Das Fach „Wirtschaft“ als Fach der Wirtschaft? Einige ausgewählte Aspekte vergangener und gegenwärtiger Debatten

Tim Engartner

„Die Schüler sollen bevorzugt die Auffassung der Wirtschaft lernen, und die liefert unermüdlich Massen von Material, begleitet von großzügig finanzierten PR-Aktionen. Die Lobby ist im Klassenzimmer längst angekommen.“ Mit dieser Feststellung schloss die am 30. April dieses Jahres unter dem Titel „Lobbyisten im Klassenzimmer“ im ZDF-Magazin Frontal 21* ausgestrahlte Reportage, in der über die Wirkmächtigkeit von Wirtschaftsvertretern in Schulen berichtet wurde.

In diesem Kontext wurde auch Moritz-Peter Haarmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Didaktik der Politischen Bildung am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hannover, interviewt. Dieser hatte kritisch angemerkt, dass das Kapitel „Unternehmen“ in dem Schulbuch „Kompetenz Politik - Wirtschaft“ (Kaminski 2007) einseitig die Arbeitgeberperspektive einnehme (Haarmann 2013). Herausgeber des Schulbuches ist Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Kaminski, Institutsdirektor und Geschäftsführer des Instituts für Ökonomische Bildung (IÖB) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Nur zwei Tage später sah sich die Redaktion mit massiven Vorwürfen seitens des an mehreren Stellen der Reportage erwähnten Instituts konfrontiert. Die Geschäftsführung des IÖB sah es in ihrer „Richtigstellung“* u.a. als erwiesen an, dass die Journalisten auf das (Stil-) Mittel unzulässiger Verkürzungen zurückgegriffen hätten: „Bei genauer Betrachtung stellt sich der Eindruck ein, dass es hier eben nicht um die ,kritisch investigative‘ Analyse eines gesellschaftlich relevanten Sachverhaltes geht, sondern vielmehr um die Suche nach Belegen für die der Sendung zugrundeliegende These einer Manipulation von Schülerinnen und Schülern durch Wirtschaftsvertreter und sonstige Institutionen“ (Institut für ökonomische Bildung IÖB 2013, 1). Die Stellungnahme schließt mit der Feststellung, dass „an diesem Dienstagabend eine einseitige Auffassung zur wirtschaftlichen Bildung in der Schule in deutschen Wohnzimmern angekommen“ sei (ebd., 7).

Ursprünge der heutigen Debatten

Will man die dieser Kontroverse zu Grunde liegenden Argumentationsmuster ergründen, empfiehlt es sich, den auf die inhaltliche Ausrichtung sowie die curriculare Verortung der ökonomischen Bildung zielenden Diskurs der vergangenen Jahre in den Blick zu nehmen. So wird die Debatte um die Frage nach dem rechten Maß an ökonomischer Bildung von der Sorge getrieben, die Schüler/innen könnten im Rahmen ihrer Bildungsbiographie „auf einen relevanten Aspekt gesellschaftlicher Realität unzureichend vorbereitet werden und so quasi hilflos und chancenlos sein gegenüber dem neuen Universum ökonomisch geprägter Medien- und Berufswelten“ (Sturm 2000, 407). Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche „Bildungs- und Lernpartnerschaften“ etabliert, bei denen Schule und Wirtschaft eine mitunter intrikate Symbiose eingegangen sind (vgl. Gericke 2012). Weiterhin bieten inzwischen allein 15 der 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen Gratis-Materialien an (vgl. Mathes 2013, 25) – nicht selten im Feld der ökonomischen Bildung, dem sich bundesweit ca. 240 Initiativen widmen. Überdies stellte eine Forschergruppe der Universität Augsburg* im vergangenen Jahr fest, dass die Zahl kostenlos zur Verfügung gestellter Unterrichtsmaterialien seit Jahren rasant wächst (allein von 2011 auf 2012 um + 74,6 %) (Verband Bildungsmedien 2013, 1).

Die derzeitige Debatte weist frappierende Parallelen zu der Diskussion auf, die in Reaktion auf das im Jahre 1999 vom Deutschen Aktieninstitut (DAI) herausgegebene „Memorandum zur ökonomischen Bildung“ entbrannte. Das mit der Unterüberschrift „Ein Ansatz zur Einführung des Schulfaches Ökonomie an allgemeinbildenden Schulen“ versehene Papier ging nach eigenem Bekunden „weit über die bisherigen Aktivitäten des Deutschen Aktieninstituts hinaus, dessen primäres Ziel die Stärkung der Aktienakzeptanz bei Unternehmen und Anlegern ist“ (DAI, 3). Im Bewusstsein dessen, dass „Wirtschaftsfragen das gesamte Leben eines Menschen begleiten“, wurden grundlegende Kenntnisse der ökonomischen Zusammenhänge für „wichtiger denn je“ erklärt (ebd.). Mit dem Memorandum zielte das DAI auf eine Diskussion, „an deren Ende im einzel- wie im gesamtwirtschaftlichen Interesse die Einführung eines Schulfaches Ökonomie stehen muss“ (ebd.). Frühzeitig leiteten diejenigen, die eine institutionelle Ausweitung ökonomischer Bildung befürworten, aus dem von ihnen diagnostizierten Mangel an ökonomischem Grundwissen die Notwendigkeit ab, ein separates Unterrichtsfach „Wirtschaft“ einzuführen. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass die Wirtschaftswissenschaften zwar die zentralen Bezugsdisziplinen für ökonomische Bildung seien, die benachbarten sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen – namentlich: Soziologie und Politologie – indes nicht ausgeblendet werden dürften.

Nur wenige Monate nach dem ersten bedeutenden Vorstoß in Richtung „Mehr ökonomische Bildung“ erschien das von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammen mit Eltern- und Lehrerverbänden in die Öffentlichkeit getragene Grundsatzpapier „Wirtschaft – notwendig für schulische Allgemeinbildung“ (2000). Auch darin wird die Politik aufgefordert, ein Unterrichtsfach „Wirtschaft“ in den allgemeinbildenden Schulen einzuführen, wenngleich es zu betonen gilt, dass die Forderung noch explizit auf eine (wie auch immer geartete) sozioökonomische Bildung abzielte: „Die materielle Basis der Gesellschaft – Arbeit und Erholung, Produktion und Konsum, Unternehmertum und Mitbestimmung – muss deshalb eine stärkere Rolle in den allgemeinbildenden Schulen spielen“ (BDA/DGB 2000, 2). Die Hoffnung, dass im Kontext der seinerzeit propagierten sozioökonomischen Bildung auch solche Positionen vermittelt würden, die der „Fürsprache des Marktes“ Argumente entgegensetzen, indem die Grammatik einer Gesellschaft gelesen und deren politische Konstitution gedeutet wird, erfüllte sich indes nicht (vgl. Engartner/Krisanthan 2013). Nach Erscheinen der beiden Memoranden wurde – ganz im Sinne der Initiatoren – nicht nur intensiv über die inhaltliche Ausrichtung der (sozio)ökonomischen Bildung diskutiert, sondern auch über deren curriculare Verortung.

2001 legte ein Autorenquartett unter Federführung des Direktors des Oldenburger IÖB, Prof. Hans Kaminski, das aus der Initiative „Schule und Wirtschaft“ der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hervorgegangene und von ihr geförderte Papier „Soziale Marktwirtschaft stärken – Kerncurriculum ökonomische Bildung“ vor (Kaminski u. a. 2001). Sieben Jahre später folgte dann die vom Bundesverband deutscher Banken (BdB) initiierte und finanzierte „Konzeption für die ökonomische Bildung als Allgemeinbildung von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II“, mit der erstmals ein Kompetenzmodell vorgelegt wurde (Kaminski u. a. 2008).

Zum Jahresende 2008 befeuerte Reinhold Hedtke, Inhaber der Professur für Didaktik der Sozialwissenschaften und Wirtschaftssoziologe an der Universität Bielefeld, dann mit dem in der GWP erschienenen Beitrag „Wirtschaft in die Schule?! Ökonomische Bildung als politisches Projekt“ die Debatte, indem er folgender Kernthese nachging: „,Wirtschaft in die Schule!‘ genannt ,Ökonomische Bildung‘ ist ein dezidiert politisches Projekt. Seit einem Jahrzehnt führen Wirtschaftsverbände sowie konservative Stiftungen und Initiativen eine Kampagne für die Verankerung ökonomischer Bildung an allgemein bildenden Schulen“ (Hedtke 2008, 455). Die Forderungen nach einem eigenständigen Schulfach „Wirtschaft“ konnte er dabei schon nur noch arbeitgebernahen Einrichtungen wie der Ludwig-Erhard-Stiftung, der BertelsmannStiftung, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) sowie dem Oldenburger IÖB zuschreiben. Daraus leitete Hedtke seine Schlussfolgerung ab, dass die Kampagne „Wirtschaft in die Schule“ im Wesentlichen darauf abziele, „der Legitimationskrise von Marktwirtschaft und Kapitalismus entgegenzutreten, indem man Kinder und Jugendliche zum Glauben an die grundsätzliche Überlegenheit von kapitalistischer Gesinnung, Privatunternehmen, Markt und Wettbewerb erzieht“ (ebd., 457). Unlängst folgten einige weitere auf diese Inhalte ausgerichtete Analysen der Bielefelder Didaktiker/innen, darunter die viel beachtete Netzwerkstudie „Wem gehört die ökonomische Bildung?“ (Hedtke/Möller 2011). Darin kommen die Autoren zu dem Schluss, dass hinter der bildungspolitischen Forderung, ökonomische Bildung durch ein Schulfach „Wirtschaft“ auszuweiten, „ein einflussreiches Netzwerk von Wirtschaftsverbänden, privaten Großunternehmen und wirtschaftsliberal-konservativen Einrichtungen“ stehe (ebd., 5). Mit dem Working Paper „Die Wirtschaft in der Schule. Agendasetting, Akteure, Aktivitäten“ sollte schließlich der Nachweis erbracht werden, dass ein separates Schulfach „Wirtschaft“ nahezu ausschließlich die „wirtschafts- und gesellschaftspolitische[n] Interessenlagen und parteipolitische[n] Strukturen“ von Großunternehmen sowie Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden sowie ihnen nahestehenden Stiftungen und Forschungseinrichtungen spiegeln (Hedtke 2012, 1).

Debatte über Kompetenzen in der ökonomischen Bildung

Eine für die fachdidaktische Debatte bedeutsame Klimax erreichte die Diskussion mit der kontrovers erörterten Frage nach den in der ökonomischen Bildung zu vermittelnden Kompetenzen. Zwar lag schon dem im Auftrag der BdA vorgelegten Kompetenzmodell die Annahme zu Grunde, dass ökonomische Bildung als Allgemeinbildung ab der ersten Jahrgangsstufe zu begreifen sei, aber erst das im Auftrag des Gemeinschaftsausschusses der deutschen gewerblichen Wirtschaft vorgelegte Gutachten „Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen – Bildungsstandards, Standards für die Lehrerbildung“ (Retzmann u. a. 2010) orientierte sich stringent an den von der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgelegten Standards für die Lehrerbildung. Streng systematisch wurden domänenspezifisch formulierte Kompetenzbereiche identifiziert, die da lauten: „A: Entscheidung und Rationalität (des Einzelnen), B: Beziehung und Interaktion (mit Anderen), C: Ordnung und System (des Ganzen)“ (ebd., 15).

Nur einen Monat nach Erscheinen dieses Gutachtens veröffentlichten die Begründer/innen der Initiative für eine bessere ökonomische Bildung (IBÖB) ihre Kurzexpertise „Für eine bessere ökonomische Bildung!“. Darin kritisieren die Autor(inn)en u. a., dass das Gutachten der Wirtschaftsverbände „ein veraltetes Verständnis von Bildung und Didaktik“ aufweise, „da es die Lebenswirklichkeit und die Interessen der Lernenden ignoriert, theoretisches Begriffswissen bevorzugt und überwiegend praktisch nutzlose Kompetenzen beschreibt“ (Hedtke u. a. 2010, 3). Zugleich wird moniert, dass die Expertise „wissenschaftlich und politisch einseitig [sei], indem es eine einzige Welt-Anschauung für alle(s) propagiert, einseitig Partei für die Unternehmerperspektive ergreift und Effizienz als dominantes Bewertungskriterium bevorzugt“ (ebd.).

Widerspiegelung der Debatten in der „Gegenwartskunde“ (seit 2002: GWP)

Will man sich die seit Jahren schwelende Kontroverse um die inhaltliche Ausrichtung sowie die curriculare Verortung der ökonomischen Bildung mit ausreichendem Tiefgang erschließen, ist die Lektüre der Beiträge, die im Jahre 2000 in der „Gegenwartskunde“ zu diesem Themenkomplex erschienen sind, nachdrücklich zu empfehlen. So markieren die seinerzeit erschienenen vier Aufsätze bis zum heutigen Tag die „Eckpfeiler“ der Debatte:

Die nachfolgenden Beiträge sind im GWP-Online-Archiv verfügbar: ‒ Rüdiger von Rosen (2000): Wirtschaft in die Schule! Plädoyer für ein Schulfach Ökonomie an allgemein bildenden Schulen, in: Gegenwartskunde, 49. Jg., Heft 1, S. 11-22* ‒ Hans-Hermann Hartwich (2000): Kein neues Fach Ökonomie, aber eine modernere Wirtschaftslehre in der schulischen politischen Bildung!, in: Gegenwartskunde, 49. Jg., Heft 1, S. 23-36* ‒ Sibylle Reinhardt (2000): Ökonomische Bildung für alle – aber wie?, in: Gegenwartskunde, 49. Jg., Heft 4, S. 413-422* ‒ Roland Sturm (2000): Der schöne Schein des Geldes – ist ökonomische Bildung voraussetzungslos?, in: Gegenwartskunde, 49. Jg., Heft 4, S. 407-411*

ad (1) Rüdiger von Rosen, bis Juni 2012 geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DAI, spricht sich energisch dafür aus, ökonomische Inhalte in einem eigenständigen Fach zu verankern: „Es bedarf eigener Richtlinien und eines eigenen Lehrplans, einer eigenen Fachdidaktik, speziell ausgebildeter und kontinuierlich fortgebildeter Lehrer und aktuellen Unterrichtsmaterials, um den Schülern ökonomische Inhalte mit Erfolg zu vermitteln“ (2000, 15). Seiner Auffassung nach führt jede Integration von Wirtschaftsthemen in andere Fächer tendenziell dazu, „ökonomische Phänomene aus dem Blickwinkel dieser Fächer zu betrachten, ohne zuvor die für eine sachliche Beurteilung und Problemlösung unabdingbaren ökonomischen Grundlagen zu vermitteln“ (ebd.). Unweigerlich führe dies zu „vordergründig einleuchtenden, tatsächlich aber falschen Lösungsvorschlägen für wirtschaftspolitische Fragestellungen“ (ebd.). Würde ökonomische Bildung zu einer fächerübergreifenden Aufgabe erklärt, werde dem fachlichen Dilettantismus der Weg geebnet, könne doch nicht davon ausgegangen werden, dass „jeder Geschichts-, Mathematik- oder Biologielehrer […] auch in ökonomischen Fragestellungen so bewandert [sei], dass er die sein Spezialgebiet überschreitenden Fragen – auch wenn sie sein eigenes Fachgebiet tangieren und sein Interesse finden – im Unterricht kompetent mit behandeln könnte“ (ebd., 20).

ad (2) In Reaktion auf die vom DAI erhobene Forderung nach einem eigenständigen Unterrichtsfach „Wirtschaft“ führt der (inzwischen) emeritierte Hamburger Politikwissenschaftler Hans-Hermann Hartwich das Ressourcenproblem aus, wonach die Forderung „angesichts des durch Stundenzahlen begrenzten Kanons […] nur dadurch erfüllt werden [kann], dass eingeführte Fächer gestrichen oder im Stundenplan nur stark verkürzt angeboten werden“ (2000, 23). Die Ablehnung eines selbständigen Schulfaches „Ökonomie“ gründet seiner Auffassung nach aber nicht nur auf den schulpraktischen Problemen, die mit der Verdrängung konkurrierender Fächer entstehen. „Es muss auch bedacht werden, dass nicht unter Berufung auf die alte und vieldiskutierte Vorstellung vom „homo oeconomicus“ die Welt allein durch die Brille der Wirtschaft erschlossen werden darf. So lebenswichtig diese auch immer ist. Zu umstritten sind nach wie vor überdies die normativen Leitbilder, wie denn ,Wirtschaft‘ zum Wohl der Menschen und Gesellschaften gedeihen sollte“ (ebd., 25). Zugleich wendet er sich gegen die Behauptung, „die Fächer Politologie und Soziologie hätten mit der Ökonomie ,nur wenig gemein‘“ (ebd., 36).

ad (3) Für Sibylle Reinhardt ergibt sich schlüssig, „daß relevante individuelle und gesellschaftliche Probleme in einem interdisziplinären Zugang […] bearbeitet werden müssen“ (2000, 416). So führt sie das Problem der Arbeitslosigkeit als Beispiel an, um zu verdeutlichen, dass gesellschaftliche Schlüsselprobleme nicht auf verschiedene Schulfächer aufgeteilt werden sollten. Bezogen auf das gewählte Beispiel führt sie aus, dass „die individuellen Konsequenzen und Handlungen, die konjunkturelle und strukturelle Situation, alternative politische Handlungsmöglichkeiten und deren Bewertungen […] nicht voneinander getrennt und von Lehrern nach Zuständigkeiten zerstückelt werden“ dürfen (ebd.). Dies überließe den Lernenden die geradezu unlösbare Aufgabe, die Bezüge zwischen den unterschiedlichen Fächern herzustellen. Bildung brauche Muße und Konzentration auf Inhalte und „nicht jene Spezialisierungen, die zum Zerstückeln in kurzatmiges Lernen führen“ (ebd., 421). Die Annahme, dass die (mono)disziplinäre Anbindung eines Schulfachs an (nur) eine Wissenschaft zu einem schlüssigen Konzept führe, lehnt Reinhardt unter Verweis auf „die komplexe und vernetzte Realität und mit dem Hinweis auf die Prozesse des Lernens“ ab (ebd.).

ad (4) Roland Sturm mahnte in seinem Beitrag an, dass Schulpraktiker/innen sich ihrer doppelten Verantwortung bewusst werden müssten. Zum einen sollen sie „lebens- und praxisnah ökonomische Zusammenhänge […] vermitteln und damit die Schüler an für sie und ihre Zukunft entscheidende Fragen und Chancen“ heranführen (2000, 410 f.). Zugleich sollten sie dies aber „im Kontext eines politischen Bildungsauftrages […] tun, der es den Schülern ermöglicht, selbständig mit den gesellschaftlichen Voraussetzungen, Folgen und politischen Begründungen wirtschaftlichen Handelns umzugehen“ (ebd., 411). Keinesfalls dürfe die Inthronisierung der ökonomischen die Entthronung der politischen Bildung zur Folge haben, schließlich seien wirtschaftliche Tätigkeiten keinesfalls „unpolitisch“. Hinzu komme, dass sich gesellschaftliches Zusammenleben nicht automatisch dann am besten gestalten lasse, „wenn jeder einzelne um jeden Preis seinen persönlichen Nutzen zu mehren sucht“ (ebd., 407).

Setzt man die vor 13 Jahren in Gegenwartskunde dargelegten Argumente in Bezug zur derzeitigen Debatte um die curriculare, konzeptionelle, inhaltliche und institutionelle Verankerung der ökonomischen Bildung, so lassen sich zahlreiche Parallelen erkennen. Die Lektüre der „historischen“ Dokumente lohnt auch deshalb, weil die Frage, was Schüler/innen im Kontext ökonomischer Bildung lernen sollen, bis heute nicht abschließend beantwortet wurde: „Sollen bei den Schülerinnen und Schülern eher praktische Fähigkeiten gefördert werden, die dazu dienen können, ökonomische Lebenssituationen zu bewältigen (beispielsweise Konsumentenorientierung und Berufsorientierung)? [Oder] sollen die Schülerinnen und Schüler im Sinne der politischen Bildung die Wirtschaft als gesellschaftliches Teilsystem kennen lernen, welches auch das Ergebnis von Interessenauseinandersetzungen und Wertordnungen ist und politischen Gestaltungsmöglichkeiten unterliegt“ (Tschirner 2008, 74 f.)? In Anbetracht der Tatsache, dass immer mehr öffentliche Einrichtungen und sozialstaatlich verbriefte Leistungen privatisiert werden, Kunst und Kultur auf ihren Marktwert hin analysiert werden und bereits vorschulische Bildung als „Investment“ in den Nachwuchs betrachtet wird, ist von einer Verstetigung der Debatte um die Notwendigkeit ökonomischer Bildung sowie ihrer inhaltlichen Ausgestaltung auszugehen. Ebenso wird die in 16 Bundesländern zu beantwortende Frage, ob – und wenn ja, wie – die ökonomische Bildung noch breiter in den Fächerkanon Eingang finden soll, die bildungspolitische Debatte auf Jahre hinaus prägen. Schließlich wird die zunehmende Sensibilisierung für den „Kundenfang im Klassenzimmer“ die Frage aufwerfen, ob nicht trotz der chronischen Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte die Schulbuchetats aufgestockt und die Kopierkontingente aufgehoben werden müssen.

Literatur

  • Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände/Deutscher Gewerkschaftsbund (BDA/DGB) (2000): Wirtschaft – notwendig für die schulische Allgemeinbildung, Berlin
  • Deutsches Aktieninstitut (1999): Memorandum zur ökonomischen Bildung. Ein Ansatz zur Einführung des Schulfaches Ökonomie an allgemeinbildenden Schulen, Frankfurt a. M.
  • Engartner, Tim/Krisanthan, Balasundaram (2013): Ökonomische Bildung im sozialwissenschaftlichen Kontext – oder: Aspekte eines Konzepts sozio-ökonomischer Bildung, in: Gesellschaft ‒ Wirtschaft ‒ Politik, 62. Jg., Heft 2 (2013), S. 243-256
  • Gericke, Christina (2012): Schule und Wirtschaft: das neue Traumpaar? Zur Kooperation von öffentlichen Schulen und privaten Unternehmen, in: Pädagogische Korrespondenz, 46. Jg., Heft 12, S. 42-55
  • Haarmann, Moritz-Peter (2013): Über eindimensionale Kompetenz. Eine Analyse des Kapitels „Unternehmen“ aus dem Schulbuch „Kompetenz Politik ‒ Wirtschaft“, in: „PolitikUnterrichten“, Mitgliedszeitschrift des niedersächsischen Landesverbandes der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung, Heft 1-2013, S. 22-30
  • Hartwich, Hans-Hermann (2000): Kein neues Fach Ökonomie, aber eine modernere Wirtschaftslehre in der schulischen politischen Bildung!, in: Gegenwartskunde, 49. Jg., Heft 1, S. 23-36
  • Hedtke, Reinhold (2008): Wirtschaft in die Schule?! Ökonomische Bildung als politisches Projekt, in: Gesellschaft ‒ Wirtschaft – Politik, 57. Jg., Heft 4, S. 455-461
  • Hedtke, Reinhold/Famulla, Gerd-E./Fischer, Andreas/Weber, Birgit/Zurstrassen, Bettina (2010): Für eine bessere ökonomische Bildung! Kurzexpertise zum Gutachten „Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen Bildungsstandards und Standards für die Lehrerbildung im Auftrag des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft“ vom November 2010, Bielefeld
  • Hedtke, Reinhold/Möller, Lucca (2011): Wem gehört die ökonomische Bildung? Notizen zur Verflechtung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, IBÖB-Working Paper Nr. 1, Bielefeld
  • Hedtke, Reinhold (2012): Die Wirtschaft in der Schule. Agendasetting, Akteure, Aktivitäten, Working Paper Nr. 3, IÖB
  • Institut für Ökonomische Bildung IÖB (2013): Positionspapier zu „Frontal 21 ,Lobbyisten im Klassenzimmer‘ vom 30.04.2013 – Richtigstellung des Instituts für Ökonomische Bildung, 02.05.2013“, Oldenburg
  • Kaminski, Hans (Hrsg.) (2007): Kompetenz Politik - Wirtschaft 9. Gymnasium Niedersachsen. Braunschweig
  • Kaminski, Hans/Hübinger, Bernd/Zedler, Reinhard/Staudt, Wolfgang (2001): Soziale Marktwirtschaft stärken. Kerncurriculum Ökonomische Bildung, Broschüre Nr. 26, herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Sankt Augustin
  • Kaminski, Hans/Eggert, Katrin (2008): Konzeption für die ökonomische Bildung als Allgemeinbildung von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II, Berlin
  • Mathes, Eva (2013): „Kampf um die Köpfe der Schüler“, Interview mit Christina Bauermeister, in: Politik & Kommunikation, Heft Februar/März, S. 24-25 Reinhardt, Sibylle (2000): Ökonomische Bildung für alle – aber wie?, in: Gegenwartskunde, 49. Jg., Heft 4, S. 413-422
  • Retzmann, Thomas/Seeber, Günther/Remmele, Bernd/Jongebloed, Hans-Carl (2010): Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen. Bildungsstandards. Standards für die Lehrerbildung, Gutachten im Auftrag des Gemeinschaftsausschuss der deutschen gewerblichen Wirtschaft, Berlin
  • Sturm, Roland (2000): Der schöne Schein des Geldes – ist ökonomische Bildung voraussetzungslos?, in: Gegenwartskunde, 49. Jg., Heft 4, S. 407-411
  • Tschirner, Martina (2008): Mehr Ökonomie in der Schule. Zum Verhältnis politischer und ökonomischer Bildung in aktuellen Lehrplänen, in: Gerd Steffens/Benedikt Widmaier (Hg.), Politische und ökonomische Bildung. Konzepte – Leitbilder – Kontroversen, Wiesbaden, S. 72-87
  • Verband Bildungsmedien (2013): Marktanalyse von kostenlos angebotenen OnlineLehrmaterialien, Abstract Nr. 1, Frankfurt a.M., http://www.bildungsmedien.de/presse/pressedownloads/forschungsprojekt-augsburg (abgerufen am: 29.7.2013)
  • von Rosen, Rüdiger (2000): Wirtschaft in die Schule! Plädoyer für ein Schulfach Ökonomie an allgemein bildenden Schulen, in: Gegenwartskunde, 49. Jg., Heft 1, S. 11-22