Die Leitfragen sollen dazu dienen, Einzelfragen und Unterrichtsgegenstände so auszuwählen und zu gewichten, dass sie als Antwort auf Probleme von allgemeiner Bedeutung erkannt werden können. Mit ihrer Hilfe können geschichtliche, erdkundliche und Themen der politischen Bildung als verschiedene Aspekte gleicher Fragestellungen begriffen werden. In ihrer allgemeinen Form zielen sie auf Überleben und menschenwürdiges Leben ab; ihre Beantwortung soll für die Bewältigung (für Erkennen, Urteilen, Handeln) von und in Situationen qualifizieren, von denen Schüler subjektiv und objektiv betroffen sind. So gesehen lassen sich alle Themenbereiche der drei Fächer in vier zentrale Themen- bzw. Fragenkomplexe gliedern:

  1. Erarbeitung, Sicherung, Verbesserung des Lebensunterhaltes
    In welcher Weise und in welchem Ausmaß waren/sind Menschen je von der Natur abhängig? Wovon und von wem hing/hängt es ab, ob Bedürfnisse befriedigt werden können?
  2. Verteilung von Eigentum und Macht; Regelungen des Zusammenlebens
    Wie waren/sind Eigentum, Besitz, Macht, Ansehen verteilt? Wie kamen/kommen verbindliche Entscheidungen zustande? Wie wurden/werden sie durchgesetzt? Gab/gibt es Rechte der Person? für alle?
  3. Austrag von Konflikten
    Wie (mit welchen Mitteln) wurden/werden Konflikte ausgetragen? Welche Regelungen gab/gibt es dafür?
  4. Rechtfertigung, Sinngebung, Normen; Möglichkeiten und Formen menschlicher Kommunikation
    Wie wurde/wird die staatlich gesellschaftliche Ordnung begründet, gerechtfertigt, infrage gestellt? Wie wurde/wird die Frage nach dem Sinn des Daseins beantwortet? Wie erhielten/erhalten die Menschen Informationen?

Schon diese allgemeinen Fragen können sowohl auf historische als auch auf gegenwärtige Themen, Situationen und Probleme angewendet werden, einschließlich der politisch bedeutsamen geographischen Themen. [/S. 245]

Für die Geschichte lassen sie sich weiter konkretisieren, indem zum Beispiel gefragt wird:

  • Zu 1.:
    Welche Fortschritte in der Beherrschung der Natur wurden erzielt? Auf Kosten welcher Gruppen? Welche Einbussen waren damit verknüpft? Welche Abhängigkeiten wurden vermindert, vermehrt?
  • Zu 2.:
    Welche Fortschritte bei der Überwindung von sozialen Ungleichheiten, bei der Sicherung der Personrechte, der Lösung von Problemen der Daseinsvorsorge wurden zu jener Zeit erzielt? Welche Gruppen waren daran beteiligt?
  • Zu 3.:
    Welche Regelungen/Institutionen gab es für den Austrag von Konflikten zwischen Gruppen? Zwischen Völkern?
  • Zu 4.:
    Welche Begründungen dienten der Aufrechterhaltung der jeweiligen Ordnung? Mit welchen Gründen wurde sie infragegestellt? Welche Möglichkeiten hatten die Menschen (hatten Gruppen) sich zu informieren?

In der Politischen Bildung wird in Bezug auf die Beteiligung an zustimmungswürdigen Entscheidungen zusammengebracht, was in den sozialwissenschaftlichen Disziplinen, aber auch in den Fächern Geschichte (zeitlich) und Erdkunde (räumlich) getrennt erscheint. Im Zusammenhang mit Situationen kann gefragt werden:

  • Zu 1.:
    Welche langfristigen Lösungen sind angesichts des Widerspruchs zwischen technisch Möglichem einerseits und Ressourcenknappheit, Umweltbelastung, Stress in Arbeit und Freizeit anderseits zustimmungswürdig?
  • Zu 2.:
    Welche Möglichkeiten der Beteiligung sind in einer konkreten Situation gegeben? Müssten neue geschaffen werden? Trägt diese mögliche Lösung dazu bei, Freiheit der Person, soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit zu fordern? Welche politische Aufgabe bleibt ungelöst, weil sie nicht erkannt wird? weil Gruppen die Macht besitzen, ihre Lösung zu blockieren? Was können Einzelne, Gruppen und Staat zur Lösung beitragen?
  • Zu 3.:
    Welche Möglichkeiten bestehen in einem konkreten Konflikt, vernünftige Lösungen gewaltfrei durchzusetzen? Welche müssten geschaffen werden?
  • Zu 4.:
    Wie lässt sich durch Aufklärung und Information bewirken, was früher durch unmittelbare Erfahrung in Gang gesetzt wurde?

Ein zweiter (zangenartiger) Frageansatz dient dazu, die Themen (Probleme), historische und gegenwärtige Inhalte und die Situation der Schüler bei der Planung und im Unterricht miteinander in Verbindung zu bringen:

Es wird gefragt:

  • von der jeweiligen historischen Situation aus:
    Welche Probleme, die Menschen damals beschäftigten, die sie damals zu lösen hatten, spielen heute (und - so weit wir wissen - voraussichtlich auch morgen) eine wichtige Rolle?
    Welche damaligen Probleme sind durch die Entwicklung überholt?
    Welche Lösungen müssen aufgrund neuer Bedingungen anders lauten?
    Welche damaligen Ansätze sind verkümmert?
    Welche Probleme wurden in zustimmungsfähiger Weise gelöst?
  • von gegenwärtigen Situationen und Problemen aus:
    Für welche dringenden gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit enthält die jeweilige historische Epoche Vergleichbares? [/S. 246]
    Wo zeigen sich Veränderungen, Unterschiede?
    Wodurch sind sie hervorgerufen worden?
  • von den Lernenden aus:
    Bei welchen vergangenen und gegenwärtigen Problemen kann eine primäre (unmittelbare, subjektive) Betroffenheit bei Schülern vorausgesetzt werden?
    Bei welchen Problemen muss der Zusammenhang zwischen vergangenen und gegenwärtigen Tatbeständen einerseits und existentieller Betroffenheit andererseits didaktisch erst bewusst gemacht werden?

Leitfragen für die Erdkunde lassen sich nicht durchgängig auf alle erdkundlichen Themen anwenden.

Mit dem Begriff "Daseinsgrundfunktionen" (Essen, Sich Kleiden, Wohnen) kann gefragt werden, inwieweit diese Funktionen je von klimatischen, räumlichen Bedingungen abhängig sind. Aber diese Fragestellung greift zu kurz, wenn nicht zugleich nach den historischen und politischen Bedingungen für die Entwicklung der räumlichen Faktoren gefragt wird. Daneben ist aufzuzeigen, dass in der Erdkunde als gleichzeitig, aber räumlich getrennt, erfahren werden kann, was historisch "ungleichzeitig" ist.

Für die Kooperation der Fächer Erdkunde und Politische Bildung kann gefragt werden:

  • Von der Erdkunde aus:
    Welche räumlichen Bedingungen sind den bei uns herrschenden vergleichbar? Welche Folgen haben Eingriffe in die Natur für uns? Welche Lösungen, die dort entwickelt worden sind, können eine Hilfe für die Beurteilung und Lösung unserer Probleme leisten?
  • Von unserer Situation aus:
    Wie lässt sich regionale Disparität (zwischen Regionen innerhalb unseres Landes, Europas, der Welt) ausgleichen? Welche unserer politischen Formen und welche Wertvorstellungen können auch von anderen Völkern anerkannt werden? unter welchen Bedingungen?*