Bei einer Analyse der Berufsdefinitionen und -vorstellungen wird die Vielschichtigkeit sehr deutlich (siehe Übersicht 1). So scheint die Berufszugehörigkeit viele gesellschaftliche Strukturen abzubilden und die Allokation des Individuums in der Gesellschaft weitgehend zu bestimmen. Folgende Aspekte erscheinen besonders relevant: (vgl. Übersicht 1)

  • Freiheit der Berufswahl als Basis der freien Entfaltung der Persönlichkeit (GG Art. 2 und 12),
  • Beruf im Zentrum der Lebensplanung (siehe Crusius/Wilke 1979),
  • Beruf als Gliederungsprinzip der Gesellschaft (Beck/Brater/Daheim 1980),
  • Berufskonstruktion als Stabilisierung und Tradierung sozialer Rollen (Hesse 1972),
  • Beruf als Indikator der sozialen Allokation (Crusius/Wilke 1979),
  • Berufsschutz als Statuserhalt (Berufsunfähigkeitsrente (AFG § 103 II und Zumutbarkeits-Anordnung der BA vom 16.3.1982) bzw. Schadensausgleichkategorie,
  • Beruf als Bündelung von Werten in einer Erwerbsgesellschaft (Beck 1996),
  • Berufstätigkeit als Nutzung von spezifischen Qualifikationsressourcen (Maier 1996).

Zur weiteren Abgrenzung wird in Übersicht 2 auf der Basis aktueller Gegebenheiten

  • Beruf in seinen Attributen beschrieben,
  • skizziert, welche Komponenten die Berufswahl kennzeichnen,
  • und es werden die Probleme aufgezeigt, die bei verhindertem Übergang in den Erwerbsberuf entstehen.

Schließlich zeigen die Definitionen der Übersicht 1 eine Reduktion auf die ausgeübte Tätigkeit oder auf spezifische Qualifikationen. Die unterschiedlichen Elemente von Beruf sind eng miteinander verknüpft, ja gewissermaßen wohl der Kitt, der diese Vielfalt zu einem Ganzen zusammenfasst, also jene Elemente, die den Beruf ausmachen:

  • Aufgaben und Tätigkeiten
  • Erforderliche Qualifikationen und Erfahrungen
  • Genutzte Arbeitsverfahren und -techniken
  • Relevante Arbeitsmittel

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Übersicht 1: Elemente und Aspekte ausgewählter Berufsdefinitionen und -vorstellungen (des deutschsprachigen Raumes)

Autor/ Quelle wesentliche Elemente/ Aspekte der Definition
M. Weber (1925)
  • Die durch Spezifizierung und (eine typische) Kombination abgehobene Leistung einer Person,
  • die Basis einer kontinuierlichen Versorgungs- und Erwerbschance ist

Berufspädagogische Deutungen

  1. nach H.A. Hesse
  • Beruf als Chance zur Persönlichkeitsbildung und -entfaltung
  • die aus freien Stücken, der Eignung und Neigung folgend, übernommene Aufgabe
  • durch deren Erfüllung das Individuum der Gemeinschaft dient
  1. nach W. Voigt (1975) (in Anlehnung an M. Weber, 1925)
  • die durch Spezifizierung und eine typische Kombination abgehobene Leistung einer Person
  • die Chancen zur Eingliederung in gesellschaftliche Positionen, Normen und Strukturen bietet
  • aber die Fähigkeit zu kritischer Distanz und Veränderung der Strukturen einschließt
  • und die Basis für eine kontinuierliche Versorgung darstellt.
  1. nach H. Blankertz
  • Medium der Bildung· Erwerbschance
  • Kombination von Tätigkeiten
  1. nach W. Arnold
  • wertorientierte und gesinnungsmäßige Erfüllung einer Leistungsaufgabe
  1. nach A. Fischer
  • Arbeit als Zwang, Spiel, Pflicht, Gemeinschaftsdienst, Gottesdienst
  1. nach A. Huth
  • Berufsidee ist an zwei leitende Begriffe gebunden: Eignung und Leistung
Th. Scharmann (1956)
  • Entgeltliche Dienstleistung zur Befriedung materieller und geistiger Bedürfnisse
  • sie wird kontinuierlich erbracht
  • aus freien Stücken übernommen (nach Eignung/Neigung)
  • ist spezialisiert und wird erlernt
E. Ulrich, M. Lahner (1970) Drei Aspekte werden genannt:
  • der wirtschaftliche Aspekt: Die Tätigkeit, die dem Beruf zugrunde liegt, dient dem Lebensunterhalt und dem Erwerb von Gütern
  • der fachliche und stoffliche Aspekt: Das Arbeitsgebiet, die Aufgabe und das Ergebnis der Arbeit sind festlegbar und gegenüber anderen Aufgaben, Arbeitsgebieten und Arbeitsergebnissen abgrenzbar
  • der "Blumenstrauß"-Aspekt: Die Aufgaben, die Funktionen, die Tätigkeiten und Verrichtungen sind mehr oder weniger vollkommen gruppiert. Wesentlich ist, dass die Kombination ein bestimmtes charakteristisches oder institutionell festgelegtes Bild ergibt
H.A. Hesse (1972) Beruf als "Vorgabe" (der Gesellschaft) - als Aktivitätsrahmen, den das Individuum vorfindet und mitgestaltet
  • Beruf als planvoll konstruiertes Muster
  • das der Qualifizierung und dem Tausch von Arbeitskraft dient

H. Hartmann

(bei Luckmann u. Sprondel, Hrsg., 1972)

in Erweiterung des Ansatzes von H. Daheim

  • Beruf als Prozess und als Interaktionsfeld
  • als kontinuierliche Veränderung der Dimensionen "Wissen" (Qualifikation) und "soziale Orientierung"
  • wobei bezogen auf die Fixpunkte "Arbeit", "Beruf" und "Profession" typische Ausprägungen (Kombinationen) entstehen
M. Brater (1975)
  • Kombination von Arbeitsfähigkeiten, über die Berufsinhaber verfügen
  • sie werden in speziell strukturiertes Arbeitsangebot eingebracht
  • Ausdruck der gesellschaftlichen Realität und damit Organisationsform gesellschaftlicher Arbeitsteilung
G. Büschges (1975) Drei Dimensionen sind zu unterscheiden:
  • das in der beruflichen Sozialisation erworbene Arbeitsvermögen (die Berufsqualifikation)
  • die aufgrund vorherrschender Formen gesellschaftlicher Arbeitsteilung entstehenden Berufspositionen
  • die am Arbeitsmarkt nachgefragten, an person- und organisationsspezifischen Merkmalen orientierten Berufsmuster (Kombinationen)
J. Kühl, L. Pusse, B. Teriet, E. Ulrich (1975)
  • Beruf als Bündelung von Arbeitskräfteprofilelementen zu einer Einheit
DDR-Arbeitskräftesystematiken (1978) Beruf = Komplex von Voraussetzungen - Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten -,
  • der zur Ausführung gesellschaftlich notwendiger Tätigkeiten auf einem bestimmten Arbeitsgebiet erforderlich
  • und durch Berufsart und Berufsniveau gekennzeichnet ist.Tätigkeit = Teil der gesellschaftlichen Gesamtheit, die ein Werktätiger im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung überwiegend verrichtet
R. Crusius, R.M. Wilke (1979)
  • Beruf als interessenbezogenes Kriterium für das individuelle und kollektive Handeln der abhängigen Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften, das dem Rentabilitätsprinzip des Kapitals entgegengesetzt werden kann
U. Beck, B. Brater, H. Daheim (1979)
  • Beruf ist Kristallisationspunkt der beruflichen Identität
  • Struktur und Gliederungsprinzip der Gesellschaft
  • Kompetenzdomäne
Amtliche Berufsklassifizierung

(Statistisches Bundesamt Wiesbaden

1961, 1970, 1975, 1992)

  • (von der Arbeitsaufgabe her) bestimmte Verrichtungskombination
  • die zu charakteristischer Bündelung personaler Fertigkeiten und Erfahrungen führt
  • auf Erwerb ausgerichtet ist
  • wodurch der Einzelne zur Leistung der Volkswirtschaft beiträgt
H. Maier (1996)
  • ursprünglichste Form dessen, was heute "lebenslanges Lernen" bedeutet

Quelle: von Henninges, H., Stooß, F., Troll, L., Berufsforschung im IAB: In MittAB 1/1976, Seite 5 (veränderte und erweiterte Wiedergabe 1998)

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  • Werkstoffe, Materialien und Produkte, die die Berufsausübung beeinflussen
  • Betrieblicher Einsatzbereich
  • Arbeitsmilieu und -ort
  • Wirtschaftszweig bzw. Branche
  • Hierarchische Stellung im Betrieb
  • Stellung im Beruf
  • Mobilitätsstrukturen bei Einstieg und Ausstieg

Übersicht 2: Beruf als Strukturprinzip und Tauschmuster - Attribute/Befriedigungsangebote, Berufswahlkomponenten und Elemente sozialer Diskriminierung Arbeitsloser

Attribute/ Befriedigungsangebote

Berufswahl-Komponenten

Arbeitslose diskriminierende Elemente

Einen Beruf auszuüben heißt: Am Ende der Berufsausbildung entscheidet sich... Diskriminiert sind Arbeitslose durch...
eine Arbeitsaufgabe dauerhaft übernehmen, etwas Sinnhaftes tun wer in der Berufsarbeit den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen findet das Fehlen einer Aufgabe, keine sinnvolle, anerkannte Arbeit haben
spezifischen Anforderungen gerecht werden, nach denen sich Berufe voneinander unterscheiden wer durch Weiterlernen Zugang zu neuen Tätigkeitsfeldern (Zukunftsberufen) erhält nicht ausgelastet sein, seine Kräfte, Wissen und Können nicht anwenden und nutzen können (fehlende Selbstbestätigung)
eingebunden sein ins soziale Netz durch Rechtsansprüche welcher soziale Status erreichbar ist und wie er verbessert werden kann angewiesen sein auf "Sozialleistungen" (Gefahr sozialen Abstiegs!)
über eigenes Einkommen frei verfügen können welche Perspektiven sich eröffnen, ein adäquates Einkommen zu erzielen kein selbst erarbeitetes Einkommen zur freien Verfügung haben
seine berufliche Position verbessern, ggf. weit über den Berufsstart hinaus wer mit/ohne Weiterbildung in höhere Positionen aufsteigen kann fehlende Berufsperspepktiven, "Entfremdung vom Beruf", Ungewißheit, ob Rückkehr in den Beruf gelingen wird
anerkannt und sozial integriert sein, darauf soziale Kontakte aufbauen und pflegen wer "Beruf" in seiner Ganzheit, mit all seinen Attributen erfährt Verlust sozialen Ansehens, Gefährdung der sozialen Integration (Isolation!)
eine gefragte Qualifikation haben und sie bei der Berufsarbeit laufend aktualisieren wer seine Qualifikation anwenden/aufstocken und so mit der Entwicklung Schritt halten kann Risiko, den Status einer qualifizierten Fachkraft bzw. den Anschluß zu verlieren (Dequalifizierung!)
Berufliche und persönliche Identität aufbauen, sich selber verwirklichen, teilhaben an der Fortentwicklung des Berufsbildes wer im Beruf personale Identität und soziale Anerkennung (Ansehen) gewinnt bzw. seinen Lebensmittelpunkt woanders suchen muß Gefährdung personaler Identität, nicht mehr teilhaben an der Fortentwicklung der Berufemuster