(*) Nachweise hinfort im Text zitiert als (H. S. ...) und (NW. S. ...). Die hessischen Rahmenrichtlinien liegen gedruckt vor (die Ausführungen zum "Arbeitsschwerpunkt Geschichte" siehe auch in GWU, 23 [1972] H. 10, S. 613-623); die Rahmenlehrpläne von NW sind erhältlich bei der "Informations- und Dokumentationsstelle für den Gesamtschulversuch NW", 46 Dortmund, Lindemannstraße 80 (Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um die Entwürfe für ein eigenständiges Fach Politik handelt, wie sie im sog. "Schörken-Plan" vorgelegt wurden.)

(1) H. Blankertz: Theorien und Modelle der Didaktik, München 2. Aufl. 1969b, S. 19 f.

(2) Vgl. H. L. Meyer: Das ungelöste Deduktionsproblem in der Curriculumforschung. In: Curriculumrevision, Möglichkeiten und Grenzen. Hrsg. v. F. Achtenhagen und H. L. Meyer. München 1971, S. 107 ff. [/S. 70:]

(3) Man müsste einmal die Zahl der Lernziele aller Grade feststellen: in den NW-Plänen, die nur die Klassen 5/6 vollständig ausführen, sind es über 160, in den hessischen Richtlinien noch mehr. Demgegenüber verschlägt die Versicherung im NW-Rahmenlehrplan, er solle keine "Zwangsmaßnahme" sein (NW.S. VI) wenig. Auch gegen den subjektiven Willen der Verfasser gerät dieser Ansatz dazu und widerspricht in der Tat "der obersten Zielsetzung eben dieses Rahmenlehrplans, nämlich der Selbst- und Mitbestimmung" (NW. S. VI).

(4) Die Lehrplaner offenbaren allerdings freimütig (in Hessen in vorsichtiger Ausdrucksweise, S. 12; in NW massiver, S. 11), dass die "Differenzierung der allgemeinen Lernziele unter fachspezifischen Aspekten" lediglich als ein Zugeständnis an eine noch unzulängliche Schulwirklichkeit anzusehen ist, die, so lange die Optimallösung der vorgestellten Integration noch nicht möglich ist, verhindern soll, "dass bei Unterricht in Einzelfächern die angestrebten Erkenntniszusammenhänge getrennt werden ...". Die Fachwissenschaften behalten in diesem Zusammenhang nach den hessischen Aussagen noch eine wichtige Funktion. In NW sind sie von "nachgeordneter Bedeutung" (NW. S. I). Im Widerspruch dazu werden ein paar Seiten später im NW-Plan (S. 11) dann doch bei der Beschreibung des "Sozialwissenschaftlichen Aspekts" der "Politologie wie Soziologie eine entscheidende Rolle als Hintergrundwissenschaften [sic!] des G/P-Unterrichts" zugewiesen. Auch "Sozialwissenschaften wie Wirtschaftswissenschaft, Rechtswissenschaft, Sozialpsychologie usw.," dürfen "wesentliche Aspekte" beisteuern - die Geschichtswissenschaft wird nicht nur hier nicht, wo es ja auch kaum zu erwarten wäre, sondern auch an keiner anderen Stelle, selbst nicht im Kapitel "Historischer Aspekt", überhaupt nur erwähnt.

(5) Vgl. den Beginn des 8. Buches der "Politik"

(6) W. U. Drechsel: Erziehung und Schule in der Französischen Revolution (Frankfurter Beiträge zur Pädagogik) Frankfurt 1969, S. 40

(7) H. Taine: Die Entstehung des modernen Frankreichs. Deutsch von L. Katscher, 2. Bd., 3. Abt., Leipzig o. J., (3. Aufl.) S. 105

(8) "Bericht und Entwurf einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichtswesens" (1792) - Mit einer Einleitung von H. H. Schepp. Hrsg. in "Kleine pädagogische Texte", Bd. 36, Weinheim 1966

(9) Vgl. W. v. Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen (1792). Werke in fünf Bänden. Hrsg. v. A. Flitner und K. Giel. Darmstadt 1960, Bd. I, S. 106

(10) E. Spranger: Der Bildungswert der Heimatkunde. (1923) Verlag Reclam, Stuttgart. 3. Aufl. 1962, S.16, S. 24 "Alles wird zur Hilfswissenschaft" einer "durchgängigen Lebensgemeinschaft" [/S. 71:]

(11) Nur drei Bücher seien genannt, deren Lektüre sehr schnell verdeutlicht, wie leichthin mit erkenntnistheoretischen Problemen umgegangen wird: A. Schaff: Geschichte und Wahrheit. Wien 1970; H. J. Marrou: De la connaissance historique. Paris 1959; K. G. Faber: Theorie der Geschichtswissenschaft. München 1971

(12) z. B. E. Wilmans: Geschichtsunterricht. Grundlegung seiner Methode. Stuttgart 1949, S. 11 ff.

(13) Vgl. Th. Nipperdey: über Relevanz; Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 23 (1972), S. 577-596

(14) Diese und alle folgenden Hervorhebungen von uns.

(15) s. o. Anm. 13

(16) Vgl. dazu die differenzierten Ausführungen von G. Thoma: "Zur Strukturierung der ,politischen Dimension' des Unterrichts im Teilbereich der allgemeinen Gesellschaftslehre an der Kollegstufe". In: Kollegstufe NW, Schriftenreihe des KM, Heft 17, Düsseldorf 1972, S. 161

(17) Die Skizze (S. 29) täuscht außerdem den Leser, denn in Teil B ist das im Lernfeld III ausgewiesene Thema nirgends vermerkt, und die Pfeile führen ins Leere.

(18) Vgl. für den Unterschied zwischen H. und NW. gerade an diesem Punkt die Veränderung zur unredlichen Großsprecherei: NW (S. 38) schlägt vor "eine umfassende Faschismustheorie (Adorno, Nolte, Bloch)"

(19) Wenn schon nichts anderes, hätten hier wenigstens angegeben werden müssen: H. Blankertz: Bildung im Zeitalter der großen Industrie. Hannover 1969a; die leicht zugänglichen Quellenausgaben des Beltz Verlages (Kl. pädagog. Texte); Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800, hrsg. von H. Giese, Berlin 1961; Quellen zur Geschichte der Erziehung, ausgew. von K. H. Günther u. a., Berlin 5. Aufl. 1968

(20) s. FAZ, 27. 2. 73, die Erklärung der an der Ausarbeitung der Richtlinien beteiligten OSchR Ingrid Haller: in der "Erstphase" der Diskussion seien Fachverbände und Hochschulen nicht beteiligt worden. "Das war eine politische Entscheidung". Man darf annehmen, dass die Erstphase bis in die Druckfassung hineinreichte.

(21) Zu diesem hier nur angedeuteten Sachverhalt siehe die soeben erschienene Untersuchung von Günter C. Behrmann: "Soziales System und politische Sozialisation. Eine Kritik der politischen Pädagogik". Stuttgart 1972. Vgl. dazu die Rezension von Christian Graf von Krockow: "Eine Grundlagen-Kritik der politischen Pädagogik". In: Gesellschaft - Staat - Erziehung, 17. Jg./1972, Heft 6/Dezember, S. 381-384

(22) Man darf sich durch das progressive Vokabular nicht täuschen lassen: In der Abwendung von der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit und der Hinwendung zu einer politischen Mission besteht - ungeachtet des konträren Inhalts der politischen [/S. 72:] Zielvorstellungen und des umgekehrten Vorzeichens der bildungspolitischen Absichten - in der Grundfigur des Ansatzes offenbar eine Analogie zu dem Weg, den deutsche "Volkserzieher" schon einmal vor hundert Jahren eingeschlagen haben, als sie sich in Zivilisationskritik steigerten und der "verderbten", "zersplitterten", "falsches Wissen" verbreitenden Bildungsorganisation den Kampf für die völkische (gesellschaftliche) Erneuerung ansagten. Nicht nur die Strategie ist ähnlich: "Aufstellung überspannter Erwartungen und Ideale, eine(r) verzerrte(n), überkritische(n) Darlegung der bestehenden Zustände und eine(r) Ausarbeitung konkreter Reformen" (Fritz Stern: Kulturpessimismus als politische Gefahr. Bern, Stuttgart 1963, S. 101; über das Vorgehen Paul de Lagardes); auch substantielle Parallelen zeigen sich in der fortschreitenden Wissenschaftsfeindlichkeit und insbesondere einer Ablehnung der kritischen Aufarbeitung der Geschichte, einer die "Spontaneität" erstickenden Beschäftigung mit Vergangenheit, stattdessen die Instrumentalisierung von Geschichte im Dienst der eigenen Vision (a. a. O. zu Langbehn, S. 215 ff.)

(23) Am Schluss der Rahmenlehrpläne von NW zeigt sich, wie solche "Mitarbeit" aussehen darf; durch Vorgabe von Fragetabellen wird jede grundsätzliche Kritik abgebogen und zugleich eine Kontrolle eingebaut: In welcher Unterrichtsreihe, bei welchem Unterrichtsverfahren, mit welchen Materialien welche Lernziele erreicht oder nicht erreicht wurden, muss der Lehrer aufführen. Hat er vorgeschriebene Unterrichtsreihen nicht behandelt - oder andere besprochen - muss er Begründungen angeben. Erst nach solcher Disziplinierung möglicher Kritik sind auch "sonstige Bemerkungen", "zusammenfassende (was?) Stellungnahmen" erwünscht - alles in allem ein Beispiel für die arcana imperii autoritärer Verwaltungspraktiken, kaum noch verhüllt vom demokratischen Schafspelz.

(24) K. Gründer: Perspektiven für eine Theorie der Geschichtswissenschaft. In: Saeculum XXII, 1971/2-3, S. 112