Nun aber ist das Lernen solcher Kompetenzen abhängig von der Ernstsituation im Unterricht, und hier zeigt es sich, dass das Lernen praktisch nie linear verläuft. Deshalb ist die Veränderung der Ausbildung zu diesem Beruf von der Relativierung der Verführungskraft der Praxis als verklärtes Feld der von aller Theorie abgetrennten Wirklichkeit abhängig. Indem man nämlich die Praxis verstärkt, erreicht man nicht eine bessere Ausbildung, denn genau dies entspricht wiederum der Zufälligkeit der Ausbildung, die zu nichts als eben zu episodischer Anhäufung von Teilkompetenzen führt. Die Praxis, aus der die Standards stammen, von der sie also abgeleitet worden sind (siehe weiter unten), muss sich im Ausbildungsfall den folgenden zwei Bedingungen unterstellen: 1. muss sie sich auf die zu erlernenden Standards beziehen (wer z.B. wirkungsvoll Anforderungen im Unterricht und ihre Koppelung mit Erwartungen vornehmen soll, muss Gelegenheit erhalten, in vielen Situationen solche Aufforderungen vorzunehmen). In diesem Falle ist nur jene Praxis notwendig, die die Einbettung des Standards bewusst gefährden. Wie das Falsifizierungsprinzip in der Wissenschaft muss der junge Unterrichtende den gleichen Standard unter immer schwereren Bedingungen ausführen. Schließlich muss der Standard unter emergency room Bedingungen realisiert werden. Das heißt, es müssen am Ende die härtesten Situationen mit Disziplin– und Motivations– und Ordnungs– und Sozialproblemen ausgesucht werden, damit gelernt wird, unter diesen Bedingungen Erfolg zu haben bzw. den Standard zur Geltung zu bringen.

[/S. 76:] Genau das Gegenteil geschieht. Standards werden oft unter idealen, superordentlichen, einfachen und empfindsamen Schulsituationen gelernt, wo Scheitern gar nicht möglich ist und man gar nicht erfahren kann, wo die Schwierigkeiten liegen, wo man nicht erfährt, unter welchen Bedingungen kontrafaktisch oder paradox gehandelt werden muss, vor allem aber nicht aus Fehlern lernen kann. Hier berühren wir das Thema des pädagogischen Kitsches; die Facetten des Glaubens an intrinsische Motivation, des Gebens von Ich–Botschaften, des Spaßhabens am Lernen, des reibungslosen Lehrerhandelns, des Lebens ohne Widerstreit, der immer liebevollen Atmosphäre führen zu diesem Kitsch, der dann auch im Jammern über die Schwere der Situation endet. Wer den Standard nicht unter schwierigen Bedingungen zeigen kann und lieben gelernt hat, kann ihn gar nicht beherrschen. Wer nicht erlebt hat, dass er nicht funktioniert, kann gar nicht verstehen, unter welchen Situationen er wirklich funktioniert. Deshalb fordert Terhart in seiner Expertise für die Kultusministerkonferenz (2002, S. 49), dass die entwickelten Standards auf eine Evaluation gerichtet sein sollen, "die sich nicht mit Dokumentenanalyse und Selbstauskünften zufrieden gibt. Zwar kann dies eine gewisse Basis sein, aber der eigentliche Akt der Evaluation besteht darin, das Steuerungssysteme, Ausbildungsinstitutionen bzw. –programme und schließlich Absolventen vor Ort einer empirisch basierten Evaluation unterzogen werden." Was Bransford und Schwartz (1999) in Bezug auf den Transfer zeigen, gilt auch hier: Man kann am besten über kontrastierende Fälle, wenn sie in neue Informationen eingebettet werden, zeigen, dass Standards in der Tat situationsübergreifend sind. Es kommt also im Bereich der Standards etwas hinzu, zum "knowing that" und zum "knowing how" gesellt sich, was Professionalität konstituiert, nämlich das "knowing with". Als Teil einer professionellen Kommunität muss ein Wissen aufgebaut werden, das sich nicht bloß auf individuelle Kompetenzprofile bezieht, sondern auch allgemein anerkannte solche Profile umfasst, die gewerkschaftlich geteilt werden müssen, damit eine Profession diesen ihren Namen verdient.