Im deutschen Bildungssystem fällt die Berufswahlentscheidung (nicht nur) für benachteiligte Jugendliche in eine sozio-biografische Phase, die auf Orientierung, Erprobung und Horizonterweiterung angelegt ist. Langfristige, scheinbar endgültige Festlegungen können als Verhaltenszumutung interpretiert werden. Die psycho-sozialen Prozesse dieser Altersphase sind auf die Entwicklung und Stabilisierung von Identität, Intimität und Unabhängigkeit (Evans 1998, S. 7) gerichtet. Eine Berufswahl, zumal unter stark eingeschränkten Bedingungen, wirkt dem entgegen.

Schule verstärkt mit ihren Lernpraktiken und Bewertungsmechanismen soziale Formen von Benachteiligungen und bringt selbst Formen von Benachteiligung hervor. Sie wirkt damit für einen erfolgreichen Übergang in Ausbildung und Beruf kontraproduktiv. Eine Öffnung der Lerninhalte in Richtung auf das Arbeitsleben, eine praktische Aufbereitung von Lerninhalten oder Lernumgebungen, die Eigenständigkeit und selbstständige Entscheidungen fördern, werden bislang lediglich in Modellversuchen in geringer Zahl erprobt (vgl. auch Rademacker 2002).

Möglichkeiten einer gezielten und vertieften Berufsorientierung für benachteiligte Jugendliche sind systematisch ausgegliedert aus allen schulischen Angeboten. Dies gilt sowohl für die allgemein bildenden Schulen als auch für die Berufsschulen.

Die starke Strukturierung des deutschen Ausbildungssystems lässt kaum Umwege und Abweichungen zu. Der Hauptschulabschluss als Mindestzugangsvoraussetzung, das geregelte duale Ausbildungssystem mit Zwischen- und Abschlussprüfung stellt zwar einerseits hohe Qualifizierungsstandards sicher, trägt jedoch andererseits dazu bei, dass gerade Jugendlichen mit schlechten Startchancen Türen verschlossen bleiben oder vor der Nase zugeschlagen werden. Das faktisch weiterhin existierende Beratungsmonopol des Arbeitsamtes modifiziert die entsprechenden Selektionsprozesse, ohne sie rückgängig zu machen.

Angebote zur Berufsvorbereitung sind ein grundlegender Bestandteil der außerschulischen Maßnahmen zur Benachteiligtenförderung im Allgemeinen. Durch ihre kulturelle Orientierung am dualen System und an traditionellen Berufskonzepten werden sie zwar in ihren Zielen eingeengt - praktische Erfahrungen können die Jugendlichen hier nur in begrenzten Berufsfeldern sammeln - durch ihre spezifische pädagogische Ausrichtung und durch eine Vernetzung im regionalen Arbeitsmarkt bieten sie jedoch eine ungleich bessere Möglichkeit für Jugendliche, berufliche und persönliche Perspektiven zu entwickeln und zu erproben als allgemein bildende oder berufliche Schulen. [/S. 219:]

Innerhalb eines mittlerweile 25-jährigen Erfahrungszeitraums ist von den Trägern eine spezifische Professionalität entwickelt worden, die sich durch Praxis- und Handlungsorientierung sowie durch Methodenvielfalt auszeichnet. Die pädagogischen Prinzipien wie Subjektorientierung, individuelle Lernrhythmen, Ganzheitlichkeit und handlungsorientierte Vermittlungsmethoden müssen nicht mehr mit den Defiziten der Jugendlichen begründet werden (Biermann 1996, S. 19), sondern betonen Kompetenzen und Stärken. Bislang arbeitet dieser Bereich jedoch weitgehend autonom parallel zu den etablierten Berufsbildungsinstitutionen, ohne dass die hier akkumulierte Expertise systematisch für andere Bildungsträger fruchtbar gemacht würde. Sowohl das detailgenaue Wissen um die Zielgruppe als auch das hier entwickelte umfangreiche Methodenrepertoire wäre durchaus auch in anderen Kontexten nutzbar. Sinnvoller als mit einer Abfolge von wechselseitigen Schuldzuweisungen und Verbesserungsvorschlägen die Polarisierung von Schule und Jugendberufshilfe aufrechtzuerhalten, wäre es grenzüberschreitende Ansätze, wie sie bereits gelegentlich modellhaft entwickelt wurden, weiter zu verfolgen und auch auf institutioneller Ebene voneinander zu lernen.