Im Rahmen des kooperativen Unterrichts lehrt die Zeitgeschichte als Bestandteil des Geschichtsunterrichts ein gegenwärtiges Problem nach Art der Historie zu betrachten und mit den Mitteln des historischen Denkens anzugehen. Wo an der Zeitgeschichte historisches Denken gelernt werden soll, heißt dies zunächst, das Fragen nach Ursachen und das Erkunden von Ursachen zu lernen, die die gegenwärtige Entscheidungssituation maßgeblich herbeigeführt haben. Dies ist der selbstverständlichste Anteil, den zeithistorisches Lernen an politischer Bildung hat: Lernende zu befähigen, historische Informationen eigenständig zu erheben und narrativ zu verknüpfen.

Historisches Lernen an der Zeitgeschichte geht nicht in dieser selbständigen Ermittlung der Ursachen des gegenwärtigen Problems auf. Die Zeitgeschichte erschließt darüber hinaus in konkret genetischer Betrachtung den Lernenden Erfahrungen, die in der jüngsten Vergangenheit Menschen unserer Zeit in Situationen und mit Problemen gemacht haben, die mit den gegenwärtigen Situationen und Problemen vergleichbar sind. Wenn z.B. Arbeitslosigkeit ein wesentliches gesellschaftliches Problem unserer Zeit und der nächsten Zukunft ist, dann ist es sinnvoll, danach zu fragen, wie Menschen in der jüngst zurückliegenden Vergangenheit in vergleichbaren Situationen sich verhalten haben; es bietet sich eine Untersuchung darüber an, wie Menschen in der Weltwirtschaftskrise von 1929 und den folgenden Jahren oder in der Rezession der [/S. 552:] 60er Jahre als bedingt vergleichbaren Situationen in die Arbeitslosigkeit geraten sind, was sie gedacht, gewollt und getan haben, um mit dieser Situation fertig zu werden und welche auch unbeabsichtigten Folgen ihr politisches Handeln und Unterlassen gehabt haben.

Schüler und Erwachsene lernen dabei nicht nur in einer Anschaulichkeit und Dichte, die "betroffen" machen kann Erfahrungen kennen, die Zeitgenossen im Laufe der Zeit gemacht haben und ihnen in Erzählungen noch vermitteln können. Sie lernen auch ihnen fremde oder ihnen in etwa geläufige Wertorientierungen kennen, an denen sie sich reiben und mit denen sie sich auseinandersetzen können, um ihre eigenen Wertvorstellungen, ihre spontanen Identifikationen oder Distanzierungen zu überprüfen, zu verändern, abzuwandeln oder kritisch zu bestätigen. Sie erweitern der Möglichkeit nach ihre von gegenwärtigen Selbstverständlichkeiten geprägten Vorstellungen und Denkmuster durch "historische Phantasie": Wie in der "früheren" Geschichte gibt es auch im Umkreis der Zeitgeschichte gedachte und gelebte, antizipierte und gescheiterte Möglichkeiten menschlich gesellschaftlicher Existenz zu entdecken, vor dem Vergessen zu bewahren und neu zu bedenken. Der Zeitgeschichte Unterricht beugt damit einem "Verlust der Geschichte" vor, wobei hier nicht der bildungsbürgerliche Klageruf über die angebliche Abnahme einer bestimmten Form historischer Bildung gemeint ist, sondern vielmehr dass gerade im Bereich der Zeitgeschichte die Bereitschaft zu Erinnerung und kritisch selbstkritischer Rückschau überlagert werden kann durch die Bereitschaft zu vergessen, zu verdrängen, zu beschönigen oder Schuld buchhalterisch aufzurechnen.

Darüber hinaus erhalten die Lernenden im Zeitgeschichte Unterricht an konkret nachvollziehbaren Abläufen grundlegende Einsichten in politisches Handeln: Sie erkennen, dass politisches Handeln der Versuch einer sinnvollen Reaktion auf vorgefundene und vorgegebene Umstände ist, auf Wertvorstellungen, Sinngebungen oder sehr handfesten materiellen Interessen beruht, erfolgreich sein oder scheitern und unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben kann oder dass es Diskrepanzen zwischen früheren Ansprüchen und gegenwärtiger Wirklichkeit geben kann, die aufgeklärt werden können. Im Zeitgeschichte-Unterricht werden solche Einsichten nicht abstrakt aufgesetzt und vermittelt, sondern an konkreten historischen Handlungsverläufen ermittelt, erkannt und auf den sozialwissenschaftlichen Begriff gebracht. Letztlich lernen die Erwachsenen und Schüler eine bestimmte Form des Denkens das historische Denken, das den durch menschliches Handeln ausgelösten Veränderungen in der Zeit mit bestimmten Fragestellungen, Methoden und Kategorien nachgeht.