Hedtke, Reinhold (2003): Historisch-politische Bildung – ein Exempel für das überholte Selbstverständnis der Fachdidaktiken

Historisch-politische Bildung ist einerseits eine häufige, beliebte und oft emphatisch vorgetragene Forderung. Peter Steinbach etwa bekennt, "politische Bildung ist für mich nur als historische Bildung denkbar, und historische Bildung wird immer auch politische Bildung sein. Mit dieser Festlegung (...) artikuliere ich eine Aufgabe, die ich fast als Mission empfinde: die Integration von Perspektiven historischer und politischer Bildung in der Ausbildung von Sozialkundelehrern und in der politischen Bildung, also im historisch-politischen Unterricht" (Steinbach 1998, 113).

Andererseits stehen viele Geschichtsdidaktiker diesem Integrationsbegriff skeptisch gegenüber. So kritisiert Jörn Rüsen, dass der Bindestrich der historisch-politischen Bildung einen Abgrund ungeklärter Fragen enthalte, und fordert nachdrücklich eine klare Unterscheidung von historischer und politischer Bildung (Rüsen 1996, 504).

Hans-Jürgen Pandel betont nicht nur die grundlegenden Unterschiede zwischen den Zielen - historisches Bewusstsein hier und politisches Bewusstsein dort - sondern bezweifelt mit wissenschaftstheoretischen Argumenten, dass die intendierte fachübergreifende Bildung überhaupt sinnvoll und möglich sei (Pandel 1997 u. 2001).

Folgt man Bernhard Sutor, sind Geschichtsunterricht und Politikunterricht zum einen zwei grundsätzlich eigenständige Pfeiler politischer Bildung (Sutor 1997, 332). Zum anderen überschneiden sich Politik- und Geschichtsunterricht sowohl inhaltlich als auch kategorial, aber doch nur teilweise. Politische Bildung will er "als politisch-zeitgeschichtlichen Unterricht an[zu]legen mit dem Ziel, der nachwachsenden Generation den Erwerb von Orientierungs-, Urteils- und Handlungskompetenz in politischen Gegenwartsfragen im Kontext ihrer Geschichte zu ermöglichen" (S. 336).

Das Verhältnis von politischer und historischer Bildung scheint also einigermaßen unübersichtlich und schwierig zu sein. Zuständig für dessen theoretische Klärung sind in erster Linie Geschichtsdidaktik und Politikdidaktik; von ihrem Selbstverständnis, von ihren Paradigmen und von ihrem Verhältnis zueinander hängt es wesentlich ab, ob und wie die beiden Bildungen aufeinander bezogen werden können.

Wo liegen die theoretischen Schwierigkeiten einer historisch-politischen Bildung? Kann man sie überwinden, und wenn ja, wie? Die Probleme wurzeln vor allem in der wachsenden disziplinären und methodologischen Unübersichtlichkeit der Sozial- und Kulturwissenschaften, in der Art und Weise, wie sich Fachdidaktiken als Fach konstituieren, etablieren und differenzieren und in den dadurch entstehenden Pfadabhängigkeiten, sowie nicht zuletzt in den Fächerfiktionen, mit denen Fachdidaktiken arbeiten. [/S. 113:]

Ich argumentiere in vier Schritten. Zunächst beschäftige ich mich sehr kurz mit dem Selbstverständnis von Geschichtsdidaktik und Politikdidaktik sowie den Intentionen, die diese mit historischer und politischer Bildung verbinden. Dann prüfe ich, ob und wie sich diese Fachdidaktiken über den Disziplinbezug und über typische Erkenntnisweisen definieren können. Drittens zeige ich, wie Fachdidaktiken ihre Fachwissenschaften fachdidaktisch rekonstruieren können. Schließlich mache ich viertens einige Vorschläge zum Verhältnis von Geschichtsdidaktik und Politikdidaktik.