Angesichts der gegenwärtigen Defizitbefunde und neuen Konzepten und Vorschlägen der Lehrerbildung in Deutschland ist die Lage von Bildungspolitik und Bildungsverwaltung nicht einfach. Sie haben die Verantwortung für das – in Deutschland noch immer weitgehend staatlich organisierte – Schulwesen einschließlich der Ausbildung der in den Schulen tätigen Lehrkräfte. Ihre Ausbildungsverantwortung wird gegenwärtig dadurch noch besonders akzentuiert, dass die Abschlussprüfungen am Ende des Studiums und des Referendariats als "Staatsprüfungen" abgenommen werden. Die Bildungsverwaltung übernimmt damit gewissermaßen selbst die Qualitätsgewähr für die Absolventen einer Lehramtsausbildung, ohne über empirisch gesichertes Wissen zu verfügen, was eine gute Ausbildung auszeichnet, und ohne das Handeln der für die Ausbildung verantwortlichen Institutionen ernsthaft beeinflussen zu können. Erkennt sie Mängel der bisherigen Ausbildung, fehlt ihr doch zumeist das Wissen, wie Ausbildungsalternativen aussehen könnten und wie diese gegebenenfalls durchzusetzen wären. Letzteres gilt allemal im Verhältnis der Bildungsadministration zu den Hochschulen, in abgeschwächter Form aber auch für das Verhältnis zu den anderen Institutionen der Ausbildung (Studienseminare, Schulen).
Mit dieser Situation ist auszukommen, solange alle Beteiligten an die Richtigkeit und die Wirksamkeit dessen glauben, was sie immer getan haben, und die Voraussetzungen und Ergebnisse ihres Handelns nicht wirklich hinterfragen. Kritisch wird es jedoch dann, wenn die Wirksamkeit und die Zweckmäßigkeit des gewohnten Handelns in Frage gestellt werden und die Frage nach möglichen Handlungsalternativen auftaucht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausbildung sich nicht mehr darauf beschränkt, die Dogmatik der überkommenen Vorstellung von Schule und die damit verbundenen Konventionen weiterzugeben, sondern den Anspruch der Wissenschaftlichkeit ernst nimmt, d.h. von der Voraussetzung ausgeht, die Grundlagen des Lehrens und Lernens wissenschaftlich klären und vermitteln zu können und nach Maßgabe des Fortschritts wissenschaftlicher Erkenntnis jeweils auch Ausbildungskonzeptionen weiterzuentwickeln. Der wissenschaftliche Anspruch der Ausbildung beschränkt sich nicht auf die Vermittlung eines Wissens, welches sich jeweils an dem aktuellen Stand der Forschung orientiert, sondern er zielt im Kern auf eine Haltung, die um die Unabgeschlossenheit des Erkenntnisprozesses weiß und die sich deshalb auch im Beruf selbst für Veränderungen offen hält, welche aus neuen Problemwahrnehmungen und neuen Erkenntnissen zu Möglichkeiten und Bedingungen der Problemlösung resultieren. Lehrerbildung endet deshalb nicht mit dem Studium. Sie wird zu einer Entwicklungsaufgabe, die sich im Beruf fortsetzt. Die damit angesprochenen Entwicklungen beziehen sich auf unterschiedliche Ebenen. Sie betreffen die Ebene des Gesamtsystems ebenso wie das Handeln der einzelnen beteiligten Institutionen (Hochschulen, Bildungseinrichtungen der zweiten Phase der Lehrerbildung wie der Fortbildung, Schulen) und der Individuen. [/S. 8:]
Der Versuch, den damit notwendigen Entwicklungsprozess mit einer Vielzahl Beteiligter, welche auf unterschiedlichen Handlungsebenen angesiedelt sind und im Rahmen der Gesamtaufgabe Lehrerbildung jeweils auch eine eigene Perspektive einbringen und eigene Zielsetzungen verfolgen, aus einer Hand gesamthaft inhaltlich zu steuern, kann nicht gelingen. Lösungen lassen sich zudem nicht allein politisch, d.h. mit Hilfe von Macht durchsetzen, die aus der formalen Position im Rahmen einer Hierarchie entspringt. Sie erfordern vielmehr eigene Kommunikationsformen, in denen die jeweils verfolgten Lösungen zu legitimieren und die notwendige Kooperation und Koordination der Beteiligten sicherzustellen sind. Hierfür bieten sich Handlungslehrerbildung an, in deren Rahmen die beteiligten Institutionen und Akteure ausreichende Spielräume für ein autonomes Handeln erhalten, die Möglichkeiten der Selbststeuerung der beteiligten Institutionen genutzt werden, wo immer dies möglich ist, und die politisch verantwortliche Bildungsadministration sich darauf konzentriert, die Rahmenbedingungen für Entwicklungsprozesse zu definieren, zur Klärung ihrer Ziele beizutragen, Anreize für das Ingangsetzen derartiger Prozesse zu schaffen, auf die Koordination der beteiligten Institutionen hinzuwirken sowie durch prozedurale Regelungen eine Wirkungskontrolle und ein Feedback zu initiieren, welches Veränderungen im Prozessverlauf ermöglicht.
Dies heißt nicht, dass die Inhalte der Lehrerbildung ihre Bedeutung für Bildungspolitik und Bildungsadministration verlieren. Gesagt ist nur, dass letztere sich den Inhalten nicht länger gewissermaßen im direkten Zugriff zuwenden können, sondern dass sie eines Verfahrens bedürfen, welches auf eine wirksame Weise Selektionshilfe leistet und die Komplexität all des möglicherweise Relevanten auf ein Format bringen kann, das leichter zu überschauen ist, Handlungsalternativen klärt, die Konsensbildung vorbereitet und Entscheidungen möglich macht. Hilfreich sind solche Verfahren, wenn sie der Bildungsadministration ermöglichen, zunächst nicht die Sache selbst zu thematisieren, sondern sich auf die Klärung der Prozeduren zu konzentrieren, in denen die Sache schließlich zur Sprache gebracht werden soll. Dazu gehört vor allem die Einrichtung von Gremien zur Entscheidungsvorbereitung. Deren Auftrag muss noch nicht die ganze Komplexität der Sache ausloten. Er darf auch nicht vorschnell in die Tiefe dringen. Kriterium für die Berufung der Mitglieder dieser Gremien ist deshalb auch nicht, welche Meinung diese in der Sache vertreten. Entscheidend ist vielmehr, welche "Reputation" sie in die Waagschale werfen können und welche Interessen sie repräsentieren. Die Reputation der an der Entscheidungsvorbereitung beteiligten Personen ist ein wichtiger Aspekt für die Akzeptanz der von ihnen ausgesprochenen Empfehlungen.
Auf der Basis der Reputation der an Entscheidungen beteiligten Personen, mithin in der Form von Peer Reviews, wird seit langem in dem durch funktionale Spezifikation und Ausdifferenzierung mit hoher Autonomie der beteiligten Akteure gekennzeichneten Wissenschaftssystem über Positionen, über die Einrichtung und Veränderung organisatorischer Strukturen, über Projektförderung und Finanzmittel sowie über Publikationsmöglichkeiten entschieden. Reputation fungiert in der Wissenschaft "als Medium der Kommunikation". Sie klärt die "Beachtlichkeit von Äußerungen", verbindet "den akademischen Meinungsmarkt mit dem System für offizielle Verteilungsentscheidungen" und legitimiert diese zugleich für die Systemumwelt (Luhmann 1973, S. 236 f.). Die Forschungsförderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, [/S. 9:] die Evaluation wissenschaftlicher Einrichtungen im Rahmen der "Blauen Liste" durch den Wissenschaftsrat, die mannigfachen Bemühungen um die Evaluation von Hochschulen oder die Review–Systeme renommierter wissenschaftlicher Zeitschriften sind hierfür prominente Beispiele.
Es fehlt nicht an kontroverser Diskussion über Vorteile und schädliche Nebenwirkungen der dadurch bestimmten Entscheidungsprozeduren: Das Verfahren der Peer Reviews diene der Qualitätssicherung, sei aber auch in der Gefahr, eher "normal science" zu begünstigen und nicht zwangsläufig epochemachende Fortschritte der Forschung zu sichern, es könne die Bildung von Seilschaften unterstützen und es führe zu zufallsbestimmten oder von der Subjektivität der ausgewählten Gutachter beeinflussten Entscheidungen (zur Diskussion um Peer Reviews: Daniel 1993 sowie die Beiträge im Rahmen des Ringsberg–Symposiums 2002 der Max–Planck–Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft). Freilich ist der Vorwurf unsachgerechter Entscheidungen empirisch schwer zu belegen und durch einschlägige Untersuchungen nicht bestätigt worden (Neidhardt 1988). Zudem gibt es offenbar bisher kein anderes leistungsfähiges Verfahren, das in ähnlicher Weise akzeptierte Entscheidungen begründen kann. Deshalb behaupten sich trotz dieser Kritik die durch Peers bestimmten Entscheidungsverfahren in der Wissenschaft unverändert.