Wer es nicht von vornherein darauf anlegt, abhängig von den Eltern, LebenspartnerInnen oder von öffentlichen Leistungen zu sein, versucht seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit zu sichern.

Da traditionell in Deutschland die berufsförmige Organisation der Arbeit vorherrscht, ist die Beruflichkeit das dominante Prinzip für das Wirtschafts- und Arbeitsleben und für Bildungs- und Qualifizierungsprozesse. Auch wenn dieses System kritisiert und bereits eine "neue Beruflichkeit" diskutiert wird, das berufliche Prinzip ist unverzichtbar.

Nach wie vor bleiben Berufe - auch in einer zukünftigen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft - wichtige Orientierungsgrößen und positive Elemente für einen mobilen Arbeitsmarkt. In einer durch vielfältige Veränderungen geprägten Arbeits- und Lebenswelt hat die Sicherstellung des Berufsprinzips eine sinn- und identitätsstiftende Funktion.

Berufe haben einen bestimmten Stellenwert in der Gesellschaft. Bewusst oder unbewusst fließen diese Vorstellungen in die Berufswahlentscheidung mit ein:

  • Es gibt nach dem Berufsbildungsgesetz von 1969 zwar keine Eingangsvoraussetzungen, in der Realität stehen aber verschiedene Ausbildungsgänge nur den Absolventen von Realschulen oder Gymnasien zur Verfügung.
  • Die Ausbildungszeit hat eine bestimmte Dauer.
  • Die Definition und Zertifizierung der erworbenen Qualifikationen bestimmen den Status.
  • Die Berufe haben unterschiedliche Verdienstmöglichkeiten und genießen unterschiedliches Ansehen.
  • Jugendliche können eine Beliebtheitsskala der Berufe aufstellen.
  • Wir sprechen häufig von geschlechtsspezifischen Berufen.
  • Der Beruf leistet eine Sozialisations- und Integrationsfunktion.
  • Die Berufe wandeln sich.

Auch der Aspekt der Globalisierung der Märkte und der Europäisierung der Berufsbildungspolitik muss berücksichtigt werden. Das Berufskonzept wird sich auch dieser Entwicklung anpassen müssen. Die Entscheidung für einen bestimmten Berufsweg muss daher auch im europäischen Kontext gesehen werden und inhaltlich, sowie in der Frage der Verwertbarkeit, das europäische Ausland einbeziehen.

Wir können daher davon ausgehen, dass den Jugendlichen die Bedeutung der Berufswahl klar ist. Sie werden vom Elternhaus, von der Schule und auch von der Öffentlichkeit darauf hingewiesen. Und sie wissen: Wer keine berufliche Bildung durchläuft, hat kaum eine Chance in der Arbeitswelt.

Mit der Berufsentscheidung treten die jungen Menschen in das Erwerbsleben ein. In den Familien, im Freundeskreis, in vielen Diskussionen und in den Medien wird die Arbeitswelt dargestellt.

Aber was bedeutet es für einen jungen Menschen, der den bekannten Arbeitsplatz "Schule" verlässt und in eine für ihn noch unbekannte "Arbeitswelt" eintritt?
Häufig ist die getroffene Wahl keine freiwillige (s. o.), sondern die einzige Möglichkeit einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Was auf die Jugendlichen zukommt, wissen die wenigsten, Hauptsache Arbeit.

  • Alles ist fremd, nicht immer angenehm und einsehbar, weder die Tätigkeiten noch die KollegInnen.
  • Der Arbeitstag ist anders als die aus der Schulzeit gewohnte Zeiteinteilung.
  • Auszubildende sind Lernende, aber auch das Lernen ist anders als in der Schule.
  • Die allgemeine Verdichtung der Arbeit führt dazu, dass die Auszubildenden häufig mit stereotypen, ausbildungsfremden Tätigkeiten als vollwertige Arbeitskräfte in bestimmten Bereichen eingesetzt werden. Zum selbstständigen und integrativen Erlernen der benötigten umfassenden Fertigkeiten fehlt meist die Zeit.
  • Auch der Schritt in die erhoffte finanzielle Unabhängigkeit und Selbstständigkeit lässt auf sich warten. Mit der Ausbildungsvergütung ist ein Leben unabhängig von elterlicher oder sonstiger Unterstützung für viele Jugendliche nicht möglich.

Vor dem Hintergrund dieser Komplexität des Themas Berufswahl-Entscheidung ist es mehr als verständlich, dass SchulabgängerInnen befangen und verunsichert sind. Sie glauben bereits sehr frühzeitig, alle Faktoren berücksichtigen zu müssen, um die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen.

Wie viel erfolgreicher und stressfreier wäre es, die Triebfedern "persönliche Fähigkeiten, Motivation und Engagement" als Basis zu nutzen und damit dem sich ständig wandelnden Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu begegnen. Entsprechend muss die Berufsorientierung als gemeinsame Aufgabe der allgemeinen und der beruflichen Bildung verstanden werden, der es gelingt die Komponenten "persönliche Kompetenzen der SchülerInnen" und "Situation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt" sinnvoll zu vernetzen.