Erkenntnisweisen könnten eine verlässlichere Orientierung als Großdisziplinen bieten. Die paradigmatisch unscharfe Gestalt der Disziplinen könnte durch deren unterschiedliche Erkenntnisweisen oder Methodologien schärfer konturiert werden. Man kann versuchen, über die Erkenntnisweisen eine je spezifische disziplinäre Identität zu begründen. Dazu benötigt man als Grundlage eine Typologie von Erkenntnisweisen. Für die Kulturwissenschaften hat Hans-Jürgen Pandel jüngst eine Typologie vorgeschlagen (Pandel 2001): historisch-hermeneutische, kritisch-dialektische, empirisch-analytische, quantitativ-statistische, narrativ-faktuale und empathisch-fiktionale Erkenntnisweise.

Aber auch hier stößt man bald wieder auf das Problem der Trennschärfe: Man kann diese Erkenntnisweisen - und auch sämtliche Erkenntnisweisen, die man durch andere Typologien erhalten würde - nicht disziplinär trennscharf einzelnen Fachwissenschaften zuordnen. Eine bestimmte Erkenntnisweise kann zum Fundament mehrerer Disziplinen gehören, eine Disziplin kann sich auf mehrere Erkenntnisweisen gründen. [/S. 116:] Nehmen wir die quantitativ-statistische Verfahrensweise als Beispiel. Wir finden sie als prominentes methodologisches Muster in Disziplinen aus unterschiedlichen Großdisziplinen: in der Wirtschaftsgeschichte, in der Wirtschaftssoziologie, in der Wahlforschung, in der Wirtschaftsstatistik und in der empirischen Makroökonomik. Wenn nicht Gegenstände, sondern Erkenntnis- und Frageweisen Disziplinen konstituieren, stehen sich die genannten Disziplinen wechselseitig wesentlich näher als den Großdisziplinen, denen sie jeweils zugerechnet werden.

Ein zweites Beispiel ist die historisch-hermeneutische Verfahrensweise. Auch sie wird multidisziplinär verwendet. Prominente Exempel dafür sind die historisch-kulturvergleichende Kapitalismusanalyse von Max Weber, die Sinndeutung des Demokratiebegriffs durch Wilhelm Hennis (Hennis 1973), phänomenologische Analysen von Lebenswelten in der Schütz'schen Tradition oder wissenssoziologische Untersuchungen nach dem Berger-Luckmann-Ansatz (Berger/Luckmann 1969).

Die Einsicht in die Unschärfe der Relation Großdisziplin - Erkenntnisweise bedeutet nun keineswegs, dass man auf eine möglichst scharfe Unterscheidung der wissenschaftlichen Erkenntnisweisen verzichten könnte oder sollte. Ganz im Gegenteil, die Erkenntnisweisen repräsentieren spezifische Sichtweisen auf die Welt, und zusammen mit den angewendeten Methoden konstruieren sie erst die unterschiedlichen Welten und ihre Gegenstände (Pandel 2001).

Deshalb könnten die Erkenntnisweisen nur um den Preis eines radikalen Erkenntnisverlustes aufgegeben werden (Pandel 1997 u. 2001). Insbesondere aus fachdidaktischer Sicht halte ich es für kontraproduktiv, Erkenntnisweisen unkontrolliert zu mischen und tendenziell zu homogenisieren. Ganzheitlichkeit ist ein fachdidaktischer Irrweg.