Ein einfacher, leicht verständlicher, aber schwer zu lernender Standard ist "entwickelnder Unterricht" (manchmal mit skeptischem Unterton als Frageunterricht benannt). Kein anderer Beruf verwendet dieses Kompetenzprofil; aber jede Lehrperson in allen Ländern der Welt verwendet mit mehr oder weniger Geschick, mit mehr oder weniger Wissen und mehr oder weniger erfolgreich diesen Standard. Mit keinem anderen Standard aber kann so viel dramatisches Unheil angerichtet werden, etwa durch Zynismus der Lehrperson oder der anderen Lernenden, etwa durch negative Beurteilung von Aussagen, etwa des Umwandelns von Lernprozessen in Prüfungspro– [/S. 74:] zesse, etwa durch Lächerlichmachen immer derselben Kinder und Jugendlichen etc. Umgekehrt gibt es, um diesen Standard zu bestimmen, viele pädagogisch–psychologische Forschung und auch eine sehr erfolgreiche praktische Tradition. Es gibt Untersuchungen zur Expertenqualität des mäeutischen Unterrichts u.a. (Was es allerdings kaum gibt, sind Lern–Laboratorien, wo angehende Lehrpersonen, dieses Kompetenzprofil eben zu einem Standard werden lassen können).

Es gehören also die verschiedensten Dimensionen eines Standards in einer so komplexen Situation, wie "entwickelnder Unterricht" sie darstellt, zusammen. Es muss 1. theoretische Elemente geben, die aus einer Kette von Hypothesen bestehen. Man nimmt z.B. an, dass Zusammenhänge zwischen der Eindringlichkeit, mit der Fragen gestellt werden, und der Reaktionshäufigkeit der Schüler bestehen. Negative Zusammenhänge gibt es zwischen der "Kürze" der Wartezeit und der Antwortsicherheit bei Schülern. Wiederum andere Zusammenhänge sind vermutet, wenn das Fragen geschlossen auftritt und die Schüler die Empfindung haben, dass hier geprüft, aber nicht offen gefragt werde. Als weiteres 2. Element sind empirische Befunde gefragt. Sie beziehen sich teilweise auf Theorien, die sie überprüfen; sie haben manchmal aber auch deskriptiven Charakter. Man weiß dann einfach z.B. wie häufig bei einer Lehrperson fragender oder entwickelnder Unterricht vorkommt und welche Wirkung er bei den Schülern und Schülerinnen hat. Man weiß dann aber auch, dass der Zusammenhang zwischen direct teaching (Frontalunterricht) und Frageunterricht hoch positiv korrelieren u.a. – Ein 3. Element bezieht sich auf die Qualität des Handlungsprofils einer Lehrperson, in der korrekten Situation. Es ist die Frage, warum unterschiedliche Maßstäbe genau diese Qualität je anders zur Geltung bringen. Während die einen für straffes Fragen votieren, monieren die anderen für eingestreute offene Formen dieses Arbeitstyps im Unterricht. Die einzige Möglichkeit von Qualität zu sprechen und einigermaßen Einigkeit über unterschiedliche Ausprägungen zu erhalten, ist die Expertenforschung. Hier werden situativ die klimatische Stimmung, die Klarheit der Begrifflichkeit, die Seriosität des Lernvorgangs, der nachhaltige Wissenserfolg, die positive Beeinflussung der Motivation u.a. mit Anfängern oder Nichtexperten verglichen, und man stellt fest, dass Experten in all diesen Dimensionen wirkungsvoller, schneller und unmittelbarer sind. Das Suchen und Wissen um die Expertenkompetenzen ist ein relativ junger, aber erfolgreicher Forschungszweig. Man kann damit zeigen, wie Kompetenzbündel in besserer oder vollendeterer Weise in die Praxis umgesetzt werden. – Schließlich 4. gehört zu jeder einzelnen Lehrerkompetenz, zu jedem Standard, eine Verdrahtung in der Praxis. Man muss "hands on" zeigen können, dass die Situation gemeistert werden kann eben durch dieses Handlungslehrerbildung, das schon so oft unter ähnlichen Bedingungen erfolgreich war. Es geht also darum, die Qualität des Handlungsrepertoires von Lehrpersonen relativ valide festzustellen und [/S. 75:] auf dessen Basis zusammen mit den Betroffenen eine jeweils notwendige Weiterbildung zu planen. Weiterbildung (oder im spezifischen Falle Ausbildung) bezieht sich dann auf diese Standards und nicht auf zusätzliche abkoppelbare Sozialtechnologien, deren Konvenienz meistens mit Therapie, aber nicht mit der Quelle des Unterrichts einhergeht.

Diese vier Kriterien bestimmen jedes Kompetenzprofil, jeden Standard des Lehrerberufs. Ihre Aktualisierung unterliegt keinem Zufall, fällt keiner blinden Praxis anheim, untersteht aber auch nicht bloß einem, wie auch immer geartetem Wissen; vielmehr bestimmen diese vier Kriterien, die zugleich entscheidend dafür sind, ob von einem Standard gesprochen werden kann, was die Professionalität bestimmt. Ein Standard wie "positive Erwartungen oder Zu-Mutungen praktizieren" ist im Lehrberuf so zentral, weil Theorie (Pygmalion–Effekte), Empirie (Untersuchungen zum positiven und negativen Mathäuseffekt), Expertise (gerade bei "schwachen, dummen und faulen" Schülern und Schülerinnen ist es schwierig positive Erwartungen zu praktizieren) und Praxis (Lehrpersonen machen immer Erwartungen sichtbar, wenn sie unterrichten) stets zusammenfallen und es relativ leicht ist, diese Erwartungsverhalten über Unterrichtsbeobachtung zu lokalisieren.