Die entscheidenden Impulse für die Aufnahme von Schlüsselqualifikationen in das Zielsystem der Berufsbildung gingen von dem betrieblichen Partner des dualen Systems aus. Symptomatisch hierfür waren die Aktivitäten der betrieblichen Ausbilder, wie sie etwa in den Jahrestagungen der gewerblichen und kaufmännischen Ausbildungsleiter der 80er Jahre und insbesondere im "Petra"-Projekt der Firma Siemens zum Ausdruck kamen (Boretty et.al. 1988; Litzenberg/ Tripp 1987). Den Hintergrund dieser Aktivitäten bildeten gravierende Veränderungen im Beschäftigungssystem. Sie betrafen vor allem Tätigkeits- und Anforderungsveränderungen aufgrund des beginnenden Wandels der Marktstrukturen und im Zusammenhang der breiten Einführung der neuen Technologien sowie den damit verbundenen organisatorischen Veränderungen in den [/S. 36:] Betrieben. Ähnlich der These Kern/ Schumanns (1984) vom "Ende der Arbeitsteilung" gewerblich-technischer Tätigkeiten prognostizierten Baethge/ Oberbeck 1986 den "Abschied vom Taylorismus". Demnach hat die Einführung von neuen Technologien eine "systemische Rationalisierung" zur Folge, die im gewerblich-technischen Sektor den Facharbeiter zum planenden, steuernden und kontrollierenden "Systemregulierer" werden lässt und die im Dienstleistungssektor eine neue Stufe der Entwicklung von Büroarbeit darstellt. Durch das Zusammenwirken von systemischer Rationalisierung und unmittelbarem EDV-Einsatz ergibt sich für die Büroarbeit eine neue Handlungsstruktur qualifizierter Sachbearbeitung.

Nahezu zehn Jahre später wird immer deutlicher, dass die Bewältigung dieser Handlungsstruktur "eines vielfältigen und hochdifferenzierten Qualifikationsprofils" bedarf (Baethge/ Baethge-Kinsky 1995, S. 150 f.). Zu dem vornehmlich zu rechnen sind:

  • die Fähigkeit zu schneller Datenselektion auf Basis guter Fachkenntnisse und die Fähigkeit, mit den selbstständig analysierten und interpretierten Daten strategisch in der eigenen Organisation und am Markt umzugehen;
  • marktkommunikative und interne sozialkommunikative Fähigkeiten (Kooperation), die die Bedeutung "kommunikativer Kompetenz" markieren;
  • berufsfachlich basierter kritischer Umgang mit dem Computer;
  • Fähigkeit zu "Organisierung der eigenen Arbeit";

Anstelle technisch-organisatorisch determinierter Arbeitsvollzüge treten sichtbar "Selbstorganisation", "Selbstverantwortung" und "sozialkommunikatives Handeln" als Bestandteile der Arbeitsprofile, wie Baethge und Baethge-Kinsky (Baethge/ Baethge-Kinsky 1995, S. 150 ff.) zusammenfassend feststellen.

Man kann also die wachsende Bedeutung, die den Schlüsselqualifikationen in den 80er Jahren beigemessen wurde, als ein Symptom für die zunehmenden Strukturveränderungen unseres Beschäftigungssystems in Richtung Flexibilität betrachten.

In den 90er Jahren setzt sich dieser Trend verstärkt fort: Betriebe sehen sich einem gewaltigen Veränderungsdruck ausgesetzt, der aus der technologischen, der ökonomisch-wettbewerbsmäßigen und der gesellschaftlichen Entwicklung resultiert. [/S. 37:]

Die technologische Entwicklung vor allem der Kommunikationsmedien hat eine Temposteigerung der Informationsübermittlung zur Folge, die zugleich das Wissen über weit entfernte gleichzeitige Geschehnisse erhöht. Damit wachsen Komplexität und Dynamik der Umwelt- und Umfeld-Bedingungen erheblich an.

Davon ist vor allem auch die ökonomische Entwicklung des Wettbewerbs betroffen. Die Betriebe verändern ihre Marktstrategien und betrieblichen Organisationsstrukturen. Dabei geht die Personalentwicklung mit der Organisationsentwicklung eine enge Verbindung ein und wird zur "strategieorientierten" Personalentwicklung (Riekhof 1992; Sattelberger 1991). Im Zuge dieser Entwicklungen werden die im Menschen schlummernden Kräfte und Fähigkeiten zu Kreativität und Selbstorganisation "entdeckt" (Antoni 1992). Die Aktivierung dieser "Human-Ressourcen" wird gar zum "Bestimmungsfaktor für die Wettbewerbsposition" (Laukamm 1992) erklärt.

Man begreift deshalb Unternehmen als lernende Organisationen (Geißler 1994a, 1994b) und mit dem Wandel von Verkäufermärkten zu Käufermärkten orientiert sich die betriebswirtschaftliche Wertschöpfung zunehmend am Kunden. Konzepte von Lean-Production und Lean-Management (Pfeiffer/ Weiss 1994) sowie Business-Prozess-Reengineering (Hammer/ Champy 1994) verschaffen sich auch in Deutschland Geltung und führen zur Abkehr von den traditionellen Organisationsprinzipien, wie sie im Zuge der Massenproduktion nach Ford und Taylor das organisatorische Denken unseres Jahrhunderts beherrscht haben (vgl. auch Lumpe/ Wagner 1997).

Aus berufssoziologischer Sicht charakterisieren Baethge/ Schiersmann (1998; 1999) diese Entwicklungen - nicht generalisierend, sondern in Form von Trendaussagen - als Prozesse der "internen" und der "externen" Flexibilisierung. Demzufolge verlangt die beginnende Globalisierung der Märkte eine innere organisatorische Flexibilisierung, die den "Wandel von einer funktions-/ berufsorientierten zu einer prozessorientierten Betriebs- und Arbeitsorganisation bestimmt". In engem Zusammenhang mit dieser internen Flexibilisierung wird die externe Flexibilisierung gesehen. Sie betrifft die Entstehung neuer Beschäftigungsformen, die nicht mehr durch hohe berufliche Kontinuität, stabile Betriebsbindung und lebenslange Vollerwerbstätigkeit gekennzeichnet sein werden. Tendenzen der Segmentierung verstärken sich.

Im Zuge der internen Flexibilisierung durch stärkere Prozessorientierung ergeben sich auch erhebliche Veränderungen bezüglich des Einsatzes und der Akzentuierung der erforderlichen Qualifikationen:

  • Dezentralisation, Projektförmigkeit und Querfunktionalität der Arbeitsprozesse führen z. B. dazu, dass die "schnelle und jeweils aufgabenbezogene [/S. 38:] Integration unterschiedlicher Fachlichkeiten von entscheidender Bedeutung" wird.

  • Das bedeutet auch, dass an die Flexibilität des Wissens, genauer: an die flexible Verfügbarkeit und Erweiterbarkeit des Wissens, erhöhte Anforderungen zu stellen sind. In diesem Zusammenhang "wachsen die Anforderungen an Selbstständigkeit, Selbstorganisation, Koordinierungs- und Kommunikationsfähigkeit erheblich" (Baethge/ Schiersmann S. 8 f.; Schumann/ Gerst 1996; Gerst 1998).

Insgesamt erhält die Vermittlung von sozial-kommunikativen Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung ein starkes Gewicht.