[S. 5:] [...]

"Entsprechend hat sozialwissenschaftlicher Unterricht immer zwei Zielrichtungen: Er will die Menschen als gesellschaftliche Produkte und als Gestalter der Gesellschaft zugleich verstehen und damit sowohl gegen ein verdinglichtes als auch gegen ein idealistisch überhöhtes Selbstverständnis anarbeiten. Kompetentes Handeln in gegebenen gesellschaftlichen Strukturen und kritisch-selbstreflexives Nachdenken über gesellschaftliche Formungen und die engagiert-verantwortliche Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme sollen gefördert werden. Beide Lernbewegungen (gesellschaftliche Kompetenz und gewissenhafte Selbstreflexion) sollten bei keinem Thema auseinander gerissen werden, nur in ihrer Verbindung sind sie bildend.

Sie erfordern nicht enzyklopädische Kenntnisse über alle gesellschaftlichen Entwicklungen, aber sozialwissenschaftliches Orientierungs-, Erschließungs-, Erklärungs- und Handlungswissen in Inhaltsfeldern, die gesellschaftlich bedeutsam sind:

  • Marktwirtschaft: Produktion, Konsum und Verteilung
  • Wirtschaftspolitik
  • Individuum, Gruppen und Institutionen
  • Gesellschaftsstrukturen und sozialer Wandel
  • Politische Strukturen und Prozesse in Deutschland
  • Globale politische Strukturen und Prozesse." [S. 5]

[S. 7:] "Zur wissenschaftspropädeutischen Ausbildung leistet das Fach Sozialwissenschaften folgende Beiträge: Die Schülerinnen und Schüler sollen

  • grundlegende und exemplarisch vertiefte Gegenstände und Methoden der Leitdisziplinen Soziologie, Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft kennen,
  • sie bei der Analyse gesellschaftlicher Tatbestände und Probleme anwenden und soweit wie möglich integrieren und kritisch, d. h. auch hinsichtlich ihrer Reichweite, einschätzen können
  • dazu Kenntnisse über sozialwissenschaftliche Begriffs-, Hypothesen- und Modellbildung erwerben und zwischen deskriptiven und normativen Betrachtungsweisen unterscheiden können
  • die Notwendigkeit des multiperspektivischen Zugriffs auf die Gegenstände der Sozialwissenschaften erkennen und zum jeweils adäquaten Zugriff fähig sein, um zu differenzierten Urteilen zu gelangen
  • die Einsicht gewinnen, dass wissenschaftliche Aussagen stets vorläufig und begrenzt sind und dass es individuelle und gesellschaftliche Bereiche gibt, die mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden nicht zureichend zu erfassen sind
  • die Fähigkeit und Bereitschaft zu wissenschaftlicher Neugier und Freude an fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen entwickeln
  • die ihnen entgegentretende Beschreibung des politischen/ökonomischen/sozialen Umfeldes als interessenbeeinflusst und mit impliziten Vorannahmen behaftet erkennen
  • [S. 8:] die Fähigkeit und Bereitschaft entwickeln, die sozialen Voraussetzungen und Folgen wissenschaftlichen Arbeitens zu bedenken und entsprechend verantwortlich zu handeln
  • die Fähigkeit und Bereitschaft entwickeln, sich im politischen Bereich selbstständig und kreativ, engagiert und konsequent, systematisch und deutlich mit unterschiedlichen Theorien und Erklärungsversuchen auseinander zu setzen
  • die Fähigkeit und Bereitschaft zu selbsttätigem Lernen entwickeln
  • die Fähigkeit und Bereitschaft entwickeln, mit ändern arbeitsteilig Problemfragen zu stellen, Materialbeschaffung zu übernehmen, sich über Methoden zu verständigen, Teilergebnisse zusammenzutragen und unter Darlegung der Begrenztheit des Zugriffs und der Methoden und Vorannahmen adressatengerecht zu formulieren, ein gemeinsames Ergebnis darzustellen, ungelöste, offene Fragen als solche zu bezeichnen, moralische Dilemmata (Zielkonflikte) offen zu legen
  • bereit sein, auch ihre persönliche Position darzustellen, zu begründen und über Dissense hinwegzukommen und zu kooperieren." [S. 7 f.]

Fachdidaktische Kriterien [S. 8:]

[...]

"Gemeinsam mit dem Politikunterricht in der Sekundarstufe I ist dem sozialwissenschaftlichen Unterricht in der gymnasialen Oberstufe im Prinzip ein Lernprozess, der von der verstehenden Analyse überschaubarer Situationen zu komplexen Problemen führt, in der Absicht, dass die Lernenden Fähigkeiten erwerben, die sie zur Bewältigung von politisch relevanten Situationen jetzt oder später benötigen. Gemeinsam sind also die fachdidaktischen Kriterien der Situations- und der Problemorientierung [...]" [S. 8].

"Das Unterrichtsfach Sozialwissenschaften integriert die drei zentralen Teildisziplinen der Sozialwissenschaften (Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, Politikwissenschaft) und fügt mit dem jeweiligen Thema in Zusammenhang stehende Aspekte aus anderen Disziplinen hinzu. Integration ist für das Fach prinzipiell konstitutiv, um gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrer Komplexität zu erfassen und verantwortliche Urteils- und Handlungskompetenz zu ermöglichen. Grenzen der Integration liegen dort, wo sich Inhalte und Methoden der einzelnen Disziplinen wesentlich unterscheiden oder wo für die Schülerinnen und Schüler der Lernprozess zu komplex und unübersichtlich wird [...]" [S. 10].