Politisches Bewusstsein als Strukturmoment von Geschichtsbewusstsein ist hier im engeren Sinne von "politisch" gemeint - es soll als Herrschaftsbewusstsein verstanden werden. Hier ist nicht "staatsbürgerliche Kompetenz" gemeint (Steiner 1984), das Wissen von Verfassungsorganen und deren Wirkungsweise, sondern der Sachverhalt, dass Gesellschaften durch Herrschaft geordnet sind. Immer dort, wo von Geschichte die Rede ist, haben wir es mit asymmetrisch verteilten Machtverhältnissen zu tun. Dieses Bewusstsein, dass gesellschaftliche Verhältnisse von Machtverhältnissen durchdrungen sind, ist etwas, was nicht allein durch Unterricht oder Unterweisung allgemein vermittelt wird, sondern gehört zu den sehr frühen lebensgeschichtlichen Erfahrungen:

"Psychologisch betrachtet gehören die Dimensionen groß - klein und Macht - Ohnmacht in die prägenitale Entwicklung, sind also ein außerordentlich frühes und grundlegendes Problem." (Horn 1968)

Wenn dieses Herrschaftsbewusstsein schon sehr früh erworben wird, so bedeutet das noch nicht, dass späteres Lernen kaum noch Einfluss darauf hat. Geschichtsunterricht sollte sich vor allem darüber im klaren sein, wo Schüler die Macht lokalisieren. Dieses Wissen ist für die Geschichtsdidaktik wichtig, wenn Geschichtsunterricht überhaupt einen Beitrag zur politischen Bildung leisten will:

"Die Macht konzentriert sich nach Ansicht der Schüler in den Verfassungsorganen Regierung, Parteien und Parlament (in dieser Reihenfolge). Auch den Organen des Pressewesens kommt danach eine beträchtliche Macht zu, sie haben mehr Macht als die Gewerkschaften, welche wiederum mehr Macht als die Arbeitgeberverbände auf sich vereinigen.... ,Macht' wird von den Schülern hier als politische Macht verstanden, für die man sich alternative Konstellationen kaum vorzustellen vermag" (Urban 1976).

Dass wirtschaftliche Institutionen Macht ausüben, wird in der Regel von Schülern nicht gesehen. "Daraus muss nach unserer Ansicht abgeleitet werden, dass wirtschaftliche Macht einen weißen Fleck auf der Landkarte des politischen Schülerbewusstseins darstellt" (Urban 1976: 115).