.

Hindernisse beim Zugang zu technischen Berufen beseitigen: Einstellungstests und Auswahlverfahren der Betriebe geschlechtssensibel gestalten

Einstellungstests und Auswahlverfahren von Betrieben in gewerblich-technischen wie bei IT-Berufen sind vielfach noch von geschlechtsspezifischen Mustern geprägt (Dietzen/ Westhoff 2001). Demnach werden Bewerberinnen eher in kaufmännisch orientierten Berufen bevorzugt, männliche Bewerber in technisch orientierten Berufen. Darauf weisen beispielsweise auch die Ausbildungsquoten junger Frauen in den vier IT-Berufen hin (vgl. Punkt 4.8).

Wollen Betriebe das Potenzial und die Kompetenzen junger Frauen stärker in technisch orientierten Berufen nutzen, so sind Einstellungstests wie betriebliche Auswahlverfahren darauf hin zu überprüfen, inwieweit sie noch implizit oder explizit Elemente enthalten, die eine geschlechtsspezifische Auswahl bedingen. Eine geschlechtssensible Überarbeitung von Einstellungstests und betrieblichen Auswahlverfahren kann einen Beitrag dazu leisten, den Anteil junger Frauen in technischen Berufen zu erhöhen (Puhlmann 2001).

Die Stärkung von (jungen) Frauen in technisch orientierten Berufen sollte in Betrieben nicht als einzelne Fördermaßnahme dastehen, sondern in eine allgemeine Unternehmensstrategie der Personalförderung eingebunden sein (vgl. Westhoff/ Dietzen 2001).

Am Potenzial junger Frauen ansetzen

Schulische und außerschulische Berufsorientierung können in stärkerem Maße als bisher junge Frauen und ihre individuellen Vorstellungen von Lebens- und Berufsplanung unterstützen, d. h. sie dabei unterstützen eine Gesamtbiografie zu entwerfen, eigene Lebensentwürfe zu entwickeln, und sie konsequent zu verfolgen. Vorrangig ist es, die Stärken junger Frauen herauszuarbeiten und bewusst zu machen, um ihr Selbstbewusstsein zu fördern. Dieses gilt es unter Einbeziehung ihrer individuellen sowie - bei jungen Frauen mit Migrationshintergrund - ihrer migrationsspezifischen biografischen Erfahrungen zu erreichen. Anders ausgedrückt: Es geht um die Förderung ihrer Wahrnehmung und die Verarbeitung ihrer biografischen Erfahrungen im Prozess von Berufswahl und Lebensplanung (vgl. auch Lemmermöhle u. a. 1997).

Am Potenzial junger Frauen ansetzen bedeutet für die Ausbildung selbst, dass sich Lernprozesse in der Ausbildung stärker an den Herangehensweisen junger Frauen orientieren. Gerade in technisch orientierten Berufen sollten Ausbildungskonzepte stärker an den (Lern-) Voraussetzungen und dem individuellen Umgang junger Frauen mit Technik ansetzen. Hierfür ist auch das Ausbildungspersonal entsprechend zu schulen und einzusetzen (s. u.).

Eine frühzeitige Förderung von Berufswahlkompetenzen

Um das Potenzial junger Frauen in einer langfristig angelegten Bildungslaufbahnberatung (s. u.) nutzen zu können und ihre Kompetenzen für weitere Berufsentscheidungen im Sinne eines lebenslangen Lernens zu fördern, ist es wichtig, frühzeitig in der Schule bei Schülerinnen (und Schülern) im Rahmen des Fachs Arbeitslehre "Berufswahlkompetenzen" zu fördern, d. h. die Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung, zur Entscheidungsfindung und zur Berufsplanung zu entwickeln (vgl. OECD 2002). (11)

Innovative Ansätze, die eine solche vorberufliche Handlungskompetenz fördern, werden zur Zeit z. B. im Rahmen des Programms "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" erprobt (vgl. BA/ BMBF 2002). Eine breitere Umsetzung innovativer Konzepte und Ansätze, die frühzeitig die Berufswahlkompetenzen von Schülerinnen (und Schülern) aber auch von Schulabgängerinnen (und Schulabgängern) stärken, ist wünschenswert im Anschluss an ihre Erprobung und Evaluierung.

Eine langfristig angelegte Bildungslaufbahnberatung

Notwendig ist eine langfristig angelegte Bildungslaufbahnberatung ergänzend zur bisherigen Berufsberatung, die sich an schulischer und beruflicher Bildung orientiert und eine Beratung von Mädchen ausgehend von ihren individuellen Bildungsvoraussetzungen und den von ihnen gewünschten Bildungszielen ermöglicht.

Es hat sich z. B. bei Mädchen türkischer Nationalität gezeigt, dass sie insbesondere dann erfolgreich bei der Realisierung ihrer Berufspläne waren, wenn im angestrebten Beruf ihre schulischen Voraussetzungen und die Eingangsvoraussetzungen der Betriebe für den Ausbildungsberuf übereinstimmten. Lag eine (zu) große Diskrepanz zwischen den individuellen Voraussetzungen und den Leistungsanforderungen bzw. den (formalen) Einstellungskriterien der Betriebe vor, führte dies eher zu Misserfolg (Stanger 1994).

Nur eine langfristig angelegte Bildungslaufbahnberatung kann Möglichkeiten aufzeigen, um weiterführende Schul- und Bildungsabschlüsse zu erwerben, um doch den angestrebten "Traumberuf" zu erreichen oder die hinter dem "Traumberuf" stehenden Ansprüche reflektieren zu helfen. Erst in dieser Auseinandersetzung und Reflexion erhalten Mädchen die Chance, ihre mit dem Zielberuf verbundenen Vorstellungen sowie die Realisierbarkeit ihres Wunsches zu überprüfen. Dies aber ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine (mögliche) tragfähige berufliche Umorientierung.

Neue Perspektiven eröffnen

Angesichts bestehender geschlechtsspezifischer Barrieren ist es im Rahmen einer Bildungslaufbahnberatung auch notwendig, Schülerinnen und Schulabgängerinnen Informationen und Gelegenheiten zu bieten, die ein breiteres Berufswahlspektrum fördern.

Das kann auch bedeuten, "Gegenangebote" zu vorherrschenden Orientierungen zu vermitteln: die Möglichkeit von Berufen im technischen Bereich und damit verknüpft anderer Berufswege, muss für junge Frauen stärker erfahrbar werden, etwa durch Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Branchen, durch Workshops oder durch Praktika.

So meinen beispielsweise zwei von drei Betrieben in der IT-Branche, dass ein Mehr an technikorientierten Betriebspraktika eine Möglichkeit darstellt, um junge Frauen für eine Ausbildung in einem IT-Beruf zu gewinnen (Dietzen/ Westhoff 2001; s. u.). Im Rahmen des Programms "Schule - Wirtschaft/ Arbeitsleben" sind solche betreuten Betriebspraktika für Schülerinnen - und Schüler - vorgesehen, insbesondere im Bereich naturwissenschaftlich-technischer Berufe (BA/ BMBF 2002).

Orientierungsprojekte als Unterstützung

Orientierungsprojekte bieten im Rahmen einer langfristig angelegten Bildungslaufbahnberatung die Möglichkeit einer zeitlich kompakten und komprimierten Berufsinformation und Berufsorientierung und können junge Frauen bei ihrer Berufswahl unterstützen.

Im Rahmen eines solchen kompakten Seminars können junge Frauen die eigenen Interessen, Fähigkeiten und Potenziale ausloten. Dabei besteht die Chance, sich über Fragen der Berufswahl mit anderen Jugendlichen auf Lehrstellensuche bzw. mit Auszubildenden auszutauschen. Zudem kann im Rahmen von Orientierungsprojekten das Potenzial junger Frauen herausgearbeitet und ihre Berufswahlkompetenzen gestärkt werden.

Sicherheit im Umgang mit dem Computer ist bei der Berufsorientierung unterstützend

Eine aktuelle OECD-Studie zur Bildungssituation in Deutschland stellt eine unterdurchschnittliche Ausstattung mit Computern an deutschen Schulen (12) und eine (große) Unsicherheit von Schülern in Deutschland im Umgang mit PCs fest. (13) Dabei tun sich Schülerinnen im Umgang mit dem PC besonders schwer. (14)

Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass Mädchen bzw. junge Frauen in der Einschätzung ihrer naturwissenschaftlichen bzw. technischen Fähigkeiten und Kompetenzen vorsichtiger bzw. ehrlicher sind als Jungen, bleibt die Tatsache bestehen, dass neben dem sehr deutlichen Unterschied zwischen Schülerinnen und Schülern in der Einschätzung der Sicherheit im Umgang mit dem PC auch erhebliche Unterschiede zwischen Schülerinnen in Deutschland und anderen OECD-Staaten bestehen. So haben in einigen OECD-Ländern Mädchen eine deutlich bessere Einschätzung ihrer Sicherheit im Umgang mit dem PC als in Deutschland (vgl. BA/ BMBF 2002).

Neben der technischen Ausstattung an Schulen mit Computern ist auch der Umgang von Schülerinnen mit PCs erheblich zu verbessern und diese Kompetenzen für die Phase der Berufsorientierung und Berufswahl nutzbar zu machen. Der sichere Umgang mit dem Computer als Informations- und Kommunikationsmittel kann sich in der Berufsorientierung und Berufswahl als unterstützend herausstellen: Zwar sollte dies nicht überbewertet werden - denn allein mit Hilfe von Computerkenntnissen ist die Berufswahl nur schwerlich zu meistern - jedoch auch nicht unterschätzt werden. Denn die große Unsicherheit, die nach der OECD-Studie vor allem bei Schülerinnen in Deutschland im Umgang mit Computern besteht, kann ein Handicap in der Phase der Berufsorientierung und Berufswahl bedeuten. Von Vorteil könnten sich daher integrierte Ansätze erweisen, die in der Schule ansetzen und die Vermittlung von grundlegenden Kenntnissen und Fähigkeiten im Umgang mit den elektronischen Informations- und Kommunikationsmitteln mit Fragen der Berufsorientierung und Berufswahl verbinden. Langfristig angelegten Konzepten ist hierbei der Vorzug zu geben.

Ausbildung in IT-Berufen stärken

Die Zufriedenheit junger Frauen und Männer mit ihrer Ausbildung in einem IT-Beruf ist ähnlich hoch - obwohl nur die Hälfte der weiblichen Auszubildenden im IT-Bereich im Wunschberuf ausgebildet wird (Dietzen/ Westhoff 2001). Das ist ein Hinweis darauf, dass das Engagement junger Frauen in Ausbildung nicht gering sein kann - im Gegenteil.

Um eine Entwicklung der IT-Branche zu einem männlich dominierten Ausbildungsbereich zu verhindern und die dauerhafte Öffnung auch der technikorientierten IT-Berufe für Frauen zu erreichen bzw. zu sichern, sollte die Förderung junger Frauen in den technikorientierten IT-Berufen vorrangig zwei Hauptzielrichtungen verfolgen: Erstens den Zugang der Bewerberinnen zu einer IT-Ausbildung unterstützen - und im Vorfeld die Betriebe hierfür zu gewinnen - und zweitens das Interesse von Schülerinnen und Schulabgängerinnen an einer solchen Ausbildung erhöhen bzw. stärken.

Aus Sicht der in einer BIBB-Studie befragten Betriebe finden folgende Möglichkeiten eine breite Zustimmung, um junge Frauen für eine Ausbildung in einem IT-Beruf zu gewinnen: die Durchführung von mehr technikorientierten Betriebspraktika (64 %) sowie die Kontakte zu jungen Frauen in Schule und Berufsberatung (61 %). Andere Möglichkeiten werden hingegen sehr viel seltener genannt (Dietzen/ Westhoff 2001).

Dies lässt darauf schließen, dass Betriebe davon ausgehen, dass die geringe Ausbildungsbeteiligung von jungen Frauen in IT-Berufen vorrangig auf die Phase der Berufswahl/ Berufsorientierung bzw. das mangelnde Interesse junger Frauen an technischen Berufen zurückzuführen ist (Dietzen/ Westhoff 2001). Dass dies jedoch nicht die einzige Ursache für die niedrige Ausbildungsquote junger Frauen in IT-Berufen sein kann, zeigt sich an der hohen Quote von Bewerberinnen im Vergleich zu den Einstellungen in Ausbildung: In den technikorientierten IT-Berufen bewerben sich doppelt so viel junge Frauen auf eine Ausbildungsstelle wie eingestellt werden (Dietzen/ Westhoff 2001).

Ein anderer Grund, den wiederum die Betriebe sehr verhalten nennen, sind - wie bereits dargestellt - wenig geschlechtssensible Einstellungstests und Auswahlverfahren. Nur 8 % der befragten Unternehmen gehen davon aus, dass verbesserte Eignungstests und Auswahlverfahren dazu beitragen können, junge Frauen für IT-Berufe zu gewinnen (Dietzen/ Westhoff 2001). Die Sensibilisierung von Betrieben für geschlechtssensible Einstellungstests und Auswahlverfahren ist daher ein wichtiger und unerlässlicher Schritt, um Betriebe für eine stärkere Ausbildung junger Frauen in technikorientierten Berufen und namentlich in IT-Berufen zu gewinnen.

Ausbilderinnen in der Ausbildung stärken

Das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern in der Teilhabe am dualen System spiegelt sich auch bei den Ausbildenden wider. So beträgt der Anteil der Ausbilderinnen in der Ausbildung nur rund ein Viertel. Sollen mehr junge Frauen für eine Ausbildung in technikorientierten Berufen gewonnen werden, so ist eine stärkere Einbeziehung von Frauen als Ausbilderinnen notwendig (Puhlmann 2001). Neben ihrer Vorbildfunktion für junge Frauen in Ausbildung können sie als Ausbildungs(mit)verantwortliche auch bei der Auswahl der Auszubildenden sowie bei der Gestaltung von Lernprozessen im Sinne einer stärkeren Beteiligung junger Frauen mitwirken.

Dem entgegen glauben nur 11 % der Betriebe, dass ein Mehr an Ausbilderinnen dazu beitragen kann, junge Frauen stärker für IT-Berufe zu gewinnen (Dietzen/ Westhoff 2001). Dies weist darauf hin, dass in dieser Hinsicht Überzeugungsarbeit und Anstrengungen bei Betrieben nicht nur von Seiten der Wirtschaftsverbände erforderlich sind.

Zudem ist das Ausbildungspersonal gerade in technisch orientierten Berufen stärker für die Belange weiblicher Auszubildender wie z. B. für ihre individuellen Lernvoraussetzungen und Lernstrategien zu sensibilisieren und zu schulen, um die Fähigkeiten von Frauen auch im technischen Bereich besser auszuschöpfen.

Außerbetriebliche Ausbildung qualitativ sichern und öffnen

Außerbetriebliche Ausbildungen müssen einer doppelten Anforderung entsprechen: eine dem bestehenden Arbeitsmarkt zeitgemäße Ausbildung vermitteln und die betreffenden Zielgruppen entsprechend ihrem Bedarf im Rahmen einer sozialpädagogischen Betreuung fördern. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass gerade junge Frauen, insbesondere aus den neuen Bundesländern, meist nicht zu den "klassischen" Zielgruppen sozialer Arbeit gehören, sondern mehrheitlich zur Zielgruppe der so genannten "Marktbenachteiligten". Meist besteht hier das wirkliche Problem darin, dass in einer Region nicht genügend betriebliche Ausbildungsplätze existieren oder junge Frauen in der Vergabe benachteiligt sind.

Insofern müssen außerbetriebliche Ausbildungen konkreter auf verschiedene Zielgruppen abgestimmt werden, auf Personen, die sozialpädagogischer Betreuung bedürfen sowie auf die Belange von Personen, die lediglich in einer gegebenen Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage aufgrund bestehender Vergabepraktiken oder Standortbedingungen benachteiligt sind. Für alle Zielgruppen gilt es, passende Angebote zu schaffen. Dabei ist zu vermeiden, dass Angebote von neuem benachteiligend wirken, indem sie als zweitklassige Berufsausbildung gelten und mit Stigmatisierungen verbunden sind (vgl. Ulrich 2001).

Zudem gilt es für alle Zielgruppen, das Spektrum der Ausbildungsberufe, die im Rahmen der außerbetrieblichen Ausbildung für junge Frauen zur Verfügung stehen, deutlich auszuweiten. Vorliegende Analysen zeigen, dass im Rahmen der Benachteiligtenförderung junge Frauen im Kern nur in 12-15 Berufen ausgebildet werden (vgl. Kollatz 2001).

Die Öffnung der außerbetrieblichen Ausbildung für Ausbildungsberufe in anderen Berufsfeldern, die Sicherung der Qualität außerbetrieblicher Ausbildung sowie die Erhöhung der Chancen von Auszubildenden aus außerbetrieblicher Ausbildung an der zweiten Schwelle erfordern auch eine erheblich stärkere Verzahnung von betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung als bisher. Unterschiedliche Modelle der Verknüpfung von betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung, die bereits erprobt sind, sollten deutlich häufiger - den Bedarfslagen der unterschiedlichen Zielgruppen entsprechend - umgesetzt werden: sei es, dass die fachpraktische Ausbildung in einem Stufenmodell sukzessive in den Betrieb verlagert wird, sei es, dass sie von Anfang an im Betrieb erfolgt. (15)

Insbesondere diese zweite Form der Verknüpfung außerbetrieblicher mit betrieblicher Ausbildung erlaubt es, die Palette der Ausbildungsberufe auszuweiten. Sie ist vornehmlich für diejenigen jungen Frauen mit weiterführenden Bildungsabschlüssen geeignet, die aufgrund der Ausbildungsmarktlage keine Ausbildungsstelle gefunden haben. Hingegen bietet das Stufenmodell den Vorteil, dass sich gerade Schulabgängerinnen mit weniger günstigen schulischen Voraussetzungen bzw. mit Lernschwierigkeiten in den Lehrwerkstätten des Bildungsträgers allmählich an die Anforderungen einer Ausbildung gewöhnen können. (16)

Steigerung der beruflichen Ausbildung junger Frauen mit Migrationshintergrund

Die vorliegenden Analysen zeigen, dass 43 % der jungen Frauen ausländischer Nationalität im Alter von 20-30 Jahren ohne einen anerkannten Berufsabschluss bleiben - häufiger als die männliche Vergleichsgruppe und viermal so oft wie junge deutsche Frauen, obgleich Schulabgängerinnen mit ausländischem Pass häufiger als die männliche Vergleichsgruppe einen (weiterführenden) Schulabschluss erreichen. Ein Mangel an ausbildungsinteressierten jungen Frauen mit Migrationshintergrund kann aufgrund der vorliegenden Untersuchungen nicht festgestellt werden. Wesentlich schwieriger ist es, Betriebe zu finden, die bereit sind, (weibliche) Jugendliche aus Migrantenfamilien auszubilden - aus unterschiedlichen Gründen (vgl. Granato 2002).

Angesichts des stagnierenden Zugangs junger Frauen ausländischer Nationalität zu einer Berufsausbildung sowie der katastrophalen Lage junger Frauen ohne Berufsabschluss aus Migrantenfamilien, ist es eine vorrangige bildungspolitische Aufgabe allen jungen Frauen mit Migrationshintergrund einen qualifizierten Berufsabschluss zu ermöglichen.

Das Integrationsangebot für dieses knappe Drittel der jungen Frauen in Deutschland - der heutigen Generation von Schülerinnen und Schulabgängerinnen mit Migrationshintergrund - muss erheblich verbessert werden, wenn sie eine faire Chance auf eine berufliche Qualifikation und damit auf eine berufliche Integration erhalten sollen.

So wird die programmatische Forderung "Ausbildung für alle" zwar von allen gesellschaftlichen Gruppen mitgetragen. Wesentlich sind dabei allerdings die Anstrengungen der Sozialpartner und der Bundesregierung im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit mit dem Ziel allen ausbildungswilligen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzubieten. Die Aktivitäten zur Verbesserung der Ausbildungschancen von jungen Migrantinnen und Migranten bilden hierbei einen Schwerpunkt. Im neuen Programm "Kompetenzen fördern" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hat die Bundesregierung deswegen auch diesen Akzent gesetzt: Ein eigener Innovationsbereich zielt auf die Verbesserung der beruflichen Qualifizierung junger Migrantinnen und Migranten. (17)

Die Heterogenität der Lebenslagen junger Frauen (und Männer) mit Migrationshintergrund und ihre je unterschiedlichen Lernvoraussetzungen verlangen mehrdimensionale Ansätze und Maßnahmen. Zielgruppenspezifische und differenzierte Maßnahmen müssen insbesondere in folgenden Bereichen vorgesehen bzw. umgesetzt werden (vgl. Alt/ Granato 2001):

  1. Verbesserung der Chancen beim Übergang Schule - Beruf,
  2. Verbesserung des Zugangs zu einer betrieblichen Ausbildung,
  3. Ausbildungserfolg in der Berufsausbildung sichern: Unterstützung im Ausbildungsverlauf,
  4. Berufliche Nachqualifizierung,
  5. Interkulturelle Öffnung der beruflichen Bildung.
    Deutlich zu verbessern sind jedoch auch ihre Chancen bei der
  6. Beruflichen Eingliederung und beruflichen Weiterbildung (vgl. Granato 2000c).

Dies sind auch zentrale Arbeitsschwerpunkte der "Initiativstelle Berufliche Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten" (IBQM), die für die Umsetzung des Programms "Kompetenzen fördern" in diesem Bereich (Innovationsbereich IV) im Bundesinstitut für Berufsbildung eingerichtet wurde (vgl. Granato/ Schapfel-Kaiser 2002 sowie IBQM (Hrsg.) 2002).