Die Unterscheidung der Zeitdimensionen im Zeitbewusstsein und der Realitätsgrade im Wirklichkeitsbewusstsein ist zunächst einmal für das einzelne Individuum statisch. Personen und Verhältnisse ändern und verändern sich aber. Sie veralten und verjüngen sich, sie werden und vergehen. Diese Kenntnis soll die Kategorie Historizitätsbewusstsein ausdrücken, der die Erkenntnis von Geschichtlichkeit zugrunde liegt (7). Geschichtlichkeit beruht auf einer grundsätzlichen und fundamentalen Syntheseleistung, die relativ spät aus den Basiskategorien von Zeitlichkeit und Realität gebildet wird. Die lebensweltlich erfahrene Historizität ist immer nur auf ein unmittelbares, direktes Erfahren und Handeln bezogen. Die Personen und Gegenstände, die erfahren und behandelt werden können, sind stets real und präsent. Die Historizität historischer Ereignisse lässt sich dagegen nur über Erzählungen und durch Denkakte erfahren.

Die Kategorie Geschichtlichkeit, bezogen auf das Bewusstsein, können wir als Historizitätsbewusstsein bezeichnen. Es bezeichnet das Wissen, dass Personen, Dinge und Ereignisse sich in der Zeit verändern, aber auch, dass bestimmte Dinge und Ereignisse sich nicht verändern - scheinbar in der kurzen Zeit der eigenen Lebensspanne unveränderlich sind. Die über die lebensweltliche Erfahrung hinausgehende Historizität lässt sich dann nur über historische Erzählungen (kommunikativ) erfahren.

Historizitätsbewusstsein bezeichnet aber nicht nur das Wissen um Veränderungsprozesse, sondern beinhaltet auch die Anwesenheit von alltäglichen "Geschichtstheorien" im Bewusstsein des einzelnen. "Alltägliche Geschichtstheorie" wird dabei sowohl im Sinne einer Theorie der Geschichte wie einer Theorie der Geschichtswissenschaft verstanden. Alltägliche Geschichtstheorie ist eine naive, nicht reflektierte, aber aus primären und sekundären Erfahrungen resultierende Annahme darüber, was Geschichte ist, was ihre Kraftzentren sind, was Geschichte verändert, was unveränderlich ist, was Gegenstand von Geschichte ist, was Geschichte mit einem selbst zu tun hat, d. h. die Entdeckung, dass man selbst der Historizität unterworfen ist und eine eigene Geschichte hat (Schacht 1978). Als alltägliche Theorie des historischen Wissens enthält das Historizitätsbewusstsein auch Annahmen darüber, woher wir etwas über vergangene Zeiten wissen können.

Zusammengefasst gesagt, bezeichnet Historizitätsbewusstsein jenen Aspekt von Geschichtsbewusstsein, der Angaben darüber enthält, was im historischen Prozess veränderlich ist und was statisch bleibt, wer oder was diese Veränderungen bewirkt (gibt es ein Subjekt der Geschichte und wenn ja, wer ist dieses). Historizitätsbewusstsein drückt ferner das Wissen um die Differenz von Natur und Geschichte aus.