Hartwich: Politische Bildung und ökonomische Bildung gehören in der Schule zusammen

Hans-Hermann Hartwich

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1. Die Ökonomie als zentrales Element des gesellschaftlichen und politischen Systems und seiner Prozesse war immer Bestandteil der schulischen politischen Bildung

Genauer und in knappster Form gesagt: Die "Wirtschaftslehre" innerhalb der politischen Bildung soll die Bedeutung der Wirtschaftsunternehmen und der Kreisläufe in Investitionen, Konsum und Sparen herausarbeiten, die Erwerbstätigkeit, Beschäftigung, Arbeitsmärkte und Lohnpolitik, Geld- und Kreditwesen mit der Funktionsweise der Geschäftsbanken und der Zentralbank bei der Regulierung der Geldmenge, die Ordnungs- und Regulierungsfunktion staatlich-administrativer Instanzen grundsätzlich und exemplarisch mit ergebnisoffener Bewertung behandeln. Hinzu kommen - und das ist ganz wichtig - vor allem noch: Der Zusammenhang von Wirtschaftssystem (z.B. Soziale Marktwirtschaft) und Demokratie sowie die Wandlungsprozesse im Verhältnis von Nationalstaat, Europäischer Union und Globalisierung. Das alles schließt didaktisch aufbereitete Einblicke in das Wirken wirtschaftlicher Interessen und ihrer Verbände, wirtschaftliche Macht und ihre politischen Einflussmöglichkeiten, wirtschaftliche Krisen und wirtschaftliche Erfolge als Fundamente politischer Demokratie-Akzeptanz bzw. als Quelle von Demokratiekrisen ein.

Das der politischen Bildung immanente Gesellschaftsverständnis sieht den Menschen letztlich als zoon politicon und nicht allein als sozial isolierten homo oeconomicus. Individuum, Gesellschaft, staatlich-institutionelle Verfasstheit bilden ein Ganzes. Dies findet in der spezifischen Form gesellschaftlicher Einbettung in freiheitlich-rechtsstaatliche Lebensverhältnisse seinen Ausdruck.

Lernziele schulischer politischer Bildung sind neben dem Wissenserwerb ein vertieftes Verständnis für gesamtgesellschaftliche (politische und ökonomische) Zusammenhänge. Der Themenkanon hat mithin eine doppelte Funktion: Er ist Baustein des Wissens und unerlässliches Fundament für das Durchdringen von Komplexität gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Lebensbedingungen.

Aus diesem Ansatz heraus ist natürlich die kritische Frage berechtigt, ob denn der wirtschaftskundliche Themenkatalog innerhalb von Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde (1961 von der KMK einmal "Gemeinschaftskunde" genannt) noch den gewandelten wirtschaftlichen Verhältnissen gerecht wird. Hier ist offensichtlich Kritik angebracht, Reformbedürftigkeit vorhanden. Die schulische politische Bildung braucht in der Tat eine modernere Wirtschaftslehre. Aber deswegen müsste keineswegs ein neues "Schulfach Ökonomie" eingeführt werden (s. Gegenwartskunde H 1/2000 mit Beiträgen von Rüdiger von Rosen und Hans-Hermann Hartwich sowie auch das von der BDA und dem DGB gemeinsam verfasste Schrift "Wirtschaft - notwendig für schulische Allgemeinbildung". Gemeinsame Initiative von Eltern, Lehrern, Wissenschaft, Arbeitgebern und Gewerkschaften" vom August 2000). (1)

2. Wo also liegt der Grund für das gegenwärtige Drängen auf die Etablierung der "Ökonomie" als Schulfach?

Das Deutsche Aktieninstitut an der Frankfurter Börse hat im September 1999 eine Grundsatzentscheidung der Kultusministerkonferenz für ein Pflichtfach Ökonomie an allen allgemein bildenden Schulen gefordert. Sein Präsident, Rüdiger von Rosen, verband diese Forderung mit einleuchtenden Argumenten zur Bedeutung wirtschaftlichen Wissens; Experten erarbeiteten dazu inhaltliche Vorgaben, die allerdings kaum über Bekanntes hinausgingen. Sicher, was ist heute Allgemeinbildung ohne wirtschaftliche Grundkenntnisse Wert? Jeder Bürger - so das DAI - müsse seine Entscheidungen als Konsument, Anleger, Arbeitnehmer, Unternehmer, Wähler und Staatsbürger eigenverantwortlich und sachlich fundiert treffen können. Der Bedarf an ökonomischen Wissen explodiere, sekundierte die Süddeutsche Zeitung (9.9.1999). Wenn sich in den Erwerbsbiografien Brüche auftäten, Selbstständigkeit eine Option sei, wenn sich jeder Bürger selbst um seine Altersvorsorge und um angemessene Kommunikationswege kümmern müsse, dann sei eben ökonomisches Grundwissen unerlässlich.

Diese einleuchtende und einflussstarke, aber eben alles andere als neue Forderung trifft natürlich auf gewichtige Hindernisse für ihre Verwirklichung. Dazu gehören in erster Linie der enge Fächerkanon vor allem des Oberstufenunterrichts, die fachliche Kompetenz der Lehrer und die prekäre Ausbildungssituation in den akademischen Wirtschaftswissenschaften. Sind Art und Ausmaß dennoch von einem Gewicht, das starken politischen Druck auf die Kultusministerkonferenz und die Schulträger rechtfertigt?

Es ist nicht erkennbar, ja, es erscheint völlig unrealistisch, dass der Fächerkanon der gymnasialen Oberstufe mit einem neuen Pflichtfach "angereichert" werden könnte. Was also ist das Ziel des Drucks? Denken die Initiatoren des neuerlichen Vorstoßes an eine Kompensation durch Einschränkung oder Fortfall der politischen Bildung/Gemeinschaftskunde? Soll der "politische" Teil, nämlich der Sozialkundeunterricht, durch einen Ökonomie-Kanon ersetzt werden? Ist daran gedacht, innerhalb des Sozialkundeunterrichts (neben Geschichte und Geografie) die Ökonomie zum neuen Kern zu machen und damit an die Stelle der politischen Bildung treten zu lassen?

Neben der Entwicklung praxisnaher Konzepte zur Erfüllung des Anliegens wirft die Forderung und ihre Resonanz in den großen überregionalen Zeitungen allerdings eine wichtige Frage auf: Könnten wir es uns leisten, zu Gunsten eines modernen und zukunftsorientierten ökonomischen Wissen in unserer Allgemeinbildung eventuell auf die Konzentration auf politische Bildung zu verzichten?

Vor der Beantwortung dieser Frage, muss aber noch eine andere, grundlegendere, gestellt werden: Geht es um mehr und besseres "Wissen" von dem, was allgemein mit "Wirtschaft" umschrieben wird? Oder gibt es berechtigte Notwendigkeiten, Spezifika des ökonomischen Denkens und Fragens endlich in der allgemein bildenden Schule zu verankern, weil sie bislang einfach übersehen oder missachtet wurden?

Wenn es um "Wissen" als dem zentralen Element des geforderten neuen Schulfaches "Ökonomie" geht, dann muss man sich mit gegenwärtigen Bildungskanon der einschlägigen gemeinschaftskundlichen Fächer genauer befassen. Denn auf den ersten Blick können die neu benannten wirtschaftlichen Bildungselemente alle seit den Sechzigerjahren in schulischen und universitären Curricula sowie in Schulbüchern und Fachzeitschriften als Bestandteil der politischen Bildungsarbeit nachgewiesen werden. Das gilt selbst dann noch, wenn die Realität zum Teil beträchtliche Differenzen zwischen Plan und unterrichtlicher Realität aufweist. Wo wäre dieses nicht der Fall. Die beste Lösung könnte demnach der dem DAI möglicherweise nicht bekannte Umstand bieten, den bisher schon üblichen ökonomischen Teil der politischen Bildung/Sozialkunde zu reformieren. Auf Letzteres wird und muss es hinauslaufen.

3. Wenn es um ein Prinzipielles "Aliud" der ökonomischen Bildung im Verhältnis zur politischen Bildung geht, dann müssen die konstitutiven Denkweisen und Methoden als Element des geforderten neuen Schulfaches "Ökonomie" ausfindig gemacht und verdeutlicht werden, die eine Art "Unvermeidbarkeit" postulieren.

Die BDA/DGB-Initiative vom August 2000 begründet die Notwendigkeit eines eigenständigen Faches Wirtschaft mit dem notwendigen Erwerb "differenzierter theoretischer und empirischer Kenntnisse vor allem in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften"(S.12). Es bestehe Anspruch auf einen "systematischen und kumulativen Kenntnisgewinn" über das Wirtschafts- und Beschäftigungssystem (S.13).

Klaus-Peter Kruber hat das Problem zum Beispiel so skizziert: "Ein 'Ankerfach' für ökonomische Bildung wird nicht nur durch zahlreiche Inhalte und Fragestellungen begründet, die nur im fachlichen Kontext vermittelt werden können. Konstitutiv sind auch die spezifischen Denkweisen und Methoden, anhand derer ökonomisch gebildete Personen Probleme analysieren und beurteilen, im Bewusstsein (!), dass diese Sichtweise bestimmte Aspekte ausleuchtet und keinesfalls verabsolutiert werden kann"( Kategoriale Wirtschaftsdidaktik - Zugang zur ökonomischen Bildung, in: Gegenwartskunde H.3/2000, S. 286).

Krubers fachwissenschaftliche Ansicht kann getrost als konstruktiv angesehen werden. Konzediert sie doch, dass es auch andere, gleichwertige Problemsichten gibt und weckt zugleich mit dem Ausrufezeichen berechtigte Zweifel daran, dass das Bewusstsein davon wirklich vorhanden sei.

Aber was folgt daraus? Weshalb verdienen gerade die heutigen ökonomischen Tatbestände eine neue und für die Lebensbewältigung so wichtige Aufmerksamkeit. Verlangt die "new economy" eine neue eigenständige Vorbereitung junger Menschen auf das heutige gesellschaftliche Leben ? Diese Frage scheint umso berechtigter zu sein, als sich der DGB offenbar derartige Positionen zu Eigen gemacht hat. Gerade die Gewerkschaften aber haben doch bislang stets die gesellschaftliche Einbettung von Wirtschaft und Arbeit betont. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass in der "Initiative" stets die Wirtschaftswissenschaften in Verbindung mit den Sozialwissenschaften genannt werden. Damit aber hätte eigentlich der Blick auf die curricular geltenden ökonomischen Teile schulischer politischer Bildung fallen müssen.

Wenn dennoch ein eigenständiges Fach gefordert wird, dann muss doch erneut gefragt werden:" Welche Zielsetzungen verbergen sich also genau hinter dieser Forderung ?"

In der Sache ist es richtig, dass die heutige wirtschaftliche Realität verstärkte Anforderungen an die Flexibilität und den Bildungsstand stellt, wobei die Verbindung von allgemeiner Bildung und vor allem technischen (elektronische Medien) und fremdsprachlichen Fähigkeiten besonders bedeutsam ist. Es ist richtig, dass junge Menschen frühzeitig auf Brüche in ihren Erwerbsbiografien vorbereitet werden müssen und dass sie ein Gespür für die Notwendigkeit selbstständigen Handelns und selbstverantwortlichen Vorsorgens entwickeln sollten.

Auch hierbei ist allerdings die Frage nicht beantwortet, weshalb dies in einem isolierten neuen Schulfach "Ökonomie" besser möglich sein sollte als im Kontext der Vorbereitung auf die Ganzheit des gesellschaftlichen Lebens, also einschließlich des sozialen und politischen Umfeldes.

Deshalb darf man sich nicht zufrieden geben mit den scheinbar so überzeugenden Argumenten, dass es neue wirtschaftliche Herausforderungen gibt, die neue schulische Lehr- und Lernfelder nach sich ziehen.

Geht es nicht in Wirklichkeit um Akzeptanz ? Um die Überwindung der noch immer bestehenden Vorbehalte gegen beunruhigend erscheinende Entwicklungen der neuen Ökonomie ? D.h., möchte man sicher gehen, dass die Menschen möglichst frühzeitig die Globalisierung und Individualisierung, Flexibilisierung und Marktgläubigkeit, staatliche Enthaltsamkeit und ökonomische Prinzipien wie Gewinnmaximierung, Nutzenstreben und Aktienakkumulation, internalisieren. Es spricht vieles dafür, dass genau dieses der Fall ist. Es ist sogar legitim, wenngleich natürlich problematisch, weil es nicht benannt wird.

Historisch betrachtet gab es eine ähnliche Entwicklung im Verhältnis zwischen Wirtschaft und politischer Bildung schon Anfang der Sechzigerjahre und noch einmal Ende der siebziger. Zuerst ging es um Erklärung der erfolgreichen, demokratiesichernden, aber politisch immer wieder umstrittenen "Sozialen Marktwirtschaft". Die These ist sicher nicht falsch, dass die schulische politische Bildung seit Beginn der Sechzigerjahre auch ihrerseits sehr viel für die Akzeptanz dieser Wirtschaftsordnung bei jungen Menschen getan hat. Natürlich gestützt von der Politik, den Interessenverbänden und den Medien. Aber eben doch auch zugleich "politisch", weil damit der Traum der Sozialdemokratie von einer demokratischen Planwirtschaft auch in der Schule endgültig zu Grabe getragen wurde.

Dann folgte noch einmal in den Siebzigerjahren eine neue Grundorientierung, die bald Anfang der Achtzigerjahre in Konfrontation mit einer erneuten Gegenbewegung gesehen werden muss. Die Stichworte waren "Keynesianismus" und Regulierung sowie bald darauf in den Achtzigerjahren ein neuer Neoliberalismus mit Monetarismus und Deregulierung. Auch dieses ist zum festen Bestandteil schulischer ökonomischer Bildung innerhalb der politischen Bildung geworden. Dies gilt so stark, dass noch zu Beginn des 21.Jahrhunderts ordentlich ausgebildete Sozialkundelehrer gelegentlich anhand dieser Modelle die Wirtschaft erklären. Denn so hatten sie es an der Universität und im Referendariat gelernt.

Dies alles geschah ohne lautstarke und erfolgreiche Eingriffe einflussreicher Wirtschaftsverbände und Medien in den Kanon der Schulfächer. Das hat sich offensichtlich heute geändert. Und so muss erneut die Frage gestellt werden, warum gerade jetzt ein neues Schulfach "Ökonomie"?

Es darf und sollte offen ausgesprochen werden, dass es grundsätzlich um Akzeptanz der heutigen new and old economy geht. Das ist, wie gesagt, alles andere als illegitim. Ja, es ist eine auch gesellschaftspolitische Aufgabe der Schule, der Realität auf der Spur zu bleiben. Aber warum in einem gesonderten Schulfach? Wo bleibt die Offenheit kontextbewusster Abwägungen des Für und Wider?

Problematisch wird der anhaltende Konflikt, wenn in Wirklichkeit noch etwas anderes hinzukommt. Wird das "Proprium" der politische Bildung, nämlich die Orientierung am politisch-gesellschaftlichen Dasein des Menschen, als ein nicht mehr zeitgemäßes Sozial- und Weltverständnis und damit auch Erziehungsideal angesehen? Was tritt an dessen Stelle? Soll ein gesondertes Fach "wirtschaftliche Bildung" das "Unpolitische" des ökonomischen Geschehens in die Erziehung einbringen?

Nur dann nämlich wird der anhaltende Druck der Interessenten auf die KMK und die Medien verständlich. Roland Sturm hat unlängst in der "Gegenwartskunde"(H.4/2000, S. 405-411) das damit verbundene Grundproblem verdeutlicht. Das allein auf die Besonderheiten des Wirtschaftens zielende Wirtschaftsmodell begründe die vorgebliche Eigengesetzlichkeit wirtschaftlichen Handelns letztlich als eine "begrenzte Wertemechanik", indem sie jenes am Nutzen, kostengünstigsten oder gewinnbringendsten, orientierte Handeln in den Mittelpunkt von "Bildung" stellt. Derartige simple Entscheidungsalternativen gebe es aber außerhalb der ökonomischen Modellwelt für den Einzelnen realiter kaum. Abgesehen davon ist das ökonomische Prinzip nur ein Teil des gesamten Wertehorizonts in der Gesellschaft. Es widerspreche jedem Forschungsbefund, diese begrenzte Wertemechanik der Ökonomie zur Grundlage ökonomischer Bildung zu machen.

Es gelten auch heute - so Sturm - durchaus die ökonomischen Prinzipien eines Adam Smith´s (1776), der dies plastisch so ausgedrückt hatte: "Wir erwarten uns unser Abendmahl nicht von der Wohltätigkeit des Fleischers, Brauers oder Bäckers, sondern von deren Bedacht auf ihre eigenen Interessen." Sturm: "Allerdings ist ebenso unstrittig, dass Wirtschaft ein Teil der Gesellschaft ist und deshalb dieses ökonomische Prinzip nicht ohne den gesellschaftlichen Kontext unterrichtet werden kann, in den dieses eingebettet bleibt, nicht als Fremdkörper, wie eine Perle in der Muschel, sondern als fester Bestandteil eines Netzes gesellschaftlicher Einbettung jedes einzelnen Bürgers."(S.410)

Das ist der Kern. Dem kann man sich nur anschließen. Hinzuzufügen wären eine ganze Reihe von Argumenten, die nicht nur auf die "begrenzte Wertemechanik" abstellen, sondern auch auf die Gefahr ideologischer Indoktrination. "Ideologisch" deshalb, weil ein Modell stets die Vorstellung suggeriert, dass etwas in sich beweisbar sei, es aber dennoch die Wirklichkeit überhaupt nicht mehr erfasst. Dann wird die Nutzenmechanik zu einem "Wissen", das sich als falsch verstandene Wirklichkeit dogmatisch verfestigt. So werden Bürger gegenüber Krisen nicht gestärkt, sondern besonders anfällig gemacht. "Indoktrination" wurde hier als Begriff benutzt, weil die durchaus übliche "Internalisierung" gesellschaftlicher Werte und Institutionen durch Elternhaus und Medien hier in Verbindung mit einem eigentlich der Wirklichkeit widersprechenden, oktroyierten "Wissen" ganz bewusst vermittelt wird.

Nein, diese Art ökonomischer Bildung ist nicht akzeptabel. Denn sie bedeutet auch nicht nur eine Abgrenzung von der politischen Bildung. Sie könnte geradezu als Gegenbewegung gegen die bisherige politische Bildung verstanden werden, die den Menschen letztlich als zoon politicon und nicht allein als homo oeconomicus versteht. Wird dieses "Proprium" der politische Bildung nun als ein nicht mehr zeitgemäßes Sozial- und Weltverständnis und damit auch Erziehungsideal angesehen? Soll die Entstaatlichung in allen wirtschaftlichen Bereichen noch durch eine Art "Entgesellschaftung" gestützt werden? Welche Interessen stehen hinter diesem Konzept?

Die "Freiburger Schule" des Neoliberalismus war da einst um Längen fortschrittlicher. Sie, die dann politisch unter Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack in der frühen Nachkriegszeit die Einführung einer "Sozialen Marktwirtschaft" mit großem Erfolg erzwang, zeigte sich auf Grund der eigenen geschichtlichen Erfahrungen immer davon überzeugt, dass die Wirtschaft ein gesellschaftliches Phänomen ist und dass es ohne die regulierende Kraft staatlicher Ordnungsgestaltung nicht gehe. Walter Eucken und seinen theoretischen Mitstreitern ging es stets um die Ordnung der wiederhergestellten Märkte. Eine Ordnung, die nur durch die demokratisch legitimierte staatliche Sanktionsmacht zu gewährleisten sei.

4. Es gibt im Prinzip nichts in der schulischen politischen Bildung, was eine vertiefte und modernisierte ökonomische Bildung ausschlösse. Im Gegenteil, gemeinsam und aktualisiert haben ökonomische und politische Bildung alle Chancen, ein attraktives Schulfach zu bleiben.

Die heute gelehrte ökonomische Bildung im Rahmen der politischen Bildung bedarf aber wieder einmal einer curricularen Reform. Dazu gibt es Vorschläge. Dafür muss vor allem auch in der Ausbildung der Lehrer mehr und Kompetenteres getan werden (vgl. etwa Hartwich, in: Gegenwartskunde, H.1/2000, S. 23-36).

Unterstützungen durch Angebote der Unternehmen an Praktika für Lehrer und Schüler sind hoch willkommen und können der Sache nur dienen. Dies ist umso wichtiger, als die Schule nur eine der wichtigen "Sozialisationsagenturen" ist. Die mediale Umwelt, Fernsehen und Internet, prägen heute genau so stark wie die Schule die "Allgemeinbildung". Sie ist vermutlich sogar stärker als die Schule. Das Experimentieren mit dem Computer, erst mit Spielen, dann im Internet, sind Elemente, die die ökonomische Bildung an der Schule positiv beeinflussen können. Dazu gehört aber dann, dass das durch die modernen technischen Medien geweckte Interesse nicht in der Schule konfrontiert wird mit einer noch so didaktisch ausgearbeiteten "System"lehre, sondern aufgenommen und in die jeweils größeren Zusammenhänge der heutigen Lebens- und Arbeitswelt hineingeführt wird. Um dies bewerkstelligen zu können, braucht der Lehrer ein "Netz ökonomischer Vorstellungen und Zuordnungsmöglichkeiten". So kann die Hineinführung bewerkstelligt werden. Das aber ist methodisch das Lernziel einer guten schulischen politischen Bildung. Denn dieses "Netz" ist verknüpft mit pluralistischer Gesellschaft und politischer Demokratie als einzig möglicher Herrschaftsform. Gegenwärtig und in nächster Zukunft verwandelt sich die noch industrielle Welt mit großer Geschwindigkeit in eine Welt der Informations- und Kommunikationsmedien, die selbst die sicher geglaubte Einteilung in Wirtschaftssektoren wie primär, sekundär und tertiär sprengt. Ein systematisches Propädeutikum mit allein wirtschaftswissenschaftlichem Anspruch blockiert diese Lerndimension.

Wie stark die Lernziele in diesem Sinne aber rasch eingeengt werden können, beweisen die Empfehlungen zum "Aufbau eines ökonomischen Systemverständnisses" des Deutschen Aktien-Instituts (DAI, Vgl. "Memorandum zur ökonomischen Bildung", 2.A.1999) Aus "ökonomischer Bildung" wird "System"verständnis. Wie wertneutral ist dies gemeint ?

Bislang wird in der schulischen politischen Bildung ein bestimmtes "Systemverständnis" nicht angestrebt. Denn die unterrichtliche Behandlung eines Wirtschafts"systems" ist nie ganz wertneutral Das unterscheidet die geltenden Lehrpläne und Inhalte von den im DAI-Memorandum genannten Zielen. Auch die schulische politische Bildung hat die Marktwirtschaft zum Gegenstand. Einsichten in die Zusammenhänge und Funktionsweisen eines Wirtschaftssystems sollen gewonnen werden. Aber das Verständnis richtet sich im Rahmen der Sozialkunde und schulischen politischen Bildung auf die Zusammenhänge und überlässt die Nomenklatur und ihre Determinanten der gesellschaftlichen Kontroverse. Sie wird im Rahmen der Schule - wie Beispiele aus der Unterrichtspraxis beweisen - z.T. bewusst inszeniert, um Offenheit zu zeigen und Dogmatismus zu vermeiden. Dies dient dem Ziel, durch Diskurse oder auch Rollenspiele Positionen oder Alternativen kennen zu lernen. Es dient nicht dem Ziel, Verständnis für ein bestimmtes, also etwa "das" Wirtschaftssystem, einzuüben.

Erst auf diesem Wege wird das Ertragen der Wertevielfalt in der Gesellschaft erlernt und der Weg zur eigenen Wertebildung - eben durch "Bildung" - geebnet.

5. Erstaunlich ist, mit welcher Leichtfertigkeit die heutigen Forderungen nach einem eigenen Schulfach Ökonomie über die entscheidende Schwelle der Ausbildung von Lehrern für dieses Fach hinweggehen.

Da an allen "Initiativen" Universitätsprofessoren für das Handelslehramt mitgearbeitet haben, könnte es natürlich sein, dass aus ihrer Perspektive die Sachlage klar ist und die Realisierung Erfolg versprechend erscheint. Es geht aber nicht um ein bewährtes Schulfach und das akademisch justierte Handelslehramt. Es geht um das doppelte Problem der schon durch die Universität zu bewältigenden Auswahl des Lehrstoffes für Wirtschaftslehrer mit einem zweiten Fach und um die vor allem in der BDA/DGB-Initiative hervorgehobene "interdisziplinäre" Ausbildung der künftigen Lehrer für ein Lehramt Ökonomie.

Die Erfahrungen an Universitäten und in einschlägigen Fächern und Prüfungskommissionen lehren jedoch, dass sich die Vertreter der Fachwissenschaften, also die betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen und finanzwissenschaftlichen Fachprüfer, schon heute relativ wenig um diejenigen kümmern oder auch wegen des großen Andranges an Studenten bemühen können, die ein Lehramt anstreben. Die entscheidende Rolle kommt dann den Fachdidaktikern oder jenen zu, die speziell für das Handelslehramt zuständig sind, am Ende natürlich auch den Referendariaten.

Werden diese Verhältnisse nun auf die Ausbildung von Lehrern für eine "allgemeine ökonomische Bildung" als Lehramt übertragen, so kann man sich unschwer ausmalen, was dies überhaupt oder zumindest für unabsehbare Zeit, bedeutet. Wird es möglich sein, Professuren für ein Ökonomielehramt an den Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten und Fachbereichen neu einzurichten? Die Erfahrungen mit der Sozialkundelehrerausbildung in den Sechzigerjahren und - nach den Einspar"erfolgen" der Politik gegenüber den Stellen für universitäres Lehrpersonal - heute schrecken zudem.

Zwei Lösungen bezüglich der Lehrerausbildung scheinen dagegen auf der Hand zu liegen:
- zum einen könnte nach dem bestehenden Modell der Handelslehrerausbildung verfahren werden,
- zum anderen müsste in die Lehrkörperstruktur und die Lehrverpflichtungen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten eingegriffen werden, um die Professoren für BWL und VWL für das neue Fach mit seinem für die Schule reduzierten wirtschaftswissenschaftlichen Curriculum zu interessieren und sie an anderer Stelle zu entlasten. Dieses Curriculum müsste allerdings erst einmal erarbeitet werden.

Man kann sich nicht vorstellen, dass an den Ausbau der universitären Handelslehrerausbildung gedacht ist: a) weil es doch nicht eigentlich darum geht, das Handelslehramt auszuweiten, b) weil dies den gesamten gegenwärtigen Reformüberlegungen für die Universitätsausbildung zuwider liefe. Dazu äußert sich kein Memorandum und keine "Initiative".

Wo also sollten die Lehrer herkommen, wenn das spezielle Schulfach "Ökonomie" eingeführt würde? Und wie sollen sie an Universitäten ausgebildet werden?

Geht man von der heute überwiegend bestehenden Studiensituation aus, so setzen die Forderungen als Erstes eine stärkere Verzahnung der wirtschaftswissenschaftlichen Bereiche BWL, VWL und Finanzwissenschaft in absehbarer Zeit voraus. Sodann muss eine Auswahl der für ein schulbezogenes Ökonomie-Curriculum einschlägigen fachwissenschaftlichen Bereiche der Wirtschaftswissenschaften getroffen werden. Es sei denn, es ist an ein komplettes wirtschaftswissenschaftliches Grund- und Hauptstudium gedacht.

Sollen zum Beispiel in der Schule Grundkenntnisse im betrieblichen Rechnungswesen, Einblicke in Kosten- und Leistungsrechnungen, Nachfrage- und Angebotsfunktion, Controlling, anhand der üblichen Modelle erworben werden, so nähert sich die dafür notwendige neue Lehrerausbildung stark dem steril gewordenen wirtschaftswissenschaftlichen Grundstudium an den Universitäten an. Ein gewisses Maß an Statistikkenntnissen muss vorhanden sein. Bald zieht die enge Verknüpfung der Thematiken die Lehramtsstudenten in den Sog des aufwändigen Studiums auch weiterer einschlägiger Bereiche wie Finanzmanagement, Geld-, Kredit- und Kapitalmarktmechanismen, Besteuerung, Investitionsmanagement sowie auch modernes Personal- und Kundenmanagement.

Aber die Lehrer für das Schulfach "Ökonomie" können letztlich - sollten sie dieses durchaus interessante und anspruchsvolle Studium durchhalten - diese Breite und Spezialität in der Schule gar nicht nutzen; schon weil die Stundenzahl begrenzt sein wird. Überdies haben sie noch ein zweites Fach zu studieren. Sie wollen und sollen also weder Handelslehrer noch Diplom-Kaufleute oder Diplom-Volkswirte werden.

Zur Veranschaulichung und zum Vergleich möge ein Blick auf die Entwicklung des Verhältnisses zwischen schulischer politischer Bildung und der nach 1950 neu konstituierten Politischen Wissenschaft dienen. Diese Politikwissenschaft, wie wir heute sagen, war vor allem nach den Hakenkreuzschmiereien auf jüdischen Friedhöfen, die ab 1959 die entscheidenden Impulse für eine stärker gesellschaftswissenschaftliche Fächerstruktur an den Gymnasien gaben, die nahe liegende Fachwissenschaft für das neue Fach. Sie verstand sich in ihren Anfängen primär als "Demokratiewissenschaft". So deckten sich dann über fast ein Jahrzehnt in starkem Maße die Curricula eines Universitätsfaches und eines Schulfaches. Zunächst unmerklich veränderte dann sich die "natürliche Ehe" zwischen Politikwissenschaft und politischer Bildung in dem Moment, wo erstere in einer zweiten Hochschullehrergeneration Ergebnisse ausdifferenzierter Forschungen betrieb und vorlegte. Aus der "Demokratiewissenschaft" war eine sozialwissenschaftliche Disziplin an den Universitäten geworden, mit durchaus auch unterschiedlichen demokratietheoretischen und historischen Schulen. Aus der "natürlichen Ehe" wurde eine "rational-sachlich begründete Lebensgemeinschaft", die heute durchaus starke Abnutzungserscheinungen aufweist. Auch ist das Interesse der Politologen an der Lehrerausbildung merklich erlahmt, wie der Besuch der einschlägigen Sektionssitzungen auf den Fachkongressen in quantitativer und qualitativer Hinsicht zeigt.

Man könnte sagen, dass die Wirtschaftswissenschaften an genau diesem, zuletzt genannten Punkt beginnen müssten, und das beleuchtet die erheblichen und kaum bezwingbaren Schwierigkeiten einer sinnvollen Verbindung eines neuen gesellschaftswissenschaftlichen Schulfachs mit einer traditionellen wirtschaftswissenschaftlichen Universitätsdisziplin. Als Massenfach mit starken Forschungsleistungen und internationalen Vernetzungen ist zumindest die Betriebswirtschaftslehre kaum geeignet, angemessen auf die Bedürfnisse eines Schulfachs "Ökonomie" zu reagieren.

Werden die Konsequenzen eines neuen Schulfachs Ökonomie für die Lehrerausbildung wirklich ernsthaft abgewogen und diskutiert, so wird sich zeigen, dass dem richtigen und sachlich berechtigten Anliegen einer besseren ökonomische Bildung nur entsprochen werden kann, wenn drei Schritte gewagt werden:

1. Die Entwicklung tragender Bausteine für einen modernen und praxisnahen Ökonomieunterricht unter Abstimmung der unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen;

2. Die Integration dieses universitären wirtschaftswissenschaftlichen Curriculums in die Sozialkundelehrerausbildung, auch durch "Ausmusterung" überholter Bestandteile innerhalb der Sozialkundelehrerausbildung;

3. Die Organisation dieses Lehrerstudiums "vor (jedem) Ort", weil es stets interessierte Fachkollegen einschlägiger Fachrichtungen gibt, deren potenzielles Engagement allerdings zumeist des individuellen Anstoßes bedarf, um manifest zu werden.

6. Resümee

Wenn es mit den Forderungen nach einer besseren ökonomischen Bildung an den Schulen, vor allem an den Gymnasien, wirklich um die Sache geht und nicht primär um die Akzeptanz der Auswirkungen von Deregulierungen, Globalisierungen, Shareholder Value, um die freiwillige und nicht hinterfragten Abhängigkeiten von Marktmechanismen und Kapitalrenditen, dann blockiert die Forderung nach einem eigenständigen Fach eher, als sie nützt.

Es steht den sachlich gebotenen neuen Anforderungen an die Allgemeinbildung, zu der gewiss die ökonomische Bildung gehört, ein Fach zur Verfügung. Ein Fach, das Gesellschaftsverständnis und Lebenstüchtigkeit in seiner ganzen Breite zu vermitteln sucht. Ein Fach, das sich nicht abschließt. Im Gegenteil. Die Sozialkunde und die anderen Fächer der schulischen politischen Bildung im breiten Verstande benötigen die neuen Ansprüche und Forderungen in Bezug auf die ökonomische Bildung, damit sie nicht ihrerseits an der Realität vorbei lehren.

Kooperation ist angesagt. Es sollte schnellstens zum Brückenbau dergestalt kommen, dass inhaltsbezogen und fachdidaktisch reflektiert geprüft wird, wo in der Schule und an den Lehrerbildungsstätten neue und möglicherweise andere ökonomische Aufgabenstellungen zu erfüllen sind als bisher. Die ist eine Aufgabe aller, der einschlägigen Fachwissenschaften ebenso wie der Lehrer gemeinschaftskundlicher Fächer, insbesondere der Sozialkunde.

Eine Kooperation könnte dadurch begonnen werden, dass z. B. die Deutsche Vereinigung für politische Bildung offensiv wird und einen entsprechenden Curriculum-Gesprächskreis ins Leben ruft. Dies hat allerdings nur dann Sinn, wenn Repräsentanten und Experten aller Seiten dazu bereit sind. Als Erstes müsste dabei über die Lehr- und Lernziele in der Schule, genauer den Schularten und -stufen gesprochen werden. Daraus würden die inhaltlichen Konsequenzen zu ziehen sein. Ihr folgt logisch die Frage nach den Lehrenden und damit nach Lehrerausbildung und Fachdidaktik. Mit diesen Schritten würde der allzu beliebige Tenor von Forderungen in hoher Abstraktion und Allgemeinheit, die das wichtige Thema belasten, gleichsam "heruntergeholt" werden auf die Ebene des Konkreten , Nachvollzieh- und Nachprüfbaren. In diesem Prozess der Abklärung wird sich zeigen, ob es wirklich Unvereinbarkeiten gibt.

Mit gutem Willen und konstruktiver Zusammenarbeit könnten durchaus sehr bald neue und relevantere wirtschaftskundliche Lerninhalte über die bestehenden gemeinschaftskundlichen Fächer, vor allem die Sozialkunde, Eingang in der Schule finden. Dann hätten auch die Angebote von Unternehmen an die Lehrer zur praktischen Erkundung sehr konkrete Anknüpfungspunkte; sie würden besser als jetzt angenommen. Dann vor allem könnten in den Universitäten mit einschlägiger Lehrerausbildung sehr bald interdisziplinäre Kontakte geknüpft und Studienbausteine konzipiert werden, die rasch in Studium und Prüfung zum Zuge kommen könnten. An diesem Prozess wird sich schließlich erweisen, wie konkret und wie engagiert die Forderungen nach einer besseren ökonomischen Bildung wirklich vertreten werden. Käme der Prozess dieser Art nicht zu Stande, müssten wenigstens die wirtschaftskundlichen Teile innerhalb der Sozialkunde umgehend modernisiert werden.

Anmerkung des Herausgebers:

(1)Die Debatte ist dokumentiert im sowi-onlinereader 1: Ökonomische und politische Bildung