Systematische und alphabetische Verzeichnisse der Berufsbenennungen entstehen aus Befragungen, in denen die Berufsangabe im Klartext erhoben wird, und aus lexikalischen Arbeiten, durch die alle jemals aufgetauchten Berufsbenennungen dokumentiert werden. Insgesamt hat die Berufskunde der Bundesanstalt für Arbeit - bei der Einführung der Informationstechnik - in einer groß angelegten Aktion etwa 100.000 unterschiedliche Berufsbenennungen in einer Datenbank gespeichert, die im deutschsprachigen Raum vorkommen.

Die Aussagekraft der Benennungen ist recht verschiedenartig, manche bezeichnen das Arbeitsgebiet klar, präzise und allgemein verständlich, andere sind unscharf und verschwommen. Viele, zumal neuere Bezeichnungen sind wenig bekannt, was u. a. damit zusammenhängt, dass laufend neue Berufsbezeichnungen entstehen, die zunächst nur einem kleinen Kreis von Experten bekannt sind.

Die Berufsbezeichnungen transportieren vor allem die folgenden Dimensionen:

  • Die Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten in ihrer Kombination, auf die Fertigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen zugeschnitten sind;
  • die Position des Individuums im Geflecht arbeitsteiliger Organisationen;
  • die Einordnung ins gesellschaftliche Wertesystem, durch die personale und soziale Identität ausgeformt wird.

Für Berufsorientierung, -beratung, Stellensuche, -angebote und -vermittlung ist es unabdingbar, dass klare Vorstellungen zu den verschiedenen Dimensionen der Berufe für alle Beteiligten verfügbar sind. Dies ist die Aufgabe der Berufskunde, die die Art und Weise der Berufsausübung laufend beobachtet und ihre Informationen zu "Berufsbildern" verdichtet. Beruf in seiner Mehrdimensionalität ist auch in der gesellschaftlichen Kommunikation präsent: "Die Antwort auf die Frage (nach dem Beruf) erleichtert die Einstufung eines Menschen innerhalb des beruflichen Wertesystems: Mag diesem System auch der Charakter von Vorurteilen oder Stereotypen anhaften." (Frieling 1980: 3)

Allerdings hat die Allgemeinverständlichkeit und die Aussagekraft der Berufsbenennung in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen. Dies beruht vor allem auf

  • der weiteren Spezialisierung, in der sich Teilaufgaben und -tätigkeiten aus traditionellen Berufen herausgelöst haben und in neu zugeschnittenen Berufen auftreten,
  • neuen "synthetischen" Berufsbezeichnungen, die nicht mehr zur Alltagssprache werden und nur unter Eingeweihten verständlich sind,
  • der Zusammenfassung von Berufsinhalten früher getrennter Berufe in neuen sog. Hybridberufen,
  • der zunehmenden Benennung von Berufen nach dominanten extrafunktionalen Berufselementen, die sich in traditionellen Berufsbenennungen nicht ausdrücken lassen (beispielsweise Manager, Berater),
  • der "Berufskosmetik", die dazu genutzt wurde, Berufe schlechten Images durch neue Benennungen aufzuwerten, was vor allem durch Berufsverbände und Stellenanbieter erfolgte,
  • der Zersplitterung der beruflichen Bildungsangebote, in denen sich die in Konkurrenz zueinander stehenden Anbieter zunehmend neuer Berufsbenennungen bedienen, um die Besonderheit ihrer Angebote auf dem Markt zu demonstrieren,
  • der Übernahme von Benennungen aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum, sowohl bei Fachberufen (beispielsweise "Layouter" oder "Help-Desk-Operator") als auch bei Aufstiegsberufen (beispielsweise "District-Manager" oder "Art-Director"),
  • der Trennung von Berufs- und Lebenswelt, in der Berufstätigkeiten oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit erbracht werden,

[/S. 444:] Übersicht 3: Der Wandel der Berufsstruktur von 1939 bis 1995 nach zwei Berufssektoren und 12 Berufsbereichen (Angaben in Prozent)

 

  • der Informatisierung, die bei einheitlicher Arbeitsumgebung (Bildschirm und Tastatur) kaum Rückschlüsse auf die Berufsinhalte zulässt und eine arbeitsplatzbezogene Berufsbeschreibung erschwert.

Gleichwohl bleiben die Berufsbenennungen Grundinformationen der Berufsforschung, basieren doch darauf Analysen und Aussagen zu den Haupttrends des beruflichen Wandels (Übersicht 3), ebenso aber zur Betroffenheit einzelner Gruppen und Berufe von Arbeitslosigkeit bzw. zu partiellen Arbeitskräftedefiziten und -überhängen (vgl. dazu Dostal/Parmentier/Schade 1999). Allerdings werden zunehmend auch tätigkeitsbezogene Charakterisierungen verwendet, um die Veränderung der Berufsinhalte bei stabiler Berufsbezeichnung deutlich zu machen. Dies ist ein Schritt, die hinter der Berufsbezeichnung stehende Mehrdimensionalität erkennbar zu machen.

In der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte wurde immer wieder vermutet, dass wegen der Zentralität von Arbeit in der DDR sich die dortigen Berufsstrukturen von denen der Bundesrepublik entfernt hätten. Durch gesellschaftliche, wirtschaftliche oder technische Umbrüche, so die Annahme, seien die langfristigen Entwicklungslinien der Berufsstrukturen verändert oder sogar unterbrochen worden.

Im Zuge der deutschen Einigung wurde im IAB dieser Frage bereits früh nachgegangen: In einer im November 1990 durchgeführten Arbeitsmarktumfrage im Rahmen des Arbeitsmarkt-Monitors wurden die Berufsstrukturen in West und Ost verglichen (siehe dazu Parmentier u. a. 1992), nachdem bereits zuvor Ergebnisse aus dem Datenspeicher "Gesellschaftliches Arbeitsvermögen (GAV)" vorlagen. Die Übersicht 3 enthält u. a. eine Gegenüberstellung der Berufsbereiche in den alten und neuen Bundesländern, und es wird deutlich, dass bei der Verteilung der Erwerbstätigen nach Berufsbereichen die Unterschiede erstaunlich gering waren. Unterschiede ergaben sich überwiegend daraus, dass im Westen mehr Personen in Verwaltung- und Büroberufen, im Osten mehr Planungs- und Laborberufe zu finden waren. Daneben war die Besetzung der Berufe mit Männern und Frauen in Ost und West unterschiedlich. Insgesamt gesehen konnte also die jeweilige Gesellschaftspolitik die globalen Berufsstrukturen nur unwesentlich verändern, was deutlich macht, dass in Deutschland der Beruf und seine Interpretation offenbar eine autonome und tragfähige Kategorie ohne allzu große Beeinflussung durch gesellschaftspolitische Impulse ist.

 

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