Gegenüber den älteren integrativen und den koordinativen Konzepten begann 1978 Karl-Ernst Jeismann mit Überlegungen, die Eigenständigkeit und damit auch die Koordinierbarkeit der Fächer auf einer anderen Ebene auszumachen: nicht mehr Unterschiede im "Stoff" (17) oder den als Verfahren begriffenen "Methoden" begründen die Trennung der beiden Wissenschaften und Fächer, sondern unterschiedliche Erkenntnisinteressen (Jeismann spricht von Erkenntnisrichtungen) (18).

Während die Sozialwissenschaften und auch der Politische Unterricht sich durch ihren Gegenwartsbezug konstituierten, und somit ihr Interesse an vergangenen Zuständen immer diesem Gegenwartsinteresse gegenüber funktional, instrumentell bleibe, sei für die Geschichtswissenschaft das Interesse an "der Vergangenheit" konstitutiv. Wir haben hier also inmitten der älteren Debatte bereits einen Ansatz für die neuere Reflexionsebene, die dann Rüsen und zuletzt Pandel sowie Lange fortgeführt haben. Das gilt umso mehr, als Jeismann vom Geschichtsunterricht fordert, die Geschichtsbewusstseinsformen von politischen Konzepten sowie politische Geschichtsverständnisse (durchaus auch die dem eigenen politischen Unterricht zu Grunde liegenden) zu erörtern, ebenso wie der Politikunterricht die politische Funktion vom Geschichtsunterricht zu thematisieren hätte (19).

 

Tab. 2: Themenzentrierte Verbindungslogiken für historischen und politischen Unterricht nach JEISMANN (1978): "Historischer und politischer Unterricht", S.46-56
  Thementyp für den GU Kombinationslogik Thementyp für den PU
  vom Geschichtsthema her:
1a genetisch vorgehende Erarbeitung eines breiten Prozesses, tendenziell alle Sektoren erfassend.Betrachtung unter rein historischen Gesichtspunkten Kombination über einzelne, vom historischen Thema vorgegebene und didaktisch akzentuierte Elemente, z.B. Einflüsse des historischen Sachverhalts auf die Gegenwart. eigenständige Unterrichtseinheiten,
1b Kombination durch Systematisierung und exemplarischen Vergleich systematisierende Betrachtung mehrerer historischer Beispiele (z.B. Revolutionen)
2 thematischer Längsschnitt Ergänzung um Gegenwartsperspektive systematische, unter politikdidaktischen Gesichtspunkten erfolgende Betrachtung eines gegenwärtigen Themas aus dem im Längsschnitt behandelten Bereich
3 Epochenrepräsentation, Epochenquerschnitt Analogie moderne Beispiele
4 Betrachtung der Genese des historischen Problems historische Regression gegenwärtiges politisches Problem
  vom Politikthema her:
5 historische Verhaltensforschung für Unterricht (skeptisch beurteilt!) Skepsis bezüglich der Historisierbarkeit Themen zur individuellen Verhaltenskonditionierung
6 Behandlung historischer Beispiele von politischen Deutungsstrukturen (z.B. Erbfeindthesen etc.) Exemplarik Feindbilder, Stereotype
7 historische Fallanalyse   Fallanalyse

 

Dennoch bleibt Jeismanns Argumentation sowohl in der Theorie als auch und besonders in den Beispielen für die Koordination letztlich in herkömmlicher Weise der Gegenstandsorientierung verhaftet. Zwar ignoriert er nicht den konstitutiven Gegenwartsbezug, den Ausgangspunkt des Historischen aus gegenwärtigen Interessen - thematisiert aber werde dabei immer die Vergangenheit als solche (20), die "als sie selbst erfahren" werden solle (21).

Dies ist vor allem an den beiden von ihm behandelten Beispielen gut zu erkennen: Barrington Moores Untersuchungen früherer Sozialstrukturen im Interesse einer Aufklärung der Entstehung nationalistischer und nationalsozialistischer Charakteristika in Deutschland charakterisiert er als spezifisch sozialwissenschaftlich, nicht aber historisch, gerade weil das Erkenntnisinteresse letztlich auf die Gegenwart gerichtet sei. Ebenso zeigt seine Auseinandersetzung mit einem Konzept demokratiegeschichtlichen Unterrichts bei Hilligen, dass es ihm stärker noch um "realgeschichtliche" Prüfungen von Geschichtsvorstellungen geht, denen politische Optionen zu Grunde liegen: Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht haben hier nicht die Funktion, die Logik des dem politischen Unterrichts zu Grunde liegenden historischen Denkens (nämlich die Fortschrittskategorie) aufzuzeigen, sondern hauptsächlich die empirische Triftigkeit des so konstruierten Geschichtsbildes zu prüfen bzw. zu kritisieren. "Die Geschichte" dient als Korrektiv politischer Vorstellungen. Auf der Basis der neueren Historik (auf die ich noch zu sprechen komme) ist der zitierten Charakterisierung des Vorgehens von Barrington Moores als eines Beispiels sozialwissenschaftlichen, nicht aber historischen Denkens durch Jeismann zu widersprechen denn ihr zufolge dient der historische Blick in die Vergangenheit konstitutiv und somit immer der Orientierung der Gegenwart. Sie hat inzwischen verschiedene Sinnbildungstypen herausgearbeitet, und kann so den Blick Moores auf die Sozialstruktur vergangener Zeiten in seinem Interesse, die Gegenwart aufzuklären, als eine bestimmte Ausprägung historischen Denkens beschreiben, das von gegenwärtigen Orientierungsbedürfnissen ausgeht, die sozialwissenschaftlich formuliert sind, sich aber eben historischer Denkweise bedient (in diesem Fall handelt es sich um eine Mischung aus exemplarischem und genetischem historischen Denken) (22).